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Schulz-Interview: „Geiz ist geil gilt leider auch an der Wursttheke!“

Die Agrarwirtschaft ist ein wichtiger Anker für die Wirtschaft, sagt Martin Schulz. Wie die SPD mehr Tier- und Umweltschutz schaffen und gleichzeitig wettbewerbsfähige Betriebe erhalten will, erläutert der Kanzlerkandidat im top agrar-Interview. Wie wichtig sind Ihrer Partei Landwirtschaft und Agrarpolitik?

Lesezeit: 9 Minuten

Die Agrarwirtschaft ist ein wichtiger Anker für die Wirtschaft, sagt Martin Schulz. Wie die SPD mehr Tier- und Umweltschutz schaffen und gleichzeitig wettbewerbsfähige Betriebe erhalten will, erläutert der Kanzlerkandidat im top agrar-Interview.

 

Wie wichtig sind Ihrer Partei Landwirtschaft und Agrarpolitik?

 

Schulz: Die Landwirtschaft und die Ernährungsindustrie sind nach wie vor einer der größten Wirtschaftsfaktoren in unserem Land. Gerade in den ländlichen Räumen sind sie ein wichtiger Wirtschaftsanker, der Wohlstand sichert und Arbeitsplätze schafft. Für den ländlichen Raum ist die Agrar- und Ernährungspolitik daher von großer Bedeutung. Gleichzeitig müssen wir dabei die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Umwelt im Blick haben. Am Beispiel der Autoindustrie zeigt sich, dass dies nicht immer einfach ist.

 

Wie muss eine Agrarpolitik aussehen, die zugleich den Umwelt- und Tierschutz weiterentwickelt und dafür sorgt, dass die Landwirte wettbewerbsfähig bleiben?

 

Schulz: Immer mehr Bürgerinnen und Bürger wünschen sich eine nachhaltigere Landwirtschaft. Sie wollen Produkte, die umweltfreundlich, regional, in artgerechter Tierhaltung und unter fairen Arbeitsbedingungen erzeugt wurden.  Ein Teil der Wahrheit ist aber auch: Nur ein Teil der Bevölkerung will dafür tiefer in die Tasche greifen. Die Geiz-ist-geil-Mentalität existiert leider auch an der Wurst- und Käsetheke.

 

Um eine gesellschaftlich akzeptierte Tierhaltung zu erreichen, müssen wir mit Mehrkosten in Höhe von etwa 4 Mrd. € jährlich rechnen. Ohne politische Begleitmaßnahmen würde dies zwangsläufig zu einer Abwanderung von Teilen der Produktion in Länder mit geringeren Tierschutzstandards führen.

 

Auf den Markt vertrauen Sie nicht?

 

Schulz:Wir müssen die richtigen Weichen stellen. Gleichzeitig müssen wir die Chancen, die uns eine nachhaltige Landwirtschaft bietet, noch viel besser ausschöpfen. Hohe Tier- und Umweltschutzstandards können bei entsprechendem Marketing ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein.

 

Die Landwirtschaft hat mit Unterstützung der Bundesländer in den vergangenen Jahren mehrere hundert Millionen Euro in den Ausbau artgerechterer Ställe investiert, die über den gesetzlichen Mindeststandards liegen. Vermarktet wurde dies jedoch nicht. Wir wollen deshalb ein Tierschutzlabel einführen, das seinen Namen verdient und für hohe Glaubwürdigkeit steht. Dies wäre ein guter Ansatz, auch um den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu verdeutlichen, worin ihre Steuergelder investiert werden.

 

Wie viele Steuerungsmöglichkeiten haben wir, um Preiskrisen zu vermeiden?

 

Schulz: Nur ein fairer Preis für Lebensmittel trägt dazu bei, die Existenz landwirtschaftlicher Betriebe dauerhaft zu sichern.

 

Wir wollen den Landwirtinnen und Landwirten eine langfristige, unternehmerische Perspektive geben und ihre Position in der Wertschöpfungs- und Vermarktungskette ihrer Produkte stärken. Das heißt, dass wir den Landwirten Gestaltungsspielraum, vor allem was die Vertragsgestaltung im Milchbereich angeht, zurückgeben wollen.

 

Wer soll die Milchmenge steuern?


 

Schulz:Milchviehhalter brauchen in Zukunft Verträge, in denen Menge, Preis, Dauer und Kündigungsfristen einheitlich geregelt werden. Darüber hinaus müssen die Erzeuger die Zügel für eine aktive Mengensteuerung in der Hand halten. Die Meinung von Bundesminister Schmidt, Milch hätte ein Absatz-, aber kein Mengenproblem, teilen wir nicht. Es müssen die Strukturen zum Beispiel in der Gemeinsamen Marktordnung zu Gunsten der Landwirte geändert werden. Auch ist nicht nachvollziehbar, dass es bereits heute eine europäische Krisenreserve in der EU-Agrarpolitik gibt, diese aber im Krisenfall gar nicht angefasst wird.

