Für die anstehende Transformation der Branche gibt es laut dem Präsidenten der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow, in der Koalitionsvereinbarung weder eindeutige Signale noch enthalte sie einen Fahrplan mit vorgesehenen Schritten, „auf die ein Landwirt eine unternehmerische Strategie aufbauen könnte“. Besonders kritisch sieht er im Interview mit Agra Europe die fehlende Klarheit, wie der Umbau der Tierhaltung finanziert werden kann.
Wasch mich, aber mach mich nicht nass
AgE: Herr Paetow, Sie haben unlängst gesagt, der Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft sei kein politischer Beschluss, sondern gebe lediglich Leitlinien vor. Es liege an der Politik, etwas daraus zu machen. Wenn Sie sich den Koalitionsvertrag anschauen, macht die Politik etwas daraus?
Paetow: Ein Koalitionsvertrag bedeutet nicht, dass die neue Bundesregierung schon mit ihrer Politik begonnen hat. Insofern ist es für eine Antwort noch zu früh. Klar ist allerdings, dass die doch sehr abstrakten Übereinkünfte im Koalitionsvertrag in der künftigen Regierungsarbeit mit Leben gefüllt werden müssen.
„Die Landwirte brauchen ein Signal, dass die Politik es ernst meint mit der Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und sie nicht allein gelassen werden“, so eine weitere Aussage von Ihnen. Finden Sie ein solches Signal im Koalitionsvertrag?
Paetow: Ehrlich gesagt nein! Ein Paradigmenwechsel, um den es hier geht, muss benannt werden, indem aufgezeigt wird, was nicht mehr funktioniert und künftig anders gemacht werden soll. Im Koalitionsvertrag kann ich das nicht erkennen.
Eine weitere berechtigte Forderung ist die nach Klarheit, in welchen Schritten die anstehenden Veränderungen vollzogen werden sollen. Können Sie so etwas wie einen Fahrplan erkennen?
Paetow: Nur punktuell. Beispiele sind der Ausbau des Ökolandbaus und die weitergehende Reform der EU-Agrarpolitik. Da werden konkrete Schritte angesprochen, aber keine, auf die ein Landwirt eine unternehmerische Strategie aufbauen könnte. Man muss also feststellen, der Koalitionsvertrag ist im Agrarteil lediglich eine Zielvereinbarung. Ein Ziel ohne Plan ist nicht mehr als ein Wunsch. Man darf also gespannt sein, was die neue Bundesregierung an Maßnahmen plant und vorlegen wird.
Es gibt ja solche Pläne, etwa in Form der vorliegenden Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft und der Borchert Kommission. Ist für Sie nachvollziehbar, dass im Koalitionsvertrag jeglicher Hinweis auf die beiden Kommissionen fehlt?
Paetow: Nachvollziehbar schon, aber nicht verständlich. Ich kann nachvollziehen, dass drei Parteien eigene politische Akzente setzen wollen. Ich kann aber nicht verstehen, dass die in einem intensiven Ringen erzielten Ergebnisse beiseitegelassen werden. Eine Bezugnahme zumindest auf die Ergebnisse des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung wäre für die Landwirte und die gesamte Branche wichtig gewesen.
Für den Umbau der Tierhaltung wolle man ein „durch Marktteilnehmer getragenes System entwickeln und mit dessen Einnahmen zweckgebunden die laufenden Kosten der Betriebe ausgleichen und Investitionen fördern, ohne den Handel bürokratisch zu belasten“. Verstehen Sie diesen Satz im Koalitionsvertrag?
Paetow: Nicht wirklich. Er klingt ein bisschen nach „Wasch mich, aber mach mich nicht nass.“ Unstrittig ist, wir brauchen ein System, um die Forderung der Gesellschaft nach einer anderen Tierhaltung unternehmerisch umzusetzen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen geht das nicht. Gleichzeitig wissen wir, dass alle beteiligten Gruppen ihren Beitrag werden leisten müssen. Das gilt für die Marktteilnehmer ebenso wie für „die Gesellschaft“ und die Politik. Die Aussage im Koalitionsvertrag verstehe ich aber eher als Aufzählung von denjenigen, die nicht belastet werden sollen. Mir erschließt sich nicht, wie daraus ein Konzept erwachsen soll.
