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Stegemann betont agrarpolitischen Führungsanspruch der Union

Für Albert Stegemann kann es nur ein eigenständiges Bundeslandwirtschaftsministerium unter CDU-Führung geben. Ministerin Klöckner habe „gute Arbeit“ geleistet. Und was plant die Union in Zukunft?

Lesezeit: 17 Minuten

Den Führungsanspruch der Union in der Agrarpolitik unterstreicht der CDU-Bundestagsabgeordnete Albert Stegemann. Im Interview mit AGRA-EUROPE plädiert der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion vehement für die Beibehaltung eines eigenständigen Bundeslandwirtschaftsministeriums und verweist auf dessen identitätsstiftende Wirkung für Landwirtschaft und ländliche Räume.

Die CDU wolle das Ministerium auch künftig führen, „weil die damit verbundenen Themen für uns essentiell sind“. Stegemann bescheinigt Ressortchefin Julia Klöckner und ihrem Haus „gute Arbeit“ und nennt dabei ausdrücklich auch die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) erzwungene Novelle der Düngeverordnung. Die Kritik aus den eigenen Reihen an der Ministerin begründet Stegemann mit der Aufgabe der Parlamentarier, „die Politik der Regierung noch etwas besser zu machen“.

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Hoffnung setzt der CDU-Politiker in eine mögliche künftige Zusammenarbeit mit den Grünen. Beispielsweise habe er die Erwartung, „dass es bei den Grünen den Wunsch gibt, die Tierhaltung umzubauen und man sich dieser sachlichen Logik nicht plump verschließt“, so Stegemann in Anspielung auf schwierige Diskussionen mit dem derzeitigen Koalitionspartner SPD.

Sowohl in der Union als auch bei den Grünen gebe es „den ganz intensiven Wunsch, dass Gräben geschlossen werden“. Eine Koalition mit beiden Partnern biete dafür „eine wirkliche Chance“. Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) habe gezeigt, dass eine Verständigung trotz jahrzehntelanger Polarisierung möglich sei.

Agrarexport Ausdruck einer wettbewerbsfähigen Struktur

Sowohl den Empfehlungen der Zukunftskommission als auch den Vorschlägen der Borchert-Kommission misst Stegemann einen großen agrarpolitischen Stellenwert bei. Beide Konzepte lieferten Blaupausen, um zu verhindern, „dass immer größere Teile der Produktion ins Ausland abwandern und sich der Strukturwandel noch weiter beschleunigt“. Entscheidend sei dabei, dass die Betriebe einen Ausgleich brauchten, „wenn sie die an sie gestellten gesellschaftlichen Anforderungen erfüllten sollen“.

Die vieldiskutierte Transformation der Landwirtschaft versteht der CDU-Politiker als „Strukturwandel, der längst stattfindet“. Politik müsse diesen Strukturwandel „mit mehr Offenheit für die verschiedenen Produktionsrichtungen“ begleiten.

Stegemann warnt zugleich vor überzogenen Schlussfolgerungen. So müsse Agrarexport als Ausdruck einer wettbewerbsfähigen Struktur auch künftig möglich sein. Direktzahlungen seien auch längerfristig notwendig, seien aber stärker nach Artenvielfalt- und Klimaschutzgesichtspunkten auszurichten. Eine Öffnung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) für die ländliche Entwicklung lehnt der Unionsabgeordnete ab.

Hier das ganze Interview:

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Es gibt den großen Wunsch, Gräben zu schließen

Herr Stegemann, im Wahlprogramm von CDU und CSU heißt es, „wir wollen unsere Landwirtschaft aus dem Hamsterrad der permanenten Effizienzsteigerung unter Industriebedingungen befreien.“ Was bedeutet das?

Stegemann: Die Landwirtschaft ist einerseits in offenen Märkten unterwegs, die wir allein aus volkswirtschaftlichem Interesse unbedingt offen halten müssen. Andererseits sehen sich die Betriebe immer höheren Anforderungen an ihre Produktion ausgesetzt, die ihren Ausdruck vor allem in strengeren rechtlichen Vorgaben finden. Zwar sind die Betriebe immer besser und effizienter geworden. Am Ende hat es aber doch nicht gereicht, weil ihnen ordnungspolitische Maßnahmen einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Aus diesem Hamsterrad muss die Landwirtschaft raus.

Wie soll die Bauernbefreiung gelingen?

