Mit einem schönen Vergleich hat Prof. Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin die aktuelle Lage beim Umbau der Landwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit, Tierwohl und gesellschaftlichen Wünschen beschrieben: „Der Bus ist voll besetzt und fährt irgendwo hin. Und erst jetzt schauen wir zum Fahrerplatz und sehen, dass er leer ist“, sagte er am Mittwoch bei der DLG-Wintertagung in Münster.
Denn laut Grethe finde gerade im Berufsstand ein Umdenken statt, dass aber auf eine enorme Gestaltungslücke der Politik stoße. Diese Lücke gelte es schnell zu schließen. „Beim Umweltschutz sind wir gesetzlich schon auf Höhe der Zeit, bei den Tierschutzgesetzen auf einem guten Weg – auch wenn wir die NutztierhaltungsVO dringend weiterentwickeln müssen. Aber bei den sozialen Leistungen der Landwirtschaft stehen wir ganz am Anfang“, kritisiert der Ökonom und fragt, welche sozialen und kulturellen Leistungen denn wichtig seien. Das müsse ausgehandelt werden, „small is beautiful“ sei nicht überzeugend.
Er stellt fest, das ganze Felder inzwischen dem Ökolandbau überlassen würden, der die Lösung aller Probleme verheißt. „Warum gelingt es den Konventionellen nicht, eigene Nachhaltigkeitskriterien zu verabschieden“, fragte Grethe die Landwirte im Saal.
Heute steht fest: Der Markt kann es nicht richten
Vor den DLG-Mitgliedern und interessierten Landwirten stellte der Professor fest, dass die Bauern die von der Gesellschaft gewünschten Leistungen der Landwirtschaft über den Markt nicht honoriert bekommen. In der Volkswirtschaftslehre spricht man da von Marktversagen. „Die Verbraucherpräferenzen unterscheiden sich von den Bürgerpräferenzen“, sagte Grethe und meint das Verhalten der Bürger, hohe Ansprüche an Tier- und Umweltschutz zu stellen, an der Ladenkasse aber völlig anders zu handeln, in dem sie das Billigste kaufen. So habe Lidl seine fairen Bananen wieder durch Standardware ersetzt, weil der Kunde den Mehrpreis von 10 Cent nicht bereit war zu zahlen.
„Über den Markt kriegen wir höhere Standards nur teilweise vergütet und über das Ordnungsrecht in einer offenen Volkswirtschaft auch nicht. Wir treiben die Produktion durch Ordnungsrecht ohne Förderpolitik ins Ausland, weil es dem Lebensmitteleinzelhandel egal ist, woher die Waren kommen“, verdeutlichte der Fachmann. Stattdessen schlägt er vor, Leistungen einzukaufen, sprich zu honorieren, etwa über Tierschutzprämien oder Geld für Umweltleistungen.
Gemeinwohlleistungen als Unternehmenszweig
Grethe plädiert dafür, dass Gemeinwohlleistungen ein Produktionsbereich auf den Höfen werden sollten, ein weiteres Standbein. „Als Unternehmer müssen Sie doch überlegen, wo es für was Nachfrage gibt, warum soll man diesen Markt liegenlassen? Wer das ignoriert, für den wird es eng“, so Grethe. Die klassische Lebensmittelproduktion als Geschäftsmodell könnte seiner Meinung nach künftig nicht mehr zum Überleben reichen.
Zu klären sei allerdings die Frage, wo eigentlich die Eigentumsrechte liegen: Muss ein Landwirt seine Hecke pflegen oder müssen ihn die Bürger dafür bezahlen? Da seien sich auch die Ökonomen nicht einig. In diesem Zusammenhang stellte Grethe klar, dass die Landwirtschaft auch künftig effektiv und effizient bleibe. Künftig gebe es halt Gemeinwohlleistungen, die aber effizient umgesetzt würden. Auch beim Ökolandbau gebe es schließlich eine hohe Effizienz.
Politik handelt nicht
Die Bauern sind bereit zum Wandel, sofern er honoriert wird. Das größte Problem sieht der Professor vielmehr in der untätigen Politik. Er warnt vor Normenkontrollklagen, Anzeigen von Tierschutzvereinen und Gerichten, die das entstandene Führungs-Vakuum ausfüllen. „Wir brauchen jetzt eine Förderpolitik, die den Wandel untermauert. Dass es hier nicht um ein paar kleine Fördergelder geht, machte Grethe in Münster an folgenden Beispielzahlen deutlich:
4 Mrd. Euro für Tierwohl + 2 Mrd. Euro für die Zweite Säule + 5 Mrd. Euro aus der Ersten Säule = 11 Mrd. Euro. Die Mittel aus der ersten Säule könne man beispielsweise verwenden, um 10 % der Fläche zu extensivieren (2 Mrd. Euro Ausgleich pro Jahr) + 1 Mrd. für den Moorschutz + Förderung von Umweltleistungen in der Fläche, die Finanzierung des geplanten Ausbaus des Ökolandbaus usw. Hinzu kommen weiterer Vertragsnaturschutz, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, Ausbau der Qualitätsprogramme etc. Laut Grethe stehen am Ende 30 bis 35 % des heutigen Produktionswertes der Landwirtschaft auf der Rechnung, die über die Bereitstellung von Gemeinwohlleistungen erlöst werden können.
