topplus Was passiert im Agrarhandel?

Ukraine-Vertreter Gaidu: „Wir fordern ganz bestimmt keine Vorzugsbehandlung“

Drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffs sind die Ukraine und die Europäische Union näher aneinandergerückt. Im Exklusiv-Interview erläutert der Agrarpolitiker Gaidu, wie es weitergehen könnte.

Lesezeit: 16 Minuten

Der Agrarhandel zwischen der Europäischen Union und der Ukraine sowie der mögliche EU-Beitritt des von Russland angegriffenen Handels sind seit 2022 heiß diskutierte Themen. top agrar hatte die Gelegenheit, diese und weitere Fragen mit dem ukrainischen Agrarpolitiker Oleksandr Gaidu auszuloten, darunter auch, wie die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) mit der Ukraine unter dem Schirm der EU aussehen müsste.

Handelsbarrieren während des Krieges sind kontraproduktiv

top agrar: Herr Gaidu, das Thema Zölle ist seit zwei Wochen in den Schlagzeilen, nachdem Präsident Trump Einfuhrzölle für viele Länder verhängt hat. Dies hat vielen Menschen gezeigt, wie wichtig freie Märkte in internationalen Lieferketten sind.

Es gibt ein befristetes Abkommen zwischen der EU und Ihrem Land – autonome Handelsmaßnahmen. Sie sollen derzeit am 5. Juni auslaufen. Vergangene Woche tagte der Assoziationsrat in Brüssel, aber es sickerten nicht viele Informationen durch. Wurden neue Vereinbarungen für die Zeit nach dem 5. Juni getroffen?

Oleksandr Gaidu ist ein ukrainischer Politiker und Vorsitzender des Agrarausschusses im Parlament. Er setzt sich für die Interessen der Landwirtschaft und des Agrarexports ein, insbesondere im Kontext des Krieges und der Annäherung an die EU. Haidu ist eine Schlüsselfigur der ukrainischen Agrarpolitik und engagiert sich für stabile Handelsbeziehungen und die Integration der Ukraine in den europäischen Agrarmarkt.

Oleksandr Gaidu: Die Entscheidungen der amerikanischen Regierung unter Präsident Trump haben die Bedeutung stabiler und offener internationaler Märkte in einem gewaltigen Maße deutlich gemacht. Für die Ukraine ist dieses Thema nicht theoretisch – wir erleben es jeden Tag in der Praxis, denn trotz des umfassenden Krieges bleiben wir ein zuverlässiger Handelspartner und ein Garant für die Ernährungssicherheit von Millionen von Verbraucherinnen und Verbrauchern in der EU.

In Bezug auf die autonomen Handelsmaßnahmen (ATMs), die am 5. Juni auslaufen, Folgendes: Die Ukraine unterstützt konsequent die Fortsetzung des Systems der maximalen Handelsliberalisierung. Gleichzeitig verfolgen wir jedoch das übergeordnete Ziel, Stabilität und Vorhersehbarkeit in den Handelsbeziehungen mit der Europäischen Union zu erreichen.

Dies ist gerade deshalb so wichtig, weil der Agrarsektor der Ukraine nicht nur das wirtschaftliche Rückgrat unseres Landes ist, sondern auch einer der Faktoren für die Sicherheit und Stabilität in ganz Europa:

  • Er macht mehr als 18 % des BIP des Landes aus;

  • Er steht für mehr als 40 % der gesamten Exporte der Ukraine;

  • und erwirtschaftet jährlich mehr als 22 Milliarden US-Dollar an Deviseneinnahmen, von denen ein erheblicher Teil aus dem EU-Markt stammt.

Wie soll der bilaterale Handel ausgestaltet werden?

Gaidu: Wir fordern ganz bestimmt keine Vorzugsbehandlung. Wir wünschen lediglich faire Bedingungen und gleiche Spielregeln, die mit der strategischen Partnerschaft zwischen der Ukraine und der Europäischen Union vereinbar sind. Unternehmen, Landwirte und Logistikunternehmen, nicht nur ukrainische, sondern auch europäische, brauchen klare und verlässliche Regeln.

