Über den Spagat zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und internationaler Wettbewerbsfähigkeit referierte am Freitag Prof. Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin beim Soester Agrarforum.
Grundsätzlich hält es Grethe für fraglich, ob wir es wirklich Gerichten überlassen sollten zu erklären, wie man Schweine halten soll. Hier müsse doch der Gesetzgeber viel deutlicher Flagge zeigen. Er bedauert zudem, dass alle heute beim Thema Tierhaltung und Tierwohl nur noch über Ordnungsrecht reden. „Keiner redet darüber, wie man das wirtschaftlich erreichen soll“, so der Professor vom Fachgebiet Internationaler Agrarhandel und Entwicklung.
Die großen Herausforderungen der Nutztierhaltung in Deutschland sind seiner Meinung nach erstens die Erhaltung einer wettbewerbsfähigen Produktion bei gleichzeitiger Umsetzung von steigenden Anforderungen an die Prozessqualität der Nutztierhaltung, insbesondere im Tier- und Umweltschutz, und zweitens die konstruktive Gestaltung der Mengenfrage: Wieviel Tiere wollen wir in Deutschland nutzen?
Diese Herausforderungen sind laut Grethe eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, alle müssten ihren Beitrag leisten. Das erläuterte er genauer:
1. Keiner will zahlen: Alle Forderungen zu mehr Tierschutz kosten laut Grethe Geld. Er geht bei einem möglichen Umbau der Tierhaltung von einer Kostensteigerung für die Erzeuger von 20 bis 40 % aus. „In einer geschlossenen Produktionswirtschaft wäre ein höherer Marktpreis kein Problem. Aber wir sind im Weltmarkt, da wird der Preis gemacht. Wir kriegen die Mehrleistung also nicht über den Markt honoriert“, stellte der Fachmann klar. Und würde der Staat einfach mehr Tierschutz per Ordnungsrecht durchsetzen, würde Deutschland die Produktion an das Ausland verlieren, günstiges Fleisch würde dann importiert. „Ziel kann ja kein geringerer Selbstversorgungsgrad mit viel Tierwohl sein, während mehr Waren mit geringeren Standards aus dem Ausland heimische Waren ersetzen“, verdeutlichte der Professor.
2. Die Mengenfrage: Grethe ist überzeugt, dass „das Ende der Fahnenstange bei der Menge“ erreicht ist. Heute trage der Fleischsektor mit 35 % zu den Immissionen aus der Landwirtschaft bei, der Milchsektor mit 30 %. Daher wäre der Ruf nach einer Produktionseinschränkung bei uns naheliegend. Auch das würde aber die Produktion ins Ausland treiben und Nahrungsimporte erhöhen, die Immissionen blieben gleich. Daher kann nur eine Konsumreduzierung der Verbraucher einen echten Wandel bewirken, meint Grethe. Er ist ohnehin überzeugt, dass der Fleischkonsum bei uns sinken muss, allein schon weil Schwellenländer ihren Fleischverzehr deutlich steigern.
3. Gesellschaftliche Akzeptanz: Grethe stellt einen immer geringer werdenden Bezug der Verbraucher zur Landwirtschaft fest. Heute hätten das die Medien übernommen, mit Skandalbildern auf der einen Seite und Kinderbuchromantik auf der anderen. Die Informationen seien schlecht, während die Sichtbarkeit der Tierhaltung immer weiter abnimmt. „Daher ist die Weidehaltung so wichtig. Auch der Dialog zwischen Bauern und Bürger schafft echtes Verständnis.“
---------------------------------------
Bewältigung des Spagats
Zur Lösung schlägt Grethe vor, die Bauern sollten einfach öfter Forderungen akzeptieren und umsetzen. Beim Thema Düngung hätte der Berufsstand so stark dagegen gearbeitet, dass eine Verordnung herauskam, die manche Landwirte heute sogar besserstellt als früher. Das verursache Frust bei den Bürgern. Und weil die Umweltvereine da keinen Erfolg verbuchen konnten, setzen sie alternativ auf das Thema Glyphosat. „Das ist wie ein Stellvertreterkrieg. Da haben sie einen Hebel, der viel öffentliche Empörung hervorruft“, so der Experte.