Kann die Wirtschaft den Umbau der Tierhaltung stemmen oder bedarf es dafür zusätzlicher öffentlicher Mittel?
Paetow: Der Änderungsbedarf in der Tierhaltung ergibt sich daraus, dass Anforderungen weit über das hinausgehen, was insbesondere Verbraucherinnen und Verbraucher bereit sind, über höhere Preise zu tragen. Daher gibt es nur zwei Wege: Entweder sagt die Politik, dass für die Tierhaltung künftig die gesellschaftlich geforderten höheren Standards gelten. Dann müssen sich die Erzeuger danach richten und sich dem internationalen Wettbewerb stellen. Oder die Politik will das nicht, weil dies zur Abwanderung der Produktion führen wird. Dann muss sie dafür sorgen, dass der entstehende Wettbewerbsnachteil den Erzeugern ausgeglichen wird. Das muss dann staatlich organisiert sein.
Lesen Sie aus dem Koalitionsvertrag, dass man den ersten Weg beschreiten will und sich die Tierhaltung dem internationalen Wettbewerb stellen soll?
Paetow: Das scheint zumindest bei einer der drei Koalitionsparteien der Hintergrund zu sein. Um nicht falsch verstanden zu werden, es ist immer am besten, wenn gesellschaftliche Ziele möglichst ohne staatliche Eingriffe und dauerhafte Subventionen durch unternehmerisches Handeln erreicht werden können. Ich habe aber großen Zweifel, dass die Tierhaltung am Standort Deutschland so ausgerichtet werden kann, dass sie wieder international wettbewerbsfähig wird. Die Folge wäre kein Umbau, sondern eine Abwanderung der tierischen Erzeugung.
Übergeordnetes Thema des Koalitionsvertrages ist der Klimaschutz. Dazu heißt es im Landwirtschaftskapitel „die Landwirte sollen auf dem Weg zur Klimaneutralität im Rahmen des Umbaus unterstützt werden“. Die DLG sieht eine ihrer Aufgaben darin, aus Leitlinien und Vorgaben betriebliche Strategien zu entwickeln. Reicht dafür diese allgemeine Aussage im Koalitionsvertrag aus?
Paetow: Dass wir die Treibhausgasemissionen reduzieren und dem Klimaschutz Priorität einräumen müssen, wird von kaum jemandem mehr in Frage gestellt. Auch nicht von Landwirten, denken Sie nur an die vielen Initiativen zum „Carbon Farming“. Für konkrete Konzepte ist eine allgemeine Aussage, wie sie im Koalitionsvertrag steht, wenig hilfreich. Vielmehr brauchen wir Ziele und Indikatoren, an denen wir messen können, wie weit wir gekommen sind. Schließlich müssen dazu passende Maßnahmenkataloge entwickelt werden. Wenn Politik das alles nicht will, kann sie sagen, wir beziehen die Landwirtschaft in das Emissionshandelssystem ein und überlassen es der unternehmerischen Kreativität, möglichst effizient den Treibhausgasausstoß zu reduzieren. Nach den Ausführungen im Koalitionsvertrag bleibt offen, was die künftige Koalition will.
Was bevorzugen Sie?
Paetow: Aus meiner Sicht wäre am effizientesten, die auch von der Landwirtschaft geforderte Treibhausgasreduktion über den Emissionshandel hinzubekommen. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Zunächst einmal muss der Staat daher Rahmenbedingungen entwickeln und zwar möglichst so, dass dabei ein hohes Maß an unternehmerischem Spielraum bleibt.
Trauen Sie der Koalition das zu?
Paetow: Die Palette der Koalitionäre bietet die Möglichkeiten dazu.
Die Koalition will die Entwicklung der Tierbestände an der Fläche orientieren und in Einklang mit den Zielen des Klima-, Gewässer- und Emissionsschutz bringen. Auch hier die Frage, reicht das für junge Landwirte, um zu entscheiden, wo sie ihren Betrieb hin entwickeln wollen?
