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topplus Interview zum EU-Agrardialog

Strohschneider: „Öffentliches Geld nicht für Unbedürftige bereitstellen“

Der EU-Agrardialog schlägt vor, Agrarzahlungen mehr an die Bedürftigkeit von Landwirten anzupassen. Der Vorsitzende Prof. Peter Strohschneider über Details und seine Kritik am Deutschen Bauernverband.

Lesezeit: 9 Minuten

Der Vorsitzende des Strategischen Dialogs, Prof. Peter Strohschneider, drängt auf eine rasche Weiterverarbeitung der Empfehlungen des Gremiums in der künftigen Agrarpolitik und Ernährungspolitik der Europäischen Union. Vergangene Woche Mittwoch hatte er den Abschlussbericht des Agrardialogs an EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen übergeben. Diese will die Empfehlungen auch für ihre versprochene Roadmap für die ersten 100 Tage der neuen EU-Kommission heranziehen.

Abschaffung der Direktzahlungen eine Missinterpretation

Nicht einverstanden ist Strohschneider mit der Interpretation, sein Bericht wolle die Direktzahlungen abschaffen. Eine solche Forderung finde sich so nicht in dem Abschlusstext wieder und sei „ein gutes Beispiel für die Verkürzung komplexer Probleme“, sagt er im Interview mit Agra Europe (AgE). Der Report folge dem Prinzip, dass öffentliches Geld nicht für Unbedürftige bereitgestellt werden solle. Das sei etwas anderes als die Abschaffung der flächengebundenen Direktzahlungen: „Dieser Spin beschreibt eben nicht die Leistung des Strategischen Dialogs.“

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Kritik an der ersten Reaktion des Bauernverbandes

Kritisch sieht Strohschneider Äußerungen aus dem Deutschen Bauernverband (DBV) zu den finalen Ergebnissen: „Wer sich nicht die Mühe macht, auch nur den Titel unseres Berichtes richtig zu lesen, der sollte vielleicht besser auf vorschnelle Wertungen verzichten“, sagte er in Richtung Bauernverband. Er verstehe allerdings auch, dass der DBV, wie alle Organisationen, innere Spannungen verarbeiten müsse.

DBV-Präsident Joachim Rukwied hatte nach Veröffentlichung des Abschlussberichtes gesagt, dessen Inhalte blieben deutlich hinter den Erwartungen der deutschen Landwirte zurück.

Dennoch lobte Strohschneider im Interview "die enorme Integrationsleistung" der europäischen Bauernverbände.

Das Interview von AgE mit Prof. Peter Strohschneider im Wortlaut:

Herr Strohschneider - Sie haben als Vorsitzender des Strategische Dialogs nun mit 110-Seiten einen umfangreichen Abschlussbericht mit zahlreichen Empfehlungen vorgelegt. Wie geht es jetzt weiter?

Strohschneider: Zum einen werden die Empfehlungen in den politischen und administrativen Prozess überführt. Mir ist bewusst, dass dies nicht einfach wird, zumal was die Ausgestaltung zukünftiger Legislativakte anbelangt. Zweitens geht es um die Weiterverfolgung der konzeptionellen Linie, die der Strategische Dialog gelegt hat. Ich würde erwarten, dass dies in engem Zusammenhang steht mit der von Kommissionspräsidentin von der Leyen bereits für die ersten einhundert Tage der neuen Kommission angekündigten Roadmap zur Zukunft von Landwirtschaft. Drittens geht es vor allem darum, was die Mitglieder des Dialogs selbst tun müssen.

Was meinen Sie damit genau?

