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Tierwohllabel: Hilft Freiwilligkeit weiter?

Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) will ein freiwilliges staatliches Tierwohlkennzeichen einführen. Es soll drei Stufen umfassen, die alle höher als der gesetzliche Standard sind. Bis Mitte 2019 soll das Gesetz beschlossen sein. Die ersten Produkte sollen ab Frühjahr 2020 im Handel liegen.

Lesezeit: 5 Minuten

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Dr. Achim Spiller ist Professor für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Universität Göttingen.

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Die Entscheidung, ob ein staatliches Tierschutzlabel freiwillig oder verpflichtend sein soll, ist schwierig, die Forschungslage ist widersprüchlich. Für ein verpflichtendes Label sprechen gewichtige Vorteile: Die Markttransparenz steigt und es wird von den meisten Verbrauchern bevorzugt. Weil es auf allen Produkten und damit im Handel sichtbar ist, erringt es schneller einen hohen Bekanntheitsgrad.

Der Einzelhandel tendiert dazu, die unterste Stufe gar nicht zu listen. Deshalb wirkt die Eingangsstufe bei einer verpflichtenden Kennzeichnung wie ein Negativlabel, woraus stärkere Effekte am Markt resultieren können. Trotzdem haben wir uns in unserem Gutachten für ein freiwilliges staatliches Label ausgesprochen.

Aus unserer Sicht entspricht eine verpflichtende Kennzeichnung, die nur auf der Haltungsform beruht, Beispiel Eier, nicht mehr dem Stand der Forschung. Die Eierkennzeichnung ist kein umfassendes Tierschutzlabel, sondern beachtet nur das Haltungssystem. Die Haltung allein reicht aber als Tierschutz-indikator nicht aus. Die Aspekte Tiergesundheit, Tierverhalten und Genetik fehlen. Aus diesem Grund gibt es inzwischen ein Label des Deutschen Tierschutzbundes für Eier aus Boden- und Freilandhaltung, das weitere Punkte kontrolliert.

Eine Zertifizierung, die wirklich den Tierschutz vor Ort prüft, ist bei einer verpflichtenden staatlichen Kennzeichnung aus handelsrechtlichen Gründen nicht möglich. Im EU-Binnenmarkt muss Fleisch aus anderen Mitgliedstaaten wie den Niederlanden, Dänemark oder Polen importiert werden können. Die deutsche Politik darf ihnen kein Zertifizierungssystem vorschreiben, das darf nur der Handel seinen Lieferanten.

Die Haltungssysteme von Schweinen, Rindern und Mastgeflügel sind vielschichtiger als die von Legehennen. Stroh ist allein kein ausreichender Indikator für mehr Tierschutz. Auch die Varianz innerhalb von Freiland- oder Außenklima-Haltungen kann mit Blick auf den Tierschutz groß sein.

Es gibt viele Individuallösungen in Ställen, die es schwer machen, die Systeme voneinander abzugrenzen. Deshalb ist das, was die großen Handelskonzerne heute als Haltungskompass bezeichnen und in den Stufen von 1 bis 4 vermarkten, gar keine Haltungskennzeichnung, sondern beruht auf verschiedenen freiwilligen Zertifizierungssystemen: Der Initiative Tierwohl (ITW), dem Tierschutzbund-Label und dem Bio-Siegel. Der Handel kann seine Lieferanten in Deutschland und im Ausland dazu bringen, sich zertifizieren zu lassen, der deutsche Staat kann nur hiesige Lieferanten regulieren. Schließlich wäre eine verpflichtende Haltungskennzeichnung nicht kompatibel zu den Labeln in den Niederlanden und Dänemark. Beide sind dort aber erfolgreich.

Wer sich heute in den Niederlanden ein Fleischregal anschaut, sieht, wie ein freiwilliges Label dank des hohen Marktanteils von 80% bei Frischfleisch genauso wie ein verpflichtendes Label wirkt. Und die wenigen nicht gekennzeichneten Produkte fallen als „Billigheimer ohne Tierschutz“ unten im Regal negativ auf.

KONTRA

Auf immer mehr Fleischprodukten wird im Lebensmitteleinzelhandel mit Tierwohl-Siegeln und Haltungskompassen geworben. Das Problem ist: Selbst Profis wissen häufig nicht mehr, was sich hinter welchem Label verbirgt. Wie soll da der Verbraucher die Übersicht behalten? Welchem Logo soll er vertrauen?

Mit einer einheitlichen und verpflichtenden Kennzeichnung auf allen Fleischwaren können Konsumenten schnell über verschiedene Haltungsformen informiert werden. Die Unterschiede beim Platzangebot, ein Auslauf oder die Haltung zum Beispiel mit Stroh sind einfach zu vermitteln, der Bekanntheitsgrad des Labels wäre groß.

Die Markttransparenz und Marktdurchdringung wären durch die verpflichtende Kennzeichnung deutlich höher als mit einem weiteren freiwilligen Label, wie es Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner plant. So sehen es auch die Verbraucher. Laut einer Umfrage der Initiative Tierwohl (ITW) wünschen sich mehr als 80 % der Befragten, dass alle Haltungsstufen inklusive des gesetzlichen Mindeststandards gekennzeichnet werden.

Durch eine Pflichtkennzeichnung wird im Supermarkt nicht nur Frischfleisch, sondern auch Tiefkühlware und Wurst einbezogen. Selbst die immer wichtiger werdende Außerhausverpflegung kann in das System integriert und verpflichtet werden, ihr Fleischangebot zu kennzeichnen. Dadurch werden nicht nur Edelteile, sondern das gesamte Tier besser vermarktet.

Landwirte, Verarbeiter und Verbraucher stehen nicht mehr einer unübersichtlichen Vielzahl von Tierwohlvarianten gegenüber. Stattdessen erreicht jede der vier Haltungsstufen einen relevanten Marktanteil. Die Kosten bei Verarbeitung und Distribution sinken und die Verwechslungsgefahr entlang der Produktionskette kann klein gehalten werden.

Von der vollständigeren Vermarktung der Teilstücke und geringeren Umsetzungskosten für Tierwohlfleisch profitieren Tierhalter wie Verbraucher. Schließlich entscheidet der Aufpreis an der Theke über die Bereitschaft der Verbraucher zuzugreifen und damit über den Umfang, welche Tierhaltung sich wie stark über den Markt durchsetzt.

Das Handelsrecht der EU muss bei der Kennzeichnung natürlich eingehalten werden. Weitergehende nationale Kennzeichnungsverpflichtungen sind bei der EU anzumelden. Rechtsgutachten zeigen, dass dies mit Verweis auf den Verbraucherschutz umsetzbar ist. Landwirte aus unseren Nachbarländern wären nicht ausgeschlossen, sondern dürften, sofern sie die entsprechenden Kriterien einhalten, mitmachen.

Für eine verpflichtende Kennzeichnung müssen zwar einige Hürden genommen werden, doch der Aufwand lohnt sich. Die Politik sollte weder ein weiteres freiwilliges Labelprogramm starten, noch auf eine europäische Haltungskennzeichnung warten. Denn angesichts der vielfältigen Haltungssysteme in der EU würde eine Einigung in Brüssel vermutlich Jahrzehnte dauern.

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Ihre Meinung

Diskutieren Sie mit! Was halten Sie von einem staatlichen Label? Welche Tierwohlkennzeichnung bevorzugen Sie? Sollte der Staat diese freiwillig oder verpflichtend einführen? Schreiben Sie uns Ihre Meinung unter dem Stichwort „Tierwohlkennzeichnung“ an

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