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topplus Moorvernässung, weniger Tiere

So will Agora Agrar die Land- und Forstwirtschaft nachhaltig umbauen

Klimaschutzziele einhalten und dennoch die EU-Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen sichern: Das verspricht eine Agora-Studie. Das Gesicht der Agrarwirtschaft würde sich grundlegend ändern.

Lesezeit: 6 Minuten

Die EU und Deutschland haben bekanntermaßen beschlossen, bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden, also ihre Netto-Emissionen von Treibhausgasen (THG) auf null zu senken. Auch die Land- und Ernährungswirtschaft muss diesem Pfad folgen. Kritiker haben allerdings angemerkt, dass dies entweder massiv zu Lasten der Produktivität ginge oder unrealistisch hohe Kosten verursachen würde.

Der Think Tank Agora Agrar ist anderer Auffassung. In einer am Dienstag vorgelegten Studie kommen die Agora-Wissenschaftler um Prof. Harald Grethe und Dr. Christine Chemnitz zu dem Ergebnis, dass die europäische Land- und Forstwirtschaft ihren THG-Ausstoß bis 2050 um 60 % reduzieren könnte, ohne dass dies zu Versorgungsengpässen bei Lebensmitteln oder Biomasse führen würde.

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Grethe: Hohes Potenzial für mehr Klima- und Artenschutz

„Die Land- und Forstwirtschaft haben deutlich mehr Potenzial, zum Klimaschutz und zu Biodiversität beizutragen“, erklärt Grethe. Auch die Nahrungs- und Biomasseverfügbarkeit sei unter den richtigen Bedingungen gewährleistet, ohne dass man auf Importe vom Weltmarkt zurückgreifen müsse. Tatsächlich könne man auf Grundlage der Studie sogar davon ausgehen, dass die EU zum Nettoexporteur werde.

Das macht die Agora-Denkfabrik allerdings von mehreren Voraussetzungen abhängig, die das Gesicht der Landwirtschaft deutlich verändern würden. Neben deutlichen Änderungen beim Verbrauch von Rohstoffen müsste vor allem die Flächeneffizienz deutlich verbessert werden. Die Studie spricht von einer Kombination von Nutzungsformen, die Synergien stärken und Zielkonflikte entschärfen soll.

Gemeint ist damit unter anderem ein Ausbau von Agroforstsystemen. Die sollen auf etwa 8 % der EU-Ackerflächen angebaut werden, um forst- und landwirtschaftliche Nutzung zu verbinden und gleichzeitig einen Beitrag zum Artenschutz in der Kulturlandschaft zu leisten. Das würde laut der Studie bis 2045 zusätzliche 660 Mio. t CO2 im Boden bzw. Holz speichern.

Großteil der Moorstandorte wiedervernässen

Moorvernässung ist ein weiterer wichtiger Punkt des Maßnahmenpakets. Die Wissenschaftler von Agora Agrar weisen darauf hin, dass hier enormes Potenzial für die Einsparung der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen liegt. Nur 2 % ehemaliger nasser Moorböden sind in der EU für 20 % der Emissionen verantwortlich. Würde man 80 % der drainierten Moore wiedervernässen, könnten nach den Berechnungen in der Studie jährlich etwa 70 Mio. t CO2 eingespart werden.

Klar ist, dass diese Standorte dann nicht mehr für die herkömmliche Grünlandnutzung in Frage kämen. Deshalb sollen hier alternative Nutzungsformen wie Paludikulturen entwickelt werden. Die entsprechenden Wertschöpfungsketten stecken aktuell noch in den Kinderschuhen. Grethe wirbt daher für Prämien in Höhe der Opportunitätskosten von etwa 1.000 €/ha und Investitionen in neue Wertschöpfungsmodelle. Auch Agri-PV käme nach Überzeugung des Agrarökonomen auf vielen vernässten Moorstandorten in Frage.

Weitere 5 % der EU-Nutzflächen müssten für Artenschutz reserviert werden. Zusammen mit den Agroforstgebieten und den vernässten Mooren käme so im europäischen Durchschnitt eine vernetzte Fläche von rund 20 % für den Schutz und die Förderung von Biodiversität zusammen.

Tierbestände sollen massiv runter

Ein weiteres Kernelement des in der Studie angenommenen Szenarios ist eine „nachhaltige Nachfrage“. Damit meinen die Autoren insbesondere eine Änderung der Verzehrsgewohnheiten, hin zu einer mehr pflanzenbasierten Ernährung. Sie gehen bis zur Jahrhundertmitte von einer Halbierung des Verzehrs tierischer Produkte aus. Das würde automatisch Flächen für die Erzeugung pflanzlicher Produkte freimachen, da weniger Futter benötigt wird. Auch für Biomasse sowie Arten- und Naturschutz stünde dann nach dieser Rechnung mehr Platz zur Verfügung.