Das Ausbleiben einer Entscheidung bis zum 5. Juni würde tatsächlich eine Rückkehr zu den Vorkriegsquoten bedeuten, die in Kriegszeiten für uns so nicht akzeptabel sein können. Darüber hinaus könnten die Verluste der ukrainischen Wirtschaft 3,5 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr betragen, was den bereits durch den Krieg belasteten Staatshaushalt erheblich schwächen und die Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft und der ländlichen Gemeinden untergraben würde.

Nach meinen Informationen wurde während der Sitzung des Assoziationsrates in Brüssel eine politische Einigung erzielt: Die EU wird nicht zum Vorkriegssystem der Quoten und Beschränkungen zurückkehren. Anstatt die vorübergehenden Maßnahmen zu verlängern, werden die Parteien Verhandlungen gemäß Artikel 29 des Assoziierungsabkommens aufnehmen, der die Möglichkeit einer Liberalisierung der Bedingungen für den Zugang ukrainischer Waren zum EU-Markt vorsieht. Diese Verhandlungen werden unmittelbar nach der Osterpause beginnen.

Unsere Position ist einfach und klar:

  • Wir bauen auf eine rechtlich verankerte Liberalisierung, die der Realität des Jahres 2025 und nicht des Jahres 2016 entspricht.

  • Es ist für die Ukraine von entscheidender Bedeutung, vor dem Abschluss des Freihandelsabkommens faire Bedingungen zu gewährleisten.

  • Wir wollen Klarheit und stehen für ein langfristiges Engagement.

  • Wir wollen Partnerschaft, keine manuelle Regulierung.

Jetzt ist nicht die Zeit für Einschränkungen. Nun ist die Zeit für strategische Entscheidungen. Wir gehen davon aus, dass die Europäische Union diese Entscheidung trifft.

Die EU-Kommission ist offen für die Schaffung einer Freihandelszone. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge in diesem Bereich?

Gaidu: Die EU und die Ukraine haben seit 2016 eine vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA). Bereits 2021 einigten sich beide Seiten auf die Notwendigkeit, die Marktzugangsbedingungen gemäß Artikel 29 des Assoziierungsabkommens zu überprüfen, der eine Überprüfung alle fünf Jahre zur weiteren Liberalisierung des Handels vorsieht.

Die Verhandlungen umfassten dann die Überarbeitung der Zollkontingente sowie die Struktur der Produktgruppen selbst. Insbesondere enthielten die Listen von 2021 Kontingente, die gleichzeitig sowohl Rohstoffe als auch verarbeitete Produkte (z. B. Weizen/Mehl/Getreide) abdeckten, oder irrelevante Posten (wie im Fall von Zucker und Maltodextrin). Die Ukraine vertrat den Standpunkt, dass solche gemischten Kontingente aufgeteilt werden sollten, um den Export von Mehrwertprodukten zu fördern.

Der Krieg veränderte jedoch die Rahmenbedingungen und die EU beschloss, autonome Handelsmaßnahmen einzuführen, die die vollständige Abschaffung von Zöllen und Quoten beinhalten. Heute stehen wir vor dem nächsten Schritt: dem Übergang von vorübergehenden Notfallmaßnahmen zu einem langfristigen und strukturellen Modell der Handelsintegration.

Wie könnte das Handelsmodell genau aussehen?

Gaidu: Die Ukraine unterstützt die Initiative zur Überarbeitung des Systems gemäß Artikel 29 des Assoziierungsabkommens, das den uneingeschränkten Zugang ukrainischer Waren zum EU-Markt auf vertraglicher Basis ermöglichen wird. Dies ist unsere Form einer „erweiterten“ Freihandelszone, die die strategische Bedeutung der Ukraine in der Lieferkette und für die Ernährungssicherheit Europas widerspiegelt.

