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„Die Mehrkosten nicht beim Bauern abladen“

Lesezeit: 6 Minuten

Die Schlachtbranche produziert derzeit vor allem Negativ-Schlagzeilen: Corona-Hotspot, Lockdown, Dumpinglöhne, Ausbeutung. top agrar hat die drei Vorstände der Westfleisch gefragt, was die Krise für Folgen hat und was das für Tierhalter bedeutet.


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Die gesamte Fleischbranche steht derzeit unter Beschuss. Wie krisenfest ist die Westfleisch?


Carsten Schruck: Unser Unternehmen steht wirtschaftlich solide da. Nach den ersten fünf Monaten liegen wir sogar über den Planzahlen. Und darin sind die Belastungen durch die einwöchige Schließung des Schlachthofs Coesfeld im Mai voll enthalten. Das hat mehrere Millionen Euro gekostet.


Die Coronakrise scheint Ihnen nicht zu schaden. Ist alles halb so schlimm?


Schruck: Doch, natürlich schadet uns die Krise. Durch die ständig zunehmenden Anforderungen steigen unsere Kosten immens. Dazu sehen wir auch keine Alternative, denn wir müssen einen erneuten Lockdown eines Schlachtbetriebs unbedingt verhindern. Wir setzen uns daher ganz bewusst selbst noch höhere Standards.


Wo gehen Sie denn über die behördlichen Anordnungen hinaus?


Johannes Steinhoff: Wir testen beispielsweise täglich alle in der Produktion Beschäftigten auf das Virus. Das sind aktuell 5000 Personen. Alle müssen vor der Arbeit durch unsere Testzentren, um Doppelproben abzugeben. Schon nach wenigen Stunden liegen die Ergebnisse vor. Die Landesregierung schreibt Tests eigentlich nur zweimal pro Woche vor.


Wieso ziehen Sie Doppelproben?


Steinhoff: Das hat Kostengründe. Wir werten mit Poolproben fünf bis zehn Personen gleichzeitig aus. Bei einem positiven Befund können wir über die Zweitprobe die Person identifizieren.


Können Sie so neue Infektionsherde ausschließen?


Steinhoff: Absolute Sicherheit gibt es nie. Aber mit unseren anderen Maßnahmen wie größere Abstände, niedrigere Bandgeschwindigkeit, zusätzliche Sozialräume etc. erreichen wir ein sehr hohes Sicherheitsniveau. Wichtig ist auch die Reorganisation der Teams bis in die Unterkünfte. Personen, die am Schlachtband zusammenarbeiten, teilen sich auch die Wohnungen und fahren gemeinsam in einem Auto zur Arbeit.


Die Zerlegung und Lüftung sollen nun die Problembereiche sein. Wie sehen Sie das?


Schruck: Das müssen wir erstmal abwarten. Vorgestern waren es die Unterkünfte und Werkverträge. Jetzt soll es die Lüftung im Zerlegebereich sein. Wir befinden uns im Austausch mit Professor Exner, der das Thema ins Spiel gebracht hat.


Wie hoch sind die gesamten zusätzlichen Kosten durch die Corona-Auflagen und wie kompensieren Sie das?


Steen Sönnichsen: Eine genaue Kalkulation ist noch schwierig, denn die Vorgaben ändern sich laufend. Sie können aber davon ausgehen, dass sie sich derzeit bei 3 bis 5 Euro pro Schwein und etwa 9 bis 15 Euro pro Rind bewegen. Das müssen wir an unsere Abnehmer weitergeben.


Wie garantieren Sie, dass nicht doch der Bauer am Ende mit niedrigeren Erlösen die Zeche zahlt?


Sönnichsen: Corona ist eine gesamtgesellschaftliche Krise. Das wissen auch unsere Kunden. Die Mehrkosten dürfen nicht bei den Bauern abgeladen werden. Wir müssen in der zweiten Jahreshälfte höhere Fleischpreise durchsetzen.


Was ist, wenn der Markt das nicht hergibt?


Sönnichsen: Wir erwarten, dass auch der Handel Verantwortung übernimmt und die Notwendigkeit höherer Preise erkennt. Alles andere wäre schlecht für den deutschen Fleischmarkt.


Langsamere Schlachtbänder heißt auch weniger Schlachtkapazitäten, oder?


Sönnichsen: Das stimmt. Bei Westfleisch können wir das aber mittelfristig ausgleichen. In Coesfeld schlachten wir aktuell 20 bis 30% weniger Tiere. Hier könnten wir theoretisch mit einer zweiten Schicht die Stückzahlen wieder erhöhen. Betriebe, die schon vor Corona Zweischichtbetrieb hatten, können das nicht. Engpässe sehe ich aktuell aber auch bei den Mitarbeitern.


