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Holzenkamp fordert politischen Mut zu unbequemen Entscheidungen

Der Umbau der Tierhaltung funktioniert nicht ohne ein Finanzierungskonzept, sagt DRV-Präsident Holzenkamp. Er sorgt sich um den Veredlungssektor und betont die Bereitschaft der Wirtschaft zum Umbau.

Lesezeit: 10 Minuten

Der Pressedienst Agra Europe sprach mit dem Präsidenten des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), Franz-Josef Holzenkamp, über die Herausforderungen der neuen Bundesregierung:

Die Ankündigung der Bundesregierung, den Mindestlohn auf 12 € anzuheben, sorgt in der Branche für erheblichen Unmut. Teilen Sie den?

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Holzenkamp: Unser Problem ist nicht der Mindestlohn, sondern die Ungleichheit des Wettbewerbs. Wir müssen verhindern, dass die Produktion von Obst und Gemüse in Deutschland noch weiter zurückgeht und in andere Länder abwandert. Das ist die entscheidende Frage, auf die ich auch keine zufriedenstellende Antwort habe.

Ich stelle aber fest, dass wir auch hierzulande erhebliche regionale Unterschiede haben. Einige Unternehmen zahlen schon jetzt deutlich mehr als den Mindestlohn, weil sie sonst keine Arbeitskräfte kriegen, und kommen offenbar gut damit klar. Gleichzeitig müssen wir die Realität zur Kenntnis nehmen. Wer meint, man könne die Erhöhung auf 12 € verhindern, liegt falsch. Dieser Punkt steht ganz oben auf der politischen Agenda, und er wird nach meiner Auffassung umgesetzt. Unsere Unternehmen müssen sich darauf einstellen.

Die neue Bundesregierung ist seit wenigen Wochen im Amt. Wie bewerten sie ihren Start?

Holzenkamp: Die Koalitionsverhandlungen sind professionell geführt worden; der Start ist reibungslos verlaufen, soweit man das angesichts der Weihnachtspause sagen kann. Für den Agrarbereich liegt noch vieles im Unklaren. Der Koalitionsvertrag enthält einiges an Zielbeschreibungen, aber wenig zur konkreten Umsetzung.

Sie waren Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL). Im Sommer haben Sie sich „sehr sicher“ gezeigt, dass die nächste Bundesregierung die Ergebnisse der ZKL aufgreifen und umsetzen wird. Haben Sie sich getäuscht?

Holzenkamp: Das lässt sich noch nicht sagen. Immerhin liegen unsere Empfehlungen zusammen mit dem Koalitionsvertrag auf dem Schreibtisch von Minister Özdemir, wie er uns bei einer Video-Schalte versichert hat. Das hört sich erst einmal gut an. Ich kann verstehen, dass man nach vier Wochen noch keinen Leitfaden vorlegen kann, wie die Agrarpolitik konkret aussehen soll.

Wie viele Wochen räumen Sie ihm ein?

Holzenkamp: Üblich sind die berühmten 100 Tage, bevor man eine Bewertung vornehmen kann und gegebenenfalls Tacheles reden muss. Ich bin mir sehr sicher, dass der Minister weiß, wie hoch der Zeitdruck ist. In meinen Augen müssen in diesem Jahr weitreichende Zukunftsentscheidungen getroffen werden. Es wird darauf ankommen, beim großen Thema „Transformation“ in Richtung mehr Nachhaltigkeit die ökonomische Komponente nicht aus den Augen zu verlieren. Nur wenn die gewährleistet ist, werden die erforderlichen Investitionen getätigt. Es braucht Mut, die dafür notwendigen politischen Entscheidungen zu treffen.

Wie groß ist die Gefahr, dass sich die Regierung einige Rosinen wie den Ausbau des Ökolandbaus, die Rückführung der Tierbestände oder die Reduzierung des chemischen Pflanzenschutzes aus den Ergebnissen der Zukunftskommission herauspickt, die von Ihnen angemahnte finanzielle Begleitung aber zu kurz kommt?

Holzenkamp: Die Gefahr besteht, ohne Zweifel. Ich setze aber auf die Lernprozesse, die wir auch in der Zukunftskommission durchlaufen haben. Ich bin zuversichtlich, dass die politisch Verantwortlichen in der Bundesregierung erkennen, was es heißt, die Transformation der Landwirtschaft als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen.

Umbau der Tierhaltung und dessen Finanzierung

Ein Schlüsselthema ist der Umbau der Tierhaltung. Funktioniert der ohne frisches Geld, allein mit einer Änderung des Bau- und Genehmigungsrechts, einer verbindlichen Tierwohlkennzeichnung und einer Neujustierung der Investitionsförderung, wie der Koalitionsvertrag suggeriert?

