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topplus Dialog in der Heinrich-Böll-Stiftung

LsV, Whes und NABU an einem Tisch - "Uns verbindet mehr als uns trennt"

Beim Agrarforum der Heinrich-Böll-Stiftung haben sich zwei Vertreter von LsV der Diskussion mit Naturschützern und Unterstützern der Agrarwende gestellt. Die Schuldigen der Misere sitzen woanders.

Lesezeit: 10 Minuten

In der Gesellschaft haben gerade verschiedene Gruppen die Agrarpolitik satt: Die einen wegen der Düngeverordnung, die anderen wegen einer angeblich zu industriellen Ausrichtung der Landwirtschaft. „Damit ist die Basis für ein gewisses Gespräch ja da“, meint Prof. Harald Grethe von der Uni Berlin. Er war am 17. Januar einer der vielen geladenen Fachleute beim Agrarforum der Heinrich-Böll-Stiftung.

Zur Einleitung der nachfolgenden Diskussion (siehe unten) beschrieb er zunächst die Ist-Situation: So wünscht sich der Verbraucher immer mehr Nahrungsmittel in hoher Qualität, die aber unter hohen Umweltstandards erzeugt sein müssen. Er werde oft von Bauern gefragt, ob die Ansprüche der Gesellschaft weiter steigen oder ob das nur eine Phase ist. „Ja, das wird immer so weitergehen. Der Bürger besteht heute auf sauberes Gemüse, Biodiversität in der Agrarlandschaft, geringe Treibhausgasemissionen und eine CO2-Bindung“, so Grethe.

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Der Ausspruch „Die Preise müssen die Wahrheit sagen“, funktioniert laut dem Fachmann nicht in einer internationalen Welt. Es reiche auch nicht, nur ordnungsrechtlich Leistungen von den Bauern zu fordern. „Wir haben nun mal kein geschlossenes Wirtschaftssystem“, sagt Grethe und warnt vor einem Abwandern der Produktion ins Ausland. Es könne nur darüber gehen, die Leistungen der Landwirtschaft zu honorieren, was zentrale Aufgabe der Politik sei. „Das aber geschieht kaum“.

„Politik zögert, weil Bauernverband Alarm schlägt“

Laut Grethe sind bislang 70 % der Fördermittel als pauschale Flächenprämie an den Hektar gebunden. Dies wird dann überwälzt an die Bodenpreise und die Bodeneigentümer. Auch über Tierwohl rede die Politik viel, Fakten zeigten jedoch, dass es kaum weitergeht. Grethe erinnert an seine Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats aus 2015. Damals veranschlagten die Experten 3 bis 5 Mrd. Euro zum Umbau der Landwirtschaft. Viele Ziele der Regierung seien nicht erreicht. Entsprechend frustriert sei die Zivilgesellschaft über das viele Gerede.

Auch den DBV sieht der Professor in der Verantwortung für die heutige Lage. Dieser habe die Politik immer wieder „vom Weg des richtigen Handels“ abgebracht, wie er sagte. Der Verband stelle die nächsten Regeländerungen immer so dar, als gehe damit die Welt unter. Die kritisierte Düngereduktion um 20 % in den roten Gebieten etwa beziehe sich tatsächlich auf die Gesamtbilanz, das habe der Berufsstand zu lange blockiert und jetzt falle ihnen die Notlösung auf die Füße, sagte Grethe am Freitag weiter.

„Ganze Sektor fährt gegen die Wand“

„Jetzt geht es ganz schnell, die Politik ist getrieben, Gerichtsurteile schließen die Lücken und erfordern nicht zu Ende gedachte Gesetzesänderungen“, so Grethe. Er erinnert an die Dieselfahrverbote in einigen Städten: Da es keine politische Gesamtlösung samt Kompromissen gab, schaffen nun die Gerichte Fakten. Die Folge sind kurzfristig erzwungene Einzelfallentscheidungen, das drohe in der Agrarpolitik auch. „Der ganze Sektor fährt gegen die Wand, dabei braucht er Akzeptanz und eine wirtschaftliche Honorierung“, so Grethe weiter.

Er wisse, dass sich die Landwirte an die Gesetze halten, nur die seien falsch. Für die Zukunft wünscht sich der Ökonom einen proaktiv auftretenden Sektor, die Branche solle nicht alles ablehnen, weil man so politisch nicht durchdringe. „Stattdessen sollten die Bauern sagen, ja wir können Tierschutz, Naturschutz, wir können Landwirtschaft und Tierhaltung, wir haben Ideen, wie das besser geht. Und das muss dann auch kommuniziert werden. Dann sind die Landwirte aus der Zwangslage heraus. Darüber muss verhandelt werden“, betonte der Fachmann.

Zum Abschluss seines Referats forderte er einen breiten gesellschaftlichen Dialog und einen neuen Gesellschaftsvertrag. Bei Thema Tierwohl seien Finanzierungsinstrumente nötig. Und das müsse 2020 entschieden werden, sonst wird der Umbau der Landwirtschaft die deutschen Bauern auf dem Weltmarkt massiv benachteiligten.

