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Spiller sieht nur noch wenig Chancen für Umsetzung des Borchert-Konzepts in Reinform

Prof. Achim Spiller über ein mögliches Scheitern des Borchert-Konzepts, die Vorteile einer Nachhaltigkeitsbesteuerung und seine Erwartungen an Politik und Wirtschaft.

Lesezeit: 14 Minuten

Nur noch geringe Chancen räumt der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Agrar- und Ernährungspolitik sowie gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE), Prof. Achim Spiller, einer weitgehenden Umsetzung des Konzepts der Borchert-Kommission für einen Umbau der Tierhaltung in Deutschland ein. Er sei jedoch zuversichtlich, dass sich Kernelemente der Empfehlungen letztendlich in den zu beschließenden politischen Maßnahmen wiederfinden werden, sagt Spiller im Interview mit AGRA-EUROPE.

AgE: Herr Prof. Spiller, führen der Ukraine-Krieg und dessen Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit zu einer größeren Wertschätzung in der Bevölkerung für die heimische Landwirtschaft?

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Spiller: Eindeutig ja. Bereits im Verlauf der Corona-Pandemie haben wir eine steigende Präferenz für die heimische Landwirtschaft beobachten können. In einer Reihe von Studien wurde das belegt. Diese Entwicklung wird sich mit dem Ukraine-Krieg weiter verstärken.

Macht es dann nicht aus landwirtschaftlicher Sicht Sinn, auf eine Herkunftskennzeichnung zu setzen, damit den Worten der Verbraucher auch Taten beim Einkauf folgen?

Spiller: Sie spielen auf die Herkunftskennzeichnung tierischer Produkte an. Ich halte sie für sinnvoll, wenn die Reihenfolge eingehalten wird: Erst müssen Schritte gegangen werden, um das Tierwohlniveau insgesamt anzuheben. Anschließend kann man das mit dem Herkunftsimage verbinden. Das macht Sinn für das Marketing, aber nicht andersherum.

In Krisenzeiten denken die Verbraucher an die eigene Versorgung

Wie ändern steigende Lebensmittelpreise das Einkaufsverhalten von Verbrauchern?

Spiller: Einkommensschwache Bevölkerungsschichten schauen stärker auf den Preis, wenn Lebensmittel teurer werden. Ein Teil der Menschen muss so handeln, weil das Geld einfach zu knapp ist. Das wissen wir aus den vergangenen Preissteigerungswellen. Das wird auch diesmal wieder so sein.

Verlieren Tierwohl und Nachhaltigkeit mit steigenden Preisen an Bedeutung für die Konsumenten?

Spiller: Beim Mensch-Tier-Verhältnis und der Bedeutung des Klimaschutzes handelt es sich um langfristige Werte und Einstellungen. In den bisherigen Preiskrisen haben die sich als stabil erwiesen. Mehrere Studien von uns und anderen zeigen, dass während Corona und trotz zeitweise leerer Regale diese Nachhaltigkeitsthemen bei den meisten Menschen sogar noch stärker in den Fokus gerückt sind.

Was man auch in der Vergangenheit bei Preisspitzen sehen konnte ist, dass die Menschen der Lebensmittelsicherung, Handelsmarken und dem Discount einen größeren Stellenwert einräumen. Das dürfte sich im Zusammenhang mit dem Krieg noch stärker zeigen und führt zu einer Delle für teure Segmente, aber eben nur zeitweise.

Niedrigere MwSt für nachhaltige Produkte sinnvoll

Wie bewerten Sie den Ansatz, über Änderungen bei der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel das Ernährungsverhalten zu beeinflussen?

Spiller: In unserem umfangreichen Beiratsgutachten von 2020 zur nachhaltigeren Ernährung haben wir uns für eine Reduktion der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte ausgesprochen. Der WBAE befürwortet ausdrücklich den Ansatz, nachhaltige, gesunde Produkte preiswerter und weniger nachhaltige Produkte teurer zu machen, also mit Steuern auch im Bereich des Konsums zu lenken. Ich finde es gut und wichtig, dass diese Diskussion jetzt geführt wird. In erster Linie geht es darum, einen Einstieg in eine nachhaltige Konsumbesteuerung zu finden.

Wir wirksam kann eine solche Konsumbesteuerung sein?

