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Robert Habeck: „Wir haben hier einen Job zu machen!“

Union, FDP und Grüne tun sich schwer, bei den Sondierungsgesprächen im Bereich Landwirtschaft auf einen Nenner zu kommen. Der ganze Weg liege noch voller dicker Brocken, die jetzt einzeln kleingehackt und weggeräumt werden müssten, beschreibt Dr. Robert Habeck die Aufgabe.

Lesezeit: 9 Minuten

Union, FDP und Grüne tun sich schwer, bei den Sondierungsgesprächen im Bereich Landwirtschaft auf einen Nenner zu kommen. Der ganze Weg liege noch voller dicker Brocken, die jetzt einzeln kleingehackt und weggeräumt werden müssten, beschreibt Dr. Robert Habeck die Aufgabe.


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Der schleswig-holsteinische Umwelt- und Landwirtschaftsminister, der für die Grünen den Bereich Landwirtschaft in der Sondierungskommission verhandelt, erkennt aber den Willen aller, „etwas Gemeinsames hinzubekommen“. Man habe gemeinsame Ziele formuliert und alle Parteien seien einen Schritt weitergegangen, als es in den Parteibeschlüssen stehe. Im Gespräch mit top agrar online skizziert der Minister die Herausforderungen in den Bereichen Tierwohl, EU-Agrarpolitik und Pflanzenschutz.     


Herr Habeck, wie war das Klima der Gespräche?


Habeck: Wir haben zwei Tage lang intensiv gerungen. Sachlich und mit dem Willen, was Gemeinsamens hinzubekommen. Alle sind einen Schritt weiter gegangen, als es in ihren Parteibeschlüssen steht, Union, FDP und auch wir. Dem Geist nach ist so ein Papier entstanden, das einen dritten Weg skizziert, eine neue Idee, wie man Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen kann. Allerdings fehlt noch die materielle Ausgestaltung. Die muss in den nächsten zwei Wochen kommen.


Bei der Nutztierhaltung wollen Sie den Tierschutz voranbringen und den Tierhaltern einen verlässlichen, planungssicheren und wirtschaftlichen Weg ermöglichen, heißt im Sondierungspapier. Ein Ansatzpunkt dafür ist ein Tierwohllabel. Sind Sie für ein staatliches oder für ein freiwilliges Label?


Habeck: Im Augenblick entwickelt der Einzelhandel lauter eigene Label, um sich gegenüber den Mitbewerbern abzusetzen. Diese binden die Landwirte in letzter Konsequenz an eine einzige Lieferkette und engen die unternehmerischen Möglichkeiten der Bauern ein. Alle Label sehen dabei anders aus. Es ist für die Landwirte nicht wirklich planbar, was wann wie kommt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind eher irritiert denn informiert. Das ist bei den hohen Investitionen in Tierställe kein guter Zustand. So überraschend es zunächst klingt: Ein staatliches Label ist meiner Ansicht deshalb nach eher in der Lage den Markt zu durchdringen. Und schließlich schafft es Vertrauen von Verbrauchern und so eine höhere Akzeptanz.


Über welche Maßnahmen kann man Investitionsprogramme für Tierwohlställe anschieben und wie hoch müssten solche Programme deutschlandweit dotiert sein?


Habeck: Mehr Tierwohl heißt oft, Ställe umbauen, und das ist teuer. Der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik der Bundesregierung schätzt, dass  die notwendigen Verbesserungen in der Tierhaltung etwa 3 bis 5 Milliarden jährlich kosten. Das sind etwa 13 bis 23 Prozent der heutigen Produktionskosten in der Nutztierhaltung. Das ist schon ein Batzen, und wir können die Bauern damit nicht allein lassen, schließlich erfüllen sie auch gesellschaftliche Ansprüche, die der Markt nicht honoriert. In Schleswig-Holstein haben wir die Anstrengungen der Landwirtschaft für mehr Tierwohl in den Ställen mit unserer Stallbau-Förderung für besonders artgerechte Ställe unterstützen können. Ein staatliches Label gepaart mit einem gut ausgestatteten Bundesinvestitionsprogramm, das wäre sinnvoll.


Was heißt das für das landwirtschaftliche Baurecht?