Die Lage in der Ukraine ist nach wie vor äußerst schwierig. Im Jahr 2022 haben wir durch die bewaffnete Aggression einen Teil unserer Produktionsanlagen verloren, die Logistik wurde unterbrochen, das BIP ging um 28,8 % zurück und mehr als sechs Millionen Menschen wurden innerhalb der EU vertrieben. Dies hat zu einer neuen sozioökonomischen Realität geführt, in der eine fortgesetzte Zollliberalisierung nicht nur eine logische, sondern auch eine faire Entscheidung ist.

Die vorübergehenden Schutzmaßnahmen der EU für eine Reihe „sensibler“ Agrarerzeugnisse (im Rahmen des APA), die 2024–2025 eingeführt wurden, werden von uns als Ausgleich zwischen den Marktbedürfnissen und der Realität des Krieges angesehen. Die Ukraine ist der Ansicht, dass sie als Ausgangsbasis für Verhandlungen über Zollkontingente dienen können, sofern sie weiter schrittweise liberalisiert werden.

Gleichzeitig betonen Vertreter der ukrainischen Wirtschaft, dass die Produktpalette und die Höhe der Quoten überarbeitet werden sollten, um Rohstoffe von verarbeiteten Waren zu trennen und Anreize für eine Produktion mit höherer Wertschöpfung zu schaffen.

Wir warten auf die offizielle Position der Europäischen Kommission, sind aber bereits heute zu einem konstruktiven Dialog bereit. Die Ukraine strebt eine Stärkung des gemeinsamen Marktes durch eine strategische Partnerschaft an.

Wie schnell kann das Abkommen Ihrer Meinung nach umgesetzt werden?

Gaidu: Soweit wir wissen, ist für die Aktualisierung der Zugangsbedingungen gemäß Artikel 29 des Assoziierungsabkommens kein Mandat des EU-Rates erforderlich und kann bilateral vereinbart werden. Technisch ist dies möglich und sollte vor dem Ende des DCFTA erfolgen.

Gaidu: Der Anteil der Ukraine an den Agrarimporten der EU beträgt selbst in Spitzenzeiten weniger als 0,5 %. Es wurde kein systemisches Ungleichgewicht festgestellt. Wir verdrängen den Markt nicht, sondern ergänzen ihn, insbesondere in Krisenzeiten wie dem Ausbruch der Vogelgrippe oder bei Getreideknappheit.

Der Anteil der Ukraine an den Agrarimporten der EU beträgt selbst in Spitzenzeiten weniger als 0,5 %.
Oleksandr Gaidu

Im Jahr 2023, nach der Erweiterung der Freihandelszone, führte die EU das Konzept der „sensiblen Waren“ und Obergrenzen für diese ein. Die Ukraine reagierte verantwortungsbewusst, indem sie ein System von Ausfuhrlizenzen zur Kontrolle der Lieferungen (von Geflügel, Eiern, Honig, Hafer, Mais usw.) einführte.

Gleichzeitig, wenn wir auf den Beschluss der Europäischen Kommission vom Mai 2023 zurückblicken, die Beschränkungen für fünf Nachbarländer (Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien) aufzuheben und nur ein Transitregime mit Überwachung beizubehalten. Dieser Beschluss basierte auf dem Umstand, dass die ukrainischen Exporte keine Bedrohung für die Märkte darstellen.

Dennoch haben Polen, die Slowakei und Bulgarien ihre eigenen Beschränkungen beibehalten und damit gegen die Regeln der gemeinsamen Handelspolitik der EU verstoßen. Diese Maßnahmen haben in der Europäischen Kommission bereits Besorgnis ausgelöst.

Wir sind offen für Überwachung und konstruktiven Dialog. Aber solche Handelsbarrieren während des Krieges sind kontraproduktiv. Der ukrainische Agrarsektor ist Teil der europäischen Ernährungssicherheit und stellt keine Bedrohung für sie dar.

Im Rahmen autonomer Handelsbeziehungen gibt es für einige ukrainische Waren wie Zucker, Honig oder Geflügel Handelsschranken. Würden Sie dies in einer Freihandelszone akzeptieren?