Spiller: Eine aktuelle amerikanische Studie zeigt, dass ein Drittel der notwendigen Konsumveränderungen über Preisänderungen angestoßen werden könnte. Preise sind ein wichtiges Steuerungsinstrument. Die Wirksamkeit unterscheidet sich aber von Produkt zu Produkt und hängt von der jeweiligen Preiselastizität ab. Für Fleisch liegt sie etwa bei -0,5. Das bedeutet, dass bei einer Preissteigerung um 10 % die Nachfrage um 5 % zurückgeht.

Nachhaltigkeitskonsumbesteuerung kann Impulse setzen

Die Diskussion um Konsumsteuerung wird kontrovers geführt. Hat der Staat das Recht, in den Kochtopf hinein zu regieren?

Spiller: Konsumsteuerung ist generell ein sehr schwieriges Thema in Deutschland. Gesellschaftlich und politisch ist die Frage der Nachhaltigkeitsbesteuerung stark umstritten. In der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) haben wir lange um eine Formulierung gerungen. Im Ergebnis haben wir uns der Beiratsforderung nach einer Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte angeschlossen.

Ist das politisch mehrheitsfähig?

Spiller: In der gegenwärtigen Situation ließen sich Preissenkungen möglicherweise eher durchsetzen als Preiserhöhungen. Im Prinzip bräuchten wir aber beides, also auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte. Mit einer solchen Nachhaltigkeitskonsumbesteuerung könnten wir einen Impuls setzen für mehr Umweltschutz, Tierschutz und Gesundheit. Da würden diese beiden Steuerveränderungen schon sehr schön zusammenpassen.

Wie groß sind Ihrer Auffassung nach derzeit die Chancen für den vollen Mehrwertsteuersatz auf tierische Erzeugnisse?

Spiller: Lassen Sie mich zunächst sagen, dass dieser Vorschlag der Borchert-Kommission einen doppelten Nutzen hätte: Wir könnten dadurch den Umbau der Tierhaltung fördern und gleichzeitig dafür sorgen, dass besser gegessen oder dass zumindest ein Anstoß in die richtige Richtung gegeben würde, weil ja weniger Fleischverzehr nicht automatisch bedeutet, dass stattdessen gesünder gegessen wird.

Wie realistisch ist das in der gegenwärtigen politischen Gemengelage?

Spiller: Für die politische Diskussion ist es zentral zu kommunizieren, dass es nicht um mehr Steuereinnahmen für den Staat geht. Es geht vielmehr darum, dass wir bestimmte Produkte teurer machen und andere Produkte im Gegenzug dafür günstiger. Am Schluss sollten die Steuerzahler nicht stärker belastet werden.

Die Debatte um Nachhaltigkeitsbesteuerung leidet darunter, dass sie immer in das Fahrwasser von Steuererhöhung gerät. Ziel ist jedoch eine Steuerdifferenzierung. Ich hoffe sehr, dass die FDP die Diskussion doch noch stärker unter diesem Aspekt führt. Gerade Marktwirtschaftler sollten doch verstehen, dass Preise ein wirksames Lenkungsinstrument sind und dass in den heutigen Preisen externe Kosten fehlen.

Tierwohlabgabe fände keine große Unterstützung

Gesetzt den Fall, der Mehrwertsteuervorschlag findet politisch keine Zustimmung, bliebe eine Tierwohlabgabe. Sehen Sie darin einen gangbaren Weg?

Spiller: Im Prinzip ja. Allerdings findet eine neue Abgabe gegenwärtig ebenfalls keine große Unterstützung, zumal damit ein erheblicher Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Wenn also weder eine Abgabe kommt noch ein Einstieg in eine Besteuerung, bleibt nur der Bundeshaushalt.

Die vereinbarten 1 Mrd. € im Zeitraum 2023 bis 2026 sind geeignet, einige investive Anreize zu setzen, mehr aber nicht. Entscheidend ist jedoch eine Kompensation der laufenden Mehrkosten, die den Landwirten durch Tierwohlmaßnahmen entstehen. Vielleicht könnte man über den Bundeshaushalt weitere Tierwohlzuschüsse im Rahmen der Zweiten Säule finanzieren. Man wird das dann aber mit anderen Instrumenten koppeln müssen.

Wenn das alles nicht reicht - was dann?

