topplus Interview zum Bauerntag 2025

Rukwied: Minister Rainer muss liefern

DBV-Präsident Rukwied sieht Agrarminister Rainer gefordert, konkrete Maßnahmen zur neuen Agrarpolitik vorzustellen - nicht nur beim Bürokratieabbau. Beim Mindestlohn sieht er keinen Spielraum.

Lesezeit: 10 Minuten

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, spricht vor dem Bauerntag 2025 über die Erwartungen an die neue Bundesregierung, seine Priorität beim Umbau der Tierhaltung sowie den Handlungsbedarf beim Mindestlohn

"Einen Rollback wird es mit uns nicht geben"

Herr Präsident Rukwied, Sie haben sich im April überraschend kritisch zum Koalitionsvertrag geäußert. Der notwendige Politikwechsel sei nur in Ansätzen zu erkennen, so Ihr Vorwurf. Sehen Sie nach sechs Wochen klarer, was den Politikwechsel angeht?

Joachim Rukwied: Insbesondere in der Europa- und Außenpolitik weht ein neuer, frischer Wind. In der Landwirtschaftspolitik gibt es Ankündigungen und erste Entscheidungen, aber wenig Konkretes. Das gilt beispielsweise für den Bürokratieabbau, den Bundesminister Rainer zu einem seiner Schwerpunkte machen will. Aber dann muss jetzt auch geliefert werden. Ich verstehe unter Bürokratieabbau nicht nur, dass Doppelmeldungen wegfallen, sondern eine tatsächliche Deregulierung.

In der Zukunftskommission Landwirtschaft gab es einen breiten Konsens, Umwelt-, Klima- und Tierschutzbelange stärker in die Agrarpolitik zu integrieren. Bedeutet Deregulierung, diesen Konsens aufzukündigen? Wollen Sie einen „Rollback“ in der Agrarpolitik?

Rukwied: Nein, zu dem Konsens stehen wir. Einen Rollback wird es mit uns nicht geben. Wir wollen im Klimaschutz ebenso wie im Umwelt- und Naturschutz weiterkommen. Das gelingt aber nur, wenn wir das auf einem kooperativen Weg tun, wenn wir Natur- und Umweltschutzmaßnahmen in die Produktion integrieren. Dafür brauchen wir Planungssicherheit, auch um in Tierwohl zu investieren. Ein Bekenntnis zur Tierhaltung nützt wenig, wenn es keine politischen Entscheidungen gibt.

Bundeslandwirtschaftsminister Rainer hat es in den ersten Wochen dabei belassen, Grundsätzliches zu seinen Vorstellungen über Agrarpolitik zu äußern. Sind Sie enttäuscht?

Rukwied: Jeder neue Minister muss sich einarbeiten, sich in sein Amt einfinden. Die ersten Aussagen waren positiv, aber auch Alois Rainer wird letztlich an dem gemessen, was er umsetzt. Es ist an der Zeit, dass er liefert. Wir sind gespannt, was er auf dem Bauerntag anzubieten hat, welche konkreten Maßnahmen er aufzeigt. Und das sage ich in aller Deutlichkeit, das erwarten die Delegierten und Gäste.

Auch Alois Rainer wird letztlich an dem gemessen, was er umsetzt.
Joachim Rukwied

Was heißt das?

Rukwied: Der Minister muss über das allgemeine Wording zum Bürokratieabbau hinausgehen und konkrete erste Maßnahmen nennen. Wir erwarten, dass er Stellung bezieht, wie der Umbau der Tierhaltung finanziert werden soll. Wir wollen wissen, was die Bundesregierung zu unternehmen gedenkt, um die Wettbewerbsfähigkeit im Pflanzenbau zu stärken, etwa beim Zugang zu Pflanzenschutzmitteln und zu neuen Züchtungstechniken. Das alles geht nicht über Nacht. Aber wir warten auf erste Pflöcke, die der Minister einschlägt und damit für alle erkennbar ist, jetzt geht es in die Umsetzung.

Für Politikgestaltung und den Umgang des Bauernverbandes mit dem zuständigen Ressortchef braucht es eine persönliche Ebene. Bei Minister Özdemir war es die schwäbische Herkunft. Was ist der gemeinsame Nenner mit Minister Rainer?

