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Miersch: „Wir brauchen eine Definition von Tierwohl“

Die SPD wehrt sich gegen den Vorwurf, eine Blockadehaltung beim Umbau der Tierhaltung einzunehmen. Fraktionsvize Miersch plädiert für einen „ganzheitlichen Ansatz“ und mehr Flächenbindung.

Lesezeit: 9 Minuten

Corona-Fälle in Schlachtbetrieben, Schweinestau in den Ställen, das ASP-Geschehen in Brandenburg. Welche Auswirkungen hat diese brisante Lage auf das Thema Umbau der Tierhaltung?

Miersch: Wir sehen daran, dass die Exportorientierung auch ein Problem darstellen kann. Die Philosophie der letzten Jahre eines immer Höher und Weiter kommt zunehmend an ihre Grenzen. Wir müssen zu einem Paradigmenwechsel kommen, weil wir sehen, dass unser System sehr anfällig ist. Es überfordert Mensch, Tier und Umwelt. Es beutet Menschen im Bereich der Schlachtindustrie aus und stellt die Landwirte unter großen Druck.

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Wenn diese Krise Missstände offenbart, warum finden SPD und Union, obwohl es schon einen gemeinsamen Antrag zur Umsetzung der Borchert-Vorschläge gibt, nicht zusammen?

Miersch: Ganzheitliche gesellschaftspolitische Ansätze werden seit Jahren negiert. Weite Teile der CDU/CSU erlebe ich nach wie vor so, dass sie Flickschusterei betreiben wollen, anstatt einen gesellschaftlichen Konsens zur Zukunft der Tierhaltung zu suchen. Wenn ich allein nur das Baurecht ändere und das Immissionsrecht ausklammere, bringt das den Landwirten und auch der Umwelt wenig. Und wenn ich, wie Teile der Union es wollen, lediglich den unbestimmten Rechtsbegriff Tierwohl in das Baugesetzbuch aufnehme, werde ich keine Rechts- und Planungssicherheit für Landwirte schaffen, sondern Gerichten die Definition von Tierwohl überlassen.

Ich weise diese Vorwürfe entschieden zurück. - Miersch

Der Bauernverband und Teile der CDU/CSU-Fraktion werfen aber der SPD eine Blockadehaltung vor.

Miersch: Ich bin wirklich mehr als enttäuscht, dass der Deutsche Bauernverband nach wie vor einen Lobbyismus betreibt, der in keiner Weise zielführend ist. Deswegen weise ich diese Vorwürfe entschieden zurück. Die SPD macht eine zielorientierte Politik mit ganzheitlichem Ansatz. Für uns stehen die Landwirte, die Umwelt und die gesamte Gesellschaft im Mittelpunkt.

Sind es die Details, auf die Sie sich im Baurecht nicht einigen können, oder lehnen Sie den gesamten vorliegenden Gesetzentwurf zur Verbesserung des Tierwohls in Tierhaltungsanlage ab?

Miersch:Mit der jetzt vorliegenden Änderung im Baurecht erreiche ich nur die großen gewerblichen Betriebe. Für sie soll die Mitsprache von Kommunen aus dem Jahr 2013 wieder aufgehoben werden. Wir haben seit einigen Wochen eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zur Flächenbindung. Darin sagt das OVG, dass die Flächen für den Futtermittelanbau nur theoretisch vorhanden sein müssen und praktisch kein Futteranbau betrieben werden muss. Das ist aus meiner Sicht eine fatale Entwicklung, die weiter Betriebe von der Fläche entkoppelt. Ist es vor diesem Hintergrund sinnvoll, wenn wir jetzt die landwirtschaftlichen Betriebe wieder benachteiligen, indem wir große Gewerbebetriebe mit einer solchen Gesetzesänderung bevorzugen? Das zweite Thema ist, dass im Gesetzentwurf bisher von Tierwohl ganz allgemein gesprochen wird. Alle Experten, die wir auch gemeinsam mit der CDU/CSU gesprochen haben, haben uns gesagt, dass diese Formulierung mit einem unbestimmten Begriff eher für Rechtsunsicherheit und eben nicht für mehr Planungssicherheit sorgt. Und drittens, wenn es um die Erfüllung des Urteils und der Rechtsänderung beim Kastenstand geht, dann kann ich mir vorstellen, dass es auch eine andere sehr konkrete Regelung gibt, die Landwirte baurechtlich fördert, wenn sie in den Umbau ihrer Sauenställe investieren wollen.

Ich halte die Flächenbindung für essenziell. - Miersch

Wollen Sie jetzt noch über die Baurechtsänderung die Flächenbindung wieder stärken?

