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topplus Reportage

Hunderte Hektar für sechs Minuten kürzere Autofahrt

Der Bundesverkehrswegeplan spült Geld für neue Infrastruktur ins Land. Weil die alten Planungen vor Ort nicht mehr passen, wollen sich Landwirte in Nordrhein-Westfalen wehren.

Lesezeit: 5 Minuten

Wird die neue Bundesstraße 64n jetzt so gebaut wie kürzlich in der Zeitung dargestellt, verliert Familie Heseker ihren Hof im westfälischen Warendorf: „Die dreistreifige Bundesfernstraße führt direkt über unseren Stall“, so Isabel und Dr. Alfons Heseker, die im Nebenerwerb Pinz-gauer Mutterkühe halten. Von der neuen Planung erfuhren die Landwirte kürzlich aus der Zeitung. Zwar ist der Bau einer zweispurigen Umgehungsstraße schon seit den sechziger Jahren im Gespräch, die ursprüngliche Planung betraf den Betrieb aber nicht. Seit den 90iger Jahren ist eine dreispurige kreuzungsfreie Bundesfernstraße geplant. Und seit das Projekt in den Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP) aufgenommen wurde, brandet die Diskussion um den Bau nun wieder auf.

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Nicht nur in Warendorf sorgt der neue BVWP mit seinen satten 260 Mrd. Euro für neuen Schub. Bundesweit bringt der Geldregen lang geplante Straßen-, Schienen- oder Kanalbauprojekte wieder auf die Tische. Während Kommunalpolitiker jubeln, sind Landwirte oft entsetzt. Auch der Betrieb Heseker ist wie 400 andere Betroffene deshalb in der „Bürgerinitiative Verkehrskonzept Warendorf“ (BI). „Uns geht es nicht darum, neue Infrastruktur zu verhindern, sondern um die Leichtigkeit, mit der Politiker Bedenken zum Flächenverbrauch und den Einbußen für die Landwirtschaft beiseite wischen,“ so Paul Afhüppe, Schweine- und Bullenmäster im Vollerwerb. Er ist Sprecher der landwirtschaftlichen Betroffenengemeinschaft. Einige Kritikpunkte sind:

  • Wer den BVWP 2030 umsetzt, kann das Ziel von max. 30 ha Flächenversiegelung täglich nicht einhalten.
  • Die Nutzen-Kosten-Analyse (NKA) ist wesentlicher Baustein bei der Aufnahme in den BVWP. Sie berücksichtigt aber in der Regel die Belange der Landwirtschaft nicht, ebenso wenig Umweltschäden z.B. an Schutzgebieten. Folge: Die Kosten sind im BVWP systematisch zu niedrig angesetzt. Das bestätigt auch ein von der BI beauftragtes Gutachten für die B 64n. Die Kosten seien in der Realität höher, wenn man die finanziellen Nachteile für die Landwirtschaft sowie realistische Planungs- und Baukosten einbezöge. So seien offiziell nur 86,4 ha eingeplant. Inklusive Ausgleichsflächen gehen die Gutachter aber von 220 bis 300 ha aus. Auf der Nutzenseite seien hingegen alle Vorteile akribisch aufgeführt. Insbesondere verkürze sich die Fahrtzeit rund um Warendorf um sechs Minuten, worüber Bernhard Kremann, landwirtschaftlicher Wildhalter und Vorsitzender der BI, nur den Kopf schütteln kann: „Hunderte Hektar für sechs Minuten – was für ein Wahnsinn!“

Auf Planfeststellung vertröstet

Verkehrsplaner verweisen darauf, dass die Belange der Landwirte ja im Planfeststellungs- bzw. Flurbereinigungsverfahren einflössen. Zu spät, findet Rinderhalter Markku Esterhues: „Dann ist die NKA unter Annahme zu niedriger Kosten durchgeführt und das Projekt im BVWP.“ Mittlerweile denken Politiker in Warendorf aber scheinbar um. „Die gigantische Straße ist für Traktoren nicht zu befahren, zusätzliche Stras-sen und Brücken wären nötig“, so Franz Stockmann, Nebenerwerbslandwirt und ehemaliges Ratmitglied. Bernhard Kremann ergänzt: „Der Strassenbau nützt Warendorf selbst wenig – im Gegenteil ist damit zu rechnen, dass die neue Strasse zusätzlichen neuen Verkehr regelrecht anzieht!“ Besonders in Rage bringt die Landwirte die Hinhaltetaktik der Verkehrsplaner. „Konkre-te Zahlen zum Flächenverbrauch, geschweige denn zu den Kompensationsflächen, haben wir nicht“, beklagt Franz Stockmann.

Dran bleiben

Weil sie nicht nur „Verhinderer“ sein wollen, schlagen die Landwirte aktiv Alternativen vor. Zudem will die BI noch mal im Verkehrsministerium in Düsseldorf vorsprechen und mit Hilfe einer Anwältin rechtlich gegen die Planungen angehen. Sämtliche Aktivitäten finanziert die BI aus einer „Kriegskasse“, in die jedes Mitglied jährlich 20 Euro einzahlt.

Was ihre Flächen angeht, wollen sich die Landwirte nicht auf ein Flurbereinigungsverfahren einlassen. „Damit wäre doch ein Flächenverlust vorprogrammiert“, argumentiert Paul Afhüppe.

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Planfeststellung nicht verpassen!

Hat es eine geplante Straße, ein Schienenweg oder ein Kanal in den Bundesverkehrswegeplan (BVWP) geschafft, erhöht das die Umsetzungswahrscheinlichkeit drastisch, denn diese Projekte finanziert Berlin mit.

Was aber tun, wenn z.B. ältere Planungen heute nicht mehr passen und Betroffene sich wehren wollen? Leider gibt es keine Rechtsmittel, um ein Projekt aus dem BVWP wieder herauszubekommen. Man kann nur versuchen, Politiker zu überzeugen, das Projekt nicht umzusetzen.

Wird trotzdem weiter geplant, ist wichtig zu wissen: Auch wenn ein Projekt als „vordringlich“ im BVWP eingestuft ist, ist es damit noch nicht genehmigt. Die Genehmigung zum Bau des Projekts erfolgt im Regelfall erst durch Erlass des Planfeststellungsbeschlusses!

Deshalb sollten Betroffene unbedingt Einwendungen gegen die Planfeststellung erheben. Nach Auslage der Planfeststellungsunterlagen wird eine Frist zur Erhebung von Einwendungen gesetzt. Werden die Einwendungen nicht binnen dieser Frist eingereicht, sind Sie mit Ihren Argumenten für eine spätere Klage ausgeschlossen. Im Rahmen dieser Einwendungen kann man auch eigene Gutachten vorgelegen. Kommt es trotz allem zum Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, können sie dagegen anschließend vor dem Oberverwaltungsgericht klagen. Mehr dazu lesen Sie in top agrar 3/2017, S. 46.

RA Alexander Völke, Helmstedt

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