Eine Halbierung des Fleischkonsums bringt logischerweise auch einen beträchtlichen Abbau der Tierbestände mit sich. Laut den Agora-Forschern müsste der Bestand über alle Nutztierarten hinweg um die Hälfte runter. Je nach CO2-Fußabdruck fallen die Vorgaben aber bei den einzelnen Tierarten unterschiedlich hoch aus: Bei Fleischrindern wird eine Reduktion um 71 % vorausgesetzt, bei Milchrindern um 45 %. Bei Mastschweinen (-64 %) und Sauen (-70 %) läge der notwendige Rückgang ähnlich hoch. Lediglich bei Mastgeflügel fiele das Minus mit „nur“ 28 % wegen der guten Futtereffizienz vergleichsweise niedrig aus.

Kein Strukturbruch?

Würden so umwälzende Veränderungen nicht Agrarbetriebe überfordern und womöglich den Strukturwandel anheizen? Davon gehen die Agora-Wissenschaftler nicht aus. Sie setzen auf neue Geschäftsmodelle. „Unser Zukunftsbild für die Landwirtschaft bietet vielfältige neue Einkommensmöglichkeiten“, sagt Grethe. Er denkt dabei an die Erzeugung erneuerbarer Energien, Kohlenstoffspeicherung, aber auch die Vergütung konkreter Gemeinwohlleistungen wie Artenschutz. Das müsse allerdings politisch flankiert werden.

Damit Land- und Forstwirtschaft ihre Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspotenziale heben können, braucht es also geeignete politische Rahmenbedingungen. Die Agora-Autoren plädieren dabei für marktbasierte Instrumente, beispielsweise die Bepreisung von THG-Emissionen, Zahlungen für die Bereitstellung öffentlicher Güter wie Klimaschutz, C-Speicherung, Tierwohlverbesserungen oder Artenschutzmaßnahmen. Die haben bisher keine finanzielle Entsprechung am Markt, deshalb ist es nach Auffassung von Chemnitz wichtig, staatliche Gelder aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) umzuwidmen.

Direktzahlungen ohne Zukunft

Das läuft letztlich auf eine weitere Reduzierung und letztlich den Ausstieg aus den Direktzahlungen der Ersten Säule hinaus. Diese Gelder sollen dann nach einer Übergangszeit ausschließlich zur Vergütung gesellschaftlicher Leistungen in der Agrar- und Forstwirtschaft eingesetzt werden.

Das Argument, dass die Direktzahlungen ein wichtiger Teil des landwirtschaftlichen Einkommens darstellen, lässt Grethe nicht gelten. Er warnt: „Das Festhalten an der Basisprämie ist für die Landwirtschaft nicht gut.“ Die Branche sei seit Jahrzehnten in einem anhaltenden Verteidigungs- und Rechtfertigungskampf für diese Gelder gewesen. Dennoch habe sie in den vergangenen 30 Jahren auf den Hektar gerechnet rund 40 % der Gelder verloren. Besser sei es daher, weitere Rückzugsgefechte zu vermeiden und über die Vergütung von Gemeinwohlleistungen eine dauerhaft bessere Begründung für deren Notwendigkeit zu liefern.

Maßnahmenbündel zur Neuausrichtung des Sektors

Aus Sicht der Agora Agrar bietet die gerade begonnene EU-Legislaturperiode 2024 bis 2029 die Chance, den politischen Rahmen in der geeigneten Weise zu gestalten. Dazu zählen sie:

  • Eine ambitionierte Klimapolitik für die Land- und Forstwirtschaft (Ziele für die Vermeidung von Emission und die Speicherung von Kohlenstoff)

  • Die Nutzung der GAP-Gelder für die Entlohnung der Bereitstellung öffentlicher Leistungen

  • Einen EU-Rechtsrahmen für nachhaltige Ernährungssysteme

  • Einen Aktionsplan für die effiziente Nutzung von Biomasse

Was wird aus Biogas und Co.?

Wie soll es mit der energetischen Nutzung von Biomasse weitergehen? Die wird es auch nach Überzeugung von Agora Agrar zur Mitte des Jahrhunderts noch geben. Biogaserzeugung und erneuerbare Kraftstoffe zählen sie dazu. Deren Substrate sollen aber künftig vorrangig aus Reststoffen stammen. Anbaubiomasse wie Biogasmais oder Getreide und Zuckerrüben für die Ethanolherstellung machen nach Grethes Worten langfristig hingegen „keinen Sinn“

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