Miersch: Ich halte die Flächenbindung für essenziell. Sie ist dringend notwendig nach dem Urteil des OVG Lüneburg. Wenn wir die Flächenbindung weiter so schleifen lassen wie bisher, werden wir nur noch große Agrarfabriken unterstützen und nicht mehr den landwirtschaftlichen Betrieb, der vor Ort eingebunden ist. Wir sollten diese Gerichtsentscheidung zum Anlass nehmen, um die Definitionen zu verändern, welche Betriebe wir beim Umbau für mehr Tierwohl unterstützen und die Rechtsbegriffe zum Tierwohl klar bestimmen.

Die Union will im Baurecht nicht nur Umbauten, sondern auch Ersatzneubauten privilegieren, wenn die Tierzahl sich nicht erhöht. Oft lässt sich Tierwohl in neuen Ställen besser umsetzen als in alten. Unterstützen Sie denn das?

Miersch: Da habe ich große Zweifel. Weil damit das nächste Fass aufgemacht wird, ohne das andere zu klären. Ich habe den Eindruck, dass Frau Breher, die ja auch an die Erweiterung der Stichtage denkt, andere Betriebe im Blick hat, die wir nicht im Blick haben. Solche, die sich eher zu Agrarfabriken entwickeln. Wir haben den Anspruch, den landwirtschaftlichen Betrieben unter die Arme zu greifen, die durch ihre Bindung in der örtlichen Gemeinschaft etwas für Tierwohl machen wollen. Denen wollen wir helfen, die baurechtlichen Voraussetzungen zu bekommen.

Beim Immissionsschutzrecht gibt es jetzt einen Weg zu einem Kompromiss. Worin besteht der?

Miersch: Ich höre aus den Ministerien, dass es beim Immissionsschutzrecht jetzt zaghafte Annäherungsversuche und Erfolge zwischen dem Bundesumweltministerium und dem Bundeslandwirtschaftsministerium gibt. Auch da hätte ich mir vom Bundeslandwirtschaftsministerium von Anfang an eine Offenheit für eine ganzheitliche Lösung gewünscht.

Wenn wir die TA-Luft dafür nachjustieren müssen, dann werden wir das auch machen. - Miersch

Wenn die TA-Luft schon jetzt höhere Emissionen für Außenklimaställe zulässt, wie das BMU argumentiert. Warum kommt das in der Praxis dann nicht an?

Miersch: Wir sind dabei, mit den betroffenen Betrieben zu ergründen, woran es meistens scheitert. Es scheint so, dass es häufig nicht an der Rechtsgrundlage scheitert, sondern an deren Umsetzung und Auslegung vor Ort. Wenn das Immissionsrecht aktuell ein Hemmnis ist, dann ist es umso wichtiger, jetzt nicht das Baurecht allein, sondern beides zusammen anzusehen. Ich kenne Stallkonzepte, die Tierwohl und Umwelt in Einklang bringen. Wenn wir die TA-Luft dafür nachjustieren müssen, dann werden wir das auch machen.

Schafft die Koalition eine Einigung auf Bau- und Immissionsschutzrecht noch vor der Bundestagswahl?

Miersch: Die SPD hat das Bundeslandwirtschaftsministerium dazu getrieben, die Borchert-Kommission endlich ernst zu nehmen. Im Januar wollen die Arbeitsgruppen der Borchert-Kommission mit den ausstehenden Details fertig sein. Dann habe ich überhaupt keine Probleme, die notwendigen Konsequenzen im Baurecht sowie im Immissionsrecht als ganzheitliche Lösung zu machen. Weil wir dann sowohl eine Definition von Tierwohl als auch den gesellschaftlichen Konsens dazu haben, den wir brauchen.

Warum behandelt der Bundestag das Tierwohlkennzeichen, dass die Bundesregierung vorgelegt hat, nicht?

Miersch: Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass wir für ein verbindliches und verpflichtendes Label sind. Das ist gerade für die deutschen Landwirte wichtig, weil wir leider im europäischen Bereich keinen einheitlichen Tierschutzstandard haben. Mit der verpflichtenden Kennzeichnung wird der höhere Standard gegenüber dem Verbraucher klar und auch gegenüber ausländischen Wettbewerbern, die diese Standards nicht erfüllen.

Europäische Landwirte können sich am verpflichtenden Label in Deutschland natürlich in allen Stufen beteiligen. - Miersch

Das BMEL sagt, die Verpflichtung geht EU-rechtlich nicht. Die Borchert-Vorschläge legen für das freiwillige Label nur einen Übergang bis 2025 bis zu einem EU-Label fest. Warum reicht Ihnen das nicht als Kompromiss?