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Prof Spiller: Konzept „Frag den Landwirt“ nicht geeignet

Prof. Achim Spiller von der Uni Göttingen ging in seinem Vortag kurz auf die bekannte Umfrage ein, wonach die Bürger den Landwirt als zweitbeliebtesten Beruf ansehen – nach dem Arzt auf Platz 1. Schlecht in den Augen der Verbraucher komme dagegen die Agrar- und Lebensmittelwirtschaft weg, besonders defizitär seien der Fleischsektor sowie das Agribusiness. Schon etwas besser sei der Ruf der Molkereiwirtschaft.

In seinem Fachbereich Agrarmarketing habe Spiller festgestellt, dass echte Stallsysteme besonders große Akzeptanzprobleme haben, die Bürger wollten stattdessen Weidehaltung und geringere Bestände. „In der Vergangenheit hat die Landwirtschaft ihre Position häufig nur sehr reaktiv eingestellt. Die künftige Landwirtschaft braucht aber Zielbilder, welche Ställe in der Zukunft gewünscht sind“, so Spiller. Das Konzept des Netzwerks „Frag den Landwirt“ hält er hierbei für eine nicht geeignete Form, um eine Diskussion anzustoßen. „Das Problem ist die Bürger-Verbraucher-Lücke, die Consumer Citizen GAP:

Spiller kann nach eigenem Bekunden den Frust der Leute verstehen, aber man müsse die Branche jetzt in diese Richtung drängen. Wie etwaige Lösungen aussehen könnten, diskutierten dann die geladenen Gäste unter Moderation von top agrar-Berlinkorrespondentin Stefanie Awater-Esper.

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D I S K U S S I O N

Johanna Mandelkow, Organisatorin der “Land schafft Verbindung” (LsV) Demos in und um Berlin, berichtete über ihre Motivation. Die Bauern wollten gesehen werden und Gehör finden. Mit den Aktiven bei „Wir haben es satt“ (Whes) könne man durchaus in den Dialog treten, wobei die größten Differenzen sicher beim Insektenschutz und dem Pflanzenschutzmitteleinsatz lägen.

Ihr Mitstreiter Thomas Andresen (LsV – Deutschland) möchte dagegen endlich wissen, was die Gesellschaft denn für eine Landwirtschaft will. „Ich bin im Grunde auch für eine Agrarwende, nur habe ich eine andere Vorstellung davon“, machte er deutlich. „Die Bauern, die noch da sind, sollen die Chance haben, Bauer zu bleiben“, brachte er es auf eine einfache Formel. Dabei seien die Berufskollegen durchweg bereit, Änderungen mitzugehen, wenn sie davon leben können. Auf jeden Fall gelte es jetzt, schnell den Strukturwandel abzubremsen.

Dass er hier in der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung auf dem Podium sitze, könne man doch als Zeichen und Erfolg werten, dass die Bauern gesprächsbereit seien. „Wir hatten ernsthaft an eine Zusammenlegung der LsV-Demo mit Whes gedacht. Doch bei denen sind Parolen, die sich für einige Bauern anhören, als wolle Whes die Landwirtschaft abschaffen“, begründet er Entscheidung für eigene Aktionen am letzten Freitag.

Ilchmann: „Viele Bauern haben resigniert“

Die Rolle des Mittlers zwischen zwei Ansichten übernahm in der Diskussion der Milchbauer Ottmar Ilchmann, der u.a. für den BDM, die AbL und Whes sehr aktiv ist, die Sorgen der Berufskollegen von LsV aber auch genau kennt und nachvollziehen kann. Es habe ihn schon „gejuckt“, auch bei LsV mitzumachen, sagte er. „Das ist alles besser als diese Friedhofsruhe zuvor. Viele Bauern haben schon resigniert. Sie stehen unter gewaltigem Druck, ganz viele planen den Ausstieg“, so der Praktiker. Er finde LsV gut, diese Gedanken müssten jetzt aber weiter gesponnen werden. Denn bei der Düngeverordnung und dem Agrarpaket biete LsV bislang keine Lösung, stattdessen sei Ziel, Änderungen komplett zu verhindern, meint er.

Jörg-Andreas Krüger vom NABU vertrat wortgewandt die Position der Naturschützer. Seiner Meinung nach müsse jetzt Schluss sein mit Flyern und Studien. Statt schwarz/weiß-Denken seien Dialoge im regionalen Kontext notwendig. Er sprach weiter von „40 Jahren Versagen in der Agrarpolitik“ und das er in den regierenden Parteien niemanden sehe, der Lust auf neue Ideen habe. „Es passiert nichts, weil keiner der Erste sein will“, so Krüger.

Das griff Prof Spiller auf. Er hält es für wichtig, dass es jetzt auch im Bauernverband eine Debatte gibt. „Denen muss doch klar sein, dass es so nicht weitergehen kann. Da ist jetzt ein langsamer Wandel nötig“, so der Wissenschaftler.

