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Aldis Haltungswechsel: Fluch oder Segen?

Lesezeit: 5 Minuten

Der Umbau der deutschen Tierhaltung nimmt durch neue Standards im LEH Fahrt auf. Prof. Spiller sieht darin eher Vorteile, aber auch Risiken, wenn es so läuft wie in der Käfigei-Diskussion 2004.


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Was halten Sie als Mitglied der Borchert-Kommission von dem angekündigten „Haltungswechsel“ des Discounters Aldi?


Spiller: Es überrascht mich, welche Dynamik das Thema Tierschutz bekommt. Es ist aber gut, dass die Händler die Initiative ergreifen. Sie tun es allerdings nicht ganz freiwillig, sondern weil die Kunden erwarten, dass der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) Verantwortung übernimmt. Lebensmittel stehen im Vordergrund der Nachhaltigkeitsdebatte, weil wir sie täglich konsumieren und sie besonders präsent sind. Klar ist aber auch, ohne die Vorarbeiten der Borchert-Kommission wäre die Selbstverpflichtung von Aldi wohl kaum erfolgt.


Aldi plant den Umstieg auf Haltungsform 3 schon bis 2030, Sie hatten in der Borchert-Runde einen Zeithorizont bis 2040 vorgesehen. Also sind Ihre Vorschläge doch überholt, oder?


Spiller: Da müssen Sie differenzieren! In der Borchert-Kommission sprechen wir über den Umstieg der gesamten deutschen Tierhaltung. Bei Aldi und auch Rewe reden wir über etwas weniger als die Hälfte des Frischfleischmarktes, was in etwa 15% des gesamten Fleischmarktes ausmacht. Eine solche Teilumstellung kann natürlich schneller gehen. Ein kompletter Umbau auf Außenklimaställe und Auslauf ist in acht Jahren, nicht nur genehmigungsrechtlich, kaum flächendeckend hinzubekommen. Da ist 2040 realistischer.


Aldi plant also nur eine Teilumstellung des Marktes. Wird die Diskussion überbewertet und ist das Ganze vor allem eine Imagekampagne?


Spiller: Nein, das ist deutlich mehr. Aldi, Rewe und Lidl haben ja Zwischenziele gesetzt und ihre Strategien sind die Reaktion auf das veränderte Mensch-Tier-Verhältnis in der Gesellschaft. Das ist ein Megatrend. Unsere aktuelle Jugendstudie zeigt, wie kritisch gerade junge Menschen heute auf die Tierhaltung schauen.


Man hat den Eindruck, dass der LEH nun die Regie übernimmt. Ist das eine gute Entwicklung?


Spiller: Aldi, Lidl, Rewe und Edeka werden zunehmend zum Standard-Setzer. Das stimmt. Sie belauern sich aber auch gegenseitig. Jeder versucht sich beim Thema Tierwohl zu profilieren. Das ist problematisch, weil es zehntausende landwirtschaftliche Betriebe betrifft. Als sogenannter „Food Chain Captain“ haben Aldi und Co. nicht nur eine Verantwortung gegenüber den Kunden und der Gesellschaft, sondern auch gegenüber den Landwirten.


Viele Landwirte fühlen sich an die Auslistung der Käfigeier 2004 erinnert. Damals war auch Aldi der Vorreiter und innerhalb kurzer Zeit verschwanden fast alle Käfigeier aus dem Handel. Gibt es Fleisch von konventionellen Mästern bald nicht im LEH zu kaufen?


Spiller: Das kann passieren, denn der LEH ist flexibler als der Gesetzgeber. Letztlich ist es für Händler doch egal, was im Regal liegt. Der Deckungsbeitrag je Regalmeter zählt. Wenn die „vier Großen“ an einem Strang ziehen, kann es sehr schnell gehen. Ich sehe darin langfristig aber mehr Chancen als Risiken für die deutsche Landwirtschaft. Der LEH darf nur nicht den gleichen Fehler wie damals bei den Eiern machen und die Verarbeitungsware ausklammern. Damit haben sie es der Landwirtschaft unnötig schwer gemacht.