Rukwied: Wir hatten erst einen kurzen Austausch. Ich hoffe, dass wir auf dieser Grundlage beim Deutschen Bauerntag Gelegenheit haben werden, die weitere Zusammenarbeit zu besprechen.

Die Koalition wird noch im Juni erste Gesetze beschließen. Was spricht für ein staatliches Tierhaltungskennzeichen?

Rukwied: Aus meiner Sicht hätte es das von Anfang an nicht gebraucht. Das kann die Wirtschaft besser. Aber jetzt müssen wir den Weg weitergehen.

Was muss geändert werden, damit das staatliche Kennzeichen funktioniert?

Rukwied: Entscheidend ist, dass die Wirtschaftsbeteiligten einbezogen werden. Wir brauchen ein schlankes und praktikables Gesetz. Die Kennzeichnung muss für die Beteiligten umsetzbar und die Verbraucher verständlich sein. Ob dafür die geplante Fristverlängerung von sieben Monaten reicht, ist fraglich.

Mit der anstehenden Änderung des Direktzahlungengesetzes soll die Einführung von zwei neuen Öko-Regelungen um ein Jahr verschoben werden. Bleibt der Bauernverband bei seiner ablehnenden Haltung gegenüber Änderungen in der laufenden Förderperiode?

Rukwied: Aus unserer Sicht sollte man es lassen. Es macht wenig Sinn, Landwirte und Verwaltungen im letzten Jahr noch damit zu behelligen.

Bleibt es bei der Forderung, die Direktzahlungen bis Ende der nächsten Förderperiode, also 2035, auslaufen zu lassen?

Rukwied: Ja. Voraussetzung ist aber, dass parallel die Konditionalität gestrichen wird. Vor der inhaltlichen Weiterentwicklung steht die Frage des Budgets. Wir brauchen einen Aufwuchs im EU-Agrarhaushalt. Das ist unerlässlich für ein stabiles Europa. Landwirtschaft garantiert Ernährungssicherung. Und die steht für mich auf einer Stufe mit Energiesicherheit und Verteidigungsfähigkeit. Mit der Position stehen wir im Übrigen nicht alleine da. Das sehen alle europäischen Bauernverbände so.

Wir brauchen einen Aufwuchs im EU-Agrarhaushalt. Das ist unerlässlich für ein stabiles Europa.
Joachim Rukwied

Das Bundeskabinett wird am 24. Juni den Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 beschließen. Darin enthalten wird sein, die Agrardieselrückerstattung wieder einzuführen. Schließen Sie aus, dass die Gegenfinanzierung aus dem Agrarhaushalt erfolgen soll?

Rukwied: Ja. Die Bundesregierung steht im Wort, die Betriebe beim Agrardiesel zu entlasten. Eine echte Entlastung kann nur aus dem allgemeinen Haushalt kommen, nicht zulasten der Landwirtschaft. Angesichts der knappen halben Milliarde, um die es dabei geht, sollte das machbar sein, wenn man bedenkt, über welche Summen beim Haushalt samt Sondervermögen geredet wird. Da zählt der Agrardiesel eher zu den Peanuts.

Nicht zu den Peanuts zählen die Kosten für den Umbau der Tierhaltung, die die Koalitionsarbeitsgruppe auf 1,5 Mrd. Euro im Jahr beziffert hat. Diese Zahl steht unter Finanzierungsvorbehalt. Woher soll denn dieses Geld kommen?

Rukwied: Mehr Tierwohl ist eine gesellschaftliche Forderung. Eine Finanzierung allein über den Markt geht nicht. Daher muss sie aus dem allgemeinen Haushalt erfolgen. Dazu braucht es frisches Geld.

Mehr Tierwohl ist eine gesellschaftliche Forderung. Eine Finanzierung allein über den Markt geht nicht.
Joachim Rukwied

Sie kennen die Haushaltssituation. Wie realistisch sind die 1,5 Milliarden?

Rukwied: Hier gilt das Gleiche wie beim Agrardiesel. Im Übrigen halten wir mindestens diese 1,5 Milliarden für erforderlich.

Sie haben sich vor einem Jahr dazu bekannt, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf tierische Produkte anzuheben, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Gilt das noch?