Spiller: Die größte Chance wäre sicherlich, den Lebensmitteleinzelhandel dazu zu bewegen, die Auslistung der Haltungsstufen 1 und 2 verbindlich zu machen. Diese Selbstverpflichtung müsste dann auch andere Bereiche umfassen, zum Beispiel die Wurstindustrie. Das sollte doch eigentlich gehen, denn fast alle großen Handelsunternehmen verfügen über große Fleischwerke und produzieren auch selbst Wurst. Der größte deutsche Wurstproduzent ist bekanntlich Tönnies.

Die Player, die jetzt bereits am Tisch sitzen, könnten in einem größeren Umfang auch Selbstverpflichtungen für verarbeitetes Fleisch abgeben. Dann muss auch die Systemgastronomie einbezogen werden. Ziel muss es sein, einen möglichst hohen Anteil des Marktes für Tierwohlprodukte abzusichern. Hinzu kommen sollten Instrumente, die auch Importe auf gleiche Standards verpflichten oder an der Grenze entsprechend verteuern - eine Grenzausgleichsabgabe.

Haltungsstufe 3 kommt langsam im Handel an

Wie würde sich der Markt für Tierwohlprodukte ohne staatliche Finanzierung entwickeln?

Spiller: Wir beobachten gerade, dass der Handel versucht, im Bereich der Haltungsstufe 3 erste Programme aufzubauen. Diese Entwicklung wird weitergehen. Aber klar ist, wir reden nur über ein Viertel oder maximal ein Drittel des Marktes für Frischfleisch. Da ist keine Verarbeitungsware dabei.

Ein Thema, über das viel gesprochen wird, bei dem es jedoch offenbar wenig Bewegung gibt, ist die Weiterentwicklung des Bau- und Umweltrechts. Wird das unterschätzt?

Spiller: Die Borchert-Kommission misst diesem Bereich eine ebenso hohe Bedeutung bei wie der Finanzierung. Die Erleichterung von Stallbauten ist eine Riesenherausforderung und regional unterschiedlich akut. Wir werden eine Blaupause bekommen mit der Genehmigung von Wind- und Solarenergieanlagen. Da steht die Regierung vor der Fragestellung, nachhaltige Energieerzeugung und Naturschutz zusammenzubringen. Genauso muss sie eine nachhaltige Nutztierhaltung mit dem Natur- und Immissionsschutz zusammenbringen. Für eine gewisse Entspannung könnte eine Reduzierung der Tierhaltung sorgen.

Konsum entscheidet, nicht Abbau der Tierzahl

Soll die Politik den Abbau forcieren, wie einige Tier- und Naturschutzorganisationen fordern?

Spiller: Wir haben sowohl in der Borchert Kommission als auch im Wissenschaftlichen Beirat betont, dass letztlich der Konsum entscheidend ist und wir nicht versuchen sollten, die Tierhaltung politisch runterzufahren. Wenn wir das täten, würde lediglich heimische Erzeugung durch Importe ersetzt, und für das Tierwohl wäre nichts gewonnen.

Bedeutet eine mögliche Kombination aus wenig finanzieller Unterstützung und höheren Anforderungen an die Tierhaltung Umbau durch Abbau?

Spiller: Diese Gefahr besteht. Der Stellhebel für eine Verminderung der Fleischerzeugung muss der Konsum sein. Eine Mehrwertsteuererhöhung oder eine Tierwohlabgabe würden da ansetzen und zugleich Mittel generieren, die für den Umbau der Tierhaltung dringend benötigt werden.

Fleischkonsum polarisiert

Wie entwickelt sich der Fleischkonsum in Deutschland?

Spiller: In den vergangenen zehn Jahren ist der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch von 63 kg auf 55 kg gesunken, wobei sich die Abnahme in den letzten Jahren beschleunigt hat. Wir wissen aus Studien, dass sich in puncto Fleischkonsum eine gesellschaftliche Polarisierung vollzieht. Es gibt sie noch, die Grillleidenschaft in Deutschland. Gleichzeitig wächst jedoch die Zahl der Vegetarier und Veganer. In einem Teil der Bevölkerung beobachten wir einen sehr hohen, teilweise gesundheitlich bedenklichen Fleischkonsum.

Sind die offen für Informationen und Ratschläge?

Spiller: Leider nein. Informationen erreichen eher die Verbraucher, die ohnehin schon wenig Fleisch essen. Deren Verzehr geht weiter zurück; einige von ihnen werden zu Vegetariern und Veganern.

Was ist zu tun, damit sich der Fleischkonsum und die heimische Erzeugung in etwa parallel entwickeln?

