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Trotz politischer Differenzen

Grüne und konservative EU-Agrarpolitiker einig: Kommissionsvorschlag zum Pflanzenschutz „grottenschlecht“

Sie verkörpern politische Gegensätze, doch sind sich beim Pflanzenschutz einig. Martin Häusling und Herbert Dorfmann halten die EU-Ideen für „grottenschlecht“. Bei GAP und Gentechnik sind sie uneins.

Lesezeit: 17 Minuten

Die politischen Meinungsunterschiede hinsichtlich des chemischen Pflanzenschutzes zwischen der Europäischen Volkspartei (EVP) und den EU-Grünen sind bekanntlich groß. Einig sind sich die agrarpolitischen Sprecher der beiden Fraktionen im Europaparlament, Herbert Dorfmann und Martin Häusling, allerdings darin, dass der Kommissionsvorschlag zur EU-Pflanzenschutzverboten „grottenschlecht“ ist.

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Einigkeit nur bei der Kritik

Im gemeinsamen Interview mit dem Pressedienst Agra-Europe betonen beide, dass hier noch deutliches Verbesserungspotential bestehe. In welche Richtung es dabei gehen sollte, darin unterscheiden sich die beiden Agrarsprecher erwartungsgemäß deutlich. Dorfmann lehnt die grundsätzliche Richtung des Vorschlags ab. Laut dem Südtiroler muss eine Verbindung zwischen dem Bauer vor Ort und dem Mitgliedsstaat geschaffen werden. Wichtig seien zudem klare Anreize für eine Senkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes. „Hinzu kommt der Unfug mit dem Totalverbot in sensiblen Gebieten.“

Häusling: Alte Vereinbarungen haben nichts bewirkt

Martin Häusling räumt ebenfalls ein, dass die Kommission beim zunächst von ihr geplanten Totalverbot in sensiblen Gebieten „weit über das Ziel hinausgeschossen“ sei. Glücklicherweise habe sie diesen Fehler inzwischen eingeräumt. „Aber dass sie etwas vorlegen musste, nachdem die freiwilligen Vereinbarungen der Vergangenheit nichts bewirkt haben, ist nachvollziehbar“, so Häusling Bisher habe noch nicht einmal die Lieferung von Daten funktioniert. Zudem müsse die EU internationale Abkommen zur Biodiversität einhalten.

Mehr Wölfe töten

Einig scheinen sich Dorfmann und Häusling beim Thema Wolf zu sein. Beide loben zwar den Erfolg der mittlerweile vor gut drei Jahrzehnten in Kraft getretenen Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Richtlinie. Allerdings müssten angesichts der mittlerweile vielfach hohen Wolfspopulation mehr Tiere entnommen werden können. Häusling zeigt sich genervt davon, dass beide Seiten immer das Extrem forderten, „auf der einen Seite abschießen, auf der anderen Seite nicht anfassen. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.“

Gemäß dem Grünen-Politiker gibt es einige EU-Mitgliedsländer, die das gut hinkriegen. Dorfmann unterstreicht den Zusammenhang zwischen Weidetierhaltung und Biodiversität. So gebe es im alpinen Raum auf einer extensiven Weide bis zu zehnmal mehr Arten wie auf einer Fläche, die nicht mehr genutzt werde.

Zu komplex?

Auseinander gehen die Meinungen der beiden Agrarpolitiker beim Thema der sogenannten neuen Züchtungstechniken. EVP-Mann Dorfmann konstatiert, dass das Instrument eine Möglichkeit sei, um resilientere Pflanzen zu erzeugen. „Trockenheitsresistentere Sorten könnten über Verfahren wie CRISPR/Cas leichter gezüchtet werden.“ Am Ende des Tages könnten dadurch auch Pflanzenschutzmittel eingespart werden, betont der Südtiroler.

Häusling warnt dagegen vor möglichen Risiken der neuen Techniken. Zudem macht er auf die aus seiner Sicht bestehende Gefahr der zu großen Erwartungen aufmerksam: „Wenn ich einen trockenresistenten Weizen haben will, dann sagen mir Experten, dass man bis zu 150 Gene verändern muss, damit die Pflanze weniger Wasser braucht und denselben Ertrag bringt.“

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Das Interview im Wortlaut:

Herr Dorfmann - zuletzt hat sich bei vielen Beobachtern der Eindruck verstärkt, dass der sehr kontroverse Umgang mit Vorschlägen der Kommission, wie beispielsweise dem zur SUR, die üblicherweise im Europaparlament weitgehend konstruktive Arbeitsatmosphäre zunehmend vergiftet hat. Teilen Sie diesen Eindruck?

