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topplus Der Krieg in der Ukraine und die Folgen

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir: „Jetzt nicht die alten Sprechzettel herausholen.“

Cem Özdemir warnt im top agrar-Interview davor, den Krieg in der Ukraine für Eigeninteressen zu missbrauchen. Beim Umbau der Tierhaltung möchte er mit einer Anschubfinanzierung Tempo machen.

Lesezeit: 11 Minuten

Vergangene Woche konnte top agrar als erstes Fachmagazin ein Interview mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir führen. Wir sprachen mit ihm über den Ukraine-Krieg, die Zukunft der Nutztierhaltung, über die Düngeverordnung und viele weitere Themen.

Was ändert der Krieg in der Ukraine an Ihren agrarpolitischen Zielen?

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Özdemir: Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wird alle unsere Lebensbereiche beeinflussen. Die wichtigste Frage ist heute immer noch, wie können wir den Menschen in der Ukraine helfen? Wir haben umgehend eine Koordinierungsstelle eingerichtet, die sich darum kümmert, dass Lebensmittelgroßspenden aus der Wirtschaft zu den Betroffenen in die Ukraine kommen. Die ersten Lastwagen sind bereits auf dem Weg. Für dieses Engagement der Unternehmen bin ich sehr dankbar. Mit gleicher Ernsthaftigkeit hat mein Haus die Auswirkungen auf die Lebensmittelmärkte und die weltweite Versorgungssicherheit und die Folgen für den Agrarsektor im Blick. Ich rate aber, jetzt nicht die alten Sprechzettel herauszuholen und die jetzige Situation für agrarpolitische Eigeninteressen zu missbrauchen.

Was meinen Sie damit?

Wir sollten die Uhr nicht zurückdrehen, das hat noch nie geklappt. Es geht darum, unsere Landwirtschaft zukunftssicher und krisenfest aufzustellen, wir können vor der Klimakrise und der Ressourcenverschwendung nicht die Augen verschließen. Aber nochmals zurück zu den Kriegsauswirkungen: Russland und die Ukraine sind für etwa 14 Prozent der weltweiten Weizenerzeugung verantwortlich. Wenn es hier zu Ausfällen kommt, hat das natürlich globale Auswirkungen und kann weitere Preissteigerungen bei Weizen und Brot bedeuten. Hauptimporteur von Weizen aus dieser Region sind insbesondere die Länder Nordafrikas und Asiens sowie die Türkei.

Erwarten Sie, dass damit die Sicherung der weltweiten Ernährung auch bei uns wieder eine neue Bedeutung erhält?

Özdemir: Deutschland hat bei Weizen einen Selbstversorgungsgrad von fast 120 Prozent. Hier sind wir gut aufgestellt. Gleichzeitig geht aber fast 60 Prozent des Gesamt-Getreides in Deutschland nicht in die direkte Nahrungsmittelversorgung, sondern landet in Futtertrögen von Tieren. Und diese Tiere sind häufig nicht einmal für den Verzehr bei uns im Land gedacht, sondern für den Export. Global gehen 47 Prozent der Getreideerzeugung ins Tierfutter. Wenn wir jetzt vom Recht auf Nahrung sprechen, dann sollten wir nicht die Axt an Klima- und Naturschutz legen, sondern gemeinsam dafür sorgen, dass die Agrarproduktion nicht mehr vorrangig im Futtertrog landet, sondern Menschen direkt versorgt. Grundsätzlich geht es um eine Kreislauf-Landwirtschaft, die unabhängiger ist von energieintensivem Mineraldünger. Und zwar auch aus geopolitischen Gründen. Was wir bei Energieträgern hinbekommen wollen – Unabhängigkeit von Staaten wie Russland – müssen wir auch in diesem Bereich schaffen. Wir brauchen eine nachhaltige Produktion, um die Funktionsfähigkeit der Lebensmittelkette als Teil der kritischen Infrastruktur zu sichern.

Wie stellen Sie sich das vor? Kein Futtermittelanbau mehr in Deutschland? Weniger deutsche Importe von Soja- und Ölsaaten?

