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„Die Zeit drängt!“

Lesezeit: 7 Minuten

Die deutsche Fleischwirtschaft kommt nicht aus den Schlagzeilen. Deshalb fordert Prof. Dr. Hans-Wilhelm Windhorst eine Neuausrichtung der Tierhaltung – ein Weckruf.


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An guten Ratschlägen mangelt es den Tierhaltern derzeit nicht. Das Motiv der oft selbst ernannten Experten ist meist eine Mischung aus Populismus und Idealismus. Es wäre deshalb kaum der Erwähnung wert, die Forderungen eines weiteren Experten näher zu diskutieren, wäre es nicht Prof. Dr. Hans-Wilhelm Windhorst. Der international renommierte Agrarexperte ist ein Verfechter der modernen Landwirtschaft und bezeichnet Veredelungszentren wie das Südoldenburger Münsterland als Silicon Valley der Agrarprodukte.


Für Windhorst steckt die deutsche Fleischbranche in einer Sackgasse und muss sich grundlegend neu erfinden. In seiner Studie „Transformationsprozesse in Regionen mit intensiver Tierproduktion“ bemängelt er, dass sich die Branche viel zu langsam weiterentwickelt, obwohl die Richtung eigentlich seit vielen Jahren bekannt ist:


  • Transparenz schaffen und das Image der Tierproduktion verbessern,
  • mehr Tierwohl in den Ställen,
  • Lebensmittelsicherheit und -qualität weiter verbessern,
  • Reduzierung der Umweltbelastung.


Im Kern geht es um die Frage: Wie kann sich die Geflügel- aber auch die Schweinehaltung aufstellen, damit sie auch künftig gesellschaftlich akzeptiert wird und trotzdem wirtschaftlich erfolgreich ist?


Und als wäre das nicht schon dramatisch genug, drückt er auch noch aufs Tempo. „Wenn sich nicht bald etwas ändert, wird nichts so bleiben wie es ist“, stellt er klar. Windhorst wird konkret und formuliert drei Transformationsziele:


Die Ansprüche der Verbraucher differenzieren sich immer stärker – sowohl auf dem Binnen- als auch auf dem Exportmarkt. Darauf muss die Branche reagieren. Es geht nicht mehr um quantitatives, sondern um qualitatives Wachstum. Die Nachfrage wird sich in fünf wesentliche Marktsegmente unterteilen:


  • Standardware: Den größten Anteil werden auch weiterhin die günstigen tierischen Produkte einnehmen, die sich an gesetzlichen Standards orientieren. Auch wenn in Deutschland die Auflagen im internationalen Vergleich schon recht hoch sind, dürften sie weiter steigen. Es muss gelingen, die höheren Produktionskosten über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) an den Verbraucher weiterzugeben, sonst wird die in Deutschland produzierte Menge zwangsläufig sinken. Der Export ist keine Alternative, weil es für Standardware am Weltmarkt nicht mehr Geld gibt. Im Gegenteil, die hohen deutschen Exporte können nur gehalten werden, wenn die Ausfuhren mit Gewinnen aus anderen Segmenten quersubventioniert werden.
  • Tierwohlware: Sie wird deutlich über den gesetzlichen Vorgaben produziert und muss im LEH spürbar höhere Preise erzielen. Die Tierwohlware muss sich durch ein Label eindeutig von den Standardprodukten unterscheiden, so wie es der Bundeslandwirtschaftsminister derzeit plant. Das funktioniert allerdings nur, wenn die potenziellen Käufer mit entsprechendem Marketing angesprochen werden. Gut gemacht, kann das sogar auf einigen Exportmärkten funktionieren.
  • Ware für bestimmte soziale Gruppen: Erzeugung von tierischen Produkten, die auf spezifische soziale Gruppen, z.B. Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften, ausgerichtet sind und ggf. die Einhaltung spezifischer Auflagen bei der Schlachtung der Tiere verlangen. Auch hier sind sowohl Teile der inländischen Bevölkerung als auch Auslandsmärkte das Ziel.
  • Ware mit Zusatznutzen: Entwicklung von tierischen Produkten, die einen Zusatznutzen aufweisen, z.B. mit bestimmten Vitaminen angereichert sind oder weniger Fett- und Cholesterin enthalten. Sie sind vor allem auf spezifische Lifestyle-Gruppen ausgerichtet, die auch bereit sind, höhere Preise zu zahlen.
  • Fleischersatz: Erzeugung von Fleisch-ersatzprodukten, die sich vor allem an Verbraucher richten, die den Verzehr von Fleisch grundsätzlich ablehnen oder ihn reduzieren wollen.


Unabhängig von der Segmentierung des Marktes wird sich auch die Tierhaltung insgesamt weiterentwickeln. Das gilt auch für die Standardware. Der Grund: Die gegenwärtig eingesetzten Haltungssysteme sind zwar zugelassen. Sie erfüllen aber streng genommen nicht immer zu 100% die gültige Rechtsnorm. Der Gesetzgeber duldet das, weil es bisher keine Alternativen gibt. Beispiele dafür sind das Töten männlicher Legeküken oder das Kupieren der Schwänze beim Schwein. Der Verbraucher wird beides auf Dauer nicht akzeptieren.


Noch wichtiger ist die Frage der Haltung bei der Tierwohlware. Die Anforderungen, die über den Gesetzesrahmen hinausgehen, dürften vor allem folgende Bereiche betreffen:


  • Besatzdichte im Stall,
  • Vorgaben zur Länge der Mastperiode,
  • Verzicht auf gentechnisch veränderte Futtermittel,
  • Bereitstellung von Beschäftigungsmaterial.