Stegemann: Wenn die Betriebe die an sie gestellten gesamtgesellschaftlichen Anforderungen und Bedingungen erfüllen sollen, brauchen sie dafür einen Ausgleich. Setzen wir hingegen weiter auf das Ordnungsrecht, ohne ein Entgelt für die damit einhergehenden zusätzlichen Kosten, werden wir erleben, dass immer größere Teile der Produktion ins Ausland abwandern und sich der Strukturwandel noch weiter beschleunigt. Die Zukunftskommission Landwirtschaft und die Borchert-Kommission liefern Blaupausen, wie man das verhindern kann.

Die Blaupause „Borchert-Konzept“ liegt seit Anfang letzten Jahres vor. Seitdem ist politisch nichts Wesentliches passiert. Woran lag‘s?

Stegemann: An dem konsequenten Willen, die Empfehlungen in Gänze umzusetzen. Es gab und gibt einen breiten Konsens, die Tierhaltung in Richtung von mehr Tierwohl weiter zu entwickeln. Streit herrscht darüber, wie das finanziert werden soll.

Haben Sie nicht Eindruck, dass sich manche hinter der Finanzierung verstecken, eigentlich aber viel weitergehende Bedenken haben?

Stegemann: Nein, zumindest nicht in unserer Fraktion. Wir können den Weg nicht beschreiten, solange die Finanzierung nicht verlässlich und langfristig geklärt ist. Dazu zählt für mich auch, dass es nicht nur einen Kostenausgleich geben darf, sondern verlässliche Anreize gegeben werden. Es muss zwischen Daumen und Zeigefinger Spaß machen, in Tierwohl zu investieren.

Planungssicherheit über mindestens 15 Jahre muss her. Dafür brauchen wir grünes Licht aus Brüssel. Ein dritter wichtiger Punkt ist die Klärung von bau-, genehmigungs- und emissionsrechtlichen Fragen. Wenn wir ambitioniertes Tierwohl und Borchert auch in Stufe drei - also Haltung mit Außenklimareiz - umsetzen wollen, geht das unweigerlich mit höheren Ammoniakemissionen einher. Darauf müssen wir mit einer veränderten rechtlichen Priorisierung reagieren.

Vor der Kamera hat jeder gesagt, wir wollen die Empfehlungen der Borchert-Kommission umsetzen. Wenn es aber ans Eingemachte ging, wurde koalitionsintern zum Rückzug geblasen.

Die Koalition ist das eine, die Union das andere. Auch bei Ihnen ist bis heute offen, ob überhaupt und wenn ja, wie der Umbau der Tierhaltung finanziert werden soll. Warum sollte das nach der Wahl anders sein?

Stegemann: Das „Ob“ steht nicht in Frage. Wir haben den eindeutigen politischen Willen, das Borchert-Konzept umzusetzen. Also geht es um das „Wie“. Es war richtig, dass wir uns vor der Wahl nicht festgelegt haben. Das gibt uns Spielraum in möglichen Koalitionsverhandlungen. Vielleicht werden da ganz andere und bessere Lösungen entwickelt, als sie jetzt auf dem Tisch liegen.

Allerdings gehen CDU und CSU mit der Aussage in den Wahlkampf, keine Steuererhöhungen. Das heißt doch: Borchert geht nicht.

Stegemann: Nein! Zwar sind damit möglicherweise steuerliche Lösungen schwierig. Es sind aber auch andere Finanzierungsmodelle vorstellbar. Voraussetzung ist jedoch, sie liegen in staatlicher Hand. Das wiederum ist eine zwingende Voraussetzung. Details müssen wir mit einem künftigen Koalitionspartner klären, sofern wir den Regierungsauftrag bekommen.

Ein möglicher künftiger Koalitionspartner sind die Grünen. Die wollen laut ihrem Wahlprogramm einen „Tierschutzcent“. Könnte da was gehen?

Stegemann: Dazu müsste man wissen, was sich die Grünen unter einem Tierwohlcent vorstellen. Entscheidend ist für mich zunächst die Erkenntnis der Grünen, dass es Tierwohl nicht zum Nulltarif geben kann. Das ist schon mal eine wichtige Grundlage, gemeinsam etwas zu erreichen.

Die Agrarfraktion in der Union wird kleiner. Mindert das nicht von vornherein die Erfolgsaussichten landwirtschaftlicher Anliegen, noch dazu, wenn dafür so große Räder zu drehen sind wie bei dem Borchert-Konzept?

