Die Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes (dlv), Petra Bentkämper, über die geringe Zahl von Frauen in der Selbstverwaltung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung und die Chance, das mit der Sozialwahl zu ändern, über Defizite in der sozialen Absicherung von Bäuerinnen und den möglichen politischen Handlungsbedarf. Das Interview führte der Pressedienst Agra Europe (AgE).
AgE:Frau Bentkämper, Hand aufs Herz, wie wichtig haben Sie in der Vergangenheit Sozialwahlen genommen?
Bentkämper: Ich selbst war sicher auch nicht von jeher gut genug informiert, wie umfassend die Sozialwahlen am Ende auch den persönlichen Lebensbereich betreffen. Aber seit vielen Jahren wähle ich genau die Liste, die meine Vorstellungen zu Gesundheitsversorgung und Rente am besten widerspiegelt.
Und natürlich setzen wir uns als Deutscher LandFrauenverband für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen ein. Dazu gehören selbstverständlich auch die Sozialwahlen - schließlich werden dort die höchsten Entscheidungsgremien der Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherungen gewählt. Kurzum: Wichtige Lebensbereiche, die uns alle betreffen, und dort müssen Frauen mitentscheiden.
Wie sieht’s diesmal bei Ihnen aus?
Bentkämper: Ich sehe es als demokratische Verpflichtung, bei jeder Wahl auch zu wählen. Man darf nie vergessen: Kein einziges demokratisches Recht ist einfach so vom Himmel gefallen. Jedes einzelne wurde hart erkämpft.
Warum die Sozialwahl 2023 so wichtig ist
Warum sollten sich gerade in diesem Jahr Frauen an der Sozialwahl beteiligen?
Bentkämper: Aktuelle Herausforderungen wie zum Beispiel der demografische Wandel betreffen insbesondere Frauen. Aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung beziehen sie länger Renten. Gleichzeitig haben sie aufgrund des in Deutschland immer noch vorherrschenden Zuverdienermodells weniger Rentenanwartschaften erwirtschaftet und sind damit häufiger von Altersarmut bedroht.
Gesellschaftliche Rollenerwartungen und strukturelle Rahmenbedingungen führen dazu, dass Frauen mehr Sorgearbeit für Kinder und die Pflege von Angehörigen übernehmen. Sie sehen, das sind alles Themen, die die Sozialsicherungssysteme unmittelbar berühren. Eine Beteiligung von Frauen an den Sozialwahlen kann dazu führen, dass die Vorschläge unterstützt werden, die die Lebensrealität von Frauen auch tatsächlich verbessern.
Frauen sind bislang in der Vertreterversammlung der SVLFG unterrepräsentiert, im Vorstand ist lediglich eine Frau, und zwar für die Arbeitnehmer. Haben Frauen kein Interesse an Sozialpolitik?
Bentkämper: Damit steht die SVLFG nicht alleine dar. Mitnichten haben Frauen weniger Interesse an Sozialpolitik. Es ist wie in fast allen gesellschaftlichen Bereichen: Zwar haben Frauen in Sachen Bildung die Männer bereits überholt - fast 53 % der Hochschulabsolventen sind weiblich - doch dringen sie noch nicht in gleichem Maße in Führungsebenen und politische Gremien vor.
Schuld haben nicht die Frauen selbst, sondern strukturelle gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Frauen vor der viel zitierten gläsernen Decke stehenlassen.
Welche Gründe sehen Sie für die Männerlastigkeit der SVLFG?
Bentkämper: Politische Systeme sind historisch gesehen allesamt männerdominierte Bereiche. Die eben angesprochenen strukturellen Barrieren machen es Frauen generell schwerer, in der Politik Fuß zu fassen. Politisch aktiv zu sein, bedeutet vor allen Dingen, ein hohes Maß an Zeit und Engagement aufzuwenden.
Vereinbarkeit ist in der Folge also ein großes Problem. Aus diesem Grund ist es uns als dlv so wichtig, mit gängigen Rollenerwartungen zu brechen und Sorgearbeit, also Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege von Angehörigen, gerecht zu verteilen. Frauen in hohen politischen Ämtern werden oftmals gefragt, wie sie Familie, Beruf und politisches Engagement vereinen.
Die gleiche Frage würde einem Mann nie gestellt werden. Hinzu kommt sicherlich, dass die SVLFG durch ihren Schwerpunkt Forst- und Landwirtschaft traditionell eher männliche Themen besetzt. Beides ist im Umbruch, doch beides benötigt wohl noch Zeit.