Herbert Dorfmann: Die Notwendigkeit einen Kompromiss zu finden, hat auch mit der besonderen Struktur des Europaparlaments zu tun. Da gibt es keine klassische Mehrheit und Opposition wie in den nationalen Parlamenten. Natürlich gibt es Fachthemen, die wir in der Landwirtschaft sehr oft haben, in denen es einen breiten Konsens über die Fraktionen hinweg gibt. Dann gibt es aber auch Vorschläge, wie zurzeit die SUR, wo die Meinungen weit auseinandergehen. Ich glaube aber, dies hat nichts mit einer sich veränderten Stimmungslage im Europaparlament zu tun. Wenn wir vor fünf Jahren über die SUR geredet hätten, dann hätte es dazu die gleichen unterschiedlichen Meinungen gegeben.

Ist es wirklich nur themenbedingt oder hat sich nicht doch in der Diskussionskultur etwas verändert?

Dorfmann: Es ist einfacher, über unlautere Handelspraktiken eine Einigung zwischen den Fraktionen zu finden, als bei der Frage, wie wir mit der Chemie in der Landwirtschaft umgehen. Grundsätzlich denke ich, dass das fraktionsübergreifende Arbeiten - wie es im EU-Parlament eher üblich ist - ein Vorteil sein kann. Manchmal bringt es uns auch zu einem Kompromiss, der dann statt schwarz oder weiß, ziemlich grau ist. Die dauernde Suche nach einem Kompromiss ist nicht immer die beste Lösung.

Das klingt alles vergleichsweise milde. Herr Häusling sehen Sie das ähnlich?

Martin Häusling: Ich sehe es nur in Teilen so wie Herr Dorfmann. Auf persönlicher Ebene hat sich nichts geändert; man ist immer noch nett zueinander. Allerdings sind die politischen Auseinandersetzungen schon deutlich härter geworden. Dass wir jetzt gegenüber der EVP verteidigen müssen, was Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen mit der SUR an richtigen Weichenstellungen eingebracht hat, ist schon ein bisschen merkwürdig. Wenn es um die Farm-to-Fork-Strategie geht, hatten wir innerhalb des proeuropäischen Lagers insgesamt noch einen breiten Konsens. Bei der SUR sieht es nun ganz anders aus. Hier fand ich die Angriffe sowohl im Landwirtschafts- als auch im Umweltausschuss gegen den Bericht meiner Fraktionskollegin Sarah Wiener schon grenzwertig.

Was genau meinen Sie?

Häusling: Wenn uns wiederholt eine absichtliche Gefährdung der Ernährungssicherheit vorgehalten wird, verlässt das die Basis der sachlichen Diskussion. In den letzten Jahren war es eher unüblich, derart hart in die Konfrontation zu gehen. Da müssen wir wieder zu einer sachlichen Auseinandersetzung zurückfinden. Auch die Konfrontationen zwischen Agrar- und Umweltausschuss werden, zugegebenermaßen von beiden Seiten, deutlich härter geführt. Es wäre gut, wenn man hier wieder ein normales Verhältnis hinbekommen würde.

Es hat ja gerade eine Einigung zwischen dem Landwirtschafts- und der Umweltausschuss zum Zeitplan der SUR gegeben. Ist das der Beginn zu einem wieder besseren Verhältnis?

Dorfmann: Ich denke, wir sind uns einig, dass wir es hier mit zwei äußerst wichtigen Ausschüssen zu tun haben. Meiner Meinung nach haben wir aber das Problem, dass der Umweltausschuss Kompetenzen hat, die eigentlich dem Landwirtschaftsausschuss zuständen. Bei der SUR ist der Agrarrat bei den Mitgliedstaaten zuständig. Es ist daher seltsam, dass im Europaparlament hier die Umweltpolitiker die Federführung innehaben.

Liegt das derzeit schwierige Verhältnis nicht auch an den Personen, insbesondere den Ausschussvorsitzenden?