Warum bei den Mitarbeitern?


Sönnichsen: Wir haben durch Corona einen Urlaubsstau. Wegen der Grenzschließungen und der Auflagen haben viele Arbeiter seit Monaten kaum Urlaub genommen. Das wird nun zu Recht nachgeholt. Hinzu kommt die Verunsicherung durch die Geschehnisse in Deutschland. Viele Mitarbeiter haben Angst, sich hier anzustecken und bleiben lieber in ihrem Heimatland. Der Fachkräftemangel wird uns noch Monate beschäftigen.


Fachkräfte ist ein gutes Stichwort! Über Jahre hat die Fleischwirtschaft erklärt, wie wichtig Werkverträge für unseren Standort sind. Jetzt wollen alle nur noch Festangestelle. Wie kommt es zu dem Sinneswandel?


Steinhoff: Bei Westfleisch verfolgen wir dieses Ziel schon länger. Wir haben in den letzten vier Jahren 2000 Mitarbeiter von Werkvertragsunternehmen übernommen. Heute ist mehr denn je klar: Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen.


Reicht die Zeit? Wie viele Werkvertragsnehmer haben Sie noch?


Schruck: Aktuell sind es 3000 Arbeiter, die wir bis zum Jahresende übernehmen wollen. Das wird eine Mammutaufgabe, weil wir z.B. einige hundert Wohnungen selbst anmieten müssen. Aber wir schaffen das.


Und das wird nicht teurer für Sie?


Sönnichsen: Zu Beginn schon, weil wir viele neue Aufgaben übernehmen. Langfristig müssen die Kosten durch das Ende der Werkverträge aber nicht steigen, weil wir die Löhne ja bisher auch zahlen. Sollten unsere Arbeitskosten dennoch steigen, müssen wir das in der Kette weitergeben. Das dürfte aber auch kein großes Problem sein, wenn die Regel für alle gilt. International sieht das natürlich anders aus.


Wie groß ist die Gefahr, dass die deutsche Fleischbranche international an Wettbewerbsfähigkeit verliert?


Sönnichsen: Diese Gefahr ist nicht neu. Denken Sie an die vielen Tierwohlvorgaben in Deutschland, die es so in vielen anderen Ländern nicht gibt.


Die Politik wünscht sich dezentrale Schlachthofstrukturen. Müssen Sie ihre Strategie 2025 anpassen?


Schruck: Kleine dezentrale Betriebe, die dann noch Rind und Schwein gleichzeitig schlachten, sind nicht wettbewerbsfähig. Daran wird sich nichts ändern. Wir arbeiten allerdings die neuesten Corona-Anforderungen in unsere Investitionspläne mit ein.


Welche Lehren ziehen Sie aus dem Lockdown in Coesfeld?


Sönnichsen: Für die Landwirtschaft ist das insgesamt nicht so schlecht gelaufen, finde ich. Wir waren im engen Austausch mit unseren Lieferanten. Und wir haben die Abrechnungsmaske bei Schweinen schnell beim Gewicht geöffnet. Selbst Schweine, die nicht unter Vertrag standen haben ihren Weg gefunden.


Wie finden Sie das Krisenmanagement der Schlachtbranche insgesamt?


Schruck: Die öffentlichen Auftritte haben der Branche nicht gut getan. Aber eine sachliche Debatte ist in der aufgeheizten Stimmung kaum möglich. Wer sich dann vor die Kamera stellt, wird „verbrannt“.


Westfleisch ist auch durch ein China-Geschäft in die Schlagzeilen geraten. Herr Sönnichsen, Ihnen wirft man sogar die Vorteilsnahme zu Lasten des Unternehmens vor. Was ist da dran?


Sönnichsen: An diesem Vorwurf ist nichts dran, und das wird das laufende Verfahren auch zeigen.


Bei dem Geschäft ging es um Fleisch im Wert von 8,5 Mio. €, das an einen Zwischenhändler in Dubai verkauft wurde. Ist das Geld verloren?


Schruck: Nein. Wir sind von dem Vertrag mit dem Zwischenhändler zurückgetreten und haben die Ware nun direkt an den Endkunden in China verkauft. Wenn alles klappt, kommen wir ohne Verluste aus dem Geschäft.


Haben Sie zu viel riskiert?


Sönnichsen: Wer weltweit Fleisch handelt, geht immer Risiken ein. Grundsätzlich laufen Geschäfte mit China aber stets gegen Vorkasse, sodass die Ware uns gehört, solange sie nicht bezahlt ist. Deshalb konnten wir die Ware an einen anderen Kunden weiterverkaufen.


andreas.beckhove@topagrar.com


marcus.arden@topagrar.com

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