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Wolf oder Weidetiere: Wer hat mehr Rechte?

Angesichts von über 4.000 in einem Jahr getöteten Tieren schwindet die Akzeptanz für den Wolf unter Weidetierhaltern. Landwirte, Jäger und Wildbiologen drängen auf ein Bestandsmanagement.

Lesezeit: 7 Minuten

Der Wolf „GW1896m“ ist ein ­gutes Beispiel für den Stellenwert, den Wölfe inzwischen in Deutschland genießen. Der im Jahr 2021 eingewanderte Rüde war innerhalb eines Jahres an 98 von 101 Nutztierrissen in Rheinland-Pfalz und an zwölf Rissen in Nordrhein-Westfalen beteiligt. Das zeigen gentechnische Untersuchungen. „Da sich der Wolf bislang keinem Menschen genähert oder wolfsabweisende Zäune überwunden hat, definieren wir ihn nicht als Problemwolf, der geschossen werden kann“, erklärte Dr. Erwin Manz, Staatssekretär im Umweltministerium Rheinland-Pfalz, im April auf dem Fachforum Wolf des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau. Er begründet das mit dem EU-Recht, das eine Entnahme nur in Ausnahmen zulässt. Stattdessen soll GW1896 jetzt mit einem Sender ausgestattet werden, um seinen Bewegungsradius besser nachvollziehen zu können. „Aus Sicht der Weidetierhalter ist das absolut inakzeptabel. Ich wünsche mir die gleiche Willkommenskultur bei jedem Schaf, jeder Ziege und jedem Rind“, kritisiert Michael Horper, Präsident des Landesbauernverbandes.

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Die Erfahrung in Ländern wie Rheinland-Pfalz, in denen der Wolf jetzt einwandert, hat Brandenburg bereits vor 15 Jahren gemacht. Hier ist der Wolf seit 2007 sesshaft, heute leben in dem Land 49 Rudel und damit über 400 Wölfe. „Das ist die größte Wolfsdichte weltweit“, beschreibt Forstwirt Gregor Beyer die Situation in der Region. Er war bis Ende Juni Geschäftsführer vom Forum Natur Brandenburg (FNB), einem Zusammenschluss von mehreren Landestierzuchtverbänden. Bei den Rissen liegt das Land ebenfalls vorn: 2021 fielen dem Raubtier über 1 100 Tiere zum Opfer, davon 924 Schafe und über 170 Rinder.

Wie das FNB schätzt, leben in Deutschland zurzeit 1.800 bis 2.000 Wölfe. „Bei dem zu erwartenden Wachstum werden wir in zehn Jahren rund 25 000 Exemplare in Deutschland haben“, sagt Beyer.

„Das exponentielle Wachstum schreitet voran“, bestätigte auch Sven Herzog, Professor für Wildökologie und Jagdwirtschaft am Institut für Waldbau und Forstschutz der Technischen Universität Dresden auf dem Praxis-Talk „Nachbar Wolf – Wie gelingt das Zusammenleben?“ Mitte Juni im säch­sischen Köllitsch. Das Problem dabei: Die Art verhält sich nicht statisch, sondern passt sich ständig an neue Lebensräume in der Nähe des Menschen an. Dazu gehört die Lernfähigkeit, selbst Zäune mit 1,40 m und höher zu überwinden. Auch zählen immer häufiger Rinder und Pferde zu den Beutetieren.

Wolf soll ins Jagdrecht

Eine Frage, die sich Tierhalter seit Jahren stellen: Wann kommt der Wolf bundesweit ins Jagdrecht? Theoretisch ist seit der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 2020 der Abschuss von „Problemwölfen“ rechts­sicherer als früher möglich. Voraussetzung dafür ist, dass der Wolf einen wirtschaftlichen Schaden anrichtet und es keine Alternative zum Abschuss gibt. Unklar ist dabei jedoch, ob sich die Schäden auf einen einzelnen Betrieb oder eine Region beziehen.

Mit der Änderung des Gesetzes gilt: Wenn Schäden bei Nutztierrissen keinem bestimmten Wolf eines Rudels zuzuordnen sind, dürfen die Rudelmit­glieder solange geschossen werden, bis die Schäden ausbleiben. Der Abschuss muss dabei in engem, räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zu den Rissen erfolgen. In Niedersachsen gab es mit sieben genehmigten Abschüssen die bislang meisten Abschüsse.

Um einer Entnahme mehr Rechtssicherheit zu geben, hat Niedersachsen seit diesem Jahr den Wolf ins Jagdrecht übernommen – als zweites Bundesland nach Sachsen. Das bedeutet allerdings nur, dass für die Entnahme in Ausnahmefällen nicht ein staatlich beauftragter Schütze, sondern der klassische Jäger zuständig ist. „Die Entnahme muss immer noch naturschutzfachlich begründet sein. Und das bietet immer den Raum, eine Entnahmeverfügung gerichtlich zu stoppen“, erklärt Helmut Dammann-Tamke, Präsident der Landesjägerschaft Niedersachsen und CDU-Landtagsabgeordneter.