Die Nutztierhaltung in Deutschland mit ihrem künftig noch höheren Tierwohlstandards darf laut Grethe jedenfalls kein Wettbewerbsnachteil auf dem Weltmarkt sein und müsse entsprechend von der Gesellschaft ausgeglichen werden. „Wir müssen jetzt umdenken und die Zukunft gestalten. Mit Gestaltungsverweigerung fährt man den Sektor vor die Wand und die Politik wird zur getriebenen: Glyphosat ist verbrannt und gesellschaftlich durch und in der Düngepolitik hat man aufgrund des langen Stillstands kaum noch Gestaltungsspielraum. Eine langfristige Transformation der Nutztierhaltung muss jetzt kommen, das Borchert-Konzept ist unter Umständen die letzte Chance, bevor Klagen und Volksbegehren die Politik weiter vor sich her treiben“, appellierte Grethe vor den DLG-Mitgliedern.
Er prangert an, dass die Politik das nicht hinreichend vorantreibe. Die Landwirtschaft hat die Fäden selbst in der Hand und muss Konzepte vorlegen.
von Detmar Kleensang
Der Prof bringt viele Dinge auf den Punkt.
Und zieht dann wieder die falschen Schlüsse. Das Marktversagen hat er festgestellt. Bravo! Seine Lösung: gemeinwohlige Staatsknete als neuen Betriebszweig für die Landwirte. Der Staat soll neue Prämien anbieten, die Bauern sollen Prämienoptimierer werden und dafür zusätzliche ... mehr anzeigen Arbeiten erfüllen. Am Marktversagen soll aber nichts geändert werden?!? Das ist ein erbärmlicher Rat! Dazu einer, der volkswirtschaftlich nicht aufgehen kann. Da könnte der Prof jedem Geringverdiener in jeder anderen Branche, der mit Sozialleistungen zum Leben aufstocken muss, jedem für höhere Löhne Streikenden raten, sie sollten zusätzliche Gemeinwohlleistungen erbringen. Der Staat solle dann zusätzliche Gelder anbieten für solche Leistungen wie Müll sammeln, Straßenränder mit dem Rasenmäher pflegen, Unkraut jäten beim Bauern und wasweißichnochalles. Komisch: Für niemand anderen werden solche Vorschläge gemacht außer für die Bauern. Nein, das Marktversagen muss angegangen und beseitigt werden! Alles andere ist Bastelei am kaputten System und Augen verschließen vor den wahren Problemen! Gebt diesem Mann keine Forschungsaufträge mehr! Lasst ihn Gemeinwohlaufgaben erfüllen! weniger anzeigen
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von Rudolf Rößle
Gesetze
Förderung und Verordnungen wird jetzt sicher die Uniform angepasst. Wer sie nicht tragen will ist raus. Es wird nicht anders verfahren werden als bei dem Radikalabbau bei der Steinkohleförderung. Wir können nur versuchen Flächenversiegelung zu stoppen.
