Seit Mai 2025 ist Dr. Franziska Kersten agrarpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Sie hat das Agrarkapitel im Koalitionsvertrag mit ausgearbeitet und steht jetzt mit CDU/CSU-Agrarsprecher Johannes Steiniger für die Agrarpolitik der schwarz-roten Koalition. Ein Interview über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Koalitionäre in der Agrarpolitik.
Frau Dr. Kersten sieben Wochen schwarz-rote Koalition – geht da was im Bereich Landwirtschaft, Ernährung und ländliche Räume?
Kersten: Der Koalitionsvertrag bietet Möglichkeiten, Politik zu gestalten, auch in unserem Bereich. Vieles ist offen formuliert, sodass wir uns mit der Union noch intensiv abstimmen müssen, wenn es konkret wird. Das gilt nicht zuletzt in der Ernährungspolitik. Die ist im Koalitionsvertrag ein bisschen kurz gekommen.
Die SPD war in der vergangenen Legislaturperiode maßgeblich am Tierhaltungskennzeichnungsgesetz beteiligt. Jetzt stellt sich heraus, es ist so nicht umsetzbar. Hätte man das nicht bereits in der Ampel erkennen können?
Kersten: Unser Ziel in der neuen Bundesregierung ist es, nach vorne zu schauen. Grundsätzlich ist eine unabhängige und transparente Kennzeichnung eine sinnvolle Sache. Die Kritik am bisherigen Gesetz nehmen wir aber sehr ernst. Daher haben wir im Koalitionsvertrag festgehalten, die Haltungskennzeichnung praxistauglich zu gestalten und auf das Tierwohl auszurichten. Das setzen wir jetzt direkt um.
Eine Kennzeichnung nur im Segment Frischfleisch von Schweinen nützt auf Dauer niemandem.
Bis März 2026 soll das Gesetz praxisreif sein. Welche Ziele hat die SPD für die danach folgende Weiterentwicklung der Tierhaltungskennzeichnung?
Kersten: Hierzu haben wir in der Koalition einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem festgehalten ist, die Kennzeichnung bis zur Mitte der Legislatur auf weitere Tierarten, den gesamten Lebenszyklus, verarbeitete Produkte und die Außer-Haus-Verpflegung auszudehnen. Das wird nicht nur von den Verbrauchern eingefordert, sondern auch von der Landwirtschaft und den Verarbeitern. Eine Kennzeichnung nur im Segment Frischfleisch von Schweinen nützt auf Dauer niemandem in der Wertschöpfungskette.
Soll es nach Ihren Vorstellungen eine Verknüpfung mit der Herkunftskennzeichnung geben?
Kersten: Auch das haben wir im Entschließungsantrag vereinbart. Hierfür werden wir uns auch auf europäische Ebene stark machen. Hinzukommen sollte aus unserer Sicht auch eine EU-weite Haltungskennzeichnung, um Nachteile für unsere heimischen Landwirte zu vermeiden.
„Transparenz für Verbraucher“ – unter diesem Oberbegriff steht die Haltungskennzeichnung. Ist das übertragbar auf andere Bereiche, etwa dem Umgang mit Pflanzen, die mit Neuen Genomischen Techniken (NGT) produziert wurden?
Kersten: Im Koalitionsvertrag steht, Verbraucher sollen selbstbestimmt entscheiden können. Bundesminister Alois Rainer hat beim Bauerntag auch das Leitbild vom mündigen Verbraucher herausgestellt, der gut informiert werden muss, dann aber allein entscheidet. Information funktioniert aber nur mit Transparenz. Daher sollten wir für alle Bereiche gute und wissenschaftsbasierte Lösungen finden.
Mit zwei weiteren Öko-Regelungen leisten wir einen Beitrag zur Planungssicherheit.
Die von der Ampel beschlossene Einführung der beiden Öko-Regelungen zur Weidehaltung von Milchkühen und zum betrieblichen Biotopverbund wird um ein Jahr verschoben. Warum ist das aus SPD-Sicht notwendig?
Kersten: Wir mussten die Bedenken zur Kenntnis nehmen, die von der Agrarministerkonferenz vorgebracht wurden.
Die Förderperiode endet 2027. Lohnen da noch zwei neue Öko-Regelungen für ein Jahr, die Verwaltungen beanspruchen und von Landwirten neue Kalkulationen erfordern?
Kersten: Ja. Wir gehen damit einen Schritt in die Richtung, in die sich die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2027 bewegen sollte, nämlich mehr Geld für konkrete Leistungen zu zahlen, anstatt Flächenbesitz zu honorieren. Mit zwei weiteren Öko-Regelungen setzen wir ein klares Signal und leisten einen Beitrag zur Planungssicherheit für die Betriebe, wohin die Reise geht.
Wie wahrscheinlich sind die beiden neuen Öko-Regelungen ab 2027?
Kersten: Ich werde dafür kämpfen.
Wir kommen nicht umhin, die Nährstoffzu- und -abfuhr auf betrieblicher Ebene zu erfassen.
Die Stoffstrombilanz ist 2018 im Wesentlichen auf Betreiben des damaligen SPD-Agrarsprechers Wilhelm Priesmeier als Beitrag zu einer verursachergerechten Düngeregelung eingeführt worden. Warum schafft sie die SPD jetzt mir-nichts-dir nichts wieder ab?