Gaidu: Wir respektieren die Position der EU zu bestimmten „sensiblen Produkten“ und sind zu einem fairen, vernünftigen Dialog bereit.

Die Ukraine hat bereits Verantwortungsbewusstsein bewiesen – 2023 haben wir ein Exportlizenzsystem für sensible Waren (einschließlich Geflügel, Eier, Honig, Mais) eingeführt, um die Einhaltung der Vorschriften sicherzustellen.

Unser Grundsatz ist einfach: Alle Beschränkungen sollten verhältnismäßig und vorübergehend sein und auf Zahlen basieren, nicht so sehr auf Emotionen oder politischem Druck.
Oleksandr Gaidu

Unser Grundsatz ist einfach: Alle Beschränkungen sollten verhältnismäßig und vorübergehend sein und auf Zahlen basieren, nicht so sehr auf Emotionen oder politischem Druck. Wir sind bereit, an Lösungen zu arbeiten, die sowohl die Bedürfnisse der Landwirte als auch das gemeinsame Ziel der Stärkung des europäischen Binnenmarktes mit der Ukraine als Teil davon berücksichtigen.

Außerdem sollte klargestellt werden, dass ukrainische Produkte, insbesondere Geflügel, Preiserhöhungen auf dem europäischen Markt verhindern. In den letzten anderthalb Jahren hat die EU Rekordpreise für Geflügel verzeichnet. Dieser Trend wirkt sich bereits auf die Verbraucher aus.

Darüber hinaus verschärfen Ausbrüche der Vogelgrippe in der EU – insbesondere in Polen, Ungarn und Frankreich – die Situation nur noch weiter. Die Folgen sind bereits spürbar, zum Beispiel in der Verknappung von Bruteiern.

Schließlich ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass unsere Partnerschaft keine Einbahnstraße ist. Seit 2023 verzeichnet die EU einen Handelsüberschuss von über 10 Milliarden Euro mit der Ukraine – ein klarer Indikator dafür, wie vorteilhaft diese Beziehung für beide Seiten ist. Die EU profitiert erheblich von den Exporten von Maschinen, Pharmazeutika, landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und vielem mehr.

Tatsächlich wickelt die Ukraine inzwischen mehr als 56 % ihres gesamten Handels mit der Europäischen Union ab, verglichen mit nur 2,5 % mit den GUS-Staaten. Dies ist nicht nur eine Handelsbeziehung, sondern eine echte, anhaltende wirtschaftliche Integration.

Deshalb sollten wir unserer Meinung nach heute nicht über eine Einschränkung des Handels mit der Ukraine sprechen, sondern vielmehr über eine Ausweitung als einzig richtigen Mechanismus zur Stabilisierung des Marktes, zum Schutz der Verbraucher und zur Aufrechterhaltung der Lebensmittelsicherheit in der EU.

Welche Vorteile sehen Sie für Landwirte in der EU, wenn ein Freihandelsabkommen abgeschlossen wird?

Gaidu: Die Vorteile für EU-Landwirte sind bereits heute ganz real. Dank ukrainischer Rohstoffe (insbesondere Mais, Weizen und Schrot) erhalten europäische Erzeuger stabile und wettbewerbsfähige Futtermittelpreise, was sich direkt auf die Kosten von Fleischprodukten und die Rentabilität der landwirtschaftlichen Produktion auswirkt.

So deckten beispielsweise im Jahr 2024 ukrainische Rohstoffe bis zu 25 % des EU-Bedarfs an Mais und Weizen und bis zu 17 % des Futtermehls. In Polen deckten die Importe von ukrainischem Mehl 15 % des gesamten Futtermittelbedarfs für Exportprodukte, was dazu beitrug, die Preisstabilität auch in Zeiten von Marktschwankungen aufrechtzuerhalten.