Paetow: Ich finde es ist hinreichend unkonkret, um unternehmerische Perspektiven zumindest nicht von vorn herein auszuschließen. Ich war erstaunt und erfreut zugleich, dass die allgemein gängige Forderung nach einer generellen Verminderung der Tierbestände keinen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Daher bleibt zu hoffen, dass die unternehmerischen Spielräume auch in der Tierhaltung gewahrt bleiben.
Eine landwirtschaftliche Kernforderung ist die nach Planungs- und Investitionssicherheit. Die findet sich im Agrarteil wieder, ohne dass dies jedoch näher ausgeführt wird. Was fehlt?
Paetow: Es gibt an anderer Stelle die Ankündigung eines Planungsbeschleunigungsgesetzes. Wenn die dabei vorgesehenen Verbesserungen nicht nur für Windkraftanlagen und Ladesäulen gelten, sondern auch für Schweineställe, würden wir tatsächlich einen Schritt weiter kommen. Das betrifft insbesondere den Umbau von Ställen in Richtung Tierwohl.
Was verstehen Sie unter Planungssicherheit?
Paetow: Wir Landwirte stehen häufig in der Versuchung, Planungssicherheit mit einer unternehmerischen Vollkaskoversicherung gleichzusetzen. Das kann es aber nicht sein. Vielmehr sollte gewährleistet sein, dass sich unsere Investitionen mit einem gewissen Risiko in Zukunft gut verzinsen können. Als eine Voraussetzung müssen politische Rahmenbedingungen etwa hinsichtlich Haltungsvorgaben für einen gewissen Zeitraum stabil sein.
Die Koalition will den Ökolandbau bis 2030 auf 30 % der Flächen ausweiten. Ist das a) sinnvoll und b) realistisch?
Paetow: Weder noch! Der Ökolandbau ist eine ganz hervorragende unternehmerische Strategie, um Nachhaltigkeitsleistung in Wert zu setzen. Dieses Konzept hat selbstverständlich jede Unterstützung verdient, wenn es um Forschung, Marktentwicklung und Ähnliches geht. Es hat aber keine Planwirtschaft verdient, zu der diese 30 %-Marke verleiten könnte. Ich denke, dieses Ziel ist nicht zu schaffen. Allein die Umstellung von Betrieben dauert drei Jahre. Das heißt, wir müssten in sechs Jahren schon 30 % Umstellungsflächen haben. Das halte ich allein deshalb für unrealistisch, weil die gesamte Wertschöpfungskette nicht hinterherkommen wird.
Unter welchen Voraussetzungen werden Landwirte und Landwirtinnen auf den Ökolandbau umstellen?
Paetow: Wenn die Möglichkeit besteht, dass das betriebswirtschaftlich attraktiv ist und in ihre betriebliche Strategie passt, um meinen Lieblingssatz aus dem Abschlussbericht der ZKL zu zitieren. Es muss erkennbar sei, dass die Nachfrage bei konstanten Preisen nach Lebensmitteln aus dem ökologischen Landbau steil ansteigt. Dann werden die Landwirte aufspringen. Da bin ich unbesorgt.
Sollte der Staat das mit höheren Förderprämien unterstützen?
Paetow: Das wäre meiner Meinung nach nur der zweitbeste Weg. Es war noch nie sinnvoll, staatlich zu forcieren, dass ein nicht oder noch nicht nachgefragtes Gut produziert wird. Stattdessen sollten die Bemühungen intensiviert werden, über die Wertschöpfungskette die Bedingungen für eine weiter wachsende Nachfrage nach Ökoprodukten zu verbessern.
Die DLG setzt ihrem Selbstverständnis zufolge auf Innovation, um die Landwirtschaft weiterzuentwickeln und die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. Findet das seinen Niederschlag im Koalitionsvertrag?
Paetow: Es springt einem aus dem Text geradezu entgegen, dass den Koalitionären eine Einigung in diesen Fragen besonders schwer gefallen ist. Insofern ist das, was dazu im Koalitionsvertrag steht, das Maximum dessen, was ich an Offenheit erwartet hatte. Ich setze darauf, dass wir als Gesellschaft insgesamt ein anderes Verständnis von Innovationen und deren Notwendigkeit entwickeln.