Holzenkamp: Definitiv nein. Die Borchert-Kommission hat sowohl eine Förderung der notwendigen Investitionen vorgeschlagen als auch die Einführung einer Tierwohlprämie, um die viel stärker zu Buche schlagenden steigenden laufenden Kosten infolge von höheren Tierwohlanforderungen zu kompensieren.

Wir brauchen hierfür einen gewissen Ausgleich über den Point-of-Sale. Es wird nicht anders funktionieren. Dafür müsste die Politik nicht mal unbedingt ein neues Förderfass aufmachen. Sie muss lediglich den rechtlichen Rahmen herstellen, dass wir das am Point-of-Sale können und dürfen.

Minister Özdemir hat mit seinen Äußerungen zur Jahreswende, dass Fleisch im Preis steigen müsse, eine Welle der Empörung ausgelöst. Wie groß sind in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation und der ohnehin steigenden Lebenshaltungskosten die Erfolgsaussichten für einen solchen Ausgleich, den Sie einfordern und den die Borchert-Kommission für notwendig hält?

Holzenkamp: Diese Frage könnte man auch im Hinblick auf den Energie- und Verkehrssektor stellen, die ebenfalls vor grundlegenden Veränderungen stehen und sogar erheblich teurer kommen werden als die Transformation der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Es gibt meines Erachtens nie den richtigen Zeitpunkt, um so etwas anzugehen. Ich kann aber nur wiederholen: Ohne politischen Mut wird es nicht gehen.

Was wäre die Folge, sollte eine Finanzierung nicht zustandekommen?

Holzenkamp: Schon jetzt spricht die Entwicklung der Tierzahlen eine deutliche Sprache. Das würde sich noch dramatisch beschleunigen. Wir würden so viele Landwirte verlieren, dass uns die Tränen kommen.

Ein weiterer Abbau der Tierbestände ist aus umweltpolitischer Sicht zunächst positiv und dürfte Unterstützung finden.

Holzenkamp: Was hier droht, ist aber keine kontinuierliche Entwicklung, sondern ein völliger Bruch, der die Existenz einer ganzen Branche zu vernichten droht. Dass dies von einigen Akteuren hingenommen oder sogar befürwortet würde, kann ich mir durchaus vorstellen. Aber nicht bei einem Minister, der einen Eid geleistet hat.

Wie sieht die Zukunft der Mehrfamilienbetriebe aus?

Der DRV vertritt auch die Agrargenossenschaften, also große Betriebe. Werden die künftig politisch noch stärker unter Druck geraten?

Holzenkamp: Nur dann, wenn man diese Strukturen nicht versteht. Eine Agrargenossenschaft ist ein Mehrfamilienbetrieb, bei dem sich mehrere zusammengetan haben, um aus der Kooperation Synergien zu schöpfen, Kosten zu minimieren oder sich am Markt zu etablieren. Ich kann mir nicht vorstellen, warum ein solches Konzept in Frage gestellt werden sollte.

Anders sieht es aus bei Stallanlagen. Die Diskussion über Obergrenzen für Stallgrößen wird weitergehen. Da spielt der Brandschutz eine Rolle oder auch das Seuchenrisiko. Dieser Diskussion müssen wir uns stellen und sie sorgfältig führen. Es darf aber nicht dazu kommen, dass Stallbauten in den neuen Ländern gar nicht mehr genehmigt werden, wie es jetzt schon der Fall ist. Auf der einen Seite wird die hohe Konzentration der Tierhaltung in den westlichen Bundesländern beklagt. Auf der anderen Seite gibt es keine Stallbauten im Osten mehr. Das passt nicht zusammen.

Wir wollen breit verteiltes Eigentum

Sie zeichnen ein Idealbild der Agrargenossenschaften, das in der Realität nicht mehr selbstverständlich ist, um es vorsichtig auszudrücken. Ein Problem ist der Einstieg von außerlandwirtschaftlichen Investoren, vor dem auch die Genossenschaften nicht gefeit sind, wie zahlreiche Beispiele zeigen. Ist der DRV offen für eine stärkere Reglementierung des Bodenmarktes?

Holzenkamp: Wir wollen nicht, dass die landwirtschaftliche Erzeugung zu großen Teilen in irgendwelche Stiftungen oder Konzerne abwandert. Wir wollen breit verteiltes Eigentum. Dafür stehen wir nach wie vor. Wir weisen aber darauf hin, dass gesetzliche Regelungen, um das sicherzustellen, sehr komplex sind. Das zeigen die bisherigen Aktivitäten von einigen Ländern, die noch nicht von Erfolg gekrönt waren, weil sie keine wirklichen Verbesserungen anboten. Ich räume aber ein, der politische Handlungsbedarf ist gestiegen, auch weil die Zahl der Übernahmen zugenommen hat.