Darüber hinaus ist die landwirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Ukraine auch für die Exporte aus der EU von Vorteil: Europäische Unternehmen sind die Hauptlieferanten von Pestiziden, Saatgut, landwirtschaftlichen Maschinen sowie Kraft- und Schmierstoffen für den ukrainischen Agrarsektor – für mehr als 10 Milliarden US-Dollar jährlich, wobei der Anteil der EU-Lieferanten über 60 % beträgt.

Daher wird die Aktualisierung der Handelsbedingungen auf vertraglicher Basis neue Möglichkeiten für Wachstum, Modernisierung und nachhaltige Entwicklung für beide Seiten eröffnen. Dies ist kein Nullsummenspiel – es ist eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit, die die europäische Lebensmittelautonomie und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in Zeiten globaler Instabilität stärkt.

Gaidu: Dank der Bemühungen der Streitkräfte der Ukraine und der Unterstützung der EU ist es uns gelungen, einige Exportgeschäfte über das Schwarze Meer wieder aufzunehmen. Es sei daran erinnert, dass der Seeweg durch den Großraum Odessa auf Massengüter (Getreide, Öl, Mehl) beschränkt ist. Fertige oder verpackte Produkte, die einen Container-Transport erfordern, werden nach wie vor ausschließlich über „Solidaritätsrouten“ durch die EU zu den nächstgelegenen Häfen exportiert. Dies ist eine logistisch komplizierte und teure Route, die die Kosten der ukrainischen Produzenten um 20 bis 50 US-Dollar pro Tonne erhöht und ihre Wettbewerbsfähigkeit auf traditionellen Märkten, insbesondere im Nahen Osten, in Asien und Afrika, erheblich verringert.

Wie jedes andere europäische Land ist die Ukraine bestrebt, alle verfügbaren Logistikmöglichkeiten zu maximieren und zu erweitern. Wir wollen das unbedingt und arbeiten jeden Tag daran, weil wir verstehen, wie wichtig ein ununterbrochener Handel für die Wirtschaft eines Landes im Krieg ist. Aber für uns geht es nicht nur um Mengen, Routen oder Tonnagen. Das Wichtigste sind die Menschen und die Sicherheit. Ohne Sicherheitsgarantien ist kein Logistikmodell tragfähig.

Gibt es Verhandlungen über ein neues Getreideabkommen im Schwarzen Meer?

Gaidu: Leider ist jede Getreideinitiative, an der die Russische Föderation beteiligt ist, heute völlig unzuverlässig. Russland ist ein Aggressor, der systematisch gegen alle Getreideabkommen verstößt und sie als politisches Druckmittel einsetzt.

Die Ukraine als souveräner Staat arbeitet daran, nachhaltige Transportwege ohne Beteiligung Russlands zusammen mit Partnern in der Region, darunter Rumänien, Bulgarien und die Türkei, zu schaffen. Dabei geht es nicht nur um Diplomatie, sondern auch um die Sicherheitsrealität, die von den Streitkräften der Ukraine gewährleistet wird.

Wann kann die Ukraine tatsächlich EU-Mitglied werden?

Gaidu: Wir sind Realisten. Der Beitritt zur EU ist nicht nur ein politischer Akt, sondern eine tiefgreifende technische, rechtliche und institutionelle Umgestaltung, die Zeit, politischen Willen und entscheidende Reformen erfordert. Die Ukraine hat bereits bewiesen, dass sie dazu in der Lage ist, selbst während des Krieges.

Wir sind Realisten. Der Beitritt zur EU ist nicht nur ein politischer Akt, sondern eine tiefgreifende technische, rechtliche und institutionelle Umgestaltung.
Oleksandr Gaidu

In zwei Jahren – vom Erhalt des Kandidatenstatus bis zum Beginn der Beitrittsverhandlungen – haben wir sieben Empfehlungen der Europäischen Kommission und vier zusätzliche legislative Bedingungen erfüllt. Wichtige Gesetze wurden verabschiedet, Antikorruptionsbehörden wurden reformiert und es wurden Fortschritte in den Bereichen Justiz, Menschenrechte und Minderheitenrechte erzielt.

