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Ostendorff: "Die Grünen sind reifer geworden"

Friedrich Ostendorff betont den offenen und kooperativen Politikstil der heute verantwortlichen Agrarpolitiker. Er sieht ein: Tiefgreifende Veränderungen der Landwirtschaft gehen nur mit der Union.

Lesezeit: 16 Minuten

Einen Reifeprozess haben die Grünen nach Einschätzung des agrarpolitischen Sprechers ihrer Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, durchgemacht. "Wir sehen es in den Ländern, dass grüne Landwirtschaftsminister offener und kooperativer an Probleme herangehen, als es Leute wie ich könnten, die anders geprägt sind“, sagt der scheidende Parlamentarier im Interview mit AGRA-EUROPE.

Ostendorff räumt ein, er sei „kein Fan von Schwarz-Grün“. Für tiefgreifende Veränderungen in der Landwirtschaft müsse jedoch auch die Union „am Strang ziehen“.

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Eine maßgebliche Bedeutung für die künftige Agrarpolitik misst Ostendorff der Arbeit der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) bei. Hinter deren Verständigung dürfe man nicht mehr zurückfallen. Die Verantwortung einer künftigen Bundesregierung bestehe darin, „den Impuls aufzunehmen und nicht zu verspielen“. Artenvielfalt, der Erhalt ländlicher Strukturen und Tierwohl gehörten „ganz oben auf die Agenda“. Insbesondere beim vorgeschlagenen Umbau der Tierhaltung bestehe Handlungsbedarf. „Tierwohl kostet Geld und muss finanziert werden“, betont der Grünen-Politiker. Entscheidend sei, dass die Kosten nicht von der Landwirtschaft getragen werden könnten. Hier sei der Staat in der Pflicht. Insbesondere jungen Landwirtinnen und Landwirten sei indes längst klar, in welche Richtung es gehe: „Bessere Haltungsbedingungen in bäuerlichen Strukturen.“ Der Markt sei in dieser Frage viel weiter als die Politik.

Keine Vision und kein Kompass

Der Abgeordnete empfiehlt seiner Partei, im Falle einer Regierungsbeteiligung Anspruch auf das Bundeslandwirtschaftsministerium zu erheben, weil sich somit am ehesten Gestaltungsmöglichkeiten ergäben.

Scharfe Kritik übt Ostendorff an Amtsinhaberin Julia Klöckner. Sie habe „keine Vision und keinen Kompass, wo sie eigentlich hin will mit der Landwirtschaft“.

Der Grünen-Politiker spricht sich für eine Deckelung von Bestandsgrößen in der Tierhaltung aus und nennt für Mastschweine eine Grenze von 5.000 Plätzen. Als größtes politisches Versäumnis wertet Ostendorff, dass es nicht gelungen sei, den ungebremsten Strukturwandel insbesondere in der Milchviehhaltung und der Sauenhaltung zumindest zu verlangsamen. Umgekehrt stelle das Gentechnikgesetz der rot-grünen Koalition seinen größten Erfolg dar, weil es bis heute den rechtlichen Rahmen setze.

Seinen Parteifreunden gibt der 68-Jährige den Rat, „niemals nur über die Bäuerinnen und Bauern reden, sondern immer versuchen, mit ihnen zu gestalten“. Ernste Sorgen bereitet Ostendorff eine Tendenz zur Radikalisierung in der landwirtschaftlichen Interessenvertretung.

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Das ganze Interview

Ich sehe das historisch

Herr Ostendorff, was unterscheidet die Grünen 2021 von den Grünen 2001?

Ostendorff: Wir waren vor 20 Jahren im Abwehrkampf. Renate Künast - grün, Frau, fachfremd, aus der Stadt - stellte als Bundeslandwirtschaftsministerin die größtmögliche Herausforderung für die Vertreter der traditionellen Agrarpolitik in CDU/CSU und Bauernverband dar. Die aufgeheizte Stimmung auf dem Bauerntag 2001 in Münster ist bis heute unerreicht. Man kannte es bis dahin nicht, dass jemand auf scharfe Vorwürfe ebenso scharf reagierte. Es hat dann einige Zeit gedauert, bis man zu mittelenglischen Umgangsformen gefunden hat. Die einstige Konfrontation gibt es heute nicht mehr. Inzwischen sind grüne Spitzenpolitiker auf Bauerntagen gern gesehen.