Miersch: Europäische Landwirte können sich am verpflichtenden Label in Deutschland natürlich in allen Stufen beteiligen. Es gibt im Bundeslandwirtschaftsministerium immer zwei Argumente, wenn das Ministerium etwas nicht will: Das geht europarechtlich nicht, oder es verstößt gegen die Verfassung. Das lasse ich nicht gelten. Frau Klöckner hat Gestaltungsspielraum und sollte auch mal etwas versuchen und mit der EU-Kommission in Diskussionen treten. Derzeit hat sie sogar die europäische Ratspräsidentschaft inne, da könnte sie mal um eine Allianz der Willigen ringen.

Wie stehen Sie zu den Finanzierungsvorschlägen der Borchert-Kommission? Sind Sie ein Unterstützer der Tierwohlabgabe auf Fleisch und Milch?

Miersch: Wer mehr Standards von Landwirtinnen und Landwirten will, muss auch für die Finanzierung sorgen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Alle Vorschläge der Borchert-Kommission zur Finanzierung sind nachdenkenswert. Aber wir haben bereits hohe Milliardenbeträge im System. Diese Versickern derzeit zwischen Produktion und Kauf in großen Schlachtbetrieben und großen Einzelhandelsketten. Wir haben eine Agrarsubventionspolitik auf europäischer Ebene, die Qualität an vielen Stellen nicht fördert, sondern Masse. Wenn wir jetzt die Wertschöpfungsketten und die Agrarsubventionspolitik anpacken und danach für die Anforderungen an die Tierhaltung der Zukunft immer noch ein Bedarf zur Finanzierung besteht, dann bin ich auch sehr gerne bereit, über Abgaben und weiteres zu reden. Wir müssen das in den Strukturen kranke System verändern.

Wenn der Umbau der Tierhaltung aus den EU-Agrarzahlungen bezahlt werden soll, fehlen dann nicht die Mittel für die großen Herausforderungen Klimaschutz und Biodiversität, die im Ackerbau zu lösen sind?

Miersch: Ich verweigere mich dieser Debatte nicht. Aber allein mehr Geld im System bringt den konventionellen Landwirten nichts. In dem Punkt bleibt mir auch die Borchert-Kommission zu vage. Ich bin bereit und kann das auch für die SPD-Bundestagsfraktion sagen, dass wir noch in dieser Legislaturperiode wirklich die notwendigen Weichen für einen ganzheitlichen Ansatz stellen.

Ich habe überhaupt keine Neigung, diese Fragen in die nächste Periode zu schieben. - Miersch

Sie schieben das also nicht als Wahlkampfthema auf?

Miersch: Auf keinen Fall. Wir haben das im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich habe überhaupt keine Neigung, diese Fragen in die nächste Periode zu schieben. Da sind wir den Landwirten und den Verbrauchern noch eine Antwort schuldig. Manchmal ist großer Druck gut. Ich spüre jetzt, dass viele zu Veränderungen bereit sind. Sobald alle Arbeitsgemeinschaften der Borchert-Kommission ihre Ergebnisse vorgelegt haben, können wir uns sofort an die gesetzgeberische Umsetzung machen und all die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen für den Umbau der Tierhaltung schaffen.

Die Borchert-Kommission will bis 2030 den gesetzlichen Standard auf die Stufe 1 des Tierwohlkennzeichens und bis 2040 auf die Stufe 2 erhöhen. Gehen Sie da mit?

Miersch.Noch sind die Haltungsstandards für Rind und Geflügel bei der Borchert-Kommission in Arbeit. Bis Januar wollen sie damit fertig sein. Dann schauen wir uns das an. Mein Ziel wäre es, diese Empfehlungen weitestgehend umzusetzen.

Mit den höheren Platzvorgaben werden die Tierzahlen sinken. Kann die Landwirtschaft damit ihren Klimaschutzbeitrag erreichen?

Miersch: Immer höhere Bestände führen in eine Sackgasse. Aber jede Begrenzung von Tierbeständen muss einhergehen mit der Frage, wann ist das noch wirtschaftlich und wann nicht? Viele Tiere heißt nicht unbedingt umweltschädlicher. Auch als Umwelt- und Klimapolitiker habe ich die Aufgabe, einem Landwirt nicht etwas zu diktieren, das dazu führt, dass er in den Ruin geht. Die Preissignale und Preisgestaltung gehören mit in das Portfolio, das eine Rolle spielt und über das ich rede.

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