Dorfmann: Wir haben seit 2019 - dem Beginn der laufenden Legislaturperiode - das Problem, dass wir mit Pascal Canfin leider einen Vorsitzenden des Umweltausschusses haben, für den das einzig Wichtige ist, dass der Ausschuss die Kompetenz zugesprochen bekommt. Alles andere ist ihm offenbar egal. Das führt natürlich zu stetigen Spannungen, wenn wir als Landwirtschaftsausschuss über die Zuständigkeit von jedem Artikel streiten müssen. Das mag der Glorie von Canfin nutzen, aber der Sache nutzt es nicht.

Herr Häusling, Sie sitzen als stellvertretendes Mitglied auch im Umweltausschuss. Ist die Kritik an Herrn Canfin gerechtfertigt?

Häusling: Aktuell sucht eher der Landwirtschaftsausschuss beziehungsweise dessen Vorsitzender Norbert Lins bei der SUR die Konfrontation. Und wahrscheinlich wird ihm auch zu Recht vorgeworfen, er wolle das Verfahren in die Länge ziehen. Zudem ist es für mich auch keine Überraschung, dass der Landwirtschaftsausschuss eher auf der Seite des Agrarrates steht. Auch dieser versucht, das Projekt zu verzögern. Hinzu kommt, dass die liberale Fraktion Renew Europe (RE), der Herr Canfin angehört, im Umweltausschuss der SUR gegenüber positiver eingestellt ist als im Landwirtschaftsausschuss. Ein ähnliches Schisma lässt sich bei den Sozialdemokraten beobachten. Das macht die Kompromisssuche zusätzlich schwieriger.

Dorfmann: Letzterem kann ich nur zustimmen. Wahrscheinlich hat meine EVP-Fraktion die ausschussübergreifende Einigkeit mit den Grünen gemeinsam. Unsere Gruppe steht dem Vorschlag in der Breite eher ablehnend gegenüber, während die Grünen den SUR-Entwurf weitgehend begrüßen.

Also zumindest hierüber besteht Einigkeit. Kommen wir zu den Inhalten des SUR-Vorschlages. Herr Dorfmann, wie würden Sie Ihre grundsätzliche Kritik daran zusammenfassen?

Dorfmann: Leider ist der Vorschlag grottenschlecht. Und ich glaube, dass wir 2030 das Ziel der quantitativen Halbierung des chemischen Pflanzenschutzes nicht erreicht haben werden. Die Reduzierung wird so nicht passieren, so wichtig sie in Teilen auch wäre. Einige Mitgliedstaaten sollen ja noch mehr reduzieren. In meinem Heimatland Italien soll sogar 62 % weniger ausgebracht werden. Aber Italien spritzt nicht, der italienische Bauer spritzt. Es muss also eine Verbindung zwischen dem Bauer vor Ort und dem Mitgliedsstaat geschaffen werden. Wichtig sind auch klare Anreize für eine Senkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes. Hinzu kommt der Unfug mit dem Totalverbot in sensiblen Gebieten.

Von dieser Idee ist die Kommission ja bekanntlich mittlerweile zurückgerudert. Herr Häusling, wie bewerten Sie den Vorschlag?

Häusling: Wir sind uns in einem Punkt einig. Die Vorlage der Kommission war in der Tat grottenschlecht. Was die sensiblen Gebiete betrifft, da ist sie weit über das Ziel hinausgeschossen, gar keine Frage. Die Kommission hat glücklicherweise diesen Fehler inzwischen eingesehen. Aber dass sie etwas vorlegen musste, nachdem die freiwilligen Vereinbarungen der Vergangenheit nichts bewirkt haben, ist nachvollziehbar. Noch nicht einmal die Lieferung von Daten hat funktioniert. Eigentlich müssten die Mitgliedsstaaten jedes Jahr berichten, wie viel an Pflanzenschutzmitteln eingesetzt wurde. Aber da gibt es nur die Statistiken über die Verkaufsmengen. Zudem müssen wir ja auch internationale Abkommen zur Biodiversität einhalten.

Herr Dorfmann, Gibt es auch positive Aspekte im SUR-Vorschlag? Oder ist alles schlecht?