Strohschneider: Diese Dimension kennen wir bereits aus der deutschen Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL). Sehr viele der Spannungen im Agrar-, Umwelt- und Ernährungsfeld sind ja komplexe gesellschaftliche Konfliktlagen, die auch die von den Mitgliedern vertretenen Organisationen prägen und das ist auf europäischer Ebene deutlich ausgeprägter als auf der nationalen Ebene. Die Integrationsleistung der Bauernverbände umfasst ein enormes Spektrum höchst unterschiedlicher Produktionsformen und Geschäftsmodelle von Kleinstbetrieben bis hin zu nahezu voll automatisierten Produktionszweigen. Und Vergleichbares gilt natürlich auch für die Umweltorganisationen und die Ernährungswirtschaft. Die Teilnehmer des Strategischen Dialogs haben daher in ihren Verbänden nun die Aufgabe, den gemeinsam erarbeiteten Konsens weiterzuverarbeiten und in verbandspolitische Linien zu übersetzen.

Wer sich nicht die Mühe macht, auch nur den Titel unseres Berichtes richtig zu lesen, der sollte vielleicht besser auf vorschnelle Wertungen verzichten.
Strohschneider

Nehmen wir die Bauernverbände als Beispiel. Copa-Präsidentin Christiane Lambert hat sich relativ wohlwollend gegenüber den Ergebnissen gezeigt. Eines der großen Copa-Mitglieder, der DBV, hat hingegen die Resultate deutlich kritisiert. Bauernpräsident Joachim Rukwied hat von Enttäuschung gesprochen.

Strohschneider: Wer sich nicht die Mühe macht, auch nur den Titel unseres Berichtes richtig zu lesen, der sollte vielleicht besser auf vorschnelle Wertungen verzichten. Gerne können wir über unsere Empfehlungen diskutieren, wenn sie dann einmal zur Kenntnis genommen wurden. Aber ich verstehe auch, dass der Deutsche Bauernverband, wie alle Organisationen, natürlich innere Spannungen verarbeiten muss. Damit die Dynamik des Strategischen Dialogs erhalten bleibt, hat Frau von der Leyen übrigens angekündigt, den Vorschlag eines Beratungsforums, das wir als „European Board for Agri-Food“ bezeichnen, aufgreifen zu wollen.

Was soll dieses Beratergremium konkret machen?

Strohschneider: Es soll den Prozess der Implementation und der Weiterentwicklung unseres Konzeptes begleiten. Diese, wie ich finde, außerordentlich bemerkenswerte Zusage der Kommissionspräsidentin freut mich sehr.

In den Zahlungen für Ökosystemleistungen muss eine effektive Einkommenskomponente enthalten sein.
Strohschneider

Was halten Sie von der um sich greifenden Interpretation, Ihr Bericht würde die Abschaffung der Direktzahlungen je Fläche fordern?

Strohschneider: Das steht so jedenfalls nicht drin, es ist aber ein gutes Beispiel für die Verkürzung komplexer Probleme. Eine Einkommenskomponente von Zahlungen ist an verschiedenen Stellen enthalten. Beim Konzept der Zahlungen zur Einkommenssicherung geht es um die Kriterien dafür. Und hierfür geben wir nun mit einem ganzen Katalog von Funktionen eine Richtung vor. Der Strategische Dialog sagt: Es muss einen nachweisbaren Bedarf geben. Und das folgt dem schlichten Prinzip, dass öffentliches Geld nicht für Unbedürftige bereitgestellt werden soll. Zum anderen empfiehlt der Bericht, dass in den Zahlungen für Ökosystemleistungen eine effektive Einkommenskomponente enthalten sein muss.

Meinen Sie die Eco-Schemes? Viele kritisieren an diesem Instrument, dass die Einkommenswirksamkeit fehlt oder zumindest nicht attraktiv genug ist.