Rukwied: Für uns ist entscheidend, das Geld muss bei den Landwirten ankommen. Wie die Finanzierung erfolgt, muss die Politik entscheiden. Sollte das über die Mehrwertsteuer sein, könnten wir mitgehen, wenn sich die Anhebung auf zwei bis drei Prozentpunkte beschränken würde. Daran hat sich von unserer Seite nichts geändert.

Die Förderung der Tierhaltung ist im Koalitionsvertrag nicht eindeutig geregelt. Schließt die Ankündigung von Union und SPD, die notwendigen Mittel für den tierwohlgerechten Stallbau „dauerhaft auf Grundlage staatlicher Verträge“ bereitzustellen, für Sie eine Unterstützung bei den laufenden Kosten ein, wie die Borchert-Kommission empfiehlt?

Rukwied: In Anbetracht der finanziellen Mittel, über die diskutiert wird, konzentrieren wir uns im Deutschen Bauernverband im Moment auf die Investitionsförderung einschließlich des in Aussicht gestellten 20-jährigen Bestandsschutzes für Tierwohlställe. Das ist auch mit unserem Veredelungspräsidenten Hubertus Beringmeier so besprochen. Gefordert sind allerdings auch die Marktpartner. Wir brauchen einen höheren Marktpreis für Tierwohlprodukte.

Wir brauchen einen höheren Marktpreis für Tierwohlprodukte.
Joachim Rukwied

Über die Frage der laufenden Tierwohlkosten wird im Berufsstand genauso kontrovers diskutiert wie innerhalb der Koalition. Dabei treten nicht zuletzt unterschiedliche Auffassungen zwischen Akteuren aus dem Norden und dem Süden zutage. Was ist Ihre Lösung für diesen „Nord-Süd-Konflikt“?

Rukwied: Ganz einfach: Wenn es neben der Investitionsförderung eine politische Mehrheit für eine Förderung der laufenden Tierwohlkosten geben sollte, werden wir uns dem nicht verweigern, ganz im Gegenteil, das käme der Tierhaltung sehr entgegen. Nur kann ich diese Mehrheit derzeit nicht erkennen.

Sie haben zu Jahresbeginn keinen Zweifel daran gelassen, dass die Vorschläge der Borchert-Kommission nach wie vor eine gute Grundlage seien, um die Zukunft der Tierhaltung zu sichern. Stehen Sie weiter zum Borchert Konzept?

Rukwied: Inhaltlich stehen wir weiter zum Borchert-Konzept. Was die Finanzierung anbelangt, habe ich aufgezeigt, wo wir die Priorität sehen. Wenn die Kofinanzierung der laufenden Kosten hinzukäme, wäre das natürlich sehr erfreulich.

Von der Tierhaltung zur Düngung. Die Stoffstrombilanz soll per Ministerverordnung abgeschafft werden. Geht da Schnelligkeit vor Gründlichkeit?

Rukwied: Die Stoffstrombilanz gehört weg. Wie das erfolgen soll, muss die Bundesregierung entscheiden.

Warum muss sie weg?

Rukwied: Die Stoffstrombilanz ist ein bürokratisches Monstrum, das die Betriebe belastet und keine zusätzlichen Erkenntnisse für die Düngung bringt. Und ganz wichtig: Sie wird nicht von der EU-Kommission gefordert. Ein deutscher Alleingang ist völlig inakzeptabel. Wir können nachweisen, dass der Düngereinsatz in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken ist. Schon heute können wir unsere Pflanzen in Teilen nicht mehr bedarfsgerecht ernähren. Wir verlieren bereits jetzt Ertrag und Qualität.

Die Stoffstrombilanz ist ein bürokratisches Monstrum, das die Betriebe belastet und keine zusätzlichen Erkenntnisse für die Düngung bringt.
Joachim Rukwied

Die Düngegesetzgebung in Deutschland ist immer komplexer geworden, ohne das Problem der Nährstoffeinträge zu lösen. Nun droht neuerliches Ungemach aus Brüssel, weil die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie voraussichtlich nicht eingehalten werden. Weiter durchwursteln oder Neuanfang – was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Rukwied: Ich erwarte, dass die Bundesregierung selbstbewusst in Brüssel auftritt und der EU-Kommission aufzeigt, dass wir in Deutschland beim Grundwasser- und Gewässerschutz vieles erreicht haben und auf dem richtigen Weg sind. Das sollte sie gegenüber der Kommission deutlich zum Ausdruck bringen.