Dorfmann: Es ist natürlich nicht alles schlecht. Gewisse Teile des Verordnungsvorschlags sind durchaus in Ordnung. Die Entkoppelung der landwirtschaftlichen Beratung von den Herstellern ist dringend zu vollziehen. Ich finde es auch nicht richtig, dass die Hersteller immer noch die Beratung finanzieren. Das kann man in der Humanmedizin auch sehen, wo die Pharmavertreter von Hausarzt zu Hausarzt laufen und sagen, was dieser verschreiben soll. In der Landwirtschaft will ich das jedenfalls nicht mehr haben. Beratungsorganisationen sollten künftig auf staatlicher oder auf freiwilliger Basis erfolgen. Zudem glaube auch ich, dass der integrierte Pflanzenschutz durchaus besser zu regeln ist. Dazu benötigen wir EU-weite Mindestregeln - ähnlich wie beim Ökolandbau. Allerdings sollte es nicht darum gehen; schöne Gesetze zu machen, sondern gesetzte Ziele zu erreichen. Verbotsorgien helfen nicht weiter.

Herr Häusling, was halten Sie von dieser Kritik?

Häusling: Der Vorwurf von Verbotsorgien ist Quatsch. Natürlich muss man auch Anreize für die Pflanzenschutzmittelreduktion schaffen. Ich würde mich freuen, wenn das noch mehr Kollegen von Herrn Dorfmann ebenfalls so sehen würden. Wir haben genügend Möglichkeiten, den Landwirt zu entlohnen, wenn er auf chemischen Pflanzenschutz verzichtet. Das ist sinnvoller als nur zu drohen. Auch das, was Frau Wiener vorgeschlagen hat, nämlich das Kaskadenprinzip, hat viel Sinn. Erst einmal hat der Landwirt alle Maßnahmen zu prüfen, und als letztes Mittel darf er dann Pestizide einsetzen. Dieses Prinzip sollte auch die EVP anerkennen. Es wird hier ja deutlich, dass wir uns einiger sind, als die Wortgefechte, die nach draußen gegeben werden, dies vermuten lassen. Ich beneide Frau Wiener nicht um diesen Bericht. Hier wird hart geschossen und bewusst falsch interpretiert.

Gefährden die Vorschläge zur SUR also nicht die Ernährungssicherheit?

Häusling: Die Ernährungssicherheit wird nicht durch die SUR und nicht durch den Ukraine-Krieg bedroht, sondern durch die auf uns zukommende Klimakatastrophe. Diese ist viel entscheidender für die Landwirtschaft in der EU. Aktuell haben wir schon wieder eine Dürre in Italien; da sieht man doch, was da auf uns zurollt.

Hat Herr Häusling Recht?

Dorfmann: Wenn wir Alternativen zum derzeitigen Pflanzenschutz suchen wollen, muss man anerkennen, dass es schon vieles auf dem Markt gibt, was weniger gefährlich ist, auch Wirkstoffe, die chemisch-synthetisch sind. Da müsste man auch ehrlich sein. Nur weil ein Wirkstoff chemisch-synthetisch hergestellt wird, bedeutet das nicht, dass er für die Gesundheit oder das Klima gefährlicher ist als ein Wirkstoff aus der Natur.

Viele Akteure aus der Agrarbranche werfen der Kommission vor, mit den Vorschlägen zur SUR doppelte Standards anzulegen, da gleichzeitig der Agrarhandel mit Drittstaaten vorangetrieben werden solle. Handelsübereinkünfte wie beispielsweise mit dem Mercosur-Block würden unsere Anwendungsauflagen auch beim Pflanzenschutz unterlaufen. Wie sehen Sie das Herr Häusling?

Häusling: Wenn wir in Europa Produktionsvorschriften machen, dann braucht es auch einen strengen Außenschutz. Dann wäre das Verständnis bei den Landwirten viel größer. Man braucht sich nur die Rückstandsanalysen anschauen; da ist zu sehen, dass viele Produkte aus Drittstaaten am stärksten belastet sind. Andererseits muss man auch feststellen, dass die EU-Landwirtschaft auch immer wieder die Öffnung von Drittlandsmärkten anmahnt. Wenn es um Mercosur geht, wird klar, dass es die Landwirtschaft hier besonders hart trifft, weil unter anderem Deutschland seine Maschinen nach Südamerika verkaufen will.

