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Nitratbericht: Nebulöses Zahlenwerk

Ein Drittel des deutschen Grundwassers sei mit Nitrat verseucht, entnahmen die Medien dem Nitratbericht 2016 der Bundesregierung. Stimmt das? Wir haben nachgerechnet. Für Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (64, SPD) ist die Angelegenheit klar: „Die intensivierte Landwirtschaft kommt uns teuer zu stehen.

Lesezeit: 5 Minuten

Ein Drittel des deutschen Grundwassers sei mit Nitrat verseucht, entnahmen die Medien dem Nitratbericht 2016 der Bundesregierung. Stimmt das? Wir haben nachgerechnet.

 

Für Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (64, SPD) ist die Angelegenheit klar: „Die intensivierte Landwirtschaft kommt uns teuer zu stehen.“ So kommentierte sie im Januar den Nitratbericht, den ihr Ministerium (BMUB) zusammen mit Umweltbundesamt (UBA) und Landwirtschaftsministerium verfasst hatte. 28 % der Grundwasser-Messstellen hätten zwischen 2012 und 2014 Nitratgehalte oberhalb des Zielwertes von 50 mg/l verzeichnet. Doch der Bericht ist gespickt mit wackeligen Zahlen. Uns fiel auf:


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1. Fokus auf Problemstellen gelegt


Bis zum Nitratbericht 2012 griff die Bundesregierung auf das sogenannte „Belastungsmessnetz“ zurück. Die Messstellen lagen in Grundwasserkörpern, von denen bekannt war, dass dort hohe Nitrateinträge vorkamen. Der Anteil der „roten“ Messpunkte lag bei fast 50 %. So kam es zu der Behauptung, in der EU habe nur Malta ein größeres Nitratproblem als Deutschland. In Wirklichkeit verfügten alle anderen EU-Staaten über ein repräsentativeres und dichteres Messnetz als Deutschland und vergrößerten ihr Problem so nicht künstlich.

 

Diese alte Verzerrung könnte zum Teil auch in den aktuellen Bericht eingeflossen sein. Zwar hat die Regierung nun erkannt, dass das alte Netz „nicht flächenrepräsentativ“ war. Für die Berichterstattung an die Europäische Umweltagentur (EUA) erhöhte sie die Zahl der Messstellen daher von 160 auf 1 207. Ob sie die neuen Stellen jedoch so auswählte, dass diese die Verzerrung vollständig aufhoben, bleibt unklar. Denn dafür müsste man u. a. wissen, wie hoch die Belastung an den neuen Messstellen ist. Doch wie das BMUB top agrar zu Protokoll gibt, müsse man dafür erst aufwendig Daten auswerten und könne derzeit keine Angaben machen.


2. Messnetz nicht korrekt verteilt


Im neuen EUA-Messnetz lag die Zahl der Problem-Messstellen bei 18  %. Doch selbst wenn diese Zahl keiner Verzerrung mehr durch die alten Belastungsmesspunkte unterläge, wäre sie dennoch zu hoch. Denn das EUA-Netz ist mitnichten repräsentativ für Deutschland. Wie uns das BMUB mitteilt, liegen 49 % der Messstellen unter Acker, wo naturgemäß mehr Nitrat anfällt als unter anderen Flächen. Der Anteil Ackerlandes an Deutschland liegt aber nur bei 38 %.

 

Um diesen Fehler in Zahlen zu fassen, hilft ein Blick in die Vergangenheit: Von der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser gibt es eine Statistik zu Nitratgehalten unter verschiedenen Landnutzungen von 2010. Rechnet man diese auf die wahren Flächenanteile hoch, ergibt sich eine Grenzwertüberschreitung an ca. 13,5 % der Messstellen. Weil sich seither wenig änderte – schon 2008 bis 2011 lag der Wert im heutigen EUA-Netz bei 18 % – dürften die 13,5 % näher an der Realität liegen als 18 %.


3. Nur im oberflächennahen Grundwasser gemessen


Und es gibt weitere gravierende Unsicherheiten. So liegen die deutschen Messstellen nur im oberflächennahen Grundwasser, um neue Einträge schnell erfassen zu können. Doch dort ist der Nitratgehalt oft um ein Vielfaches höher als im Rest des Grundwassers, wie auch das BMUB auf Anfrage bestätigt.