Özdemir: Wir müssen auch über die Flächen reden, die wir im Ausland für unsere Futtermittel belegen – und die oftmals mit Entwaldung zusammenhängen. Ich sage das immer wieder: Landwirtschaft ist keine Insel, sondern ein gesellschaftliches Bindeglied. Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen, müssen wir auch die Tierbestände reduzieren. So senken wir auch die Abhängigkeit von Futtermitteleinfuhren. Es geht ja nicht darum, dass wir abgeschirmte Gesellschaften entwickeln. Ich bin ein Unterstützer des Welthandels, aber wir müssen die Abhängigkeiten reduzieren. Und das will ich auch klar sagen: Natürlich sollen Tierhalter weiterhin ein sicheres Einkommen haben. Das schaffen wir aber nicht, indem wir beim bisherigen Billigfleisch-System bleiben. Dieses System schafft am Ende nur Verlierer.

Ich bin ein Unterstützer des Welthandels, aber wir müssen die Abhängigkeiten reduzieren." - Özdemir

Das Ziel 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 steht für Sie auch in Anbetracht der neuen Situation weiterhin fest?

Özdemir: Das ist und bleibt das Ziel unserer Koalition. 25 Prozent bis 2030 auf EU-Ebene und 30 Prozent bei uns in Deutschland. Das heißt auch, dass die anderen 70 Prozent der Kolleginnen und Kollegen, die konventionell wirtschaften, sich ebenfalls zunehmend auf den Weg machen, nachhaltiger zu arbeiten – und dafür auch honoriert werden.

Die FDP stellt jetzt die geplanten 4 Prozent Stilllegung aus der gerade ausgehandelten EU-Agrarreform in Frage. Wie sehen Sie das?

Özdemir: Die 4 Prozent gelten ab nächstem Jahr. Hier eingerechnet werden auch Landschaftselemente wie Hecken. Bereits jetzt werden über diese und andere Flächen ohne Nutzung rund 2 Prozent erbracht. Jetzt die Agrarreform, den Green Deal und die Farm-to-Fork-Strategie auszusetzen, halte ich für falsch. Die Auswirkungen des Angriffs auf die Ukraine, die Preisexplosionen bei Düngemitteln oder mögliche Engpässe bei Saisonarbeitskräften werden wir genau verfolgen. Es bleibt aber richtig, auf Nachhaltigkeit zu setzen. Wenn wir jetzt weitere Kredite auf Kosten des Klima- und Umweltschutzes aufnehmen, dann rächt sich das in der Zukunft. Ich will, dass landwirtschaftliche Produktion in Deutschland eine Perspektive hat. Aber klar – die Situation jetzt ist schwierig. Das haben wir im Blick.

Zukunft Tierhaltung:

Sie sind dafür angetreten, den Umbau der Tierhaltung umzusetzen. Wie schnell kommen Sie da jetzt noch voran?

Özdemir: Beim Umbau machen wir jetzt Tempo.

Erkenntnis und Bereitschaft sind da, die Veränderungen in der Tierhaltung jetzt auch umzusetzen. Dabei weiß ich auch den Handel hinter mir. Die Gespräche in der Koalition sind dazu sehr vielversprechend.

Ist ein Ansatz wie der Borchert-Plan mit Blick auf die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr und die vielen weiteren Kraftanstrengungen durch den Ukraine-Krieg noch zu halten oder bereits vom Tisch?

Özdemir: Wir müssen jetzt erst recht dafür sorgen, dass es Betriebsnachfolgen gibt. Dass wir in Deutschland Lebensmittel produzieren und nicht in Abhängigkeiten geraten. Es geht darum, dass diese Koalition die Landwirtinnen und Landwirte, die bislang im Stich gelassen wurden, dabei unterstützt, Tiere besser zu halten. Wir wollen über Haushaltsmittel den Einstieg machen und die Investitionsförderung auf den Weg bringen. Im nächsten Schritt wollen wir den Umbau in der Nutztierhaltung auch bei den Betriebskosten honorieren. Bis zum Jahresende wollen wir ein solidarisches Abgabemodell auf Fleischprodukte haben. Die Bäuerinnen und Bauern schauen sehr genau darauf, wer sich da in den Fraktionen jetzt wie verhält. Ich gehe davon aus, dass alle die Koalitionsvereinbarung kennen und auch abarbeiten wollen – und sich nicht querstellen.

