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Grethe: „Der Bus ist voll und fährt, nur der Fahrerplatz ist leer“

Prof. Dr. Harald Grethe machte bei der DLG-Wintertagung deutlich, dass jetzt die letzte Chance sei für den Umbau der Landwirtschaft. Fatal sei, dass die Politik nicht handelt...

Lesezeit: 5 Minuten

Mit einem schönen Vergleich hat Prof. Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin die aktuelle Lage beim Umbau der Landwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit, Tierwohl und gesellschaftlichen Wünschen beschrieben: „Der Bus ist voll besetzt und fährt irgendwo hin. Und erst jetzt schauen wir zum Fahrerplatz und sehen, dass er leer ist“, sagte er am Mittwoch bei der DLG-Wintertagung in Münster.

Denn laut Grethe finde gerade im Berufsstand ein Umdenken statt, dass aber auf eine enorme Gestaltungslücke der Politik stoße. Diese Lücke gelte es schnell zu schließen. „Beim Umweltschutz sind wir gesetzlich schon auf Höhe der Zeit, bei den Tierschutzgesetzen auf einem guten Weg – auch wenn wir die NutztierhaltungsVO dringend weiterentwickeln müssen. Aber bei den sozialen Leistungen der Landwirtschaft stehen wir ganz am Anfang“, kritisiert der Ökonom und fragt, welche sozialen und kulturellen Leistungen denn wichtig seien. Das müsse ausgehandelt werden, „small is beautiful“ sei nicht überzeugend.

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Er stellt fest, das ganze Felder inzwischen dem Ökolandbau überlassen würden, der die Lösung aller Probleme verheißt. „Warum gelingt es den Konventionellen nicht, eigene Nachhaltigkeitskriterien zu verabschieden“, fragte Grethe die Landwirte im Saal.

Heute steht fest: Der Markt kann es nicht richten

Vor den DLG-Mitgliedern und interessierten Landwirten stellte der Professor fest, dass die Bauern die von der Gesellschaft gewünschten Leistungen der Landwirtschaft über den Markt nicht honoriert bekommen. In der Volkswirtschaftslehre spricht man da von Marktversagen. „Die Verbraucherpräferenzen unterscheiden sich von den Bürgerpräferenzen“, sagte Grethe und meint das Verhalten der Bürger, hohe Ansprüche an Tier- und Umweltschutz zu stellen, an der Ladenkasse aber völlig anders zu handeln, in dem sie das Billigste kaufen. So habe Lidl seine fairen Bananen wieder durch Standardware ersetzt, weil der Kunde den Mehrpreis von 10 Cent nicht bereit war zu zahlen.

Wir müssen uns vom Wunsch verabschieden, dass es der Verbraucher richten muss. Und vom Mantra des DBV, dass es bloß kein neues Ordnungsrecht geben darf.

„Über den Markt kriegen wir höhere Standards nur teilweise vergütet und über das Ordnungsrecht in einer offenen Volkswirtschaft auch nicht. Wir treiben die Produktion durch Ordnungsrecht ohne Förderpolitik ins Ausland, weil es dem Lebensmitteleinzelhandel egal ist, woher die Waren kommen“, verdeutlichte der Fachmann. Stattdessen schlägt er vor, Leistungen einzukaufen, sprich zu honorieren, etwa über Tierschutzprämien oder Geld für Umweltleistungen.

Gemeinwohlleistungen als Unternehmenszweig

Grethe plädiert dafür, dass Gemeinwohlleistungen ein Produktionsbereich auf den Höfen werden sollten, ein weiteres Standbein. „Als Unternehmer müssen Sie doch überlegen, wo es für was Nachfrage gibt, warum soll man diesen Markt liegenlassen? Wer das ignoriert, für den wird es eng“, so Grethe. Die klassische Lebensmittelproduktion als Geschäftsmodell könnte seiner Meinung nach künftig nicht mehr zum Überleben reichen.

Zu klären sei allerdings die Frage, wo eigentlich die Eigentumsrechte liegen: Muss ein Landwirt seine Hecke pflegen oder müssen ihn die Bürger dafür bezahlen? Da seien sich auch die Ökonomen nicht einig. In diesem Zusammenhang stellte Grethe klar, dass die Landwirtschaft auch künftig effektiv und effizient bleibe. Künftig gebe es halt Gemeinwohlleistungen, die aber effizient umgesetzt würden. Auch beim Ökolandbau gebe es schließlich eine hohe Effizienz.

Politik handelt nicht

Die Bauern sind bereit zum Wandel, sofern er honoriert wird. Das größte Problem sieht der Professor vielmehr in der untätigen Politik. Er warnt vor Normenkontrollklagen, Anzeigen von Tierschutzvereinen und Gerichten, die das entstandene Führungs-Vakuum ausfüllen. „Wir brauchen jetzt eine Förderpolitik, die den Wandel untermauert. Dass es hier nicht um ein paar kleine Fördergelder geht, machte Grethe in Münster an folgenden Beispielzahlen deutlich:

4 Mrd. Euro für Tierwohl + 2 Mrd. Euro für die Zweite Säule + 5 Mrd. Euro aus der Ersten Säule = 11 Mrd. Euro. Die Mittel aus der ersten Säule könne man beispielsweise verwenden, um 10 % der Fläche zu extensivieren (2 Mrd. Euro Ausgleich pro Jahr) + 1 Mrd. für den Moorschutz + Förderung von Umweltleistungen in der Fläche, die Finanzierung des geplanten Ausbaus des Ökolandbaus usw. Hinzu kommen weiterer Vertragsnaturschutz, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, Ausbau der Qualitätsprogramme etc. Laut Grethe stehen am Ende 30 bis 35 % des heutigen Produktionswertes der Landwirtschaft auf der Rechnung, die über die Bereitstellung von Gemeinwohlleistungen erlöst werden können.

Die Vorschläge der Borchert-Kommission liegen auf dem Tisch, es ist jetzt eine massive Investitionsförderung nötig.

Die Nutztierhaltung in Deutschland mit ihrem künftig noch höheren Tierwohlstandards darf laut Grethe jedenfalls kein Wettbewerbsnachteil auf dem Weltmarkt sein und müsse entsprechend von der Gesellschaft ausgeglichen werden. „Wir müssen jetzt umdenken und die Zukunft gestalten. Mit Gestaltungsverweigerung fährt man den Sektor vor die Wand und die Politik wird zur getriebenen: Glyphosat ist verbrannt und gesellschaftlich durch und in der Düngepolitik hat man aufgrund des langen Stillstands kaum noch Gestaltungsspielraum. Eine langfristige Transformation der Nutztierhaltung muss jetzt kommen, das Borchert-Konzept ist unter Umständen die letzte Chance, bevor Klagen und Volksbegehren die Politik weiter vor sich her treiben“, appellierte Grethe vor den DLG-Mitgliedern.

Er prangert an, dass die Politik das nicht hinreichend vorantreibe. Die Landwirtschaft hat die Fäden selbst in der Hand und muss Konzepte vorlegen.

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