Mit der ersten regulären Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Schutz von Tieren beim Lebendtransport, (ANIT, Committee on Protection of Animals during Transport), hat das EU-Parlament diesen Donnerstag während einer fast sechstündigen Sitzungsdauer den dringenden Überarbeitungsbedarf der aus dem Jahre 2005 stammenden Tiertransport-Verordnung aufgezeigt.
Die in zwei Teilen durchgeführte Debatte der per Videokonferenz zugeschalteten Europaabgeordneten, gab am frühen Nachmittag der deutschen Ratspräsidentschaft Gelegenheit, ihre Schwerpunkte vorzustellen.
Im zweiten Teil diskutierten die Parlamentarier bis in den Abend hinein mit dem 1. Direktor des Europäischen Rechnungshofes (EuRH), welche Konsequenzen aus den Befunden des EuRH-Sonderberichtes zu Tiertransporten gezogen werden sollten, um dem Tierschutz nicht nur auf dem Papier zum Durchbruch zu verhelfen.
Tilly Metz: "Wann macht die Kommission Ernst und kommt mit Vorschlägen rüber?"
Die grüne ANIT-Ausschussvorsitzende Tilly Metz machte zu Beginn deutlich, dass die derzeitigen EU-Tierschutzvorschriften überholt sind und weit hinter den neusten wissenschaftlichen Entwicklungen hinterher laufen.
An die EU-Kommission richtete sie die Fragen, wann die Kommission der von Präsidentin von der Leyen gemachten Zusage gegenüber den Parlamentsforderungen zur Vorlage von Entwürfen zum Tierschutz nachkommen wolle und zu welchem Zeitpunkt konkrete Legislativvorschläge gemäß der Strategie „Vom Hof auf den Tisch" im Rahmen des Green Deal endlich vorgelegt werden?
Julia Klöckner: "Dänemark, Deutschland und Niederlande als Treiber für mehr Tierwohl"
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner aus Berlin zugeschaltet, beeindruckte die luxemburgische grüne Ausschussvorsitzende mit den weitgehenden Prioritäten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. "Ich freue mich zu Beginn der Arbeit des Untersuchungsausschusses zu Tiertransporten im Europäischen Parlament (EP) die Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft vorstellen zu können". Sie unterstrich die Bedeutung der wichtigen Arbeit des EP-Ausschusses.
"Wir wissen, dass es Defizite gibt und wir eine rasche Überarbeitung der EU-Tiertransporte Verordnung aus dem Jahre 2005 benötigen. Daher komme die Arbeit des EP-Ausschusses zum richtigen Zeitpunkt, um mutmaßliche Verstöße aufzuspüren. "Wir wissen, dass dies keine Einzelfälle sind. Wir müssen nicht nur den EU-Binnenmarkt in den Blick nehmen, sondern EU-Bestimmungen auf der ganzen Transportkette bis zum Bestimmungspunkt auch in Drittstaaten Geltung verschaffen".
Deutschland habe gemeinsam mit Dänemark und den Niederlanden im EU-Agrarministerrat die Initiative ergriffen, eine verbindliche und detaillierte Rechtssetzung für Tierschutz in der EU auf den Weg zu bringen.
Klöckner: "Eine EU-weite Kennzeichnung des Viebestandes von der Geburt bis zur Schlachtung ist das Ziel"
Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft habe Sie die zuständige EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides aufgefordert, sich zeitnah für eine Umsetzung von mehr Tierwohl bei Aufzucht, Transport bishin zur Schlachtung in den Legislativvorschlägen der "Farm to Fork" Strategie anzunehmen.
Klöckner unterstrich, dass der EU-Agrarministerrat in Luxemburg beim jüngsten Beschluss über die "Allgemeine Ausrichtung" zur GAP-Reform dem Thema Tierwohl einen besonderen Stellenwert eingeräumt habe. Die europäische Landwirtschaft habe sich verpflichtet, neben Umweltleistungen und Klimaschutz, auch dem Tierwohl auf der EU-Agenda Priorität einzuräumen.
"Tierwohl hin zu einer artgerechten Haltung von Nutztieren, ist eine der drängensten Aufgaben, der wir uns stellen müssen", so Klöckner. Dabei müsse klar sein, dass für die Landwirte keine Leistungen ohne Gegenleistungen zu erwarten seien.
Eine EU-weite Tierwohlkennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von der Geburt über den Transport bishin zur Schlachtung des gesamten Nutztierbestandes in der EU würde nicht nur das Vertrauen bei den Verbrauchern gegenüber der Landwirtschaft stärken, sondern auch die Wettbewerbsbedingungen der europäischen Produzenten international verbessern, sagte Klöckner.
"Weniger Lebendtiertransporte und mehr Fleisch- und Fleischwarentransporte wären besser"
Klöckner ließ den grünen EU-Abgeordneten im Untersuchungsauschuss die Ohren klingeln mit der Ankündigung, dass unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft noch in der Dezembersitzung des EU-Agrarministerrates Ratsschlussfolgerungen für eine EU-weite Tierwohlkennzeichnung beschlossen werden sollen.
Die Landwirtschaftsministerin und studierte Theologin Klöckner legte noch eins oben drauf: "In Zukunft sollte es deutlich weniger Lebendtiertransporte geben und dafür mehr Transporte von Fleisch und Fleischwaren".
Will heißen, die Strukturen bei der Aufzucht von Tieren, dem Transport und der Schlachtung sollten deutlich dezentralisiert und die Regionalisierung in der Landwirtschaft gestärkt werden.