Stegemann: Nicht unbedingt. Das Thema „Landwirtschaft“ wird auch künftig eine große Rolle bei uns spielen, allein schon deshalb, weil viele unserer Abgeordneten aus ländlichen Wahlkreisen kommen. Entscheidend wird aber sein, welche Leute nachkommen, wenn demnächst fünf Mitglieder unserer Arbeitsgruppe aus dem Bundestag ausscheiden.

Wer kommt denn nach?

Stegemann: Ohne dem Souverän vorzugreifen, ich gehe davon aus, dass darunter Abgeordnete sein werden, die agrarpolitische Themen kompetent und engagiert vertreten können.

Sie waren seinerzeit sehr zufrieden, dass die CDU nach 20 Jahren wieder das Bundeslandwirtschaftsministerium besetzt. Das Ressort verspricht nicht unbedingt große politische Ernten. Sollte es trotzdem in CDU-Hand bleiben?

Stegemann: Für mich ist beides zentral: Wir brauchen weiter ein eigenständiges Bundeslandwirtschaftsministerium, auch weil davon eine identitätsstiftende Wirkung für Landwirtschaft und ländliche Räume ausgeht. Und wir wollen es als CDU auch künftig führen, weil die damit verbundenen Themen für uns essentiell sind.

Umso mehr erstaunt, wie scharf hin und wieder die Kritik an Julia Klöckner war. Waren Sie unzufrieden mit der Ministerin?

Stegemann: Es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete, die Bundesregierung zu kontrollieren und im Auge zu behalten. Ziel ist, die Politik der Regierung noch etwas besser zu machen. Da benutzen wir meistens die Feile, nur gelegentlich die Raspel.

In der Auseinandersetzung um die Düngeverordnung schien die Raspel, manchmal auch der Hammer das bevorzugte Werkzeug zu sein. Warum sogar auf offener Bühne?

Stegemann: Das ist eine Frage der Kommunikation, aber auch von einzelnen Personen. Das ändert allerdings nichts an der Feststellung, dass Julia Klöckner und ihr Haus gute Arbeit geleistet haben, auch bei der vom Europäischen Gerichtshof erzwungenen Verschärfung der Düngeverordnung.

Welche politische Bedeutung messen Sie den Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) bei?

Stegemann: Die von der Zukunftskommission zusammengetragenen Erkenntnisse bestätigen, was sich seit längerem abzeichnet: Das Betriebssystem der deutschen Agrarpolitik stellt sich um.

Was heißt das?

Stegemann: Zusammengefasst, gesellschaftliche Leistung muss am Ende auch gesellschaftlich honoriert werden. Sonst bleiben die Landwirte auf der Strecke. Wenn wir den Umbau der Landwirtschaft wollen oder wegen des Klimawandels und des Artenrückgangs sogar vorantreiben müssen, dann müssen wir die Landwirte mitnehmen. Das ist für mich der Kern des Abschlussberichts, der sich im künftigen politischen Handeln wiederfinden muss. Weil diese Aussage auf einer breiten Verständigung von Agrar- und Umweltverbänden beruht, erhöht sich die Chance, dass es für notwendige Entscheidungen politische Mehrheiten geben wird.

Die Union war bislang in der Agrarpolitik darauf bedacht, die Landwirtschaft möglichst vor größeren Veränderungen zu bewahren, weil die zumeist mit Zumutungen für die Betroffenen einhergehen. Ändert sich das gerade?

Stegemann: Wir müssen jetzt wirklich nach vorne gehen und so viele mitnehmen, wie es nur möglich ist. Ich glaube, dass der beschriebene Weg in der Gesellschaft inzwischen breiten Konsens erfährt. Immer mehr Landwirte erkennen, wir können auch mit ökologischen Leistungen Geld verdienen.

Sollen Landwirte zu Landschaftspflegern werden?

Stegemann: Ich bin selber Landwirt. Ich sehe mich nicht als Landschaftspfleger, sondern ich bin landwirtschaftlicher Produzent. Das soll auch so bleiben. Es geht aber beispielsweise darum, dass Landwirte möglichst effizient einen Beitrag zur Artenvielfalt leisten, ohne dass sie die Zeche dafür zahlen, sondern im Gegenteil noch etwas dafür bekommen. Da sehe ich keinen Widerspruch zur Nahrungsmittelerzeugung, die weiter die Hauptaufgabe bleiben wird. Natürlich werden dabei wenig produktive Flächen aus der Produktion gehen. Das sollte aber vorteilhaft für die Umwelt und den Landwirt zugleich sein, für den sich solche Leistungen betriebswirtschaftlich rechnen müssen.