Was haben die Grünen in der Agrarpolitik seit 2001 dazugelernt?

Ostendorff: Eine Aussage wie „wenn ihr nicht wollt, dann lass ich euch gegen die Wand laufen“, wäre heute von einem oder einer Grünen in verantwortlicher Position undenkbar.

Sind die Grünen in der Agrarpolitik erwachsener geworden?

Ostendorff: Das kann man so sagen. Die Partei ist reifer geworden, ihre Mitglieder leider auch älter.

Kommt da Wehmut auf, wenn die harten Zeiten an den Barrikaden zu Ende gehen?

Ostendorff: Die Zeiten sind heute anders. Ob sie weniger hart werden, wird sich erst nach und nach zeigen. Es muss weiter darum gefochten werden, was eigentlich die bäuerlichen Werte sind, die es zu verteidigen gilt, und um die Begründung dafür, dass wir eine starke heimische Landwirtschaft brauchen.

Was ist die Begründung?

Ostendorff: Wenn wir Artenreichtum erhalten, das Grundwasser schützen und mehr fürs Klima tun wollen, spielt „die richtige Landwirtschaft“ eine wichtige Rolle, eine falsche macht sie kaputt. Diese Betrachtung wird viel mehr in den Vordergrund rücken. Da werden manche Schlachten anders aussehen, aber geschlagen werden müssen sie trotzdem.

Was hat sich inhaltlich in der Agrarpolitik der Grünen verändert?

Ostendorff: Wir waren damals unmittelbar mit einer einschneidenden Reform der europäischen Agrarpolitik beschäftigt, weg von der Förderung bestimmter Kulturen, hin zu einer Flächenförderung mit entkoppelten Zahlungen. Heute zielt grüne Agrarpolitik insbesondere darauf ab, die Landwirtschaft in der gesellschaftlichen Debatte zu halten. Wir müssen erklären, warum und wofür Landwirtschaft die Unterstützung der Gesellschaft braucht. Fläche zu bewirtschaften reicht nicht mehr. Wer öffentliches Geld erhalten will, muss neben der Lebensmittelproduktion, weitere Leistungen erbringen. Wir debattieren das wie immer sehr intensiv, aber auch sehr inhaltlich!

Welche Rolle könnte eine schwarz-grüne Koalition in dieser Auseinandersetzung spielen, vorausgesetzt sie käme demnächst zustande?

Ostendorff: Ich sehe das historisch: Hartz IV konnte man nur mit einem sozialdemokratischen Bundeskanzler machen. Auslandseinsätze der Bundeswehr wären ohne einen grünen Außenminister kaum durchsetzbar gewesen und die Landwirtschaft wird man nur ändern können, wenn man die Schwarzen mit an Bord hat. Wären CDU und CSU in der Opposition, könnten die sich einen schlanken Fuß machen und sagen, „wir sind es nicht gewesen.“ Ich bin kein Fan von Schwarz-Grün. Aber für tiefgreifende Veränderungen in der Landwirtschaft muss auch die Union am Strang mitziehen. Wenn die sich bekennen müssen, dass sie den Weg in die Reform mitgehen, kann der Bauernverband nicht als alleiniger Bremser dastehen.

Inzwischen stellt sich die Lage allerdings genau anders herum dar: Die großen Agrarverbände bekennen sich gemeinsam mit den kleineren und den Umweltverbänden in der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) zu einer Transformation der Landwirtschaft und erwarten von der Politik, dass sie folgt. Wie überrascht waren Sie, dass sich Geschichte diesmal nicht wiederholt?