Spiller: Die Politik wird sich schwer tun, einen solchen Gleichklang zu gewährleisten. Die Politik sollte aus meiner Sicht klare Impulse für die Nachfrageseite geben. Dann wird sich die Angebotsseite anpassen. Das wird sich über den Preis regeln. Die großen Handelsunternehmen haben aus meiner Sicht beachtliche Bekenntnisse zur Versorgung mit Fleisch aus Deutschland abgegeben. Offenbar haben die großen Handelsunternehmen kein Interesse daran, im Frischfleischbereich stark auf Importe zu setzen. Da ergeben sich Chancen für die heimische Qualitätserzeugung.

Unglücklich, dass höchste Stufe hinter Bio zurückblieb

Um die geplante staatliche Haltungskennzeichnung gibt es heftigen Streit. Was halten Sie von der Forderung der Ökoverbände, die oberste Haltungsstufe ausschließlich Bio vorzubehalten?

Spiller: Wir als Borchert-Kommission hatten ursprünglich vorgeschlagen, dass die oberste Haltungsstufe in einigen Kriterien hinter Bio zurückbleibt, etwa hinsichtlich des Platzangebots. Das war unglücklich. Deswegen halte es für sinnvoll, in diesen Punkten auf den Biostandpunkt zuzugehen.

Ist es gerechtfertigt, konventionelle Betriebe von der Premiumstufe auszuschließen?

Spiller: Es gibt keinen fachlichen Grund, dass ein konventioneller Betrieb nicht das gleiche Tierwohl bieten kann wie ein ökologischer. Ein Tierwohlkennzeichen sollte auch Tierwohl kennzeichnen. Sonst sind wir bei der Diskussion über ein Gesamtnachhaltigkeitslabel. Das wäre jedoch eine andere Form der Kennzeichnung. Deshalb bin ich dafür, dass auch konventionelle Betriebe eine Chance haben sollten, da rein zu kommen. Zwar gilt das 30 %-Ausbauziel im Prinzip auch für den Tierbereich. Wer hier vorankommen will, sollte jedoch bei der Förderung ansetzen, nicht bei der Kennzeichnung.

Weitere tierbezogene Kriterien ergänzen

In der letzten Legislatur ging es um eine Tierwohlkennzeichnung, jetzt nur noch um eine Haltungskennzeichnung. Reicht die?

Spiller: Das Haltungssystem ist eine zentrale Säule des Tierwohls. Hier können wir ansetzen. Perspektivisch müssen aber tierbezogene Kriterien hinzukommen. Tierwohl darf nicht nur mit dem Zollstock, sondern muss auch am Tier gemessen werden. Das ist allerdings nicht einfach. Es erfordert umfangreiche Kontrollen und mehr Zeit. Die benötigten Indikatoren sind noch nicht vollständig. Beispielsweise haben wir nach wie vor Probleme, Schlachtbefunddaten gut vergleichbar über die verschiedenen Schlachthöfe zu bekommen.

Was wäre die Folge, sollte es keine Einstiegsstufe bei der Haltungskennzeichnung geben?

Spiller: Dann würden die Fortschritte zunichte gemacht, die mit der Initiative Tierwohl (ITW) und dem Handel in den vergangenen Jahren erreicht worden sind; das kann niemand wollen. Meine Wahrnehmung ist aber, dass zwischen den Positionen des Bundeslandwirtschaftsministeriums und der ITW Kompromisse möglich sind.

Problem der ITW ist, dass sie von der Wirtschaft kommt

Offenbar findet die Rolle der ITW für den Tierschutz keine durchgehende Anerkennung. Wie kommt das?

Spiller: Ich sehe eine Ursache darin, dass die ITW eine rein wirtschaftsdominierte Einrichtung ist. Das gilt übrigens auch für die Qualität und Sicherheit GmbH (QS). Gremien, die sich mit der Entwicklung von Standards befassen, müssen jedoch die gesellschaftlichen Gruppen - oder neudeutsch „Stakeholder“ - einbeziehen, und zwar auch in die Entscheidungsgremien. Wenn sich die ITW an dieser Stelle nicht bewegt, darf sie sich nicht wundern, wenn ihr gesellschaftlich nicht getraut wird.

Es gibt Überlegungen, bei der staatlichen Haltungskennzeichnung ganz auf Zahlen für die Stufen zu verzichten. Wie bewerten Sie das im Sinn der angestrebten besseren Verbraucherorientierung?