Um es noch einmal festzuhalten: Die Union will die Transformation der Landwirtschaft und wird sie begleiten?

Stegemann: Transformation ist Strukturwandel, der längst stattfindet. Wir müssen diesen Strukturwandel mit mehr Offenheit für die verschiedenen Produktionsrichtungen begleiten. Gleichzeitig bekennen wir uns zum Agrarstandort und insbesondere auch zum Tierhaltungsstandort Deutschland. Das eine geht nicht ohne das andere.

Die Zukunftskommission spricht sich für einen Ernährungswandel aus, weniger tierische Produkte, eine stärker pflanzenbasierte Ernährung. Das wird unweigerlich einen Rückgang der tierischen Erzeugung zur Folge haben. Gehen Sie mit?

Stegemann: Zunächst hängt die Entwicklung der Tierhaltung in Deutschland von vielen Faktoren ab. Wir sind erfolgreich am Markt. Häufig wird über unseren Exportanteil gejammert. Für mich ist Export aber auch Ausdruck einer wettbewerbsfähigen Struktur. Wenn wir ein gesundes Maß an Wettbewerbsfähigkeit erhalten, können wir auch für den Export produzieren.

Schon heute konkurrieren hiesige Produkte auf nationalen und internationalen Märkten mit solchen, die zu geringeren Standards hergestellt werden. Die Diskrepanz wird sich künftig verstärken, wenn die Politik den Empfehlungen der ZKL folgt. Brauchen wir wieder mehr Außenschutz?

Stegemann: Darüber müssen wir ernsthaft nachdenken. Vorschläge dafür macht ja nicht nur die ZKL, sondern auch die Europäische Kommission. Im Übrigen bin ich überzeugt, dass besonders nachhaltig erzeugte Agrarprodukte künftig auch international ihren Absatz finden werden. Der Klimawandel erfordert weltweit ein Umdenken.

Wie kann gewährleistet werden, dass die Landwirtschaft beim Klimaschutz vor die Welle kommt, wie Ministerin Klöckner immer wieder fordert?

Stegemann: Die Landwirtschaft hat den großen Vorteil, dass sie auch klimasenkende Leistungen integrieren kann - Stichwort Humusbildung. Hier kann der Sektor einiges tun, auch wenn das Thema Humusbildung weitaus komplexer ist, als es häufig dargestellt wird. Ich bin sicher, dass die Landwirtschaft mit ihrem 7 %-Anteil an den CO2-Emissionen ihre Hausaufgaben machen kann. Der Zehn-Punkte-Plan des Bundeslandwirtschaftsministeriums gibt dazu die Richtung vor. Vielleicht muss die Senkenleistung noch deutlicher herausgestellt werden.

Der größte Anteil der CO2-Emissionen aus der Landwirtschaft entfällt auf die Moornutzung. Ein Thema ist daher die Wiedervernässung von Mooren. Wie gehen Sie mit diesem schwierigen Thema um?

Stegemann: Das geht nur mit den Landwirten. Ähnlich wie beim Insektenschutz muss auch hier gelten: Eingriffe ins Eigentum müssen ausgeglichen werden. Das ist für mich die Richtschnur des politischen Handelns. Wenn wir also diesen Weg gehen wollen, wird uns das Geld kosten.

Geld ist ein gutes Stichwort. Das ist in dieser Legislaturperiode reichlich in die Land- und Forstwirtschaft geflossen. Ich nenne nur die sogenannte „Bauernmilliarde“, das Sauenprogramm, die Unterstützung für den Insektenschutz und nicht zuletzt die Hilfen für den Wald. Kann das angesichts der enormen Corona-Ausgaben des Bundes so weitergehen?

Stegemann: Nicht alles muss aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Wir haben beispielsweise auch den Energie- und Klimafonds (EKF). Generell gilt: Wenn wir den eingeschlagenen Weg gehen und von der Landwirtschaft besondere Leistungen fordern, müssen wir konsequent auch den Ausgleich dafür zahlen. Irgendwas dazwischen wird nicht gehen. Wir fangen nicht an und sagen, einzelne Landwirte müssen enteignet werden, damit wir unsere Klimaschutzziele erreichen. Das wird es mit der Union nicht geben.