Position der Umweltverbände gestärkt

Landwirtschaftsminister Özdemir hat zuletzt eine Reihe von Agrar- und Umweltverbänden zum Gespräch eingeladen - der Raiffeisenverband war nicht dabei. Fürchten Sie, am Katzentisch zu landen, weil Sie bei einigen als Vertreter der „Agrarindustrie“ gelten?

Holzenkamp: In diesen Kategorien denke ich nicht. Und was den Begriff der „Agrarindustrie“ angeht, hoffe ich nach der Arbeit in der ZKL, dass der ein für alle Mal ausgedient hat und sich die Beteiligten auf die Erarbeitung von Lösungen konzentrieren. Ich habe den Minister im Rahmen einer ZKL-Schalte getroffen. Außerdem hatten wir ein längeres, sehr angenehmes und konstruktives Gespräch mit Staatssekretärin Bender, das wir demnächst im Präsidium fortsetzen werden. Nach meinem Eindruck kann die Staatssekretärin sehr gut einordnen, welche Bedeutung die Genossenschaften vom Wein bis zum Schwein haben.

Sollte die Zukunftskommission ihre Arbeit fortführen?

Holzenkamp: Ich würde das sehr begrüßen. Es müssen dazu aber noch Gespräche mit den Beteiligten geführt werden, auch mit Minister Özdemir. Es geht darum, dafür ein passendes Format zu finden. Es sind noch ganz viele Fragen zu klären. Die ZKL hat gezeigt, dass sie das kann.

Sie haben zu Beginn gesagt, es sei unfair, den neuen Minister schon jetzt zu beurteilen und Sie ihm zumindest die berühmten 100 Tage einräumen. Was muss er denn bis dahin geschafft haben, damit Sie nicht den Stab über ihn brechen?

Holzenkamp: Er muss deutlich machen, dass die Zeit der Grabenkämpfe endgültig vorbei ist und alle gemeinsam an neuen Lösungen arbeiten. Dazu gehören ganz banale Dinge wie gegenseitig zuhören und voneinander lernen. Es geht um Kooperation statt ideologischer Blockade. Dass dies möglich ist, hat die Zukunftskommission Landwirtschaft gezeigt. So wie ich Minister Özdemir bislang erlebt habe, bin ich zuversichtlich, dass er diesen Weg gehen wird.

Bloß keine Markteingriffe!

Was muss der Minister an Konkretem liefern?

Holzenkamp: Ich erwarte schon, dass es sehr bald Leitlinien geben wird, wie wir die Transformation des Agrar- und Ernährungssystems hinbekommen können. Orientierung können da wiederum die Vorlagen der Zukunftskommission bieten. Wir erhoffen uns auch die Einsicht, dass der Staat nicht alles regeln kann und darf.

Die Wirtschaft ist zu weitreichenden Veränderungen bereit und verfügt über viele Instrumente, um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. CRISPR/Cas ist eines davon. Wir haben Technologien, um die Intensität des Pflanzenschutzes und des Düngemitteleinsatzes zu reduzieren. Da versprechen wir uns Unterstützung, etwa in Form von Investitionshilfen.

Schließlich kann ich nur davor warnen, Eingriffen in den Markt das Wort zu reden. Wir haben derzeit eine gute Marktentwicklung bei der Milch. Die Wirtschaft hat es geschafft, gemeinsam mit der Börse Instrumente zur Preisabsicherung zu schaffen. Die können die Landwirte nutzen und Kontrakte abschließen, die den Milchpreis für zwölf Monate absichern, auf 40 Cent, eine alte BDM-Forderung. Falscher Ehrgeiz der Politik oder Übereifer sind weder angebracht noch erfolgversprechend.

Forderungen des Grain Clubs

Holzenkamp ist zudem Vorsitzender der Verbändeallianz Grain Club. In deren Namen ruft er die Bundesregierung zu einer evidenzbasierten und pragmatischen Agrarpolitik auf. Die Allianz erwarte von der neuen Bundesregierung, dass diese sich auf EU-Ebene dafür einsetzt, dass die vorgesehenen Maßnahmen der Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission ganzheitlich überprüft werden. Insbesondere sollten Wirksamkeit und negative Auswirkungen auf landwirtschaftliche Produktion und wirtschaftliche Strukturen im ländlichen Raum hinterfragt werden.



Der Grain Club appelliert an die Politik, die Anwendung von Innovationen in der Landwirtschaft wie der Genschere CRISPR/Cas zu ermöglichen.



Gerade wenn ein Produktionsrückgang in Europa zu erwarten ist, muss der internationale Agrarhandel weiter gestärkt werden. „Importe von agrarischen Rohstoffen und regionale Selbstversorgung sind kein Widerspruch, sondern ergänzen sich gegenseitig”, betont Holzenkamp. Der Grain Club spricht sich daher für den Abbau von Handelshemmnissen und gegen pauschale Importbeschränkungen aus.

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