Konkret sollten notwendige Lebendtiertransporte durch bessere Kontrollen, Zertifizierung der Versorgungsstellen in der Transportkette und die Qualifizierung bzw. Befähigungsnachweise der Lkw-Fahrer gesichert sowie Mindeststandards bei der GPS-Überwachung von grenzüberschreitenden Daten ermöglicht werden, so Klöckner gegenüber dem EU-Parlament.
Marlene Mortler: "Bei Verstößen müssen Transport-Lizenzen entzogen werden"
Die stellvertretende ANIT-Ausschussvorsitzende Marlene Mortler (CSU) sprach sich für verstärkte Kontrollen und die Durchsetzung von Sanktionen gegenüber schwarzen Schafen unter den Tiertransporteuren auf dem Land- und Wasserwege aus.
Die bayerische CSU-Europaabgeordnete Mortler setzte sich für den verpflichtenden Einsatz von digitalen Fahrtenschreibern und den Entzug von Transportgenehmigungen in Drittstaaten bei Verletzung von EU-Tierwohlstandards aus. "Bei nachgewiesenen Verletzungen von Tierschutzbestimmungen sollten Transportzulassungen entzogen werden".
EU-Rechnungshof: "Bei der Verbesserung von Tierschutz-Kontrollen ist noch viel Luft nach oben"
Dass dies aber leicht gefordert ist, aber in der Praxis rechtlich nur schwer umzusetzen sei, wusste der 1. Direktor des Europäischen Rechnungshofes (EuRH), Peter Welch, zu berichten. Allen Schwüren von Politikern zum Trotz sei die europäische Gerichtsbarkeit zunächst auf den Binnenmarkt - sprich die EU-Mitgliedstaaten - fokussiert. Die Ahndung von Verletzungen der EU-Standards, wie die EU-Kommission dies mit der Umsetzung der Farm to Fork Strategie ins Auge gefaßt habe, bedürfe allerdings auch einer Rechtssicherheit gegenüber Drittstaaten.
Der EuRH-Sonderbericht "Lücken schließen zwischen EU-Bestimmungen und Tierschutzanforderungen" richte sich zunächst an die Mitgliedstaaten, die bei Kontrollen, Überwachung und Vollzug von Sanktionen bei Verstößen im Obligo stünden.
Die im Jahre 2018/19 durchgeführten EuRH-Untersuchungen in den 5 EU-Staaten Deutschland, Italien, Polen, Niederlande und Rumänien hätten insbesondere Defizite und Versäumisse in der Kontrolldichte und bei grenzüberschreitenden Lebendtiertransporten offengelegt.
Bisherige GAP-Mittel der 2. Säule kommen beim Tierwohl nicht wirklich an bisher
Die GAP sehe bereits heute in der 2. Säule gezielt Mittel für Tierwohlmaßnahmen im Ländlichen Raum vor. Die Effekte zugunsten von Tierschutz blieben bisher jedoch hinter den Erwartungen zurück. Mit der Farm to Fork-Strategie habe die EU-Kommission eine neue benchmark in Aussicht gestellt.
Christine Falter von der Brüsseler Generaldirektion GD Agrar kündigte an, dass die Kommission mit dem Green Deal auf eine neue Qualität bei der Durchsetzung von Tierwohl in der EU ein besonderes Augenmerk richten werde.
Christine Falter: "Wir wollen, dass künftig mehr GAP-Gelder dem Tierschutz zugute kommen"
Mit der neuen GAP wollten die GD Gesundheit und die GD Landwirtschaft aufmerksam beobachten, wie die Mitgliedstaaten in den nationalen GAP-Stragieplänen genau dies umsetzen würden.
"Wir wollen, dass die Mittel der nächsten GAP besser verwendet werden für den Tierschutz in der Landwirtschaft", so Falter. Dies beginne bei der Unterbringung und Haltung von Nutztieren bishin zu einer verstärkten Unterstützung der ökologischen Landwirtschaft. Die EU-Kommission werde schon im Jahre 2021 hierzu innovative Projekte starten in einzelnen EU-Staaten, um den Tierschutz auf den Höfen zu verbessern.
Maria Noichl: "Die unsäglichen Zustände bei Transporten in Drittstaaten müssen abgestellt werden"
Die bayerische SPD-Europaabgeordnete. Maria Noichl vernahm dies mit Genugtuung und spornte die EU-Kommission an, beim Tierwohl vor allem beim Transportgeschehen Nägel mit Köpfen zu machen und rasch die veraltete EU-Tiertransporte-Verordnung umfassend auf den Prüfstand zu stellen.
"Es gilt die Informationslücken bei Umleitungsverkehren innerhalb der EU mit neuen Technologien zu schließen und die unsäglichen Zustände für Transporte in Drittstaaten zu unterbinden", so Noichl.
Peter Welch vom EU-Rechnungshof bestätigte den Befund des Sonderprüfungsberichtes, dass die Tranporteure mit Tricksereien über Transportwege zum Beispiel von Frankreich über die Niederlande nach Deutschland oder umgekehrt, sich nationalen Kontrollen mit Erfolg entzögen und vom Radar der Kontrolleure völlig verschwinden würden.
Am 16. November soll EU-Agrarkommissar Wojciechowski Rede und Antwort stehen
"Beim Tracing, also der Verfolgung von Lebendtiertransporten, ist in punkto Verbesserungspotential noch Luft nach oben", so Welch vom EU-Rechnungshof.
Der Tiertransporte-Untersuchungsausschuss will in seiner nächsten Sitzung am 16. November von EU-Agrarkomissar Janusz Wojciechowski wissen, wie die bisherigen Absichtserklärungen der EU-Kommission mit konkreten Zielvorgaben en Detail in der Farm to Fork-Strategie umgesetzt werden sollen.