Frau Kreißig, Sie wollen demnächst den heimischen Sauen- und Ackerbaubetrieb übernehmen. Der Bundesrat hat Mitte Juli die TierSchutzNutztV novelliert. Was bedeutet das konkret für den elterlichen Betrieb?
Kreißig: Wir halten auf unserem Betrieb im Landkreis Nienburg 280 Zuchtsauen und ziehen die Ferkel an einem gepachteten Standort auf. Unser Deckzentrum, sowie die Abferkelabteile sind vor ca. 20 Jahren auf der grünen Wiese gebaut, konventionell als Warmstall. Die tragenden Sauen halten wir in einem Außenklimastall. Den Bestand abzustocken ist für uns keine Option, d.h. wir müssen an- oder neu bauen. Wir haben uns bereits Gedanken über den Anbau einer Arena an das Deckzentrum gemacht. An Ideen mangelt es nicht, es bleibt abzuwarten, was das Bauamt und auch die Anwohner dazu sagen. Unsere bestehenden Abferkelställe können wir aufgrund der Abmessungen nicht umnutzen. Ein Neubau wäre für unseren Betrieb eine sehr große Investition, nur um die vorhandene Tierzahl zu halten, ohne jegliche Erweiterung.
Ohne Aussichten auf beständig gute Ferkelpreise werden wir uns einen Neubau nicht leisten können" - Kreißig
Wie sieht Ihr Betrieb in 10 bzw. 20 Jahren aus?
Kreißig: Mit der Erweiterung des Deckzentrums können wir nach den neuen Standards weitere zwölf Jahre Sauen an diesem Standort halten. In dieser Zeit werden wir entscheiden müssen, wie es weitergeht in Sachen Abferkelstall. Das kann ich bei den derzeitigen Unsicherheiten am Markt noch nicht sagen.
Was fehlt Ihnen an Rahmenbedingungen, um verlässliche Zukunftsentscheidungen treffen zu können?
Kreißig: Für uns stellen sich zahlreiche, bislang unbeantwortete Fragen:
- Wie wird sich der Schweinefleischkonsum in den nächsten 20 Jahren entwickeln bzw. inwiefern werden Fleischersatzprodukte oder gar Reagenzglasfleisch uns aus dem Markt drängen?
- Gibt es eine Zukunft für "5 x D"?
- Welchen Stellenwert wird die regionale (Ferkel-)Erzeugung in den nächsten Jahren bekommen?
- Für einen Familienbetrieb wie unseren sind die gesetzlich geforderten Investitionen eine große Herausforderung. Bekommen wir Planungssicherheit für mehr als eine Wahlperiode?
Wir brauchen zumindest innerhalb einer Staatengemeinschaft wie der EU annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen. Innerhalb der Branche müsste wieder mehr zusammen gearbeitet werden. Aber das Modell ITW 3.0 mit der Marktlösung zeigt schon jetzt, wie schwer es ist, alle Marktteilnehmer, vom LEH über den Schlachthof bis zum Landwirt, unter einen Hut zu bekommen. Die Rückkehr hin zu klein strukturierten Vermarktungswegen scheint auf den ersten Blick gut, aber natürlich fern ab der Realität. Vertragslaufzeiten sind in der Regel viel zu kurz um damit Abschreibungszeiten zu decken, womit wir wieder beim Stichwort Planungssicherheit wären.
Sie engagieren sich bei den Junglandwirten in Ihrer Region. Wie ist die Stimmung bei Ihren Berufskollegen? Wie rüsten sich die jungen Landwirte für die Zukunft? Erkennen Sie eine Veränderungsbereitschaft?
Kreißig: Mir fällt immer wieder auf, wie gut wir Junglandwirte heute aufgestellt sind. Jeder bildet sich in der Fachschule, im Studium oder fortlaufend auf Lehrgängen weiter. Eins ist klar: Junglandwirte machen ihren Job leidenschaftlich gerne und beherrschen ihre Zahlen bis ins Detail.
Wenn uns Perspektiven aufgezeigt werden, mangelt es als letztes an Veränderungsbereitschaft" - Kreißig
Das Problem ist, dass durch die aktuell endlosen neuen Auflagen vielen die Perspektive genommen wird. Veränderungen hat die Branche ständig gelebt, aber sie müssen auch fachlich nachvollziehbar sein. Kommen zu den politischen Differenzen dann auch noch mangelnde marktwirtschaftliche Aussichten dazu, kippt die Stimmung zunehmend.
Wie nehmen Sie die Forderungen der Gesellschaft wahr? Und was erwarten Sie von Verbrauchern und Bürgern?
Kreißig: Was genau sind denn die Forderungen der Gesellschaft? Einige wenige laute Stimmen fordern einen gänzlichen Wandel in der Landwirtschaft. Doch wohin genau? Der Großteil der Bevölkerung hat doch gar keine Vorstellung, wie wir bei uns auf dem Hof wirtschaften – das merke ich im Gespräch mit Verbrauchern immer wieder. Selbst im Bekanntenkreis wird die Empörung über die Zustände in den Ställen immer größer – doch über welche Zustände? Bilder von NGOs dominieren in den Köpfen und wir schaffen es kaum dagegen anzukommen. Wenn wir bei uns im Stall Besuchergruppen zeigen, was Sauenhaltung bedeutet, wird das Verständnis für viele Dinge größer. Aber wir erreichen eben immer nur die, die im ersten Schritt Interesse zeigen.
Am meisten traurig machen mich eigentlich die ständigen Negativmeldungen in den Medien, die uns Landwirte für alles verantwortlich machen. Ich arbeite mit Leidenschaft im Stall, die Sauen sind aber trotzdem Nutztiere. Macht mich das zur Tierquälerin? Natürlich nicht, aber manchmal bin selbst ich verunsichert von dem Bild, das über uns verbreitet wird.
Fordern kann nur, wer auch genau weiß was er fordert und: Forderungen müssen bezahlt werden, das sollte allen klar sein!" - Kreißig
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Die Veranstaltung "Öko oder konventionell, klein oder groß, global oder regional: Welche Landwirtschaft wollen wir?", die top agrar im Rahmen des Diskussionsformats „Landwirtschaft im Dialog“ durchführt und moderiert, findet am 29. September 2020 in Umweltforum Berlin statt. Die Teilnahme ist kostenlos. Weitere Informationen und die Anmeldung finden Sie hier. Für die Veranstaltung gilt ein besonderes Hygienekonzept gemäß den rechtlichen Vorgaben des Berliner Senats. Nähere Angaben dazu erhalten Sie beim Anmelden.
Liveübertragung ab 19 Uhr
Die Diskussion wird zudem ab 19 Uhr live über den top agrar-YouTube-Kanal www.youtube.com/topagrar übertragen.