Ostendorff: Das Rezept für den Erfolg war, dass jemand von außerhalb der Branche hier moderiert hat. Diesen Erfolg erkenne ich staunend an und gratuliere Professor Strohschneider herzlich. Die Beteiligten haben sich aus ihren Schützengräben herausbewegt und das Lagerdenken ein Stückweit überwunden. Mit dem unbedingten Willen, für gegenseitiges Verständnis zu werben, hat Professor Strohschneider neue Brücken geschlagen. Die beteiligten Jugendorganisationen haben hier auch einen wichtigen Betrag geleistet.

Was bedeutet die Verständigung in der ZKL für die künftige Agrarpolitik?

Ostendorff: Hinter diese Einigung dürfen wir nicht mehr zurückfallen. Wer da jetzt weiter mauert, steht im Abseits. Die Verantwortung einer zukünftigen Bundesregierung ist es deshalb, den Impuls aufzunehmen und nicht zu verspielen. Artenvielfalt, der Erhalt ländlicher Strukturen und Tierwohl gehören ganz oben auf die Agenda. Der Strukturbruch in der Landwirtschaft braucht eine zielgerichtete Begleitung durch die Politik.

Wer Agrarpolitik gestalten will, kann das am besten in dem zuständigen Ministerium. Was rät der alte Recke seinen jungen Parteifreundinnen und -freunden, sollten diese die Gelegenheit bekommen, am Kabinettstisch zu sitzen?

Ostendorff: Sollte dieser Fall eintreten und mich jemand fragen, Umwelt oder Landwirtschaft, würde ich selbstverständlich dringend Landwirtschaft empfehlen. Dort liegt die europäische Verantwortung, dort wird Wirtschaftspolitik für den ländlichen Raum gemacht.

Und wenn niemand fragt?

Ostendorff: Ich gehe davon aus, die wissen das inzwischen selber.

In den Reihen der Grünen soll es auch die Idee geben, Landwirtschaft und Umwelt in einem Ministerium zusammenzulegen…

Ostendorff: Da spräche rein inhaltlich einiges für. Allerdings muss man die politische Realität anerkennen, es wird bei zwei Ministerien bleiben. Aber als Denkmodell gehört alles in ein Ressort. Ob allerdings das Umweltministerium an allem teilhaben muss, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich denke nur an das Gezerre zwischen den beiden Ministerien beim Insektenschutz.

Sie haben das Bundeslandwirtschaftsministerium und insbesondere dessen Chefin immer wieder scharf kritisiert. Warum?

Ostendorff: Julia Klöckner hat keine Vision und keinen Kompass, wo sie eigentlich hin will mit der Landwirtschaft. Bis heute ist für mich nicht erkennbar, welche grundlegenden Ziele sie verfolgt. Sie hat zu wenig Profil gezeigt und war viel zu defensiv gegenüber den Beharrungskräften in ihrer Fraktion und im Deutschen Bauernverband.

Immerhin hat die Ministerin die Borchert-Kommission eingesetzt, die einen klaren Weg für die langfristige Entwicklung der Tierhaltung aufzeigt.

Ostendorff: Der Bundestag hat die Ministerin aufgefordert, die Empfehlungen der Borchert-Kommission umzusetzen. Anstatt an die Arbeit zu gehen, hat man erstmal abgewartet und dann zwei Studien in Auftrag gegeben. Offenbar wurde so lange auf Zeit gespielt, bis nichts mehr ging, weil schon Wahlkampf war.

Die Grünen haben den Borchert-Antrag der Koalition nicht mitgetragen. Wie steht‘s bei Ihnen um die Einheit von Worten und Taten?

Ostendorff: Zunächst muss ich darauf hinweisen, dass ich zugestimmt habe, wenn auch als Einziger. Ansonsten war man der Meinung, die Empfehlungen gehen nicht weit genug. Ich sehe das anders. Für mich waren und sind die Empfehlungen der Borchert-Kommission ein großer Etappenerfolg.