Sehen Sie das auch so Herr Dorfmann? Der Vorsitzende Ihrer Fraktion, Manfred Weber, hat sich ja sehr deutlich für Mercosur ausgesprochen.

Dorfmann: Bei meinen Kollegen im Landwirtschaftsausschuss und auch der Mehrheit der EVP-Fraktion gibt es eine kritische Haltung zu Mercosur. Aber aus meiner Arbeit als stellvertretender Vorsitzender der Delegation in der Parlamentarischen Versammlung Europa-Lateinamerika weiß ich auch, dass der Mercosur-Block nicht sehnsüchtig auf uns wartet. Meiner Auffassung nach gibt es dort bei weitem keine Mehrheit für die gefundene Übereinkunft. Wir glauben immer, wir könnten den Südamerikanern diktieren, was sie alles machen sollen - das ist allerdings ein Irrglaube.

Aus welchen Gründen?

Dorfmann: Weil sich die Südamerikaner nicht von Europa vorschreiben lassen wollen, was sie selber in der Politik zu tun haben. In Argentinien hat sich mittlerweile China breit gemacht und bietet sich dort als Partner an. Die Entscheidung dort ist jetzt, setzen sie auf China oder Europa.

Lassen Sie uns noch über ein weiteres kontroverses Thema sprechen, über den Wolf. Die Halter von Weidetieren leiden zunehmend unter dessen Ausbreitung. Viele Naturschützer fordern weiterhin einen strengen Wolfsschutz. Herr Dorfmann, wie bewerten Sie diese Problematik?

Dorfmann: Wir haben mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie eine Gesetzgebung, die inzwischen 31 Jahre alt ist. Der Schutzstatus, der früher dem Wolf und auch anderen Arten gegeben wurde, war sicher berechtigt. Damals gab es nur noch zwei stabile Populationen an Wölfen in der damaligen EU, nämlich im Norden Spaniens und im Norden Griechenlands. In der Zwischenzeit sind durch die Erweiterungen viele Staaten mit stabile Wolfspopulationen dazugekommen. Man sollte es auch mal als Erfolg werten, dass die Richtlinie funktioniert hat und der Wolf heute in fast ganz Europa in der Natur zurück ist. Gleichzeitig sehe ich bei mir in Südtirol, dass der Wolf immense Probleme schafft. Dort gibt es Gegenden, in der sich die Weidetiere kaum schützen lassen. Zum einen, weil sich zwischen den Felsen keine Zäune aufstellen lassen. Zum anderen, weil Herdenschutzhunde aufgrund des Tourismus dort auch nicht funktionieren. Das wird von den Kommissionsbeamten nicht immer bedacht. Die Bestandsreduzierung ist in manchen Teilen der EU notwendig.

Hat Herr Dorfmann Recht?

Häusling: Ich finde auch, dass wir eine offenere Diskussion führen sollten. Unbestritten hat der Schutz des Wolfes in den letzten Jahren etwas gebracht. Die teilweise sehr hohen Bestände zeigen das. Und wir haben natürlich in der Abwägung zwischen Tierhaltung auf der Weide und dem schützenswerten Tier auf der anderen Seite einen klassischen Zielkonflikt. Was mich grundsätzlich nervt, ist, dass beide Seiten immer das Extrem fordern, auf der einen Seite abschießen, auf der anderen Seite nicht anfassen. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Es sind vielleicht prozentual nicht viele Schafe betroffen. Aber wenn es meine Herde wäre, würde ich das natürlich auch anders sehen. Gerade in den Bergregionen kann der Tierhalter keinen Zaun aufbauen, und dann verschwinden dort die Weidetiere und damit auch die Biodiversität.

Dorfmann: Da gebe ich Herrn Häusling vollkommen Recht. Es gibt eine Studie für Südtirol, die lange vor der Ankunft des Wolfes gemacht wurde. Dabei ging es um extensive Weiden. Diese sind teilweise intensiviert und teilweise sich selbst überlassen worden. Das Ergebnis ist aus Biodiversitätsgründen interessant: Das Beste für den Artenerhalt ist nämlich, wenn die alpine Weide extensiv weiterbewirtschaftet wird, das Zweitbeste die Intensivierung und das Drittbeste die Aufgabe der Fläche. Ich habe im alpinen Raum auf einer extensiven Weide bis zu zehnmal mehr Arten wie auf einer Fläche, die nicht mehr genutzt wird.