Strohschneider: Genau deswegen spreche ich eben nicht von Eco-Schemes. Gedacht ist an ein Instrument, das über die Kompensation von Produktivitätsverlusten, die sich aus Ökosystemleistungen ergeben können, hinausgeht. Im Klartext heißt das: Es muss einen kompensatorischen Anteil für die Zusatzkosten von Ökosystemleistungen geben und dazu noch einen Einkommensbestandteil. Wenn dieser Vorschlag umgesetzt wird, ergibt sich ein größerer Einkommensbestandteil, als wenn sie nur die Prämie für die Eco-Schemes bekommen. In jedem Fall würde die GAP also eine Einkommensstützungsfunktion haben. Es soll gerade kein Nullsummenspiel sein, sondern einen wirtschaftlichen Anreiz bieten.

Beschreiben Sie gerade das System der Eco-Schemes plus Top-Up, also in etwa vergleichbar mit den Vorschlägen zur Gemeinwohlprämie?

Strohschneider: Das geht in die Richtung. Aus meiner Sicht werden Betriebe, gleich welcher Art, damit bessere Chancen als bisher haben. Es ist klar, welche unerwünschten Nebeneffekte das gegenwärtige System auf Land- und Pachtpreise hat – zum Nachteil der Bauern. Unsere Vorschläge sind also schon so etwas wie ein Paradigmenwechsel. Ich finde es aber nicht richtig zu sagen, der Bericht wolle raus aus den flächengebundenen Direktzahlungen. Dieser Spin beschreibt eben nicht die Leistung des Strategischen Dialogs.

Das Ergebnis soll eine sehr viel gleichmäßigere Verteilung der Tierbestände in der Landwirtschaft sein.
Strohschneider

Bei der Vorstellung des Abschlussberichts haben Sie auf die ungleiche Verteilung der Tierhaltung und die daraus resultierenden Folgen wie eine Nährstoffimbalance hingewiesen. Ihr Bericht schlägt Anreize zur Reduktion der Tierzahlen in bestimmten Ballungsgebieten vor. Was genau könnten Sie sich hier vorstellen?

Strohschneider: Tatsache ist: Clusterbildungen mit überproportionalen Belastungen für die Umwelt oder Tierseuchenrisiken sind ein Problem und müssen angegangen werden. In den betroffenen Regionen besteht nicht nur das gesamteuropäische Problem zu hoher Treibhausgasemissionen, sondern es kommen die zu hohen Nährstoffüberschüsse noch hinzu. Unser Bericht sagt hier, dass man regionale Lösungsansätze mit den Beteiligten finden muss, die nicht nur monothematisch angegangen werden sollten. Das Ergebnis soll eine sehr viel gleichmäßigere Verteilung der Tierbestände in der Landwirtschaft sein.

Das Problem ist seit langem bekannt, hätten Sie hier konkrete Lösungsmodelle parat?

Strohschneider: Wie genau man das machen kann, haben wir als Strategischer Dialog nicht beschrieben. Wir schlagen vor, dass dies regional erarbeitet werden soll. Denn auch das gehört zu den Erkenntnissen und Ergebnissen des Strategischen Dialogs: „No size fits all“.

EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski fordert seit Beginn seiner Amtszeit, dass es mehr Gemischtbetriebe geben soll. Könnte dies aus Sicht der Teilnehmer eine Lösung sein?

Strohschneider: Für die gesamte EU trägt das einfach nicht. Es gibt indes ein gewisses Zutrauen in die Praktikabilität von regionalen Vereinbarungen. Ein Beispiel ist der Niedersächsische Weg. Hier haben die Politik, die Umweltverbände und die Agrarverbände in regionalen Zusammenhängen allgemein tragbare Lösungen gesucht und auch gefunden.

Finanziert werden könnten die Umstellungsprozesse innerhalb der Landwirtschaft über den von uns vorgeschlagenen Agri-Just-Transition-Funds.
Strohschneider

Der Report will zudem an der Nachfrage ansetzen und den Fleischkonsum reduzieren.