Habeck: Das Baurecht ist ja in der politischen Diskussion: Einige wollen es deregulieren, andere verschärfen. Dabei geht es vor allem darum, die Öffentlichkeit stärker zu beteiligen und den Gemeinden mehr Möglichkeiten der Gestaltung zu geben. Das ist nicht immer leicht, aber am Ende sorgt Beteiligung für größere Akzeptanz. Das ist meine Erfahrung bei großen Infrastrukturprojekten wie dem Stromnetzausbau. Mal sehen, was am Ende bei raus kommt.


Welche Konflikte gibt es zwischen Tierwohl und Immissionsschutz?


Habeck: Wenn Ställe neu gebaut oder erweitert werden, bietet das immer Stoff für Konflikte in den Dörfern und Gemeinden, zwischen Nachbarn und Landwirten. Und ja, es gibt auch einen Widerspruch zwischen Immissionsschutz und Tierschutz.  Manchmal verhindert der Geruchsimmissionsschutz, dass Ställe neu gebaut werden, auch wenn sie bessere Haltungsbedingungen für Tiere bedeuten und gar keine Bestandsaufstockung damit verbunden ist. Wir haben im Jamaika-Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein festgelegt, dass wir hier Lösungen für besonders tiergerechte, offene Ställe finden wollen. Das finde ich wichtig.


An welchen Stellen muss die Nutztierhaltungs-Verordnung überarbeitet werden?


Habeck: In vielen Bereichen, zum Beispiel bei der Gruppenhaltung von Sauen, gibt es schon eine große Bereitschaft aller, hier wirklich deutliche Fortschritte zu erreichen. Ich hoffe also, dass wir uns auf einige klare Reformen verständigen: das Ende des Töten von Eintagsküken, eine Regelung für die Putenhaltung, Gruppenhaltung für Sauen, Verbote von Qualzucht, Ende der Anbindehaltung bei Kühen – mit Vorgaben und Ausstiegsfristen.


Was bringt eine Nutztierhaltungsstrategie?


Habeck: Viele Bundesländer, auch wir in Schleswig-Holstein, haben die Verbesserung der Nutztierhaltungsbedingungen diskutiert und voran gebracht. Was die Landwirtschaft aber braucht, ist ein klares Signal der Gesellschaft, der Politik, wie die Nutztierhaltung in 10, 20 Jahren aussehen soll. Das bringt die notwendige Planungssicherheit. Eine solche Strategie sollte aber nicht nur beschreiben, wie zum Beispiel ein Stall der Zukunft aussehen soll, sondern auch wie dieser Umbau in der Tierhaltung finanziert werden kann.


In den Sondierungsgesprächen ging es auch um die Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP). Wie soll die aussehen?


Habeck: Wir müssen uns darauf einstellen, dass das Budget der EU hart umkämpft sein wird – nach dem Brexit, noch nicht ausgestandener Finanzkrise und in Zeiten von hoher Jugendarbeitslosigkeit erst recht. Wenn wir also weiter Geld für die Landwirtschaft wollen – und das halte ich für wichtig –, sind wir gut beraten, die Zahlungen zu begründen. Am besten lässt sich das, wenn klar wird, dass öffentliches Geld gezielt für öffentliche Leistungen fließt. Das heißt, den Arten-, Klima-, Gewässerschutz und Tierschutz zu stärken. Und wir sehen, dass das jetzige System eine Unwucht in Richtung Bürokratie hat – Stichwort Greening. Es hat zum Leidwesen von Bauern und Behörden unglaublichen Verwaltungsaufwand gebracht und wenig ökologischen Ertrag. Kurzum: Wir brauchen eine schrittweise Umstellung hin zu einem System, das das Greening ersetzen könnte und für die Bauern echte Anreize geben gibt, Umweltleistungen als zusätzliche Einkommensquelle zu generieren. Über solche Konzepte denken wir in meinem Ministerium nach.


Wie sollen die Gelder in Zukunft verteilt werden? Soll es eine ganz neue Architektur der Förderung geben oder wollen Sie die 1. und 2. Säule verändert weiterführen?


Habeck: Ich glaube, dass wir längerfristig -  nicht von jetzt auf gleich – eine andere Architektur brauchen. Dabei ist es nicht entscheidend, wie wir das nennen, sondern wie Bauern, Gesellschaft und Umwelt davon profitieren können.


Wie soll die 1. Säule ausgestaltet werden? Wollen Sie die Zahlungen pro Betrieb deckeln?


