Der US-Zollstreit hat seit der vergangenen Woche für Unruhe und einen Einbruch an den Börsen gesorgt. Das ist nach Einschätzung von Volkswirt Prof. Marcel Fratzscher aber nur ein Vorgeschmack auf die umwälzenden Veränderungen, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf Ökonomien und Gesellschaften zukommen.
Fratzscher: Gleich drei Transformationen zu bewältigen
Auf der Agrarfinanztagung des Deutschen Bauernverbandes (DBV) und der Landwirtschaftlichen Rentenbank stellte Fratzscher am Dienstag in Berlin klar: „Die Gesellschaft und auch jedes Unternehmen, jede Branche stand in den letzten 75 Jahren vielleicht nie vor so einer schwierigen Herausforderung wie heute. Weil wir nicht eine große Transformation bewerkstelligen müssen, sondern drei gigantische Transformationen, mehr oder weniger zeitgleich.“
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) meint damit die Globalisierung, die technologische Entwicklung, beispielsweise bei KI, und zudem die soziale Transformation, die gerade in Deutschland mit Migration, demografischem Wandel und Fachkräftemangel besonders stark einschlägt. Alle diese Entwicklungen werden nach Fratzschers Überzeugung wirtschaftlich und sozial tiefgreifende Veränderungen erforderlich machen, wobei er gerade die nächsten Jahre als entscheidend für die richtigen Weichenstellungen ansieht.
Fratzscher wirbt dennoch für eine positive Perspektive auf diese Herausforderungen. Werden sie klug angegangen, bestehe eine gute Chance für langfristig positive wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen. Die richtigen Voraussetzungen dafür habe Deutschland, nicht zuletzt mit seiner krisenstabilen mittelständischen Wirtschaft und seinem funktionierenden Rechtsstaat.
Balmann: Landwirtschaft muss sich von „süßem Gift“ verabschieden
Auch der Agrarsektor wird sich diesen Veränderungen nicht entziehen können. Hinzu kommen die eigenen Herausforderungen: Sicherung der Lebensmittelversorgung bei gleichzeitiger Schonung der natürlichen Ressourcen. Weltwirtschaftskrisen und gestörte Handelsbeziehungen schlagen da natürlich besonders kräftig zu Buche.
Vor diesem Hintergrund kann Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, Prof. Alfons Balmann, der deutschen Landwirtschaft einige „unbequeme Wahrheiten“ nicht ersparen: Sein Postulat: Die deutschen Landwirte sind einem „süßen Gift“ ausgesetzt, das wichtige Anpassungsprozesse verhindert.
„Süßes Gift“ sind für Balmann beispielsweise die Direktzahlungen, die Agrardiesel-Rückerstattung, aber auch Agrar-Privilegien beim Erb- und Steuerrecht. Die stabilisieren nach Einschätzung des Iamo-Direktors nicht nur teils ineffiziente Produktionsstrukturen und verteuern Boden- und Pachtmärkte, sondern seien auch mit gesellschaftlichen Kosten von schätzungsweise 10 Mrd. € pro Jahr verbunden.
Einkommensfokussierung der GAP nicht mehr zeitgemäß
Balmann hält die Einkommensfokussierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für „nicht mehr zeitgemäß“, räumt aber ein, dass viele Betriebe nach wie vor auf diese Zahlungen angewiesen sind. Dennoch hält er es für richtig, solche Abhängigkeiten beispielsweise zu Gunsten neuer wirtschaftlicher Perspektiven abzubauen. Die könnten laut dem Agrarökonomen unter anderem in Formen „nachhaltiger Produktivität“ gefunden werden.
Voraussetzungen dafür sind für den Agrarwissenschaftler mehr Eigenverantwortung und eine verstärkte Digitalisierung der landwirtschaftlichen Produktion. Hier sieht er aber auch die Politik am Zug, die Voraussetzungen für eine tragfähige Infrastruktur zu schaffen. Deutschland hat in dem Punkt weiter großen Nachholbedarf. Balmann: „Wenn in Kasachstan oder im Pamir an jeder Ecke 5G anliegt, fragt man sich, was ist in Deutschland los.“
Landwirtin Gäbert: Schluss mit dem Generalverdacht gegen Tierhalter
Das fragt sich auch die Landwirtin und Geschäftsführerin der agr Agrar GmbH Trebbin, Jana Gäbert. Sie selbst sei kürzlich daran gescheitert, ein Sensorsystem für Tiergesundheit in ihrem Betrieb einzusetzen, weil die Uploadgeschwindigkeit vor Ort einfach nicht ausreicht, berichtete sie. Solche Hürden begrenzen aus ihrer Sicht viele Landwirte in ihrem eigenen Engagement für mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen.
Beim Thema Tierwohl beklagt Gäbert noch eine weitere Fehlentwicklung: Den Wildwuchs bei Labels und Zertifikaten. Das sorge für einen unheimlichen Aufwand bei der Auditierung und Dokumentation, dabei gäbe es eine einfache Lösung, die relativ leicht umzusetzen wäre: Alle Siegel, die von den Anforderungen unterhalb von Q+S rangieren, könnten die Erfüllung von Q+S akzeptieren und auf eigene Prüf- und Dokumentationsstrecken verzichten. Dann wäre vielleicht auch Schluss mit „eine Woche, fünf Kontrollen“ und dem Gefühl unter „Generalverdacht“ zu stehen, so die Geschäftsführerin.
Dringend reformbedürftig ist für Gäbert auch das Genehmigungsverfahren für landwirtschaftliches Bauen. Sie verweist dazu auf ein Silobauprojekt ihres Betriebs, das zweieinhalb Jahre in der Ämterschleife hing und wegen der Verzögerung am Ende fast doppelt so teuer wurde wie geplant. Die Landwirtin ärgert sich zudem über starre Vorgaben, etwa beim Artenschutz auf dem Grünland und würde sich hier mehr Ermessensspielraum wünschen.
Kersten: „Praktikabel und schlank“ Leitlinien der Bundesregierung
Da hätte die Politik ein Wörtchen mitzureden. Und wenn es nach Dr. Franziska Kersten geht, soll sich hier auch einiges ändern. Die SPD-Bundestagsabgeordnete hatte den Vorsitz der Agrar-Sondierungskommission und verspricht: „In unserem Koalitionsvertrag werden öfter die Wörter ‚praktikabel‘ und ‚schlank‘ auftauchen.“ Das werde hoffentlich auch für Genehmigungsverfahren und Tierwohlumbau so sein, da dort zugegebenermaßen viel Handlungsbedarf bestehe. Klar sei auch, dass Projekte in diesen Bereichen Planungssicherheit für die nächsten 20 Jahre brauche.
Ansonsten ließ sich Kersten in puncto Koalitionsvertrag agrarpolitisch nicht in die Karten schauen. Nur so viel: „Wir sind durch in unserem Bereich.“ Sie sei zuversichtlich, dass sich aus diesem Paket Entwicklungsmöglichkeiten für die Landwirtschaft und die Betriebe im ländlichen Raum ergeben.