Die Agrarblogger Susanne Günther (schillipaeppa.net) Bernhard Barkmann (www.blogagrar.de) und Dr. Willi Kremer-Schillings (www.bauerwilli.com) haben einen offenen Brief an Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks veröffentlicht. Anlass ist ein Treffen des Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Nahrungs- und Futtermittel (PAFF) am 19. Juli 2017 zu einer erneuten Diskussion über Glyphosat. Der Brief im Wortlaut:
„Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks,
topagrar.com meldet, dass Ihr Haus weiterhin einer EU-Neuzulassung des Herbizid-Wirkstoffs Glyphosat nicht zustimmen will. Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums bestätigte diese Information auf Twitter mit den Worten: „Mehr Negative Glyphosat-Wirkungen auf Pflanzen, Tiere & Nahrungsnetze auf den Ackerflächen sind gut belegt. Unsere Haltung ist daher unverändert.“
Ich kann diese Argumentation nicht nachvollziehen. In früheren Twitter-Dialogen mit Maria Krautzberger, der Präsidentin des Umweltbundesamtes, oder mit Jochen Flasbarth, dem Staatssekretär Ihres Hauses, wurde als Beleg stets auf eine Arbeit verwiesen, die im Auftrag des UBA erstellt worden ist. Es handelt sich dabei um die Veröffentlichung Jahn, Hötker et al. 2014: „Protection of biodiversity of free living birds and mammals in respect of the effects of pesticides“.
Ich habe mir diese Literaturstudie angesehen und musste feststellen, dass darin keine konkreten Hinweise vorkommen, dass ausgerechnet Glyphosat die Biodiversität in der Agrarlandschaft beeinträchtigt. Es geht in der Arbeit generell um die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln, das Wort „Glyphosat“ bzw. „glyphosate“ kommt auf den mehr als 500 Seiten gerade einmal 17-mal vor. Meine Quellenkritik habe ich in meinem Blog detailliert beschrieben. „Nachgehakt: Glyphosat und Biodiversität“.
Natürlich lässt Glyphosat, wie auch andere Herbizide, Pflanzen absterben und reduziert damit die Vielfalt auf dem Acker. Das tun mechanische Verfahren der Unkrautkontrolle auch und ist das Wesen jeglichen Ackerbaus, egal ob konventionell oder Bio. Wenn vor der Aussaat statt mit einem Herbizid mit dem Pflug „reiner Tisch“ gemacht wird, sind von der Ackerfläche auch sämtliche Pflanzen verschwunden. Hinzu kommt, dass durch wendende Bodenbearbeitung massiv in die Fauna eingegriffen wird.
Der WWF meldet, dass durch Pflügen 90 Prozent der Amphibien auf der Fläche getötet werden. Nicht nur aus diesem Grund hat sich in der Landwirtschaft das Verfahren der Minimalbodenbearbeitung immer weiter etabliert. Im Bio-Landbau wird der Pflug weitaus häufiger zur Unkrautbekämpfung eingesetzt.
Es erscheint mir sinnvoll, bei der Diskussion um Herbizide und insbesondere bei Glyphosat die Biodiversitätswirkung des gesamten Ackerbausystems zu betrachten und nicht nur die Wirkungen einzelner Maßnahmen. Bei einem direkten Vergleich schneiden Mulch- und Direktsaatsysteme sehr gut ab:
Regenwürmer, Laufkäfer und Spinnen profitieren davon, dass Erntereste und anderes organisches Material an der Bodenoberfläche bleiben. Neben den positiven Aspekten bei der Biodiversität hat der Verzicht auf den Pflug weitere Vorteile: Die Bodenstruktur bleibt erhalten und die Wasseraufnahmefähigkeit wird erhöht. Beides schützt vor sowohl vor Wind- als auch vor Wasser- Erosion. Auch CO2-Emissionen werden durch konservierenden Bodenbearbeitung reduziert, da sich Häufigkeit und Intensität reduziert. Das ist ein Grund, warum auch die Welternährungsorganisation der UN, die FAO, den Entscheidungsträgern in der EU empfiehlt, diese konservierende Bodenbearbeitung zu fördern.