Düngeverordnung

Rege diskutiert wurde weiter die Düngeverordnung. Aus seiner praktischen Arbeit in Moorgebieten berichtete Thomas Andresen von der Spirale, die die erzwungene Unterdüngung der Pflanzen hervorrufe. Denn da er sich in seinen Anträgen immer auf die Düngemenge des Vorjahres beziehen müsse, sinke die erlaubte Düngung so von Jahr zu Jahr, so seine Befürchtung. Und Johanna Mandelkow berichtete, dass eine Unterdüngung den Humusaufbau verhindere, was der Saal mit einem Raunen ungläubig quittierte.

Ottmar Ilchmann sieht die Schuld für die aktuelle Lage bei der Berufsvertretung und der Politik, die sich „in unheiliger Allianz“ lange dem Thema verweigert und gebremst hätten. „Und jetzt ist keine Zeit mehr um Details zu diskutieren. Ich habe auch den Eindruck, dass vieles bei der Düngung der Bauern aus Angst geschieht, was falsch zu machen mit negativen Folgen für den Ertrag“, vermutet Ilchmann. Eine bessere Beratung könne die Düngung deutlich optimieren, glaubt er.

Krüger vom NABU fragte, wieso die Bauern erst jetzt in die Diskussion einsteigen, wo es fünf vor zwölf sei. Die klare Antwort von Andresen: „Der DBV sagte immer, wir haben das Thema im Griff“.

Pflanzenschutz

Als nächstes sprach Stefanie Awater-Esper den Pflanzenschutz an. Die Bauern fordern bekanntlich eine Ausweitung des kooperativen Umweltschutzes statt verschärftem Ordnungsrecht. Das kann der NABU-Vertreter nicht unterschreiben. Seiner Meinung nach wirtschaften die Bauern in Schutzgebieten kaum anders als auf konventionellen Schlägen. Er spricht sich daher für ein komplettes Spritzverbot in solchen Gebieten aus. Zudem bemängelt er, dass jedes Bundesland Landschaftsschutzgebiete und die darin geltenden Regeln eigenständig definiere. Dadurch ergäben sich deutliche Unterschiede beim Schutz. Ziel müsse es insgesamt sein, wieder mehr Habitate und Strukturen in die Landschaft zurückzubringen. Eine Lösung könnten betriebsübergreifende Projekte sein.

Noch viel Potenzial bei der Extensivierung sieht auch AbL-Vertreter Ilchmann. „In der Gesamtfläche brauchen wir eine insektenfreundliche Wirtschaftsweise, das machen auch schon viele Kollegen, etwa mit der Weidehaltung. Nur sowas sieht die Politik gar nicht. Was ist denn mit einer dauerhaften Weideprämie“, fragt der Niedersachse. Weitere Maßnahmen sieht er in vielfältigen Fruchtfolgen, in Schlaggrößen und Randstreifen. In der ganzen Diskussion müsse aber vermieden werden, die alten und eigentlich überwundenen Konflikte Öko gegen Konventionell wieder aufzuwärmen.

EU-Agrarreform: Umweltprogramme sind überzeichnet

Insgesamt verdeutlichten alle anwesenden praktischen Landwirte, dass sie bereit wären für einen Umbau. Andresen kritisierte jedoch, dass z.B. in seinem Bundesland Schleswig-Holstein alle Umweltprogramme viel zu schnell überzeichnet wären. Daher reiche das bloße Umschieben von Mitteln aus einem Topf in den anderen nicht, es müsse einfach mehr Geld her, dann würden viel mehr Landwirte die Programme nutzen.

Auf die Agrarreform angesprochen rechtfertigte Andresen gegenüber den Zuhörern aus dem grünen Lager die Reaktion vieler Landwirte auf die Vorschläge: „Vordergründig geht uns jetzt einer ans Geld, wir wissen nicht, wieviel uns genommen wird und was mit dem Geld passiert. Ich kann nicht planen. Gibt es denn überhaupt die Chance für mich, durch Maßnahmen die volle Prämie künftig noch wiederzubekommen? Ich weiß es nicht.“

Das bestätigt auch Ilchmann. „Wir haben es hier mit einem ganz extremen Politikversagen und einer Politikverweigerung zu tun. Die Regierung weigert sich, die längst vorhandenen Erkenntnisse und Lösungsvorschläge anzunehmen und in die Umsetzung zu geben.“ Und zu den Lebensmittelpreisen sagte er: „Wir können nicht auf dem Rücken der Landwirte Sozialpolitik betreiben, dann müssen halt die Hartz4-Sätze angehoben werden".

In der weiteren Diskussion fragte Andresen, warum die Landwirtschaft nicht am CO2-Zertifikatehandel teilnehmen dürfe.

Am Ende des gelungenen Abends waren sich alle Seiten einig, dass es Bauernverband und Politik gewesen seien, die für die heutige Misere verantwortlich seien. Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung sowie von Naturschutzverbänden lobten die offenen Worte und den begonnenen Dialog mit den konventionellen Bauern. Die Ziele und Wünsche seien ja gar nicht so weit entfernt.

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