Der Brand in der Ferkelzuchtanlage in Alt Tellin hat die Diskussion um Bestandsgrößen neu entfacht. Müssen Tierhaltungsanlagen künftig gedeckelt werden?

Stegemann: Wir müssen schon aufpassen, dass wir in einer gesellschaftlich akzeptierten Tierproduktion bleiben. Allerdings halte ich nichts von Deckelungen oder von irgendwelchen Zahlenspielchen. Wenn der Brandschutz wie in Alt Tellin nicht gesichert werden kann, dann gehört eine solche Anlage nicht genehmigt. Aber wenn ich eine Anlage habe, die mehr Tierwohl ermöglicht, mehr Arbeitssicherheit gewährleistet, in der die ökologischen Fragen gelöst sind und die am Ende mehr Effektivität und Wettbewerbsfähigkeit bringt, darf ich nicht aus einem Bauchgefühl heraus mit einer Deckelung um die Ecke kommen.

Statt Bauchgefühl könnte man auch sagen „gesellschaftliche Akzeptanz“.

Stegemann: Selbstverständlich gibt es Grenzen. Mehrstöckige Mastanlagen wie in China halte ich bei uns für völlig ausgeschlossen, abgesehen davon, dass es auch kein Geschäftsmodell ist. Wir brauchen auch deswegen keine bundesgesetzlichen Vorgaben für Stallgrößen, weil das Baurecht bestimmte Größenordnungen ohnehin nicht zulässt. Versuchen Sie mal, im Emsland eine Mastanlage für 100 000 Schweine zu bauen. Das werden Sie niemals genehmigt bekommen. Einem Schwein oder einer Kuh kann es in einem großen Stall besser gehen als in einer Anbindehaltung auf Stroh.

Dennoch stellt sich die Frage, ob neue Leitplanken in der Agrarstrukturentwicklung notwendig sind. Wie beurteilen Sie die Entwicklungen auf dem Bodenmarkt?

Stegemann: Auf der einen Seite haben wir einen weitestgehend liberalisierten Bodenmarkt. Die dadurch zu erzielenden hohen Preise sind im Sinne der landwirtschaftlichen Verkäufer. Auf der anderen Seite beobachten wir ein wachsendes Engagement von außerlandwirtschaftlichen Investoren. Das kann sehr wohl zu Entwicklungen führen, die aus agrarstruktureller Sicht bedenklich sind.

Die Länder tun sich schwer damit, die bodenrechtlichen Änderungen auf den Weg zu bringen, um diesen bedenklichen Entwicklungen zu begegnen. Muss das Bodenrecht zurück in die Zuständigkeit des Bundes?

Stegemann: Bevor wir diese Diskussion starten, die eine Grundgesetzänderung erfordern würde, sollten wir den Ländern noch etwas Zeit geben, die Dinge selbst zu regeln.

Wo wir schon beim Grundgesetz sind, sollte die Ernährungssicherung als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen werden?

Stegemann: Ja!

Was wäre der Nutzen?

Stegemann: Wir haben zuletzt am Magdeburger Kastenstandurteil gesehen, dass Gerichtsurteile zunehmend die Politik bestimmen. Ein Staatsziel Ernährungssicherung könnte für eine angemessene Abwägung zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern sorgen, hier zwischen dem Tierschutz und der Ernährungssicherung. Im Ergebnis könnte das dazu führen, dass Belange der landwirtschaftlichen Erzeugung in der Rechtsprechung stärker berücksichtigt werden.

Über eine Grundgesetzänderung wird seit langem auch im Hinblick auf eine Öffnung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) diskutiert. Wollen Sie die überhaupt?

Stegemann: Wir haben es immer kritisch gesehen.

Das steht aber im Koalitionsvertrag.

Stegemann: Nicht alles, was im Koalitionsvertrag steht, muss von der Regierung umgesetzt werden.

Warum sind Sie dagegen?

Stegemann: Ich habe die Befürchtung, dass dann der Landwirtschaft Mittel entzogen werden könnten, die sie dringend braucht. Die Gefahr besteht dann, wenn sich politische Mehrheiten und Stimmungen ändern. Die Diskussion um eine GAK-Öffnung wird es weiter geben, auch in unserer Fraktion. Meiner Einschätzung nach wird sich am Ergebnis aber nichts ändern.

Neben der GAK-Förderung haben in den letzten Jahren Bundesprogramme an Bedeutung gewonnen. Wie beurteilen Sie das?

