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Pragmatismus oder Rechtsbruch?

Vorwurf: Ämter würden Sozialversicherungspflicht bei Erntehelfern zu wenig prüfen

Gewerkschafter stören sich daran, dass die deutschen Sozialversicherungsträger nicht bei jedem einzelnen ausländischen Erntehelfer nachprüfen, ob er in seiner Heimat sozialversichert ist.

Lesezeit: 4 Minuten

Nicht alle Erntehelfer aus Osteuropa, die auf deutschen Feldern arbeiten, sind sozialversichert. Das behauptet die Tageszeitung "taz" in ihrer Samstagsausgabe und prangert an, dass die deutschen Sozialversicherungsträger wenig Interesse an Einzelfallprüfungen haben.

Basis sei eine Vereinbarung der gesetzlichen Rentenversicherer, der Krankenkassen und der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 1998. Mit ihr hätten sie sich von der Pflicht entbunden, beispielsweise bei als Hausfrauen registrierten Saisonkräften zu überprüfen, ob die Tätigkeit in Deutschland nur nebenbei oder doch berufsmäßig ausgeübt wird. In letzterem Fall müssten die Beschäftigten laut Sozialgesetzbuch versichert werden.

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Einzelfallprüfung wäre eigentlich Pflicht

Frauke Brosius-Gersdorf, Professorin für Sozialrecht an der Universität Hannover, erklärte gegenüber der taz, dass eigentlich in jedem Einzelfall geprüft werden müsse, ob nicht doch eine berufsmäßige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Das werde in der Praxis oft nicht gemacht. Sie sieht hier einen Rechtsbruch.

Auch Harald Schaum, Vizechef der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), spricht von "Betrug und Missbrauch, der dazu führt, dass etwa bei einer Coronaerkrankung die Arbeitnehmer mitunter die Behandlung selbst bezahlen müssen".

Die Arbeitnehmer würden auch keine Rentenansprüche erwerben. Dabei bekämen sie meist nur den gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 € die Stunde - oft minus Abzüge für Unterkunft und Verpflegung.

60 % der Ende Juni 2020 registrierten rund 97.000 ausländischen Aushilfskräfte der Landwirtschaft hatten laut Bundesagentur für Arbeit ein "kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis" ohne Sozialversicherung.

Deutsche Saisonarbeit für viele Arbeiter Haupteinnahme des Jahres

Das Verbot berufsmäßiger Kurzfristjobs soll laut Rentenversicherung dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer "anderweitig in der Sozialversicherung abgesichert sind" - also etwa über eine Hauptbeschäftigung oder eine Rente. "Berufsmäßig" sind für das Bundessozialgericht Tätigkeiten, auf die der Arbeitnehmer "zu einem erheblichen Teil" angewiesen ist, wie die Deutsche Rentenversicherung der taz antwortete.

Doch viele ausländische Saisonkräfte hängen stark von dem Einkommen aus dem nicht versicherten Job in Deutschland ab und sind in ihrer Heimat kaum oder gar nicht abgesichert. "So gut wie alle, die wir auf den Feldern treffen, sagen, dass sie zu Hause kaum etwas verdienen", berichtet Schaum.

Das Lohngefälle zwischen den Herkunftsstaaten und Deutschland sei gewaltig: In Rumänien beträgt der gesetzliche Mindestlohn umgerechnet nur 2,84 €. In der Bundesrepublik ist mehr als das Dreifache vorgeschrieben. Wenn ein Rumäne laut Gewerkschaftern wie üblich drei Monate lang acht oder mehr Stunden täglich und sechs bis sieben Tage die Woche auf einem deutschen Bauernhof arbeitet, verdient er demnach zum Beispiel rund 6.900 €.

In seiner Heimat müsste er dafür über ein Jahr arbeiten, wenn er wie bei Niedrigqualifizierten üblich lediglich den Mindestlohn erhält (bei einer durchschnittlichen Vollzeitbeschäftigung in Rumänien von etwa 170 Stunden pro Monat).

Pauschale Einteilung nach Personengruppe

Die taz wirft den Betriebsprüfern der zuständigen Rentenversicherer vor, hier oft noch nicht einmal zu kontrollieren, wieviel die Betroffenen in ihrer Heimat verdienen. Denn die Sozialversicherungsträger entschieden in ihrer Vereinbarung pauschal: "Keine Berufsmäßigkeit liegt insbesondere bei Beschäftigungen von Schülern, Studenten, Hausfrauen, Selbständigen oder während eines bezahlten Erholungsurlaubs vor. Dies gilt unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen im jeweiligen Heimatland".

Der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, hat dem vor kurzem in der /Neuen Zeitschrift für Sozialrecht /widersprochen: Die Frage nach der Berufsmäßigkeit, schrieb der Richter dort, lasse sich nur beantworten, indem man den Einzelfall und die "gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Person" beurteile.

Die Rentenversicherung räumte auf Nachfrage der taz ein, dass die Sozialversicherer die Regel zu den Hausfrauen ohne ein konkretes Gesetz oder Urteil festgelegt hätten.

Die Rentenversicherung antwortete auf den Vorwurf des Rechtsbruchs, bei Hausmännern beispielsweise könne sehr wohl unterstellt werden, "dass andere Haushaltsmitglieder überwiegend für den gemeinsamen Lebensunterhalt sorgen". Belege, dass diese Vermutung auch bei den großen Einkommensunterschieden zwischen Deutschland und den Herkunftsstaaten zutrifft, blieb die Rentenversicherung schuldig, so die taz abschließend.

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