 

Das muss sich ändern. Außerdem wollen wir Regionalvermarktungsinitiativen stärker unterstützen, unter anderem durch ein Bundesprogramm Regionalvermarktung. Dadurch verbleibt ein größerer Anteil der Wertschöpfung in der Region.

 

Ist der Export für Sie keine Option? Wie steht die SPD zu Freihandelsabkommen?

 

Schulz:Auch in Zukunft wollen wir gute Freihandelsabkommen zwischen der EU und Drittstaaten abschließen, die für beide Seiten ein wirtschaftlicher Gewinn sind und sich durch hohe Standards auszeichnen. Denn unsere hohen Anforderungen zu verteidigen, geht in einer globalisierten Welt nicht mehr alleine. Das schaffen wir nur im Schulterschluss mit unseren EU-Partnern. Mit fairen Handelsabkommen, die die verbindliche Einhaltung sozialer, verbraucherrechtlicher und ökologischer Standards zur Bedingung machen, können wir diese Werte dann sogar exportieren.

 

Wo ziehen Sie dabei die Grenze?


 

Schulz:Keinesfalls möchte ich die Zukunft unserer Weltwirtschaft einem Egomanen wie Donald Trump überlassen. Seiner Politik des Nationalismus und Populismus müssen wir energisch entgegentreten. Und auch nicht China, einem respektablen aber ebenso autokratischen Regime, das die Menschenrechte unterdrückt. Dabei gibt es auch bei uns Stimmen, die rufen, dass wir angesichts dieses Wettbewerbs vielleicht ein bisschen weniger Standards haben sollten. Wir sind in der SPD jedoch überzeugt: Standards zu senken, um wirtschaftliche Vorteile zu gewinnen, geht auf Kosten der Menschen, des Bodens, des Wassers und der Tiere.

 

Hohe Standards sind auch eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft. Europa muss ein Markt sein, der sich durch hohe Produkt-Innovation und beste Qualität von den anderen unterscheidet. Das gilt auch für unsere hochwertigen landwirtschaftlichen Erzeugnisse. In Sachen Landwirtschaft ist mir wichtig zu betonen: In Handelsabkommen darf der Bereich Landwirtschaft nicht zur Verhandlungsmasse degradiert werden.

 

Agrarpolitik wird maßgeblich in Brüssel gestaltet. Wie soll die EU-Agrarpolitik nach 2020 aussehen?

 

Schulz: Wir wollen, dass Landwirtinnen und Landwirte von ihrer Arbeit leben können. Die Basis dafür ist, dass sie einen fairen Preis für gute Produkte erzielen. Und wir wollen eine Landwirtschaft, die auf Umwelt- und Naturschutz, die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher und das Wohl der Tiere ausgerichtet ist. Ich habe sehr großen Respekt vor der harten und verantwortungsvollen Arbeit der Bauern und Bäuerinnen, für die eine Sieben-Tage-Woche nichts Ungewöhnliches und Urlaub die Ausnahme ist. Doch nach wie vor verlieren zu viele Betriebe den täglichen Existenzkampf, trotz der immensen Summen im Agrarhaushalt, oft auch, weil ein Hofnachfolger fehlt.

 

Wir sind deshalb der Auffassung, dass wir eine grundlegende Neuausrichtung der EU-Agrarförderung brauchen. Wir wollen unsere Landwirtschaft in ihrer ganzen Vielfalt erhalten und gezielter solche Betriebe unterstützen, die über das gesetzlich verpflichtende Maß hinaus in Klimaschutz, Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen investieren.

 

Was heißt das für die EU-Förderung?

 

Schulz: Von den pauschalen Direktzahlungen wollen wir bis 2026 schrittweise in ein punktgenaues Fördersystem umsteigen. Die öffentlichen Gelder sollen dort hinfließen, wo sie gebraucht werden und wo die Landwirtschaft dem Gemeinwohl dienen kann. Das ist heute oft nicht der Fall.

 

Der Brexit und andere neue Herausforderungen stehen an. Droht eine Kürzung des EU-Agrarhaushalts?


 

Schulz: Die EU-Agrarpolitik wurde jahrzehntelang richtigerweise aus der Perspektive notwendiger Ernährungssicherung gedacht und gestaltet. Auch für die Integration neuer Mitgliedstaaten war die Gemeinsame Agrarpolitik über die Jahre enorm wichtig. Schließlich war der Agrarbereich der erste komplett vergemeinschaftete Wirtschaftsbereich der EU. Doch mittlerweile haben sich die Rahmenbedingungen und der gesellschaftliche Anspruch an eine nachhaltige Landwirtschaft geändert. So werden sich aufgrund des Brexits, aber auch aufgrund der zahlreichen neuen Herausforderungen wie der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit oder der Bewältigung der Migrationsströme die Schwerpunkte der EU zunehmend verändern. Dies wird nicht ohne Auswirkungen auf den Agrarhaushalt funktionieren können. So ehrlich müssen wir im Gegensatz zu den anderen Parteien auch gegenüber den Landwirtinnen und Landwirten sein.