Der Wolf ist laut Wildbiologen keine gefährdete Art mehr

Warum es so schwierig ist, Problemwölfe zu entnehmen, zeigt auch ein Blick in die Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Richtlinie, die den Wolf in Anhang 4 als streng geschützte Art einstuft. Ob dem Wolf tatsächlich dieser Schutzstatus zusteht, bezweifelt Prof. Herzog. Man dürfe den Blick nicht nur auf Deutschland richten. „Wir hatten in der baltisch-osteuropäischen Population, zu der der deutsche Bestand gehört, schon 2018 rund 8 500 Tiere. Die Art ist schon lange nicht mehr gefährdet“, sagt der Wildbiologe. Mit der strengen Auslegung sorge der Gesetzgeber für immer mehr Widerstand in der Bevölkerung. Die Akzeptanz schwinde.

Andere Länder konsequenter

Das Management ist in den EU-Ländern unterschiedlich, obwohl alle dem gleichen FFH-Recht unterliegen:

  • In Estland leben bis zu 300 Wölfe, jährlich werden 80 bis 100 geschossen.
  • In Italien gibt es auch einen strengen Schutz. Allerdings verteidigen bewaffnete Hirten ihre Herden.
  • Schweden hat eine Schutz- und eine Quotenjagd eingeführt. 
  • Auch in Frankreich gibt es weniger Wölfe als in Brandenburg, jährlich werden 10 bis 15 % geschossen.

In fünf Ländern ein Problem

Um eine konkrete Bestandsobergrenze drückt sich das deutsche Bundesumweltministerium herum. Da es nur in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern einen stark wachsenden Wolfsbestand und massive Nutztierrisse gibt (siehe Übersicht), macht auch die Umweltministerkonferenz der Länder wenig Druck.

Die Grundlage dazu könnte der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition bilden. Darin heißt es: „Unser Ziel ist es, das Zusammenleben von Weidetieren, Mensch und Wolf so gut zu gestalten, dass trotz noch steigender Wolfspopulation möglichst wenige Konflikte auftreten. Wir werden durch eine Überarbeitung der Monitoringstandards die Anzahl der in Deutschland lebenden Wölfe realitätsgetreu abbilden und wollen den Ländern europarechtskonform ein regional differenziertes Bestandsmanagement ermöglichen.“

Das fordert auch FNB-Geschäftsführer Beyer: „Schutzzäune und Herdenschutzhunde sind gut und wichtig. Aber es gibt Wölfe, die aus dem Stand Zäu­ne mit 1,20 m überspringen.“ Höhere Zäune sind nicht überall möglich, z. B. nicht in Tourismusgegenden, Deichen oder an Steilhängen. Zudem verfangen sich darin teilweise andere Wildtiere, sodass Tierhalter nicht unbegrenzt und überall Zäune errichten können.

Es gibt keine Problemwölfe

Überwinden die Tiere den Zaun, werden sie in der Öffentlichkeit als „Problemwolf“ dargestellt. Das sieht Beyer aber als irreführend an. „Es gibt keine Problemwölfe. Denn sie tun nur das, was jeder vitale Wolf macht: Sie ver­suchen mit möglichst wenig Aufwand an die Beute zu kommen“, sagt er.

Neben dem Schutz der Weidetiere sei daher ein aktives Management nötig, das sich an vorher vereinbarten Zielen orientiert: „Wir brauchen eine Festlegung, wie viele Wölfe wir in Deutschland akzeptieren. Dann müssen wir eine Quote festlegen, wie viele pro Jahr geschossen werden müssen“, fordert er.

Der Abschuss hat laut Beyer den Nebeneffekt, dass der Wolf auf Dauer scheuer wird. Denn er lernt, dass die Annäherung an Weidetiere Folgen hat. „Das sehen wir am Verhalten von anderem jagdbarem Wild wie Rehe, Rotwild oder Wildschweinen“, zählt er auf.

Der Wolf muss lernen, dass die Annäherung an Weidetiere Folgen hat.

Um einen möglichen Bestand festzulegen, rät Beyer dazu, jedes Bundesland in Raster von 10 mal 10 km aufzuteilen und festzulegen, wo Wölfe unproblematisch sind. Als Untergrenze sieht er jeweils 60 % der maximal möglichen Zahl. Bezogen auf sein Bundesland wären das etwa 400 Tiere. „Der Akzeptanzbestand würde sich zwischen Ober- und Untergrenze bewegen, also bei uns etwa 510 Tiere“, schlägt er vor. Mit dem Abschuss von überzähligen Tieren müsste dieser Bestand gehalten werden. „In jedem Land ist die Situation anders. Brandenburg ist z. B. prädestiniert mit riesigen Truppenübungsplätzen“, sagt er. Feststeht, dass Risse der 510 Wölfe auch konsequent und unbürokratisch entschädigt werden müssten. „In der Wolfsdebatte gibt es zwei Extreme: Ausrotten oder Schützen um jeden Preis. Wir müssen aber vielmehr dahin kommen, den Wolf wie Rehe, Rotwild oder Wildschwein als ganz normale Wildtierart zu betrachten“, wünscht sich auch Wildbiologe Herzog.

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