4. Aus 18 % „ein Drittel“ gemacht


Der wahre Anteil der belasteten Grundwasserkörper liegt somit vermutlich nicht bei 18 %, sondern deutlich unter 13,5 %. In ihrer Pressemitteilung zum Nitratbericht führte Hendricks dann jedoch ohnehin das „Teilmessnetz Landwirtschaft“ an. Dieses besteht aus 692 Messpunkten im EUA-Messnetz, die allesamt unter Acker oder Grünland liegen. Es dient der Berichterstattung an die EU über Fortschritte bei der Verringerung der Gewässerbelastung. 28 % der Messstellen überschritten den Grenzwert. Aus der Pressemitteilung war der Unterschied zwischen den Netzen jedoch kaum herauszulesen. Zudem rundete Hendricks die 28 % zu „fast einem Drittel“ auf. Die meisten Medien schlossen daraus, ein Drittel des Grundwassers sei belastet.


Statistikern zu kompliziert


Auch bei Menschen, die sich mit Statistik auskennen, hinterließ der Nitratbericht wohl ein flaues Gefühl im Magen. Fast kürten drei deutsche Professoren das Werk im Januar zur „Unstatistik des Monats“. Der beteiligte Statistiker Prof. Walter Krämer von der Technischen Universität Dortmund nennt gegenüber top agrar als Grund die „fehlende Repräsentativität der Stichprobe.“

 

Letztlich räumten Hendricks und Schmidt den Titel aber doch nicht ab. Der Nachweis wäre zu kompliziert gewesen, so Krämer. Offenbar fällt es sogar Fachleuten schwer, das Werk der Bundesregierung zu durchblicken.


Problem oder nicht?


Bleibt festzuhalten: In Deutschland gibt es punktuell hohe Nitrateinträge in das Grundwasser. Ob das auch flächendeckend so ist, weiß derzeit niemand. Eine zuverlässige Statistik der Bundesregierung gibt es dazu nicht. Hendricks und Schmidt sollten bald noch einmal nachrechnen.

Claus Mayer

 

Unsere ausführlichen Berechnungen und Anmerkungen des BMUB finden Sie unter www.topagrar.com/nitrat


Nitratbelastung der Länder





Die Nitratbelastung hängt nur zu 12 % vom N-Überschuss ab.


Kaum Einfluss von Viehbesatz auf Nitratgehalt


Hendricks forderte bei der Vorstellung des Nitratberichtes im Januar einen effizienteren Einsatz von Stickstoffdüngern. So könne man Nitratauswaschungen ins Grundwasser vermeiden. Einen speziellen Fokus auf Gülle oder Mineraldünger legte sie dabei nicht. Zuvor hatte im September der Westdeutsche Rundfunk (WDR) den Nitratbericht noch anders kommentiert, nachdem ihm dieser vorab zugespielt worden war. Im Beitrag „Gülle im Glas“ stand für die öffentlich-rechtlichen Journalisten fest: „Schuld ist die Massentierhaltung“. Das Wasser auf „einem Drittel der Fläche Deutschlands“ sei in einem schlechten ökologischen Zustand.

 

Zudem kommentierte Bärbel Höhn, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, in dem Beitrag: „Auch das ist der Preis für das Billigschnitzel.“

Selbst wenn man den Zahlen im Nitratbericht vollen Glauben schenkt, ist keine dieser Aussagen und Forderungen damit begründbar.

 

Ein Vergleich zwischen den Bundesländern ergibt: Der Anteil der Messstellen mit Grenzwertüberschreitungen hängt kaum mit der Viehdichte oder dem Stickstoffüberschuss pro Hektar zusammen. Das belegen auch die Korrelationskoeffizienten: Gäbe es einen eindeutigen Zusammenhang, lägen sie bei 100 %, bei keinerlei Zusammenhang bei 0 %. Die tatsächlichen Werte von 31 % (Viehdichte) und 12 % (N-Überschuss) legen nahe, dass andere Faktoren größeren Einfluss haben.

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