Parallel dazu haben wir die Umsetzung des Assoziierungsabkommens fortgesetzt, einschließlich der vertieften und umfassenden Freihandelszone (DCFTA). Der Umsetzungsgrad des Abkommens liegt bereits bei 81 %. Im Agrarsektor liegt dieser Prozentsatz bei 74 %. Das bedeutet, dass die Ukraine in vielen Sektoren bereits de facto in den europäischen Markt integriert ist.

Gilt das auch für den Agrarsektor?

Gaidu: Der Agrarsektor ist gesondert zu erwähnen. Ja, die Landwirtschaft wird eine der schwierigsten Phasen in den Verhandlungen sein. Gleichzeitig ist dies jedoch ein Bereich, in dem die Integration bereits sehr dynamisch ist: Ukrainische Agrarprodukte entsprechen europäischen Standards, ukrainische Landwirte arbeiten unter Marktbedingungen und die EU ist der größte Handelspartner der ukrainischen Landwirtschaft.

Die Landwirtschaft wird eine der schwierigsten Phasen in den Verhandlungen sein.
Oleksandr Gaidu

Neben der technischen Seite sollten wir auch die Geostrategie nicht vergessen. Die „Open Strategic Autonomy Strategy“ der EU besagt, dass das Ziel darin besteht, die Abhängigkeit von instabilen oder politisch sensiblen Lieferanten zu verringern. Die Ukraine als verlässlicher, geografisch naher und wirtschaftlich integrierter Partner hilft Europa bereits dabei, dieses Ziel zu erreichen, ohne ihre Wettbewerbsfähigkeit zu beeinträchtigen.

Daher ist unsere Antwort klar: Angesichts der aktuellen Dynamik ist die Vollmitgliedschaft der Ukraine in der EU bis 2030 ein realistisches Ziel. Dies ist kein Geschenk. Wir bitten nicht um politische Gefälligkeiten. Wir wollen Fakten, keine Emotionen, um unseren Platz in der EU zu beweisen.

Wie kann die Ukraine in die GAP integriert werden, ohne den EU-Landwirten zu schaden?

Gaidu: Wir verstehen natürlich, dass ein Modell der direkten Übernahme der GAP auf 40 Millionen Hektar ukrainischem Land unmöglich ist. Die Ukraine erwartet nicht, dass alle GAP-Mechanismen vom ersten Tag der Mitgliedschaft an automatisch in vollem Umfang übernommen werden. Unser Ansatz ist eine vernünftige Integration, mit einer schrittweisen Angleichung der Vorschriften, einer Anpassung an die Anforderungen einer nachhaltigen Produktion und einer Unterstützung für kleine und mittlere Landwirte, anstatt einer automatischen Ausweitung der Subventionen.

Wir verstehen natürlich, dass ein Modell der direkten Übernahme der GAP auf 40 Millionen Hektar ukrainischem Land unmöglich ist.
Oleksandr Gaidu

Übrigens arbeitet der Agrarsektor der Ukraine bereits weitgehend auf Marktbasis und wird hauptsächlich privatwirtschaftlich finanziert. Er hat seine Flexibilität, Reformfähigkeit und Effizienz selbst unter schwierigsten Bedingungen unter Beweis gestellt.

Außerdem tragen ukrainische Produkte bereits zur Stabilisierung der Lebensmittelpreise in der EU bei, indem sie die Inflation eindämmen und die Verbraucher mit Qualitätsprodukten versorgen. Mit anderen Worten: Wir nehmen bereits am gemeinsamen Lebensmittelraum der EU teil, auch ohne formelle Mitgliedschaft.

Gleichzeitig hat die Europäische Union bereits erfolgreiche Erfahrungen mit der Integration von Ländern mit unterschiedlichen Agrarstrukturen gesammelt, insbesondere während der Erweiterungen von 2004 und 2007. Und durch einen konstruktiven Dialog und den Mechanismus der schrittweisen Integration wurden die neuen Mitgliedstaaten zu einem vollwertigen Teil der GAP. Die Tatsache, dass einige von ihnen jetzt Bedenken über die Zukunft äußern, ist natürlich, zeigt aber auch, wie gut das System zu diesem Zeitpunkt an sie angepasst war.