Kersten: Die Einführung der Stoffstrombilanz unter der damaligen großen Koalition war eine Reaktion auf das Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen anhaltenden Verstoßes gegen die Nitratrichtlinie. Das sollte nicht vergessen werden. Die Betriebe beklagen den Aufwand, der für sie mit der Stoffstrombilanz verbunden ist, und sehen keinen Nutzen. Das müssen wir erst einmal so akzeptieren. Und wir haben ja auch reagiert. Allerdings entbindet uns das nicht davon, das Düngegesetz zu ändern. Wir brauchen eine Monitoringverordnung, um zu wissen, ob die bestehenden Düngeregeln erfolgreich sind. Das fordert auch die EU von uns. Und gleichzeitig kommen wir meines Erachtens nicht umhin, die Nährstoffzu- und -abfuhr auf betrieblicher Ebene zu erfassen. Mit einer reinen Aufhebung der Stoffstrombilanzverordnung werden wir nicht ans Ziel kommen.
Sondern?
Kersten: Wir müssen prüfen, ob es eine effektive und zugleich einfache Möglichkeit gibt. Im Koalitionsvertrag haben wir beschlossen, das mit der EU-Kommission vereinbarte Monitoring im Düngegesetz zu verankern und ein Instrument zu schaffen, um besonders wasserschonend wirtschaftende Betriebe in roten Gebieten zu entlasten. Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch zeitnah schaffen. Umwelt- und Landwirtschaftsministerium wollen hier an einem Strang ziehen. Andernfalls wäre die Stoffstrombilanz doch jetzt gar nicht so schnell aufgehoben worden.
Wir wollen Investitionen in den Bau neuer Ställe fördern, und zwar ab Haltungsstufe 3.
Zu den vorher von Ihnen angesprochenen Unklarheiten im Koalitionsvertrag zählt die Finanzierung eines Umbaus der Tierhaltung. Ist die Förderung der laufenden Tierwohlkosten vom Tisch?
Kersten: Nein. Das Bundesprogramm Umbau Tierhaltung wird fortgeführt. Daneben wollen wir Investitionen in den Bau neuer Ställe fördern, und zwar ab Haltungsstufe 3, wenn es nach mir geht.
Geht es nach Ihnen?
Kersten: Ich halte das für unerlässlich, um den Einsatz von Steuergeld für Stallbauten zu rechtfertigen. Die Landwirte müssen sich darauf verlassen können, dass wir Tierhaltung mit dem Ziel einer Verbesserung des Tierwohls finanzieren. Wir wollen die Tierhaltung in Deutschland halten.
Ist für die SPD das Borchert-Konzept noch relevant?
Kersten: Ja. Das gilt nicht zuletzt für die Feststellung, dass auf die laufenden Mehrkosten der mit Abstand größte Teil des Mehraufwandes entfällt, der den Betrieben bei der Realisierung von mehr Tierwohl entsteht. Das dürfen wir nicht außer Acht lassen.
Der Koalitionsvertrag sieht ein Naturflächenbedarfsgesetz vor. Warum ist das wichtig? Wie soll sichergestellt werden, dass der Landwirtschaft damit nicht weitere Flächen entzogen werden?
Kersten: Das Naturflächenbedarfsgesetz soll die Schaffung von notwendigen Ausgleichsflächen für Infrastrukturmaßnahmen und von Biotopverbünden erleichtern. Das ist aber nicht gegen die Landwirtschaft gerichtet, denn gleichzeitig wollen wir die kluge Flächennutzung durch produktions- und betriebsintegrierte Kompensation stärken. Wichtig ist außerdem, dass wir den Flächenverbrauch insgesamt weiter minimieren. Ich bin froh, dass Umweltminister Carsten Schneider beim Bauerntag betont hat, dass Ernährungssicherung für ihn bei der Flächennutzung im Mittelpunkt steht.
Wir können uns Streitigkeiten, die in der Sache nicht weiterführen, nicht leisten.
Das unionsgeführte Landwirtschaftsministerium und das SPD-geführte Umweltressort lagen in vergangenen schwarz-roten Koalitionen im Dauerclinch. Wird das auch diesmal so?
Kersten: Nein.
Warum nicht?
Kersten: Zunächst einmal kennen sich beide Minister aus der Bundestagsfußballmannschaft. Das schweißt zusammen. Aber im Ernst: Wir können uns Streitigkeiten, die in der Sache nicht weiterführen, nicht leisten. Beide Minister haben mehrfach betont, gemeinsam nach den besten Lösungen für Landwirtschaft, Klima und Umwelt suchen zu wollen. Ich bin davon überzeugt, dass eine enge Zusammenarbeit der Schlüssel für die zukunftsfähige Gestaltung des ländlichen Raumes ist. Das war schon in den Koalitionsverhandlungen spüren. So weiterzumachen, sind wir den Menschen in unserem Land schuldig.
Zur Person
Dr. Franziska Kersten gehört seit 2021 dem Bundestag an. Sie vertritt dort den Börde-Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt. Am 20. Mai 2025 wurde die gelernte Rinderzüchterin und studierte Tierärztin zur Vorsitzenden der Arbeitsgruppe „Landwirtschaft, Ernährung und Heimat“ und damit zugleich zur agrarpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion gewählt. Vor ihrer Abgeordnetenzeit war Kersten unter anderem als Amtstierärztin im Kreis Heinsberg und im Landwirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt tätig. Anschließend war sie Geschäftsführerin der Landgesellschaft Sachsen-Anhalt, bevor sie für ein knappes Jahr den Posten der Vizepräsidentin des Umweltbundesamtes (UBA) übernahm.