 

Wie muss der Brexit gestaltet werden?

 

Schulz: Als überzeugter Europäer muss ich nicht sagen, wie sehr ich das Abstimmungsergebnis bedaure. Deutschland und Großbritannien haben innerhalb des europäischen Binnenmarktes immer wirtschaftlich stark voneinander profitiert. Auch verlieren wir mit dem Ausscheiden Großbritanniens einen wichtigen politischen Partner, der uns bei vielen agrarpolitischen Fragen näher stand als etliche andere europäische Mitgliedstaaten. Doch die Entscheidung ist gefallen. Jetzt müssen wir die Austrittsverhandlungen zügig führen, um den Menschen die Unsicherheit zu nehmen und der Wirtschaft die notwendige Planungssicherheit zu geben.

 

Mit rund 4,5 Mrd. € und ca. 7 % der gesamten Agrar- und Nahrungsmittelexporte ist Großbritannien ein wichtiger Handelspartner für die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft. Ziel der Verhandlungen muss es sein, dass dies auch künftig so bleibt. Es gilt die Beziehungen so zu regeln, dass auch weiterhin ein fairer Handel möglich bleibt, von dem beide Seiten profitieren.

 

Zurück auf die deutsche Ebene: Was will die SPD gegen die Abwanderung in einigen ländlichen Regionen tun?

 

Schulz:Ich habe häufig betont: Die Entwicklung der ländlichen Regionen ist eine unserer Kernaufgaben. Bauern und Bäuerinnen ebenso wie genossenschaftliche Betriebe prägen den ländlichen Raum ganz besonders. Sie sind als Arbeitgeber und Kulturträger das Rückgrat dieser Regionen. Hier lebt über die Hälfte unserer Bürgerinnen und Bürger. Sie sollen die gleichen Chancen und Voraussetzungen für ein gutes Leben haben wie die Menschen in den Metropolen und Ballungsräumen. Dies ist eine zentrale Gerechtigkeitsfrage.

 

Wir können es nicht weiter zulassen, dass in einigen Landstrichen in Deutschland junge Menschen keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben oder für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger der Weg zum nächsten Arzt immer weiter wird.

 

Auch kann es nicht angehen, dass einige Regionen in Deutschland vom schnellen Internet abgeschnitten sind. Daher müssen wir auch im ländlichen Raum wieder viel mehr investieren – in attraktive öffentliche Verkehrsanbindungen, in die medizinische Versorgung, in Schulen, in Kinderbetreuung und in den Breitbandausbau. Keine Region soll abgehängt werden. Hier wurde viel Zeit vertan.

 

Was tun Sie für die wachsende Gruppe der angestellten landwirtschaftlichen Arbeitnehmer?

 

Schulz: Die SPD kämpft für gute und sichere Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten. Das gilt für alle Branchen und auch für die in der Landwirtschaft angestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir wissen, dass hier viel zu tun ist: Von mitarbeitenden Familienmitgliedern bis hin zu dringend benötigten Saisonarbeitern braucht die Landwirtschaft unkomplizierte, praxistaugliche Regelungen. Mit dem „Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft“ haben wir gerade wichtige Verbesserungen durchgesetzt, um die prekären Arbeitsverhältnisse in dieser Branche einzudämmen. In der Landwirtschaft müssen wir vor allem auch für ausreichende Qualifizierungsmöglichkeiten und ein gutes Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebot sorgen, das den Anforderungen einer zeitgemäßen Landwirtschaft entspricht.

 

Wie zukunftsfest ist die eigenständige Agrarsozialversicherung?

 

Schulz:Die Struktur der heutigen agrarsozialen Versicherung geht auf die Zeit von Willy Brandts Kanzlerschaft zurück. Sie war damals eine richtige Entscheidung. Angesichts des anhaltenden Strukturwandels und der sinkenden Mitgliederzahlen müssen wir uns aber der Frage stellen, ob die Agrarsozialversicherung auf Dauer finanzierbar ist oder Berufseinsteiger in Zukunft nicht in die allgemeine Renten- und Krankenversicherung einzahlen sollten.


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Wird es unter einem Bundeskanzler Martin Schulz ein eigenständiges Landwirtschaftsministerium geben?

 

Schulz: In welcher Form wir die jeweiligen Interessen am besten wahren und in Einklang

miteinander bringen können, werden wir in den Koalitionsverhandlungen entscheiden.

 

Die Fragen stellte top agrar-Chefredakteur Dr. Ludger Schulze Pals.

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