Sie werden der nächsten Bundestagsfraktion nicht mehr angehören. Wie steht’s dann um den agrarpolitischen Kompass der Grünen?

Ostendorff: Der wird ausgerichtet sein an den Empfehlungen der Zukunftskommission und der Borchert-Kommission. Da bin ich mir sehr sicher. Beide Konzepte werden grundsätzlich unterstützt. Bei Koalitionsverhandlungen werden diese Papiere alle im Hinterkopf haben.

Die Grünen wollen einen „Tierwohlcent“, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Was ist das?

Ostendorff: Fest steht, Tierwohl kostet Geld und muss finanziert werden. Wir brauchen eine Tierwohlabgabe, in welcher Form auch immer. Wie man das am Ende nennt, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass die Kosten für den Umbau der Tierhaltung nicht von den Landwirten getragen werden können. Hier ist der Staat in der Pflicht.

Wenn jetzt junge Landwirtinnen und Landwirte einsteigen und investieren wollen. Was rät der Grünen-Spitzenpolitiker Friedrich Ostendorff?

Ostendorff: Die Richtung, in die es geht, ist längst klar und für jeden und jede ersichtlich. Wir brauchen andere, bessere Haltungsbedingungen in bäuerlichen Strukturen. Das muss ich den Jungen auch nicht mehr sagen. Diese sind nämlich weiter als die Politik und haben sich längst auf den Weg gemacht. Sie haben ein Gespür dafür, was am Markt nachgefragt wird und stellen ihre Erzeugung darauf ein. Da gibt es inzwischen einen ganzen Haufen von vielversprechenden und erfolgreichen Konzepten, ohne dass diesen jungen Betriebsleitern gesagt wurde, ihr müsst das so oder so machen. Gleichzeitig wird in Berlin immer noch diskutiert, ob tierwohlgerechte Erzeugung überhaupt gewollt ist.

Markt ist wichtiger als die Politik?

Ostendorff: Wir erleben es bei den Hühnern. Es wird immer gesagt, dass die Hühnerhalter abgewandert sind. Das stimmt aber nicht. Wir hatten noch nie so viele hühnerhaltende Betriebe wie heute. Zum einen in sehr großen Haltungseinheiten, aber auch wachsende Nischenmärkte mit Mobilhaltung zumeist als Zubrot. Wenn ich im Münsterland früher ein Hühnermobil im Vorbeifahren gesehen habe, stehen da heute fünf, manchmal auch nur drei, wenn die Gemeinde nicht mehr genehmigt hat. Das zeigt mir, mit einer tier- und umweltgerechten Erzeugung ist Geld zu verdienen.

Wozu braucht man dann überhaupt noch das Borchert-Konzept?

Ostendorff: Dieses hat das Ziel, die Tierhaltung in Deutschland in der Breite auf ein höheres Niveau zu heben. Und Borchert bietet die Chance, dass nicht Gerichte immer mehr vorgeben, wie Tierhaltung auszusehen hat, sondern dass die Branche selbst gestaltet. Die Mitglieder der Kommission haben das erkannt und die richtigen Schlüsse daraus gezogen.

Die Diskussion um die Agrarstruktur ist neu entfacht, in der Tierhaltung speziell nach dem Brand der Großanlage in Alt Tellin. Sehen Sie sich in ihren langjährigen Forderungen nach einer Bestandsobergrenze bestätigt?

Ostendorff: Wir haben in Alt Tellin gesehen, welche Risiken mit solchen Anlagen verbunden sind. Das gilt im Hinblick auf den Brandschutz ebenso wie beim Seuchenschutz. Flächenbindung ist gut und schön. Sie hilft jedoch in Ostdeutschland mit den dortigen flächenstarken Betrieben nicht weiter. Wir brauchen also eine zahlenmäßige Deckelung von Bestandsgrößen.

An welche Größenordnungen denken Sie dabei?

Ostendorff: Wenn es um Mastschweine geht, würde ich die Grenze bei 5 000 Plätzen ziehen. Klar ist: Es muss ein Deckel drauf!