Mehr Tierwohl, aber Staat verweigert Geld
Grethe empfiehlt dringend eine Weiterentwicklung der politischen Rahmenbedingungen für die Nutztierhaltung. Die notwendigen Veränderungen kosten seinen Berechnungen zufolge jährlich 3 bis 5 Mrd. Euro. Um die notwendigen Steuerungsimpulse zu setzen und Mittel in dieser Größenordnung bereitzustellen, sei dringend eine Finanzierungs- und Steuerungsstrategie notwendig, die langfristige Perspektiven für die Nutztierhaltung eröffnet.
„Es gibt immer mehr Runde Tische zum Thema Tierwohl anstatt mal Geld in die Hand zu nehmen“, kritisierte er in Soest. Die Forderung der Politik nach mehr Tierschutz hält er lediglich für einen Vorsatz ohne echten Veränderungswillen. „Niemand hat bis jetzt eine Antwort, woher das Geld kommen soll. Müssten das die Erzeuger selbst aufbringen, würden ihre Produktionskosten um 13 bis 23 % steigen. Da würde jeder aussteigen. Also muss die gesamte Volkswirtschaft den Umbau bezahlen.“
Grethe nannte in diesem Zusammenhang die staatlichen 40 Mio. Euro für die Agrarförderung in der 2. Säule. Allein die privatwirtschaftliche Initiative Tierwohl sei mit 130 Mio. Euro ausgestattet. Dies zeige, wie sehr sich der Staat finanziell aus einem Umbau der Tierhaltung heraushalte und wie weit weg man von den benötigten 3 bis 5 Mrd. Euro ist.
Grethe lobte auch die verpflichtende Haltungskennzeichnung des Lebensmitteleinzelhandels. „Der Staat hat das nicht hingekriegt.“ Dass die Standards dieser LEH-Haltungslabels über den gesetzlichen Standards liegen, dürfte die Bauern zwar ärgern „Aber: Ich warne davor, das zu verurteilen, weil der LEH diese Waren ja nur von heimischen Bauern bekommt. Sie werden ihre Ware also gesichert und zu besseren Konditionen los, während ausländische Produkte mit niedrigeren Standards aussortiert werden“, so Grethe. In Richtung des Handels fragt er, ob er nicht einfach mehr Geld vom Kunden einsammeln könnte, um das zu beschleunigen.
„Pauschale Direktzahlungen haben keine Zukunft“
Für die Direktzahlungen in der bisherigen Form sieht der Marktkenner indes keine Zukunft. „Was machen die Bauern mit 5 Mrd. Euro Direktzahlungen? Das fällt ihnen schwer zu erklären“, stellt Grethe fest. In seinem Vortrag bereitete er die Landwirte darauf vor, dass man jetzt eigentlich an eine Umstrukturierung müsse, damit mit den Direktzahlungen etwas Sinnvolles getan wird, wie er sagte. Schon heute würde der Betrag immer geringer, eben weil sie pauschal gezahlt würden.
„Bislang lautet die Verteidigung so: Landwirte sind benachteiligt, weil sie abhängig vom Wetter sind und wenig Einkommen im Vergleich zu anderen Branchen haben. Deshalb muss die Politik die Lücke schließen. Einfach so 300 Euro/ha zu bekommen entbehrt aber jeglicher Logik. Das bedeutet ja, Bauern sind ärmer, je mehr Hektar sie haben, weil sie dann mehr Direktzahlungen bekommen“, so Grethe. Die Landwirtschaft müsse aber weg von der Opferrolle. Nur es fehle das Geld, um die Ziele zu erreichen.
Die Landwirte leisten viel, was die Gesellschaft will, der Markt aber nicht honoriert. Daher sei der Staat für die Honorierung der Gemeinwohlleistungen zuständig und das müsste auch künftig der Kern der Agrarpolitik sein. „Die Politik muss ein ehrlicher Markler sein zwischen den Mitspielern“, fordert der Professor. Man dürfe das Selbstbild der Branche nicht den NGOs überlassen. Sein Tipp zum Schluss: „Seien Sie politisch laut und tragen Sie die Unklarheiten in die Öffentlichkeit. Fragen Sie, was der Bürger denn will.“
Trotz dieser schwierigen Forderungen erntete Prof. Grethe gewisse Zustimmung im Saal samt kräftigem Applaus. Sein lockerer Vortrag war in der Tat plausibel und regte sicherlich viele anwesende Bauern zum Nachdenken an.