Warum sollte das diesmal besser laufen?


Spiller: Natürlich ist Verarbeitungsware schwieriger zu beeinflussen und es gibt auch internationale Spezialitäten, die sich nicht nach deutschen Tierhaltungsanforderungen richten. Aber der größte Wurstproduzent für Deutschland ist die Tönnies-Gruppe. Einige Handelsketten haben große eigene Fleischwerke und könnten Wurst und Co. für ihre Handelsmarken bereits im ersten Schritt in die Selbstverpflichtung aufnehmen. Außerdem sollte die Haltungsform-Kennzeichnung zügig auf Verarbeitungsware ausgedehnt werden. Wenn Parma-Schinken irgendwann als einziges Produkt mit Haltungsform 1 im Regal liegt, wird dies wie ein Warn-Label wirken und internationale Lieferanten werden sich bewegen.


Bei den Eiern hat die Politik, angestachelt durch die Marktentwicklung, 2010 die Käfige ganz verboten. Wird auch beim Fleisch die Selbstverpflichtung des LEH bald zum Gesetz?


Spiller: Das glaube ich aufgrund der Unterschiede in der EU nicht. Außerdem haben wir heute eine andere Situation und mit der Borchert-Kommission und der Initiative Tierwohl (ITW) gute Konsensrunden. Am besten wäre es, wenn sich die ITW dem Tier- und Umweltschutz sowie Politik und Wissenschaft öffnet, um breitere gesellschaftliche Akzeptanz zu erfahren. Dann wäre es ein gutes Gremium, um Politik und Handel zusammen zu bringen.


Der LEH legt sich nicht klar auf deutsche Ware fest. Landwirte befürchten, dass der LEH dann künftig einfach im Ausland einkauft und die Preise drückt. Teilen Sie diese Sorge?


Spiller: Das kann passieren, denn wir sind Teil eines europäischen Marktes. Der LEH macht sich ungern abhängig von einzelnen Lieferanten, gerade im Basissegment. Derzeit sind uns die Niederländer und Dänen mit ihren Tierschutzlabel-Programmen zwar voraus. Wenn die deutsche Landwirtschaft den Weg aber jetzt offensiv mitgeht, sehe ich gute Chancen, denn bei Außenklima und Auslauf haben die genannten Länder wegen ihrer hohen Tierhaltungsdichte mehr Probleme als wir. Und was sind die Alternativen? Wollen wir lieber mit Polen, Spanien oder Brasilien im Niedrigpreissegment konkurrieren?


Wird Aldi überhaupt die benötigten Fleischmengen zusammenbekommen?


Spiller: Ein bisschen Knappheit für Tierwohlware ist für die Preise nicht schlecht. Für die landwirtschaftlichen Betriebe ist entscheidend, welche Vertragslaufzeiten sie mit konkreten Preisaufschlägen beim Schlachtunternehmen absichern können. Je mehr Handels- und Schlachtunternehmen solche Programme aufbauen, desto geringer ist das Risiko für die Betriebe, da sie im Zweifel ausweichen können.


Was wird in der Fleischbranche nun passieren?


Spiller: Für die Landwirtschaft wäre es am Besten, wenn alle großen Händler und möglichst viele Verarbeitungsunternehmen und Außer-Haus-Anbieter die gleichen Mindeststandards setzen würden. Dann gäbe es kein Tierwohl-Dumping. Ich rechne aber nicht damit, dass alle jetzt schon auf den Aldi-Kurs einschwenken werden. Abgesehen davon wird aber der Konsum von Fleisch weiter sinken. Die Devise lautet: Weniger Fleisch, aber besser – und teurer. Das schafft auch Raum für positive Botschaften. Ich finde es spannend, wenn mir Studierende berichten, dass sie zu Hause neue Haltungs- und Vermarktungsformen ausprobieren. Hier entstehen derzeit spannende Projekte. Tierhaltung muss vorzeigbar sein.


andreas.beckhove@topagrar.com

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