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von Albert Maier
@Baumert: Denkfehler
Verbraucherpräferenzen bilden die Realität ab. "Bürgerreferenzen" sind ideologische Wunschvorstellungen gewisser politischer Strömungen und deren wissenschaftlichen Zulieferer (z.B.Grethe). Durch ständiges Wiederholen angeblicher "Bürgerreferenzen" sollen diese der breiten ... mehr anzeigen Bevölkerung untergejubelt werden. Bislang jedoch mit bescheidenem Erfolg, denn Grethes unrealistischen Thesen interessieren in der Realität niemanden! weniger anzeigen
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von Hans Spießl
Der Mann zwar Professor aber nur Theoretiker
während es dem Durchschnittsbürger immer schlechter geht der Industriestandort Deutschland bedingt durch links grüner Ideologen zerstört wird, neue Schweinereien wie den Green Deal...... etc auf das Volk zukommen wird die Bereitschaft des Steuerzahlers ... mehr anzeigen für neue Abgaben um Bauern für Leistungen zu belohnen die keine Leistungen sind mit Sicherheit stark zunehmen? oder ist Brache, Extensivierung, oder der Bio Anbau etwa eine Leistung? hier sind die produzierenden Bauern gefordert dem Volk aufzuzeigen wofür wer die vielen Gelder bekommt, doch nicht der Produzierende? ja der sollte jetzt mit lächerlichen 5,18 Euro/Mastschwein auskommen!! aber den Bio Schlampern wird es im Großen Nachgeworfen, Hunderte Euro/ha für das Zerstören von Bodenfruchtbarkeit..... weniger anzeigen
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von Josef Baumert
Abwehrhaltung ablegen
Professor Grethe bringt es doch konkret auf den Punkt, dass sich "die Verbraucherpräferenzen von den Bürgerpräferenzen unterscheiden" und deshalb Marktversagen stattfindet. Deshalb finde ich die Forderung, dass der Staat entsprechend Geld in die Hand nehmen sollte um höhere ... mehr anzeigen Naturschutz- oder Tierwohlleistungen zu honorieren, vollkommen richtig. Wem das zu viel Markteingriff ist sollte vielleicht bedenken, dass wir in Europa doch schon seit sechzig Jahren eine Agrarpolitik haben, die enorm in die Agrarmärkte und die Landwirtschaft eingreift. Die Landwirtschaft ist nunmal keine Industrie wie jede andere. Natürlich ist es heuchlerisch von den vielen Verbrauchern, die Wasser predigen und Wein trinken. All diese Probleme ließen sich am einfachsten lösen, wenn der mündige Verbraucher an der Ladentheke seiner Forderung nach mehr Tierwohl etc. Taten folgen lassen würde und entsprechend die Mehrkosten übernimmt. Da aber der Verbraucher anscheinend nicht so mündig ist, gleichzeitig aber politisches Gewicht hat, führt wohl kaum ein Weg an einer stärkeren Förderpolitik durch den Staat vorbei. Wir sollten uns konstruktiv an der Debatte beteiligen (was viele ja schon tun) und der Politik und Gesellschaft erklären, welche finanziellen Maßnahmen und langfristige Leitplanken ein Umbau der Landwirtschaft erfordert. Dass wir grundsätzlich bereit sind mitzugehen, solange die Mehrkosten nicht an den Landwirten hängen bleiben. Aber mit der Abwehrhaltung (auch wenn ich sie zum Teil verstehe), die viele an den Tag legen, gewinnen wir keinen Blumentopf. weniger anzeigen
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von Albert Maier
Auf den Fahrerplatz ...
... darf auf keinen Fall ein Professor, denn dann ist die Fahrt in den Abgrund so sicher wie das Amen in der Kirche!
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von Gerd Uken
Die Frage bleibt woher der Professor denn
Meint das Geld zu bekommen für den Umbau der Landwirtschaft? Von der EU nicht die kürzt die erste Säule um 5-15%! Der Markt wird es auch nicht richten also sollen wir die Lasten Schultern? Schöne Aussichten dann kann der Bus besser autonom weiterfahren als mit einem Proffessor
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von Jörg Meyer
Bürgerpräfenrenzen
welche Höhe an verfügbaren Mitteln liegen denn der Bürgerpräferenzkurve zugrunde, das weiß Herr Professor wahrscheinlich selber nicht! Es gibt Angebote der konventionellen Landwirtschaft an den Verbraucher (z.b. ITW, gentechnisch frei) die werden aber z.T. nicht so nachgefragt wie ... mehr anzeigen Herr Professor das prognostiziert hat in der Vergangenheit und auch der Biomarkt gerät ins Stocken vom Umsatz inländischer Produktion aus gesehen, weil zu teuer. Das der Konsum immer mehr außer Haus in der Gastronomie stattfindet hat der Herr Professor auch noch zu berücksichtigen. Wenn es also ein Marktversagen gibt bezüglich der Bürgerwünsche dann stellt sich die Frage warum! Es gibt auch in vielen anderen Bereichen Spannungsfelder zwischen Bürgerpräferenzen und Wirklichkeit etwa bei der Pflege, Alterssicherung Bildung , innerer Sicherheit etc. spricht man da auch vom Marktversagen oder ist es nicht einfach menschlich sein eigenes und das gesellschaftliche Budget zu überschätzen? Ich persönlich kann weder mit Herrn Grethes noch mit Herrn Spillers Meinung etwas anfangen! Erschreckend finde ich das ein Agrarprofessor Glyphosat für tod erklärt, an manchen Unis scheint sich die Agrarwisschenschaft zur empirischen Agrarsoziologie mit geringer Signifikanz zu entwickeln. weniger anzeigen
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von Wilhelm Grimm
Nein, diese Suppe esse ich nicht!
Wenn ich jung wäre, würde ich einen anderen Beruf ergreifen und mich nicht in die Abhängigkeit des Staates, seiner arroganten Kontrolleure und seiner praxisfernen Professoren begeben.
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