Eine Umfrage von Göttinger Wissenschaftlern unter Landwirten hat ergeben, dass gerade die Betriebe, die auf Minimalbodenbearbeitung und Zwischenfruchtanbau setzen, auf Glyphosat eher angewiesen sind.
Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks, bitte überdenken Sie Ihre Haltung vor diesem Hintergrund noch einmal. Ansonsten würden Sie gerade die Landwirte abstrafen, die sich besonders viel Gedanken um Fruchtfolgen, Zwischenfruchtanbau, Bodenschutz, Reduzierung von Emissionen sowie die Wechselwirkungen in der Natur machen.
Im Grunde genommen geht es ja bei der jetzt anstehenden Entscheidung darum, den Zielkonflikt zwischen den positiven Effekten der reduzierten Bodenbearbeitung und dem Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel (zu denen auch Glyphosat gehört) so zu lösen, dass ein größtmöglicher Nutzen für die Umwelt erreicht wird. Wie oben geschildert stellen ja auch die Maßnahmen im Bio-Landbau einen Eingriff in die Natur dar und sind nicht folgenlos.
Ein weiterer Aspekt erscheint mir wichtig: Sollte sich Deutschland aufgrund der Uneinigkeit der zuständigen Ressorts bei der Abstimmung im EU-Expertengremium enthalten, muss wahrscheinlich die EU-Kommission alleine über die Neuzulassung von Glyphosat entscheiden. Für den Außenstehenden könnte die Kommissionsentscheidung wie ein Akt staatlicher Willkür wirken. Das schwächt das Vertrauen der Menschen in die Institutionen der Europäischen Union.
Anwendungsbeschränkungen können nach der Wirkstoffzulassung immer noch auf nationaler Ebene über Fachbehörden wie das Umweltbundesamt vorgenommen werden. Dieser Spielraum bleibt auf jeden Fall.
Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks, werden Sie bitte Ihrer Verantwortung gerecht und treffen Sie eine Entscheidung, die uns Landwirten in Deutschland die Möglichkeit erhält, die für unseren jeweiligen Standort nachhaltigste Anbaumethode zu wählen.
Mit freundlichen Grüßen
Susanne Günther, Bernhard Barkmann, Dr. Willi Kremer-Schillings"
Schmidt setzt auf wissenschaftliche Erkenntnisse
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt stellte unterdessen klar: „Die Grundlage bei der Frage der Wiedergenehmigung von Glyphosat muss die wissenschaftliche Einschätzung sein. Politik muss nach belastbaren Gesichtspunkten entscheiden. Bei richtiger Anwendung des Wirkstoffs sehen die Wissenschaftler der nationalen und europäischen Behörden keine Zweifel an der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von Glyphosat.“
Der CSU-Politiker erinnert seine Kollegin in diesem Zusammenhang an eine frühere Einigung. Am 14. April sagte Hendricks wörtlich: „Und wir haben uns verständigt, der Landwirtschaftsminister und ich: Wenn die Europäische Union entsprechend Rücksicht nimmt auf die Artenvielfalt, dann kann die Bundesregierung der Verlängerung auch zustimmen, aus meiner Sicht.“ Für die Frage der Gesundheitsschädlichkeit sei der Gesundheitsminister zuständig. Vollständiges Zitat ab Minute 43:09 in folgendem Video:
Anmerkung: Zu diesem Zeitpunkt bestand eine Einigung der Bundesregierung (BMEL, BMWi, BMUB) zur Zustimmung zu einer Wiedergenehmigung. Die Einigung enthielt eine deutliche Berücksichtigung der Belange im Hinblick auf Biodiversität/Artenschutz. Mit dieser Berücksichtigung der Artenvielfalt hat das BMUB die Einigung begründet.