Ohne echte Frauenquote sind Strukturen schwer aufzubrechen
Wie optimistisch sind Sie, dass die Zielmarke von 40 % Frauen in der Selbstverwaltung erreicht wird?
Bentkämper: Zielgrößen sind schon mal ein guter Anfang. Sie markieren, wie es wünschenswerter Weise sein sollte. Doch die Erfahrung zeigt, dass ohne echte Quote etablierte Strukturen schwer aufzubrechen sind. Als dlv haben wir uns für eine feste Quote bei den Sozialwahlen stark gemacht. Gleichwohl bedeutet ein Frauenanteil von 40 % auch einen Männeranteil von 60 % - echte Parität sieht anders aus.
Was erhoffen Sie sich von einer stärkeren Präsenz von Frauen in der Vertreterversammlung sowie von Frauen im Vorstand der SVLFG?
Bentkämper: Die Erfahrung zeigt - Männer machen in der Regel Politik für Männer. Dies ist sicherlich keine böse Absicht, sondern den eigenen Interessen und Themenschwerpunkten zuzuschreiben, die wiederum in gesellschaftlichen Rollenmodellen begründet sind. Eine stärkere Repräsentanz von Frauen in den Gremien bietet die Chance, Themen zu besetzen, die Männer vielleicht nicht im Blick haben.
Gleichzeitig haben Frauen in diesen wichtigen Positionen Vorbildfunktion. In der Folge sehen sich Frauen repräsentiert und lassen sich unter Umständen selbst beim nächsten Mal aufstellen.
Bäuerinnen-Studie zeigt "bittere Realität"
Die im letzten Herbst vorgestellte Bäuerinnen-Studie hat ergeben, dass viele Frauen in der Landwirtschaft ihre soziale Absicherung als unzureichend empfinden. Wo liegen die größten Defizite?
Bentkämper: Die Studie hat vor allem gezeigt, dass das keine Empfindung ist, sondern bittere Realität. Bei Trennung, Scheidung oder Tod des Partners sind viele Frauen nicht ausreichend abgesichert und ihre Existenz ist bedroht. Der tatsächliche Anteil dessen, was Frauen auf den Betrieben leisten, spiegelt sich nur selten im Grundbucheintrag wider. Ich muss es deutlich betonen: Frauen sind vielfach Dreh- und Angelpunkt und haben das Recht auf eine umfassende rechtliche Absicherung, wenn sie sich auf so umfassende Weise für Betrieb und Familie stark machen.
Was sollte vorrangig angegangen werden?
Bentkämper: Die differenzierte Erhebung und Darstellung der Leistungen von Frauen in der Agrarstatistik und die Absicherung der Frauen durch Ehevertrag.
Generell - was macht der LandFrauenverband mit den Erkenntnissen aus der Bäuerinnen-Studie, etwa denen zur sozialen Absicherung von Frauen in der Landwirtschaft?
Bentkämper: Die Studie liefert uns eine gute Argumentationsgrundlage und damit das Rüstzeug, auf die bestehenden Ungleichheiten zu reagieren und immer wieder darauf hinzuweisen. Lange haben uns genaue Zahlen gefehlt. Die braucht es aber oftmals, um zu zeigen: Wir haben noch einiges zu tun in Sachen Gleichstellung. Gut Ding will Weile haben und so werden wir nicht müde, die Stellung der Frauen in der Landwirtschaft anzusprechen und konkrete Forderungen an die Politik zu adressieren.
Das diesjährige Bäuerinnenforum im Rahmen der Internationalen Grünen Woche hat gezeigt, dass mit der Betriebs- und Haushaltshilfe die SVLFG nicht zuletzt für Schwangere und junge Mütter ein Angebot bereitsteht, das es in anderen Bereichen der Sozialversicherung nicht gibt.
Wer wählen geht, hat Gestaltungsmöglichkeiten
Ist die SVLFG besser als ihr Ruf?
Bentkämper: Die Betriebs- und Haushaltshilfe ist eine sehr gute Möglichkeit, um Schwangere und junge Mütter zu unterstützen. Es zeigt sich aber auch, dass es schwer ist, geeignete Betriebs- und Haushaltshilfen zu finden und dass beispielsweise Wochenenden nicht abgedeckt sind. Hier sind zwar auch die Betriebe selbst aufgerufen, Aufgaben anders zu strukturieren, wenn ein Kind unterwegs ist. Aber primär muss es doch ermöglicht werden, dass die Lebens- und Arbeitsrealität der Betriebe auch umfassend abgesichert ist.