Habeck: Bei begrenzten Möglichkeiten macht eine Deckelung pro Betrieb Sinn. Die Möglichkeit hätten wir ja schon bei der jetzigen GAP gehabt, aber die Entscheidung fiel für die ersten Hektare. Auch die EU-Kommission scheint eine Deckelung in ihren Vorstellungen zur künftigen Agrarpolitik wieder aufgenommen zu haben. Ab einer bestimmten Größe ist eine Zahlung pro Hektar bei gleichzeitig sinkenden Kosten nicht mehr zu erklären, vor allem nicht, wenn Südzucker oder dem chinesischen Staat unsere Steuergeld angedient werden. Das Geld ist bei den heimischen Familienbetrieben besser aufgehoben.


Wo muss mehr Geld eingesetzt werden?


Habeck: Bei Vertragsnaturschutzprogrammen, in die Programme für Ökolandbau, in die europäischen Innovationspartnerschaften und für den heimischen Legumionsenanbau – all diese Maßnahmen sind bei uns schon jetzt überzeichnet. Das zeigt, dass die zweite Säule inzwischen eine einkommensstabilisierende Bedeutung bekommen hat. Und das ist auch die Skizze eines neues Wegs: Wir schaffen für die Landwirte einen neuen Markt für die öffentlichen Güter Wasser, Boden, Artenvielfalt, Tierschutz.


Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln soll „transparenter, unabhängig und schneller werden“, heißt es im Sondierungspapier. Das Spektrum der Mittel soll „um neue und zielgenauere Wirkstoffe“ erweitert werden und der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln insgesamt verringert werden. Ist das nicht die Quadratur des Kreises?


Habeck: Die Diskussion um diesen gesamten Bereich wird ja seit Jahren mit harten Bandagen und viel Emotionen geführt. Insofern ist es schon ein Signal, wenn grundsätzlich alle vier Parteien, die an den Sondierungen beteiligt sind, sagen: Wir wollen den Einsatz von chemischen Wirkstoffen reduzieren. Aber das „Wie“ ist genau der Punkt, den ich am Anfang meinte: hier muss noch enorm viel ausbuchstabiert werden. Nur dann hat es Substanz. Das wird Aufgabe der nächsten Wochen sein.


Die Grünen haben immer wieder die wachsenden Agrarexporte Deutschlands und der EU moniert. Wie sehen für Sie Agrarexporte unter fairen Bedingungen aus?


Habeck: Es muss darum gehen, dass wir mit unseren Exporten nicht andere Märkte zerstören. Gerade in Afrika, Asien und Südamerika muss es funktionierende heimische Märkte geben, die Bauern Arbeit und Einkommensperspektiven geben und die Menschen mit Nahrung versorgen. Sonst können wir uns Forderungen, Fluchtursachen zu bekämpfen,  schenken.


Welche roten Linien gibt es für die Grünen bei den Verhandlungen? Oder anders gefragt: Was muss für die Grünen in diesem Bereich mindestens erreicht werden?


Habeck: Ich habe es nicht so mit den roten Linien. Am Ende werden alle etwas geben müssen, das ist das Wesen des Kompromisses. Aber wir brauchen einen festen Boden für das Fundament. Dazu gehören gemeinsame Ziele, die haben wir formuliert. Aber wir müssen schon noch klären – im Groben - wie wir sie erreichen wollen.


Welcher Verhandlungsbereich ist nach aktuellem Stand der dickste Brocken?


Habeck: Oh, der ganze Weg liegt voller dicker Brocken, das hat man ja die letzten Wochen gesehen. Die müssen wir jetzt einzeln kleinhacken und wegräumen.


Wie geht es jetzt weiter? Ist die Sondierung im Bereich Landwirtschaft abgeschlossen?


Habeck: Wir haben noch zwei Wochen, dann sollen die Sondierungsgespräche abgeschlossen sein. In diesen zwei Wochen müssen die Knackpunkte geklärt werden. Das kann mal ungemütlich werden, aber wir haben hier einen Job zu machen. Das Land braucht ja eine legitimierte Regierung.

 

Die Fragen stellte top agrar-Chefredakteur Dr. Ludger Schulze Pals.

 

Hinweis:Am Sonntag (5. November) lesen Sie, wie Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) die Sondierungsgespräche bewertet und was der Union für die weiteren Verhandlungen wichtig ist.  

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