Spiller: Für die Konsumenten sind die Zahlen nicht entscheidend; die merkt sich sowieso kaum jemand. Wichtig sind die farbliche Abstufung und knackige Bezeichnungen wie Freiland und Weide.

Nur noch relativ geringe Erfolgswahrscheinlichkeit für 1:1-Umsetzung

Die Kennzeichnung ist nur ein kleiner Teil des Borchert-Konzepts. Wie hoch stehen die Chancen für dessen Umsetzung „in Gänze“?

Spiller: Für den Borchert-Vorschlag in Reinform sehe ich nur noch eine relativ geringe Erfolgswahrscheinlichkeit. Das wird ein Stück weit relativiert, weil wir inzwischen eine deutlich größere Chance sehen, die Marktakteure mit in die Verantwortung zu nehmen, als wir das ursprünglich absehen konnten. Trotzdem bleibe ich zuversichtlich, dass sich die Kernelemente der Empfehlungen letztendlich in der Politik wiederfinden werden. Nur auf Kennzeichnung zu setzen reicht auf keinen Fall.

Was wären diese Kernelemente?

Spiller: Entscheidend ist, dass die Finanzierung und die Umbaumöglichkeiten für die Landwirte so verlässlich sein werden, das sich ein wesentlicher Teil der tierhaltenden landwirtschaftlichen Betriebe auf den Umbau einlässt.

Was kommt noch?

Sie sind Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL). Was ist von der ZKL über den Abschlussbericht vom vergangenen Jahr hinaus zu erwarten? Immerhin haben sich die Rahmenbedingungen inzwischen grundlegend verändert?

Spiller: Der Abschlussbericht der Zukunftskommission legt bewusst den Schwerpunkt auf die nationale Sicht. Die internationale Dimension mit den Fragen von Welternährung und Versorgungssicherheit sowie den sich daraus ergebenden Herausforderungen spielt im Bericht nur am Rand eine Rolle. Diese Themen sind inzwischen in den Fokus gerückt. Hier müsste intensiv nachgearbeitet werden. Ob und in welcher Form, ist offen. Die ZKL benötigt ein neues Mandat. Bislang lässt sich sagen, der Konsens hält. Wir sind uns einig, dass wir es mit multiplen Krisen zu tun haben, die gemeinsam gelöst werden müssen.

Was ist vom WBAE zur Neujustierung der Agrarpolitik zu erwarten?

Spiller: Der WBAE verfasst in der Regel keine kurzfristigen Stellungnahmen. Deswegen haben wir uns nicht zum Ukraine-Krieg und seine Folgen geäußert. Wir haben im Beirat darüber diskutiert und sind zum Schluss gekommen, dass der WBAE als „Marke“ für wissenschaftlich fundierte und entsprechend intensiv ausdiskutierte Gutachten steht. Das schließt Ad hoc-Positionierungen zu aktuellen Krisen weitgehend aus.

Sie waren an den wesentlichen agrarpolitischen Gutachten der vergangenen Jahre beteiligt, den großen Beiratsgutachten von 2015, 2016 und 2020, dem Borchert-Konzept und den Empfehlungen der ZKL. Sind Sie überrascht, wie mühsam die Umsetzung trotz breiter Zustimmung ist?

Spiller: Nein. Wir stehen im Agrar- und Ernährungsbereich vor einer großen Transformation. Die ist ebenso steinig wie die im Energie- und Mobilitätsbereich. Es geht um langfristige Vorhaben, die sich nicht in allen Einzelheiten vorausplanen lassen. Entscheidend ist, dass die Politik eine klare Linie verfolgt und daran festhält, gleichzeitig aber schnell auf Änderungen reagiert. Wir können nur hoffen, dass wir die Perspektive dabei nicht aus den Augen verlieren.

Zumindest beim Umbau der Tierhaltung lag der Ball lange auf dem Elfmeterpunkt. Inzwischen steht eine Mauer vor dem Tor und der Ball liegt weit außerhalb des Strafraums. Was sagt uns das?

Spiller: Die Mauer sehe ich gar nicht. Das würde ja heißen, wichtige Spieler wollten eigentlich auf ein anderes Tor spielen. Gibt es die noch, die Verfechter von Masse statt Klasse? Als Läufer sehe ich die Transformation eher als einen Marathonlauf, und wir sind beim Zwischenspurt gerade etwas ins Straucheln geraten. Das ist nicht gut für die Tierhalter.

Vielen Dank für das Gespräch.

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