Und um die Brücke zu den Sozialwahlen zu schlagen: Wer wählen geht, hat Gestaltungsmöglichkeiten - auch in diesen Bereichen.
Was ist zu tun, damit die Leistungen künftig besser als bisher in Anspruch genommen werden?
Bentkämper: Die Informationen bestehen ja schon, sie müssen eben nur an die Frau gebracht werden. Leider ist es so, dass viele Leistungen nicht bekannt sind. Um sich zu informieren, braucht es zeitliche Ressourcen und oftmals schon entsprechendes Vorwissen. Formate wie das Bäuerinnenforum können hierbei gute Ansätze und Informationen liefern. Doch damit allein erreichen wir längst nicht alle potentiellen Leistungsempfängerinnen.
Was erwarten Sie von der SVLFG?
Bentkämper: Eine gezielte und proaktive Ansprache der Leistungsempfängerinnen würde sicherlich dazu beitragen, dass mehr Frauen ihre Ansprüche kennen. Eine Bündelung der Angebote auf der Homepage ist sicherlich ein guter Ansatz.
Der LandFrauenverband war maßgeblich an der Einführung der eigenständigen Bäuerinnensicherung Mitte der 1990er-Jahre beteiligt. Zunächst als großer sozialpolitischer Fortschritt gepriesen, hat dieses Instrument in dem Maße an Wirkung verloren, wie immer mehr Frauen von den großzügigen Befreiungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht haben. Teilen Sie diese Einschätzung?
Bentkämper: Jede Frau ist gut beraten, Entscheidungen auf ihre Auswirkungen auf die gesamte Lebensdauer zu bedenken. Als dlv werden wir uns die Ergebnisse der Bäuerinnen-Studie gerade auch im Hinblick auf die Alterssicherung der Frauen in der Landwirtschaft genau anschauen.
Passt das zusammen - eine bessere Alterssicherung fordern und mit den Füßen anders abzustimmen?
Bentkämper: Jede Frau muss selbst abwägen. Was auf den ersten Blick als sinnvoll erscheint, das ist am Ende vielleicht etwas kurz gedacht.
Verantwortung für Entscheidungen trifft jede Einzelne
War die Politik hinsichtlich der Befreiungsmöglichkeiten zu nachgiebig?
Bentkämper: Politik gibt den Rahmen; Verantwortung für Entscheidungen trifft immer noch jede Einzelne.
Muss sich der dlv vorhalten lassen, zu passiv gewesen zu sein?
Bentkämper: Nein! Im Übrigen haben wir uns als dlv für die Ausweitung der Mütterrente stark gemacht. Auch das hilft den Frauen bei der Altersabsicherung.
Sind gesetzliche Änderungen notwendig, etwa in Anlehnung an das Beispiel Österreich, wo eine parallele Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen und der allgemeinen gesetzlichen Alterssicherung besteht und dies eine bessere soziale Absicherung gewährleistet?
Bentkämper: Eine genaue Betrachtung ist sicherlich wichtig. Schnellschüsse sind da wenig hilfreich.
Demografischer Wandel trifft soziale Sicherung deutlich
Wie beurteilen Sie die Zukunft der eigenständigen agrarsozialen Sicherung, die durch rückläufige Versichertenzahlen in der Alterssicherung, aber insbesondere in der Krankenversicherung künftig immer stärker unter Druck geraten dürfte?
Bentkämper: Der demografische Wandel und immer weniger Beitragszahlende treffen das System der eigenständigen agrarsozialen Sicherung empfindlich. Gleiches gilt ja auch für die Zukunft der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung. Rechtzeitige Reformüberlegungen sind notwendig. Als dlv werden wir uns auch hier einbringen.
Wie wichtig ist für den Deutschen LandFrauenverband die Beibehaltung einer berufsständischen landwirtschaftlichen Sozialversicherung?
Bentkämper: Sehr wichtig, denn die besonderen Belange der landwirtschaftlichen Betriebe erfordern eine passgenaue Absicherung.
Vor diesem Hintergrund - was erwarten Sie von der SVLFG in den kommenden gut sechs Jahren?
Bentkämper: Eine weiterhin gute, konstruktive Zusammenarbeit und die Berücksichtigung der Bedürfnisse der weiblichen Versicherten.
Vielen Dank!