Zuletzt hat die Zukunftskommission festgestellt, dass die Betriebsgröße nicht entscheidend ist, wie tiergerecht eine Haltung ist und wie ökologisch eine Bewirtschaftung erfolgt. Alles Kokolores?

Ostendorff: In der Tierhaltung geht es um die Risiken, die mit Großanlagen verbunden sind. Da gibt es nun mal Größenordnungen, in denen diese Risiken nicht mehr kalkulierbar sind. Es geht nicht um dieses immer wieder vorgebrachte „Groß ist nicht gleich schlecht, Klein nicht gleich gut“. Stattdessen muss man zur Kenntnis nehmen, wie es in der Realität läuft. Natürlich könnte auch ein Großbetrieb Heckenstreifen pflanzen und Biotope anlegen. Die meisten tun es nur nicht oder nicht genug, weil sie keinen Anreiz dazu haben. Bei einer kleinstrukturierten Landwirtschaft ist das ein Wesensmerkmal. Deswegen ist die für die Biodiversität unerlässlich.

Veränderte Strukturen in der Haltung erfordern angepasste Strukturen in der Verarbeitung. Ist das der Engpass?

Ostendorff: Es tut sich schon manches. Die großen Unternehmen denken langsam um, aber der notwendige Wandel hat sich in der Branche noch nicht überall Bahn gebrochen. Unsere grüne Vision sind handwerkliche Schlachtstrukturen, die dezentral in der gesamten Republik verteilt sind. Die Betreiber stehen vor der Frage, wie kriege ich das hin, erst 70 Stroh-Schweine zu schlachten, dann 70 Bio-Schweine und anschließend eine Charge für Lidl und später eine für Edeka. Jedes Mal sind die Anforderungen andere. Das ist die Herausforderung, vor der die Unternehmen stehen.

Mit Ihnen verlässt ein Verfechter einer bäuerlichen Landwirtschaft und insbesondere Tierhaltung den Bundestag. Es ist kein Geheimnis, dass es in der Partei auch Strömungen gibt, die Tierhaltung komplett ablehnen. Verschieben sich die Gewichte?

Ostendorff: Jeder weiß, wir haben in unseren Reihen eine starke Tierschutzfraktion, die keinem Tierhalter eine Träne nachweint, der aufgeben muss. Dieser Diskussion wird man sich stellen, so wie es in den letzten Jahren immer getan wurde. Ich habe nicht die Sorge, dass wir unseren realistischen Blick auf die Landwirtschaft verlieren.

Wer ist „man“, wenn sich der letzte Bauer der Fraktion auf’s Altenteil zurückgezogen hat?

Ostendorff: Es wird neue Persönlichkeiten geben, die andere Ansätze und Ideen verfolgen, aber der Landwirtschaft verbunden sind. Das ist entscheidend. Es wird eine andere Generation mit anderen Biographien sein. Die Zeit bleibt nicht stehen.

Die „Neuen“, wenn sie denn kommen, können die früheren Grabenkämpfe vermutlich allenfalls aus Erzählungen. Was bedeutet das für die Agrarpolitik der Grünen?

Ostendorff: Wir sehen es in den Ländern, dass grüne Landwirtschaftsminister offener und kooperativer an Probleme herangehen, als es Leute wie ich könnten, die anders geprägt sind. Ich komme nun einmal aus einer Zeit, die von harten Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Bauernverband und dessen damaligen Präsidenten Baron Heereman bestimmt war. Diese Erfahrungen bleiben, auch mit fortschreitendem Alter. Deshalb ist es gut, dass jetzt jüngere Leute dran kommen, die manches unvoreingenommener beurteilen.

Was bleibt nach 15 Jahren im Bundestag?

