Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sein „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ nicht zuletzt wegen der umfangreichen Kritik aus Praxis und Fachverbänden spürbar entschärft. Das gestern vorgestellte Papier hält aber weiter am 50-Prozent-Reduktionsziel für chemischen Pflanzenschutz bis 2030 fest, wenn auch die Umsetzung flexibilisiert werden soll. Das stößt nicht nur beim Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, auf Kritik.
Rukwied: Es bleibt ein Reduktionsprogramm
Er sagt: „Nach wie vor handelt es sich im Kern bei dem sogenannten Zukunftsprogramm Pflanzenschutz um ein Reduktionsprogramm Pflanzenschutz, welches wesentliche Zukunftsfragen wie die Verbesserung der Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln unbeantwortet lässt.“ Auch, wenn aus Rukwieds Sicht einige Anpassungen gegenüber dem ersten Entwurf aus dem Frühjahr festzustellen sind, verfolgt das Programm seiner Einschätzung zufolge nach wie vor im Wesentlichen ökologische Ziele. „Es bedarf nicht nur einer Förderung von Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz, sondern auch eines Programms zur Stärkung des chemischen Pflanzenschutzes im Sinne der Versorgungssicherheit und der Qualität der Ernten“, mahnt Rukwied an.
Der Bauernverbandspräsident betont, dass den Bauern schon jetzt Wirkstoffe fehlen, um den immensen Befall durch Schädlinge und Krankheiten in den Griff zu bekommen: „Schädlinge zerstören unsere Lebensmittel. Wir sehen in diesem Jahr auf manchen Feldern Schädlings- oder Krankheitsbefall soweit das Auge reicht. Beispielsweise können durch die sich immer weiter verbreitende Stolbur-Erkrankung in einigen Regionen kaum noch Spätkartoffeln oder Zuckerrüben angebaut werden. Auch die Kirschessigfruchtfliege, der Japankäfer, der Rapserdfloh oder Blattläuse können ganze Ernten vernichten. Versorgungssicherheit geht nur mit einer breiten Palette an Wirkstoffen, auch um Resistenzen zu verhindern.“
IVA hätte sich schnellere Zulassungen gewünscht
Der Industrieverband Agrar (IVA) moniert seinerseits, dass das BMEL laut Minister Cem Özdemir zwar nun auf „Anreize, Förderung und freiwillige Maßnahmen“ setze, die zentrale Frage, wie das Zulassungssystem für alle Pflanzenschutzmittel, nicht nur biologische, schneller, effizienter und vor allem innovationsfreundlicher werden kann, um den fortschreitenden Verlust an Wirkstoffen aufzuhalten, aber unbeantwortet lässt.
Eine neue Studie von HFFA Research im Auftrag des IVA hat ergeben, dass ein alleiniger Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel zu keinen positiven Biodiversitätseffekten führt. Angesichts der Notwendigkeit, mit knappen natürlichen Ressourcen bestmöglich zu wirtschaften, plädiert die Studie für einen ausgewogenen Politikansatz, der sowohl wirtschaftliche als auch umweltbezogene Ziele berücksichtigt. „Die Landwirtschaft braucht langfristig und zukunftsorientiert einen breiten Werkzeugkasten für innovativen Pflanzenschutz, damit Bekämpfungslücken geschlossen werden können“, so der Industrieverband. Dazu zählt er eben auch innovative chemisch-synthetische Mittel und moderne Züchtungsmethoden.
Bioland zeigt sich „frustriert“
Ganz anders sieht das Gerald Wehde, Geschäftsbereichsleiter Agrarpolitik bei Bioland. Er ist „frustriert“, denn statt im Sinne der Umwelt und Menschen nachzuschärfen, seien im Zukunftsprogramm gegenüber dem ursprünglichen Papier weitere Abschwächungen vorgenommen worden. Von Überlegungen wie einer Pestizidabgabe fehle im nun final vorgestellten Programm jede Spur. „Mit unkonkreten Absichtserklärungen wird eine Reduzierung des Pestizideinsatzes nicht gelingen“, warnt Wehde.
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger sieht im Zukunftsprogramm Pflanzenschutz eine erste Arbeitsgrundlage. Damit das Programm zu einem echten Zukunftsmodell werden kann, brauche es aber mehr Verbindlichkeit. „Vor allem aber gilt es jetzt, die alten Grabenkämpfe und die Polemik der vergangenen Wochen zu überwinden“, so Krüger. Wenn es gelinge, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen, könne das Papier zu einem echten Aufbauprogramm der landwirtschaftlichen Produktivität und der natürlichen Lebensgrundlagen werden.