Die Mindestlohnkommission tritt Ende Juni zusammen, um über eine Festlegung ab 2026 zu entscheiden. Dem Vernehmen nach könnte dabei ein Wert deutlich unter den viel diskutierten 15 Euro herauskommen. Wären 13 Euro plus X für Sie akzeptabel?

Rukwied: In keinster Weise! Die derzeit geltenden 12,82 Euro sind eine brutale Herausforderung für jeden Sonderkulturbetrieb in Deutschland. Wir liegen damit schon jetzt annähernd doppelt so hoch wie die Hauptwettbewerber in Europa.

Die SPD lehnt eine Sonderregelung für ausländische Saisonbeschäftigte ab, auch in der CDU gibt es keine ungeteilte Zustimmung. Was veranlasst Sie, an der Forderung festzuhalten?

Rukwied: Im Koalitionsvertrag bekennen sich CDU, CSU und SPD dazu, den Selbstversorgungsgrad mit Obst und Gemüse zu erhöhen. Seit Jahren beobachten wir aber eine gegenteilige Entwicklung, der Anbau ist rückläufig. Eine wesentliche Rolle spielt der politisch festgesetzt Mindestlohn von 12 Euro im Herbst 2022. Sollten wir so weitermachen und zu einer Anhebung auf 15 Euro oder etwas darunter kommen, käme das einem Strukturwandelbeschleunigungs- und Ausstiegsprogramm für Obst-, Gemüse- und Weinbaubetriebe gleich. Unser Vorschlag sieht vor, für Saisonarbeitskräfte, die ihren Lebensmittelpunkt in anderen europäischen Ländern haben, 80 % vom gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen. Das ist aufgrund der geringeren Lebenshaltungskosten in den Herkunftsländern gerechtfertigt und wäre für die Betriebe verkraftbar.

Mit dem Bundeslandwirtschaftsminister und mit dem Bundesumweltminister sind zwei Ressorts mit ihren Spitzen auf dem Bauerntag vertreten, die in vergangenen schwarz-roten Koalitionen selten einer Meinung waren, wenn es um Landwirtschaft ging. Markiert der Bauerntag nach Ihren Vorstellungen einen Neuanfang?

Rukwied: Eine gegenseitige Blockadehaltung nützt niemandem, den Bauern am wenigsten. Ich wünsche mir, dass von den Ministern Rainer und Schneider klare Signale ausgehen, dass man gewillt ist, künftig vernünftig zusammenzuarbeiten. Gute Politik erfordert Kompromisse, mit denen beide Seiten leben können, die Landwirtschaft genauso wie Natur- und Umweltschutzorganisationen. Aufgabe von Politik ist es, dafür die Grundlage zu schaffen. Dafür braucht es den Willen, Ergebnisse zu liefern.

Ich wünsche mir, dass von den Ministern Rainer und Schneider klare Signale ausgehen, dass man gewillt ist, künftig vernünftig zusammenzuarbeiten.
Joachim Rukwied

50% von Wirtschaft ist Psychologie, sagen manche. Was können die beiden Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen, Jens Spahn und Matthias Miersch, beitragen zu einem Stimmungsaufschwung in der Agrarbranche?

Rukwied: Wir erwarten eindeutige Bekenntnisse zur Landwirtschaft in Deutschland, zur Weiterentwicklung der Tierhaltung und deren Finanzierung sowie Signale, dass man die Sorgen der Branche in Bezug auf den Mindestlohn ernst nimmt. Die Delegierten müssen spüren, dass die Koalition gewillt ist, an einem Strang zu ziehen und die Herausforderungen anzupacken.

Was ist für den DBV die wichtigste Botschaft des Bauerntages?

Rukwied: Der Bauerntag steht unter dem Motto „Mehr Politikwechsel wagen“. Das gilt nicht nur für die Wirtschaftspolitik sowie die innere und äußerte Sicherheit, sondern auch für die Agrarpolitik. Die Menschen müssen wieder Vertrauen schöpfen, dass Politik ihre Probleme löst. Wenn das auf dem Bauerntag erkennbar ist, wäre viel gewonnen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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