Strohschneider: Hier verknüpft sich jetzt ein umweltpolitisches mit einem ernährungsphysiologischem Argument. Im Hinblick auf meine persönliche Gesundheit kann ich freier sein als bei der Nutzung von Gemeingütern. Es bestehen also schlicht unterschiedliche Freiheitsimplikationen. Meine Freiheit hört auf, wo die Freiheit des anderen beginnt. Zudem ist es wissenschaftlich unbestritten, dass die EU-Bürger insgesamt zu viel Protein konsumieren und darunter wiederum zu viel Tierisches.

Der Trend eines Rückgangs des Konsums tierischer Proteine ist mittlerweile EU-weit zu beobachten. Dieser Trend muss aus gesundheits- und umweltpolitischen Gründen befördert werden. Das Problem dabei ist, dass dies für die Angebotsseite nicht ohne Folgen bleiben wird. Der daraus resultierende Anpassungsprozess muss öffentlich gefördert werden, da er aus offensichtlichen Gründen im öffentlichen Interesse liegt. Finanziert werden könnten die Umstellungsprozesse innerhalb der Landwirtschaft über den von uns vorgeschlagenen Agri-Just-Transition-Funds. Wie genau diese Reduktion vonstattengeht, kann den regionalen Bedürfnissen angepasst werden.

Wir sind alle bei diesem Prozess auch an unsere Grenzen gekommen.
Strohschneider

Der Strategische Dialog hat rund sieben Monate getagt. Können Sie etwas zur Gesprächsatmosphäre sagen? Es ist nicht viel nach draußen gedrungen, aber es soll in Teilen kontrovers zugegangen sein.

Strohschneider: Es ist richtig hoch hergegangen, das gehört auch dazu, wenn man gemeinsam an einem Konsens arbeitet. Es hat sich aber im Laufe der Zeit ein Grundvertrauen entwickelt. Meine Überzeugung ist: Die Leute müssen sich in die Augen gucken können. Und wenn sie das können, dann kann in der Sache auch heftig gestritten werden. Es ist gelungen - und es ist eine Leistung aller Beteiligten - eine Gesprächsatmosphäre und eine Vertrauenskultur aufzubauen, auf deren Grundlage dann ernsthaft und in der Sache hart gefochten werden konnte. Wenn es diese Atmosphäre nicht gegeben hätte, wäre der Dissens nicht durch Streit, sondern durch Austritt behandelt worden. Im letzten Plenum Ende August haben wir in zweieinhalb Tagen insgesamt 38 Stunden zusammengesessen. Jetzt mag man sagen, dass das in Brüssel bei Agrarthemen normal ist. Jedenfalls sind wir alle bei diesem Prozess auch an unsere Grenzen gekommen. Aber anders ist ein konzeptioneller Konsens in einem solchen Format vermutlich auch nicht zu erreichen.

Worin sehen Sie nach der Präsentation des Abschlussberichts Ihre Rolle?

Strohschneider: Mein Vertrag läuft noch ein wenig weiter. Ich werde die Ergebnisse jetzt zeitnah im Europaparlament und im Agrarrat vorstellen. Aber das Mandat ist formal nun erfüllt. Und ehrlich gesagt bin ich auch ein bisschen erleichtert darüber.

Sind Sie persönlich mit dem Erreichten zufrieden?

Strohschneider: Auch ich bin während der letzten Monate nicht nur einmal an den Rand meiner Kräfte gekommen. Über alle bereichernden Erfahrungen hinaus bleibt aber das sehr gute Gefühl, dass wir alle gemeinsam ein solch bemerkenswertes Ergebnis zu Stande gebracht haben.

Der gut 100-seitige Abschlussbericht ist das Ergebnis eines seit Januar andauernden Prozesses, in dem Vertreter aller Wirtschaftsbeteiligter aus der Lebensmittelkette in der EU, Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen Leitlinien für die europäische Agrar- und Ernährungspolitik ausgehandelt haben. Das Vorhaben ähnelte der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) in Deutschland, die in einem ähnlichen Verfahren 2021 einen Ergebnisbericht auf nationaler Ebene erarbeitet hatte.

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