Häusling: Es muss eben einen ausgewogenen Kompromiss geben zwischen Naturschutz und den schützenswerten Arten. Es gibt einige Mitgliedsländer in Europa, die das gut hinkriegen, dass nicht jemand gleich klagt, wenn ein Wolf abgeschossen werden muss, was auch rechtlich zulässig ist. Es ist eben nicht grundsätzlich verboten.

Bevor es zu harmonisch wird, lassen Sie uns noch kurz über die neuen Züchtungstechniken sprechen. Die Kommission will im Juni einen Vorschlag zur Neuregelung der GVO-Richtlinie präsentieren.

Dorfmann: Ich persönlich und auch meine Fraktion sind überzeugt, dass neue Züchtungstechniken eine Möglichkeit sind, um zu resistenteren Pflanzen zu kommen. Trockenheitsresistentere Sorten könnten über Verfahren wie CRISPR/Cas leichter gezüchtet werden. Am Ende des Tages können dadurch auch Pflanzenschutzmittel eingespart werden.

Häusling: Neue Züchtungstechniken sind ein verharmlosender Ausdruck. Dabei kann es sich auch um Gentechnik handeln, auch wenn die Welt und die Kommission dauernd dabei sind, etwas anderes zu sagen. Es ist ein Eingriff ins Genom und der ist nicht so harmlos, wie er immer dargestellt wird. Daher brauchen wir eine klare Kennzeichnung. Zudem kann es nicht sein, dass wir im Ökolandbau, wo es verboten ist, selbst mit der Problematik von Kontaminationen klarkommen müssen.

Dorfmann: Der Einsatz von Gentechnik in der Ökolandwirtschaft muss aber nicht zwangsläufig verboten sein.

Häusling: Wir haben mit Zustimmung der EVP vor drei Jahren die EU-Ökoverordnung verabschiedet. Die will jetzt keiner mehr aufmachen; abgesehen davon ist das ein wesentlicher Grundsatz der ökologischen Landwirtschaft. Darüber hinaus erinnere ich mich an die Versprechen, die zur alten Gentechnik von 20 Jahren gemacht wurden. Da wurde auch immer gesagt, was alles Tolles kommt: Größere Ernährungssicherheit, Pflanzen die kaum noch Wasser brauchen. Passiert in diese Richtung ist nichts. Wir haben lediglich Pflanzen, die gegen Glyphosat resistent sind und andere, die ihr Gift selber produzieren. Wenn ich einen trockenresistenten Weizen haben will, dann sagen mir Experten, dass man bis zu 150 Gene verändern muss, damit die Pflanze weniger Wasser braucht und denselben Ertrag bringt.

Wie sehen Sie das Herr Dorfmann?

Dorfmann: Ich möchte gerne nochmal unterstreichen, dass wir es uns angesichts der enormen Herausforderungen wie dem Klimawandel nicht leisten können, auf solche Innovationen zu verzichten. Das gilt gerade im Hinblick auf die zeitnahe Züchtung trockenheitsresistenterer Sorten. Auf dieses Potential sollten wir nicht verzichten.

Erlauben Sie zum Schluss noch eine Frage zur GAP. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat angekündigt, im Herbst eine Mitteilung zur Reform nach 2027 vorlegen zu wollen.

Dorfmann: Ich denke, dass wir zurzeit keine solche Mitteilung brauchen. Wir sollten erstmal ein oder zwei Jahre abwarten, wie es mit der aktuellen Reform funktioniert, die ja gerade erst gestartet ist. Ich weiß auch nicht, was jetzt für eine Debatte gestartet werden soll. Dazu bleibt nach der EU-Parlamentswahl noch genug Zeit.

Häusling: Ich sehe das ähnlich. Ich halte es nicht für hilfreich, dass dieser Kommissar jetzt schon etwas vorlegt. Ich glaube, von Wojciechowski haben wir da ohnehin nicht viel zu erwarten. Bei der kommenden GAP brauchen wir einen harten Schnitt. Wir sollten nicht weiterhin Grundbesitz belohnen. Der Landwirt reicht die Prämie am Ende ohnehin an die Landbesitzer durch.

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