Stimmen die Gerüchte, dass die Bundesregierung 1 Milliarde Euro für den Umbau der Tierhaltung für die Jahre 2023 bis 2026 einplant?

Özdemir: Die Summe kommt mir bekannt vor – ich verhandle gerade mit dem Bundesfinanzminister über zusätzliches Geld, quasi eine Extra-Anschubfinanzierung für den Stallumbau. Aber gehen Sie mal davon aus: Ich kämpfe für meine Landwirtinnen und Landwirte.

Ich habe nicht vor, nach den Haushaltsverhandlungen mit leeren Händen da zu stehen. Am Ende müssen es die Fraktionen im Parlament absegnen. Aber niemand wird das erklären können, wenn die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung scheitert.

Viele in der Landwirtschaft wünschen sich eine Kombination von Haltungs- und Herkunftskennzeichnung. Warum gehen Sie national nicht voran?

Özdemir: Was die Haltungskennzeichnung anbelangt, gehen wir national voran. Wir werden sie dieses Jahr gesetzlich auf die Spur setzen. Nächstes Jahr werden dann gekennzeichnete Produkte in den Geschäften zu finden sein. Das ist der Plan und daran arbeite ich mit Hochdruck. Was die Herkunftskennzeichnung anbelangt, habe ich mit meiner österreichischen Kollegin eine Initiative für eine EU-Herkunftskennzeichnung gestartet, der sich weitere Länder angeschlossen haben. Die Kommission hat für dieses Jahr einen Vorschlag dazu angekündigt.

Frankreich schafft bei Herkunftskennzeichnung schon jetzt Fakten. Warum ist das kein Modell für Deutschland?

Özdemir: Ich bin dazu im Kontakt mit meinem Kollegen Julien Denormandie und wir schauen uns das an. Wir warten jetzt zunächst auf die EU-Kommission – aber wir warten nicht ewig. Wenn wir zum Ende des Jahres nichts haben, dann werden wir national aktiv.

Beim Baurecht hat Ihre Staatssekretärin schon vor einem „Freifahrtschein für Ställe“ gewarnt. Worauf warten Sie?

Özdemir: Wir werden an das Baurecht gehen und uns auch das Immissionsschutzrecht anschauen. Was ich nicht machen werde, ist, dass ich das Baurecht ändere, aber davor die Frage der Finanzierung und die Haltungskennzeichnung nicht gelöst habe. Der Umbau ist ein Gesamtpaket, es wird mit mir nicht auseinander zu schnüren sein. Nur so bekommen die Tierhalter Planungssicherheit.

Nitrat/ Düngeverordnung

Sie wollen die Nitratrichtlinie einhalten, in dem Sie die roten Gebiete um mehr als 30 Prozent ausweiten. Wie wollen Sie das bei den Landwirtinnen und Landwirten durchsetzen?

Özdemir: Ich habe diese Situation geerbt und bin nicht deren Verursacher. Bislang galt die politische Methode Vogel-Strauß: wenn man den Kopf nur tief genug in den Sand steckt, wird schon nichts passieren. Und die minimalinvasiven Korrekturen in der Düngeverordnung von 2017 haben die EU-Kommission genau so wenig überzeugt, wie die Neuausweisung der mit Nitrat belasteten Gebiete durch die Länder. Und dennoch erzählen einige den Landwirtinnen und Landwirten immer noch, man müsse nichts machen. Man sollte sich mit Realitäten auseinandersetzen. Für mich ist klar, wir werden keine Strafzahlungen riskieren. Wir haben jetzt gemeinsam mit den Ländern eine Regelung zur Ausweisung der roten Gebiete getroffen. Brüssel prüft das nun. Aber ich setze mich auch dafür ein, dass es eine verursachergerechte Bewertung auf einzelbetrieblicher Ebene gibt.

Wie lange wird es dauern, bis die Verursachergerechtigkeit hergestellt ist?

Özdemir: Die Frage der Verursachergerechtigkeit haben wir bereits mit der Kommission diskutiert. Sie hat uns bestätigt, dass wir die Verursacherbetrachtung perspektivisch in der Düngeverordnung verankern können. Dafür brauchen wir aber eine robuste Datengrundlage, die wir derzeit im Rahmen eines Monitoringverfahrens erarbeiten. Im Übrigens müssen die Länder für die Einführung einer bundesweit einheitlichen Binnendifferenzierung die Messstellen ertüchtigen sowie das Messstellennetz vereinheitlichen und vor allem ausbauen. Auch das wird zu einer zielgenaueren Ausweisung der roten Gebiete führen. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Unser Ziel ist, dass alle Bundesländer spätestens 2028 ein einheitliches Verfahren anwenden.