Dennoch sollten wir die strategische Debatte über die Zukunft des SAPO von der aktuellen Realität trennen. Die Ukraine kämpft derzeit um ihre Existenz. Keines der Länder, die der EU zuvor beigetreten sind, hat diese Reise angesichts einer umfassenden Aggression durchgemacht, mit 160.000 Hektar verminter landwirtschaftlicher Nutzfläche selbst in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Kosten für Vermessung, Minenräumung und Bodensanierung tragen oft die Landwirte selbst. Und Sie müssen zugeben, dass dies in keiner der GAP-Verordnungen vorgesehen ist.

Deshalb sprechen wir heute nicht über Finanzierungsformeln, sondern über politische Verantwortung und strategische Einheit. Und wenn die Zeit gekommen ist, werden wir bereit sein, ein ehrliches, konstruktives und pragmatisches Gespräch über ein faires Modell für die Teilnahme der Ukraine an der GAP zu führen. In Partnerschaft, nicht in Konkurrenz.

Um exportieren zu können, muss man erst einmal ernten. In diesem Jahr hat Mittel- und Osteuropa bereits eine weitere anhaltende Dürre erlebt. Wie ist der Stand der ukrainischen Getreidevorräte und welche Ernteprognose können Sie derzeit abgeben?

Gaidu: Trotz des Krieges, der Landminen, des Beschusses der Logistik und der klimatischen Herausforderungen beweist die Ukraine weiterhin Widerstandsfähigkeit. Derzeit sind die Getreidevorräte im Land stabil und wir behalten unser Exportpotenzial. Die diesjährige Dürre in Mittel- und Osteuropa – einschließlich der Südukraine – wird jedoch erhebliche Auswirkungen haben.

Schätzungen zufolge wurden im Jahr 2024 in der Ukraine etwa 56 Millionen Tonnen Getreide geerntet, was 9,5 % weniger als im Jahr 2023 ist.

Die durchschnittliche Ernte der letzten 5 Jahre (2020-2024) lag bei etwa 63,8 Millionen Tonnen, sodass die aktuelle Menge unter dem Durchschnitt liegt.

Wo hakt es am meisten?

Gaidu: Besonders besorgniserregend ist die Situation bei Weizen: 2024 wurden 22,3 Millionen Tonnen geerntet, und die FAO prognostiziert, dass die Weizenernte 2025 aufgrund von ausbleibenden Regenfällen, geringerer Düngung und militärischen Beschränkungen für den Feldanbau die niedrigste seit fünf Jahren sein könnte.

Gleichzeitig unternimmt die Ukraine alles, um die Situation zu stabilisieren:

• Die Anbaufläche für Wintergetreide, insbesondere Weizen, wurde auf 5 Millionen Hektar (gegenüber 4,6 Millionen Hektar im Vorjahr) erhöht.

• Ressourceneffiziente Agrartechnologien werden eingeführt.

• Es gibt humanitäre Programme zur Landentminung.

• Die Regierung arbeitet mit internationalen Gebern zusammen, um das Nahrungsmittelpotenzial zu erhalten.

Wir tun unser Bestes, um nicht nur die Ernte zu sichern, sondern auch die Fähigkeit, eine stabile Versorgung zu gewährleisten. Die ukrainischen Exporte sind heute mehr als nur Handel. Sie sind ein Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit. Ohne ukrainisches Getreide, ohne unsere Bemühungen wäre der Preis für Stabilität auf den Märkten der EU und des globalen Südens viel höher.

Daher schützen wir nicht nur unsere eigene Wirtschaft, sondern tragen auch zum Schutz des weltweiten Lebensmittelgleichgewichts bei. Und so sieht eine echte Partnerschaft aus.

 

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