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„Ein Ausstiegsprogramm bringt gar nichts!“

Lesezeit: 5 Minuten

Ein kleineres Angebot und weniger Exportabhängigkeit könnten dem Schweinemarkt aus der Krise helfen, glauben viele. Steffen Reiter von der Exportorganisation German Meat sieht das völlig anders.


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Mit dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest (ASP) hat Deutschland wichtige Exportmärkte verloren. Welche Rolle spielt der EU-Export und der Drittlandexport aktuell noch für die deutsche Fleischbranche?


Reiter: Die Auswirkungen sind dramatisch. In den ersten sieben Monaten 2021 haben sich die Ausfuhren in Drittländer im Vorjahresvergleich mehr als halbiert. Die Gesamtausfuhren in Drittstaaten und EU sind aber nur um 4% auf 1,37 Mio. t gesunken, während der Ausfuhrwert um 28% fiel. Kurzum: Der Export spielt für uns weiterhin eine große Rolle.


Wie viel verliert die deutsche Branche aktuell, weil das fünfte Viertel nicht mehr nach China kann?


Reiter: Wenn Sie Nebenprodukte als Delikatessen in Drittländer vermarkten können, erlösen Sie dafür zusätzlich etwa 25 € pro Schwein. Einige Drittländer haben aber die Regionalisierung anerkannt, schließen also nur Fleisch aus den ASP-betroffenen Gebieten aus. So konnten wir z.B. die Lieferungen nach Hongkong, Vietnam oder Thailand ausbauen. Das ist aber kein Ersatz für das Chinageschäft.


Viele Marktteilnehmer sehen keine Lösung für das ASP-Problem und schreiben den Export ab. Wie sehen Sie unsere Exportchancen bei Schweinefleisch?


Reiter: Das ist zu einfach. Selbst wenn Deutschland weniger produziert, wird weiterhin exportiert. Es geht immer um eine möglichst optimale Vermarktung aller Teilstücke und Qualitäten. Dafür brauchen wir Drittländer und EU-Staaten. Asien hat uns bei der Wertschöpfung aus Nebenprodukten geholfen. Jetzt ist Italien wieder unser wichtigster Exportpartner. Dennoch brauchen wir die Drittlandmärkte.


Tut die Regierung genug, um Märkte wieder zu öffnen?


Reiter: Ich glaube, das Landwirtschaftsminsterium (BMEL) könnte deutlich mehr tun. Die Gespräche mit den Veterinärdiensten der Drittländer müssen politisch hochrangig begleitet werden. In anderen Ländern setzen sich Staatspräsidenten oder sogar gekrönte Häupter für die Fleischwirtschaft ein. Selbst mit ASP im Land ist einiges möglich. Das zeigen die ersten Verhandlungserfolge bei uns und anderen betroffenen Ländern, wie z.B. Ungarn oder Polen.


In China sind die Preise abgestürzt und der Markt ist mit Schweinefleisch überversorgt. Braucht Asien auf Dauer überhaupt Lieferungen aus Europa?


Reiter: Das sehe ich ganz anders. In China hat sich die Produktion zuletzt wieder normalisiert. Die letzten Jahre waren durch den Ausbruch der ASP absolute Krisenjahre mit sehr hohen Importen. China führt auch weiterhin hohe Mengen ein. Allein im Juli über 400000 t Schweinefleisch. 2017 – also vor dem Ausbruch der ASP in China, hat Deutschland knapp 360000 t Schweinefleisch nach China geliefert. Das zeigt, wie groß das Potenzial in „normalen“ Jahren ist.


Laut der offiziellen Statistik hat Deutschland einen Selbstversorgungsgrad (SVG) von über 125% bei Schweinefleisch. Sollten wir uns nicht auf den heimischen, kaufkräftigen Absatzmarkt konzentrieren?


Reiter: Eine Selbstversorgung gibt es doch nur auf dem Papier. Andere Länder in der EU liegen deutlich darüber und stellen ihre Exporte nicht infrage: Dänemark (621%), Spanien (205%), die Niederlande (335%) Belgien (247%). Würde Deutschland auf 100% absenken, bleibt die Frage, wer die Ohren, Schwänzchen und Lebern isst. Diese müssten weiterhin exportiert werden, während der Import von beliebten Teilstücken wie Filets weiter ansteigt.


Dennoch wäre es für Schweinehalter wohl einfacher, höhere Preise zu erzielen, wenn die Erzeugung in Deutschland durch ein Ausstiegsprogramm schnell sinkt und Schlachtbetriebe um das kleinere Angebot konkurrieren. Oder nicht?


Reiter: Die rein nationale Betrachtung springt zu kurz. Wir stehen auf dem EU-Binnenmarkt im Wettbewerb. In Deutschland geht die Schweinefleischerzeugung schon seit fünf Jahren zurück und andere EU-Länder haben das locker ausgeglichen. Ein Ausstiegsprogramm für Schweinehalter hätte allenfalls kurzfristige Effekte und würde Produktion ins Ausland verlagern. Ein nationales Programm hat keinen Einfluss auf den globalen Schweinefleischmarkt. Was wir brauchen, ist mehr Absatz. Dabei helfen werbliche Maßnahmen für das nach hohen Standards in Deutschland erzeugte Fleisch, aber auch die Wiedereröffnung wichtiger Drittlandmärkte.


Wir stehen in einem Kostenwettbewerb, den wir nicht gewinnen können. Unsere Produktionskosten sind schon jetzt viel höher als in Spanien oder Osteuropa. Durch Abgaben, Auflagen, Arbeitsschutz etc. steigen sie immer weiter. Mit Brasilien oder den USA brauchen wir uns erst recht nicht messen. Wie soll das in Zukunft funktionieren?


Reiter: Die bäuerlichen Tierhaltungsbetriebe, zusammen mit effizienten Fleischvermarktern, haben sich als äußerst wettbewerbsfähig erwiesen. Anders wäre es z.B. nicht möglich gewesen, in 2020 knapp 600000 t Schweinefleisch nach China zu exportieren. In dieser Zeit hatten wir auch hohe Auszahlungspreise für die heimischen Landwirte. Die ganze Kette hat vom Export profitiert. Klar ist aber auch: Die Leistungsfähigkeit erhalten wir nur, wenn die Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU nicht weiter auseinanderdriften, sondern in Sachen Tierhaltungsanforderungen, Energiesteuern und –abgaben harmonisiert werden.


Der Trend zu mehr Tierwohl läuft in Deutschland viel schneller als in Spanien oder Osteuropa. Ist die Harmonisierung der Auflagen nicht nur ein frommer Wunsch?


Reiter: Beim Thema Tierwohl ist das in der Tat schwierig. Deshalb sollte die neue Bundesregierung die Empfehlungen der Borchert-Kommission schnell umsetzen. Das schließt die Finanzierungsfrage und die Schaffung von baurechtlichen Freiräumen für den Umbau der Tierhaltung mit ein. Die heimischen Betriebe brauchen verlässliche Rahmenbedingungen.


In Deutschland könnte Haltungsform 3 auf Dauer Standard sein. Sind Produkte mit mehr Tierwohl möglicherweise bald die Exportschlager?


Reiter: Das Thema Tierwohl spielt in vielen Ländern keine zentrale Rolle. Es ist nicht absehbar, dass die Weltmärkte den deutschen Haltungsweg in größerem Stil honorieren.


andreas.beckhove@topagrar.com

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