Pflanzenschutz:

Die EU will verbindliche Reduktionsvorgaben für den Pflanzenschutzeinsatz vorschreiben. Halten Sie eine Reduzierung von 50 Prozent bis 2030 noch für realistisch?

Özdemir: Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, dass wir die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß verringern wollen. Die EU-Kommission hat sich entsprechende Ziele gesetzt und Vorschläge unterbreitet. Hier stehen wir nach wie vor zu der Farm-to-Fork-Strategie mit dem Reduktionsziel von 50 Prozent bis 2030. Die Rechtsakte dazu kommen jetzt im März. Das werden wir national begleiten. Wichtig ist, dass es gute Alternativen gibt, damit Ernten und Erträge nicht gefährdet sind.

Müssen sich die Landwirte darauf einstellen, dass sie künftig ihre Pflanzenschutz-Daten aus den Schlagkarteien in einem Melderegister eintragen müssen?

Özdemir: Für die Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln braucht man Transparenz. Dafür müssen wir auch die Anwendungsdaten haben. Der Ansatz der EU-Kommission, die Anwendungsdaten nur alle fünf Jahre zu übermitteln, würde das massiv erschweren. Deshalb haben wir das im Dezember abgelehnt und uns für jährliche Zahlen stark gemacht. Damit hat die Bundesregierung den Weg für mehr Transparenz bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln eingeschlagen. Zudem haben uns die Länder auf der letzten Herbst-Agrarministerkonferenz aufgefordert zu prüfen, inwieweit die Schaffung eines einheitlichen Systems zur Erfassung von Anwendungsdaten im Pflanzenschutz sinnvoll und möglich ist.

Sehen Sie im Carbon Farming eine Einkommenschance für heimische Landwirte? Was werden Sie unternehmen, um die notwendigen Standards zu schaffen?

Özdemir: Ich finde das Thema spannend. Es ist wichtig, dass wir den Humusaufbau in der Landwirtschaft fördern – nicht nur, weil Humus CO2 bindet, sondern weil er auch zur Klima-Resilienz unserer Landwirtschaft beiträgt. Böden mit mehr Humus sind fruchtbarer und können mehr Wasser speichern. Daher sollten solche Anbaumethoden auch von der Agrarpolitik gefördert werden. Beim Zertifikate-Handel für Agrarflächen bin ich aber sehr skeptisch. Insbesondere Punkte wie die Dauerhaftigkeit beziehungsweise Reversibilität der CO2-Entnahme und die Vermeidung von Emissionsverlagerungen müssen wir uns genau anschauen. Da haben wir noch viele Fragen.

Sie wollen Photovoltaik Freiflächenanlagen in benachteiligten Gebieten erleichtern und Agri-Photovoltaik auf Ackerland fördern. Warum soll Agri-PV nicht auf Grünland gefördert werden?

Özdemir: Wir wollen den Ausbau der Erneuerbaren Energien vorantreiben. Das ist nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern der nationalen Souveränität. Wie wichtig die Unabhängigkeit von autoritären Staaten ist, merken wir gerade eben. Bei Agri-PV wird die landwirtschaftliche Nutzung durch die Stromerzeugung nur zu 15 Prozent beeinträchtigt. Aber wir müssen ganz genau anschauen, welche Flächen ausgewiesen werden.

Wir wollen den Ausbau der Erneuerbaren Energien vorantreiben. Das ist nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondern der nationalen Souveränität.

Besonders schützenswerte Grünlandbiotope muss man anders bewerten als intensives Grünland. Deshalb kann man meines Erachtens einige Grünlandstandorte auch für Agri-PV nutzen, ohne dabei den Naturschutzwert des Grünlands einzuschränken. Für diese Weiterentwicklung der bisherigen Eckpunkte der Bundesregierung setze ich mich ein.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führten Stefanie Awater-Esper, Guido Höner und Matthias Schulze Steinmann

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