Ostendorff: Nach vielen Jahren der Verbandsarbeit auf und hinter der Barrikade bin ich spät in die Politik eingestiegen, mit 40 in die Kommunalpolitik und mit 50 in die Bundespolitik. Ich konnte ein wenig dazu beitragen, die gesellschaftliche Diskussion über Landwirtschaft nach Berlin zu tragen. Dabei hat meine Aktivisten-Vergangenheit geholfen. Immerhin ist gelungen, aus einer Demonstration für eine andere Agrarpolitik mit 300 Leuten eine Veranstaltung zur Grünen Woche zu machen, an denen mehrere zehntausend Menschen teilnehmen. Dass mittlerweile einige unserer Ideen Eingang in die Politik finden oder finden könnten, lässt mich beruhigt in den politischen Ruhestand wechseln.

Was beunruhigt Sie?

Ostendorff: Manche Tendenzen in der landwirtschaftlichen Interessenvertretung. Bei Land-schafft-Verbindung sind neben vielen guten Leuten auch solche, die radikale Positionen vertreten und eine Form der Auseinandersetzung wollen, die nach meinem Verständnis mit demokratischen Prinzipien nicht in Einklang steht. Bei aller notwendigen Härte im politischen Streit darf es nicht so weit kommen, dem Gegenüber die Legitimation abzusprechen und Politiker zu Freiwild zu erklären. Diese Radikalisierung in manchen Organisationen macht mir große Sorgen. Das gilt beispielsweise auch für die „Freien Bauern“, die in Teilen bewusst die Nähe zur AfD suchen.

Was sehen Sie als Ihren größten Erfolg im Bundestag?

Ostendorff: Eindeutig das Gentechnikgesetz in der rot-grünen Koalition. Das konnten wir so hinbekommen, dass es bis heute den rechtlichen Rahmen setzt.

Auch in der Gentechnik werden nicht mehr die alten Schlachten geschlagen. Werden die Grünen offener gegenüber den neuen gentechnischen Verfahren?

Ostendorff:Die Diskussion wird geführt, aber nicht mehr von mir. Vielleicht kommt man bei CRISPR/Cas zu anderen Bewertungen als wir damals, als es noch um herbizidresistenten Mais ging.

Was ist Ihre größte Niederlage?

Ostendorff: Dass wir nach wie vor so viele Betriebe verlieren. Man wird nicht jeden Betrieb halten können. Aber diese hohen Ausstiegsraten, wie wir sie in der Sauenhaltung, aber auch in der Milchviehhaltung erleben, tun weh. Es ist nicht die Frage, dass man einen 400er Milchviehstall erfolgreich managen kann. Mich bedrücken vielmehr die vielen Familien, die die Tierhaltung aufgeben mussten. Hinter den Prozentzahlen der Betriebe, die jedes Jahr aufgeben, stehen Schicksale.

War das eine Illusion zu glauben, der Strukturwandel lässt sich aufhalten?

Ostendorff: Aber musste das so weit gehen, dass wir die Kuh von der Weide holen? Hätten wir da nicht eher eingreifen müssen? Wenn wir die Kuh von der Weide holen, wissen wir, dass wir bei einigen Pflanzenarten große Verluste haben werden. Wenn wir die Kuh von der Weide holen, nehmen wir die Eule mit. Mit anderen Worten: Die gravierenden Veränderungen in der Milchviehhaltung haben auch Folgen für die Biodiversität. Jetzt sind wir mühsam dabei, die Weidehaltung wieder zurückzuholen. Das hätten wir uns ersparen können.

Wie lautet Ihr Rat an die grünen Agrarpolitiker?

Ostendorff: Niemals nur über die Bäuerinnen und Bauern reden, sondern immer versuchen, mit ihnen zu gestalten. Redet mit den Leuten, die zur Veränderung bereit sind. Das sind mehr als man denkt.

Bei welcher Gelegenheit wird man den Agrarpolitiker Friedrich Ostendorff in Zukunft noch antreffen?

Ostendorff: Möglicherweise hier und da in der Nähe der Barrikade. Raufklettern geht nicht mehr.

Und wenn die Barrikade abgebaut ist?

Ostendorff: Ich fürchte, so schnell wird die nicht verschwinden.

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