Stegemann: Ich bin ein Freund von Bundesprogrammen, weil man dann Politik aus einem Guss machen kann. Wir haben es beim Insektenschutz erlebt, bei dem es immer Diskussionen gibt, ob ein Land die Kofinanzierung sicherstellt oder nicht. Ziel muss sein, dass möglichst alle von bundespolitischen Entscheidungen profitieren und sich die gewünschte Lenkungswirkung auch einstellt. Ein gutes Beispiel ist auch das Investitions- und Zukunftsprogramm, das sich nach einem holprigen Start zu einem Renner entwickelt.

Sie haben schon gesagt, was alles nicht ging in der GroKo. Was ging denn?

Stegemann: Zum Beispiel die Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unfaire Handelspraktiken. Das haben wir mit den Sozialdemokraten gut hinbekommen. Andere Beispiele sind die bereits genannten Förderprogramme. Insgesamt zufrieden bin auch mit der nationalen Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik, obwohl wir für die Grünlandbetriebe und bei den Eco-Schemes nicht alles erreicht haben. Für mich ist es auch ein Erfolg, dass die einkommensstützende Wirkung der Direktzahlungen zunächst erhalten bleibt.

Sie sagen zunächst. Die Zukunftskommission spricht sich dafür aus, die flächengebundenen Direktzahlungen spätestens bis Ende der übernächsten Förderperiode vollständig umzubauen. Gehen Sie mit?

Stegemann: Wir haben jetzt Klarheit bis 2027. Danach muss man schauen. Unsere Betriebe sind nach wie vor auf die Ausgleichszahlungen angewiesen; alles andere ist Romantik. Da müssen wir uns auch ehrlich machen. Ich wiederhole: Gesellschaftliche Leistungen müssen gesamtgesellschaftlich finanziert werden. Die GAP ist im Grunde genommen nichts anderes und hat das auch schon immer gemacht. Deswegen halte ich nichts davon, die Direktzahlungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Die GAP steht nicht für Zahlungen mit der Gießkanne, sondern steht für verdientes, erwirtschaftetes Geld der Bauern. Wir müssen und werden aber die Zahlungen stärker nach Artenvielfalt- und Klimaschutzgesichtspunkten ausrichten. Wie weit das gehen wird, wird man sehen.

Was könnte mit den Grünen gehen, was mit der SPD nicht ging?

Stegemann: Ich habe die Hoffnung, dass es bei den Grünen den Wunsch gibt, die Tierhaltung umzubauen und man sich dieser sachlichen Logik nicht plump verschließt. Wir brauchen einen Partner, der „ins Gelingen verliebt ist“. Bei den Grünen nehme ich eine solche Einstellung wahr.

Bei anderen Themen wie den neuen gentechnischen Züchtungsverfahren könnte es hingegen mindestens genauso schwer werden.

Stegemann: Nicht unbedingt. Auch da erlebe ich bei den Grünen, besonders bei den jüngeren Grünen, weitaus mehr Offenheit als bei den Sozialdemokraten. Bei den Grünen ist nach meiner Einschätzung die Erkenntnis gereift, dass neue Züchtungstechniken eine Chance bieten können, dem Klimawandel mit resilienteren Pflanzen zu begegnen. Wir brauchen Innovationen und Digitalisierung für eine nachhaltigere Landwirtschaft. Bei den Grünen entdecke ich hier und da eine neue Offenheit. Das sind für mich Silberstreifen am Horizont, dass wir es bei bestimmten Themen endlich schaffen, nicht mehr ideologisch, sondern sachbezogen und wissenschaftsbasiert zu diskutieren.

Welche Konstellation wäre Ihnen aus agrarpolitischer Sicht nach dem 26. September die liebste?

Stegemann: Vom Gesamtkonzept her wäre Jamaika immer noch eine gute Lösung, trotz der von der FDP vertanen Chance beim letzten Mal. Um gesellschaftliche Gräben zu schließen, würde eine Koalition von CDU und CSU mit den Grünen eine wirkliche Chance bieten. Dass eine Verständigung trotz der jahrzehntelangen Polarisierung zwischen Agrar- und Umweltseite möglich ist, hat die Zukunftskommission Landwirtschaft gezeigt. Es gibt den ganz intensiven Wunsch, dass die Gräben geschlossen werden. Den gibt es nicht nur bei uns, sondern auch bei den Grünen. Politik wird von Menschen gemacht. Wenn das passt, könnten wir was Gutes hinkriegen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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