Wissen Sie nach der Lektüre des Koalitionsvertrages, wie die künftige Bundesregierung zum Thema neue Züchtungstechniken steht?
Paetow: Ich denke, die gefundenen Formulierungen dienen dazu, gerade diese Festlegung zu umschiffen, weil es eben kein Einvernehmen gibt. Ich bin mir aber sicher, dass die politische Diskussion weitergehen wird. Wir merken das auf europäischer Ebene. In dem gesamten Bereich Innovation, Züchtungstechnologien, Regulierung unter Berücksichtigung von Vorsorgeprinzip wird Europa in Zukunft eine große Rolle spielen.
Welche Erwartungen haben Sie an eine „Ernährungsstrategie“?
Paetow: Eine Ernährungsstrategie ist gut. In der Zukunftskommission waren wir uns einig, es muss eine übergreifende Strategie geben von der Nahrungsmittelerzeugung bis zur Ernährung. Gleichzeitig wissen wir, dass es sehr schwer ist, das Ernährungsverhalten zu ändern. Die von der Koalition genannten Vorhaben wie Minderung der Lebensmittelverschwendung, weniger tierische Proteine in der Ernährung, die Reduzierung von Fett, Zucker und Salz sowie eine Weiterentwicklung des Nutri Score sind allesamt sehr löblich. Die Frage ist nur, wie lange es dauern wird, bis das in eine grundsätzlich andere Art und Weise der Ernährung münden wird.
Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums spricht sich in seinem Gutachten zur nachhaltigen Ernährung dafür aus, Agrarpolitik künftig stärker an Erfordernissen der Ernährung auszurichten. Bewegen wir uns in diese Richtung?
Paetow: Ja! Vieles davon findet sich in aktuellen politischen Initiativen. Denken Sie an die Farm-to-Fork-Strategie. Deren Ausgangspunkt ist, dass die Nachfrage nach nachhaltig erzeugten Lebensmitteln gesteigert werden müsse, um so auch deren Produktion zu steigern. Es ist daher sinnvoll, Ernährung und Erzeugung stärker zusammenzudenken.
Sie haben wiederholt deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht weniger die Frage des Ressortzuschnitts relevant ist als die Notwendigkeit, dass die beteiligten Ministerien besser kooperieren. Künftig sind das Landwirtschaftsministerium und das Umweltministerium in grüner Hand. Sind Sie zufrieden?
Paetow: Sagen wir mal so: Ich bin zufrieden damit, dass sie in einer Hand sind.
Ist die gleiche politische Farbe gleichbedeutend mit einer Politik aus einem Guss?
Paetow: Zumindest besteht künftig keine Notwendigkeit mehr, dass sich die beiden Ministerien parteipolitisch profilieren müssen. Konflikte wird es aber weiter geben, allein aufgrund der unterschiedlichen Verortung der beiden Spitzenleute innerhalb der Grünen. Wenn der zu erwartende Diskurs produktiv und zielorientiert ist, muss er nicht schädlich sein. Ich war allerdings etwas erstaunt über die Aussage des designierten Landwirtschaftsministers, dass in der Vergangenheit aus dem Umweltministerium stets vernünftige Vorschläge kamen, die im Agrarministerium regelmäßig abgebügelt wurden. Ich hoffe, das ist kein Vorgriff auf den künftigen Umgang der Ministerien miteinander.
„Mehr Fortschritt wagen“ lautet der Titel des Koalitionsvertrages. Auch wenn im Agrarteil davon wenig zu sehen ist, was überwiegt für die Landwirtschaft in den nächsten Jahren, die Chancen oder die Risiken?
Paetow: Eindeutig die Chancen. Manches von dem, was befürchtet worden war, steht nicht drin, mit Ausnahme vom altbekannten „Skalp Glyphosat-Verbot“. Vieles ist noch offen und muss mit Inhalten gefüllt werden. Wenn die zukünftige Regierung dabei an der einen oder anderen Stelle auf Lösungen setzt, die in intensiven Diskussionen bereits erreicht worden sind, kann etwas Gutes draus werden.
Vielen Dank!AgE