Bei den Anforderungen sind zahlreiche Abstufungen möglich. Sie reichen von der Freilandhaltung von Legehennen über die Haltung von Mastschweinen auf Stroh bis hin zur ökologischen Haltung von Bronzeputen (eine alte Nutztierrasse), um nur einige Beispiele zu nennen.


Die Konzentration der Tierhaltung auf Veredelungszentren hat zwar durchaus ökonomische Vorteile. Für die Umwelt ist der erhöhte Nährstoffanfall bei begrenztem Flächenangebot allerdings ein Risiko und schon seit Jahrzehnten ein Angriffspunkt für Kritiker der modernen Tierhaltung. Das Problem verschärfte sich seit der Jahrtausendwende durch den Ausbau der Biogaserzeugung vor allem in den viehdichten Regionen, weil nun noch mehr Nährstoffe anfallen. Bis heute fehlen belastbare Zahlen über den Verbleib der Gärsubstrate, sodass die Kritiker zusätzlich Futter bekommen. Wir müssen handeln:


In einem ersten Schritt müssen die anfallenden Mengen an Wirtschaftsdünger und Substraten genau ermittelt werden. Wir müssen endlich die verfügbaren Nährstoffmengen berechnen. Dazu zählen auch die Strohmengen, die beim Getreide- und Maisanbau auf den Feldern verbleiben.


In einem zweiten Schritt ist jährlich auf Basis der Anbaukultur und der Versorgung der Böden der Bedarf zu ermitteln. Danach lässt sich festlegen, welche Mengen an Wirtschaftsdünger oder Gärsubstraten auf den Flächen ausgebracht werden dürfen. Die eingesetzten Mineraldünger müssen dabei berücksichtigt werden. Der Düngeplan ist im Idealfall parzellenscharf, zumindest aber betriebsbezogen zu erstellen und muss kontrolliert werden. In Dänemark wird dieses Verfahren übrigens seit Jahren erfolgreich praktiziert.


Werden die Nährstoffmengen vernünftig erfasst, steht auch fest wie viel Gülle oder Substrate nicht umweltverträglich in den Zentren der tierischen Erzeugung verwertet werden können. Sie müssen in Ackerbauregionen verbracht und verwertet werden.


Keine Frage, die Dokumentation der Nährstoffströme der abgebenden und aufnehmenden Betriebe ist aufwendig und auch mit beträchtlichen Verwaltungsaufwand verbunden. Trotzdem führt daran wohl kein Weg vorbei.


Der Umbau wird nicht leicht.

Nur wenn die genannten Transformationsziele umgesetzt werden, ist auf Dauer eine gesellschaftliche Akzeptanz der tierischen Produktion zu erreichen bzw. zu erhalten. Es ist eine Mammutaufgabe, bei der alle Beteiligten zusammenarbeiten müssen:


  • landwirtschaftliche Betriebe,
  • vor- und nachgelagerte Unternehmen,
  • Landwirtschaftskammern,
  • Industrie- und Handelskammern,
  • Wissenschaft und Forschung,
  • regionale Meinungsführer (z.B. Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland e.V. in Niedersachsen).


Zudem muss die Politik der Branche ausreichend Zeit geben, um die intensive Tierproduktion umzubauen. Auch wirtschaftlich dürfen die Betriebe nicht überfordert werden. Das heißt nicht, dass der Staat die Erzeugung mit Subventionen in eine Richtung drängen soll. Der freie Markt muss zeigen, was der deutsche Verbraucher für mehr Tierwohl zu zahlen bereit ist.


Auf das Wohlwollen des LEH darf man ebenfalls nicht setzen. Ein Aufschlag für mehr Tierwohl wird allenfalls wenige Jahre gewährt, bevor die so erzeugten Produkte zum neuen Standard werden.


Damit Deutschland nicht den gleichen Weg geht wie Schweden oder Österreich (siehe Kasten) muss der Konsument endlich verstehen, dass solche Produkte ihren Preis haben. Die Maxime ist: Jede Vorgabe hat höhere Produktionskosten zur Folge, die der Tierhalter nur umsetzt, wenn ihm dafür ein höherer Marktpreis garantiert wird.


Aber selbst wenn das gelingt, wird ein Teil der Erzeugung vermutlich in Länder mit niedrigeren Haltungs- und Tierschutzstandards verlagert. Die Verlagerung hat sogar schon begonnen. So ist der Produktions-Zenit beim Mastgeflügel in den Niederlanden, aber auch im Nordwesten Deutschlands, bereits überschritten. Gleiches gilt wohl auch für die Schweinefleischproduktion in Deutschland, die seit Jahren stagniert.


Klar ist auch, dass steigende Anforderungen in der Landwirtschaft den Strukturwandel beschleunigen. Wenn die Nachfrage nach Lebensmitteln wächst, die unter höheren Auflagen erzeugt wurden, springen auch größere Betriebe auf diesen Zug auf. Das wäre zwar ein Fortschritt in Richtung artspezifische Haltung, höherer Tiergesundheit und geringerem Medikamenteneinsatz. Allerdings würden viele kleinere Betriebe mit höheren Kosten auf der Strecke bleiben.


Hart dürfte es auch für die vor- und nachgelagerten Bereiche der Landwirtschaft werden. Denn unter Experten gelten vor allem mehr Platz pro Tier und eine längere Mastdauer als wichtiger Schritt in Richtung auf mehr Tierwohl. Die Zahl der erzeugten Hähnchen bzw. Schweine würde dadurch drastisch sinken. Wenn Erzeuger das nicht durch neue Ställe kompensieren, müssen z.B. Mischfutterhersteller oder Schlachtunternehmen mit sinkenden Umsätzen rechnen. -ab-

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