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Ein deutsches ‚Beter Leven‘ könnte auch funktionieren

Lesezeit: 11 Minuten

Eine Tierwohlinitiative ist erst dann erfolgreich, wenn sie noch Jahre später am Markt ist und Geld verdient. Beter Leven ist so ein Programm. Davon ist Vion-Chef Francis Kint überzeugt.


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Vion hat 2015 endlich wieder schwarze Zahlen geschrieben. Setzt sich der Aufwärtstrend in diesem Jahr fort?


Kint: 22 Mio. € Gewinn sind bei 4,6 Mrd. € Umsatz noch sehr bescheiden (siehe Übersicht 1). Ob wir diese Zahlen auch 2016 erreichen ist außerdem nicht sicher. In den Geschäftsbereichen Rindfleisch und Food Services (Anm. d. Red.: u.a. Fertiggerichte und vegetarische Produkte) erwarte ich zwar ähnliche Ergebnisse wie im Vorjahr. Im Schweinefleischbereich aber haben die hohen Einkaufspreise den Markt im Sommer bestimmt. Das war nicht immer einfach für die Fleischunternehmen. Auf der anderen Seite hatten wir einen starken Markt in China.


Drohen Verluste im Schweinebereich?


Kint: Nein, ob wir aber das Vorjahresergebnis wieder erreichen, hängt vom letzten Quartal ab.


Im Jahr 2015 hat Vion knapp 9 Mio. Schweine in Deutschland geschlachtet. Fast 2 Mio. weniger als 2010. Wo landen Sie in diesem Jahr?


Kint: Wir sind stabil. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir in diesem Zeitraum eine ganze Reihe von Standorten geschlossen haben. Menge und Umsatz sind auch nicht unser Hauptziel, sondern die optimale Verwertung der Schlachtkörper mit entsprechender Wertschöpfung.


Wie sieht es bei den Rindern aus?


Kint: Da laufen die Geschäfte auch sehr konstant. In diesem Jahr haben wir bedingt durch die Milchpreiskrise allerdings deutlich mehr Schlachtkühe bekommen.


Wie werden sich die Preise in den kommenden Monaten entwickeln?


Kint: Ich bin kein Hellseher. Was wir einigermaßen zuverlässig vorhersagen können, ist das Schlachttierangebot. Das scheint in den kommenden Monaten nicht kleiner zu werden.


Ihre Mitbewerber auf dem deutschen Markt ordnen die Strukturen ihres Schlachtvieheinkaufs neu. Sehen Sie für Vion auch Änderungsbedarf?


Kint: Nein. Wir erfassen einen Teil unserer Schlachttiere selbst und einen Teil kaufen wir von Genossenschaften und Viehhändlern zu. Das passt so.


Gilt das auch für die Preisfindung? In den Niederlanden testen Sie einen Vier-Wochen-Preis für Schlachtschweine.


Kint: Das stimmt. Wir wollen damit die starken Preisschwankungen auf dem Schweinemarkt glätten. Sie schwächen unsere Wettbewerbsfähigkeit im Export.


Was hat denn der Bauer von einer Preisglättung?


Kint: Wenn die Amerikaner und Brasilianer auf dem asiatischen Markt Kontrakte abschließen, die erst in drei oder vier Monaten starten, können wir nur schwer mithalten, weil wir gar nicht wissen, wo wir dann preislich liegen. Wenn wir deshalb am Ende nicht zum Zug kommen, ist das auch für die Bauern ein Problem. Ich habe den Eindruck, dass wir viele Bauern damit überzeugen können.


Wie stehen Sie zu einer obligatorischen Herkunftskennzeichnung?


Kint: Eine verpflichtende Angabe des Herkunftslandes geht zu weit. Die Kennzeichnung als EU-Ware reicht völlig aus. Das heißt natürlich nicht, dass wir gegen regionale Initiativen sind, wenn sie vom Markt kommen und auf Freiwilligkeit basieren.


Sie kennen sowohl den deutschen als auch den niederländischen Markt sehr gut. Gibt es grundlegende Unterschiede?


Kint: Die Märkte sind für uns kaum vergleichbar. In den Niederlanden hat Vion bei Schweinefleisch einen Marktanteil von fast 45%. Das erleichtert die Inlands-Vermarktung natürlich. Gleichzeitig müssen wir aber zwei Drittel unserer Produktion exportieren. Alle niederländischen Betriebe haben deshalb z.B. die China-Zulassung. Unsere deutschen Standorte sind stärker auf den Inlandsmarkt ausgerichtet, weil wir es dort mit einem viel größeren Volumen zu tun haben.


Wie sieht Ihre Strategie im Export aus?


Kint: Unser Anspruch ist es, die weltweit sehr unterschiedlichen Märkte individuell zu bedienen und dabei die beste Wertschöpfung für uns herauszuholen. So liefern wir z.B. Bacon nach Großbritannien und Bäuche nach Korea. Unsere 16 Verkaufskontore in der Welt sorgen dafür, dass wir nicht zu abhängig werden von einem Exportmarkt. Außerhalb Deutschlands und der Niederlande setzen wir auf keinem Markt mehr als 200 Mio. € um.


Welche Folgen hat ein Brexit für Vion?


Kint: Großbritannien ist wichtig für uns, auch wenn wir nicht der Marktführer beim Bacon-Export auf die Insel sind (Anmerkung der Redaktion: Das ist Dänemark). Der Brexit kann uns wie auch unsere Wettbewerber sogar doppelt treffen. Wenn das britische Pfund – wie aktuell – schwächelt, werden unsere Exporte nach Großbritannien teurer. Darüber hinaus könnte nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU der Marktzugang erschwert werden. An beiden Entwicklungen haben wir natürlich kein Interesse.


Was erwarten Sie vom neuen amerikanischen Präsidenten?


Kint: Nicht viel! Das Freihandelsabkommen TTIP wird mit Trump wohl nicht kommen. Damit können wir leben, weil der US-Markt für uns nicht so wichtig ist. Viel entscheidender ist aber, was aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) wird. Das könnte für uns gefährlich werden. Denn wenn die Amerikaner einen privilegierten Zugang zu den asiatischen Märkten aushandeln, ginge das zu unseren Lasten. So wie es derzeit aussieht, werden aber weder TTIP noch TPP kommen.


Sie haben kürzlich gesagt, Vion brauche frisches Kapital für Investitionen und weiteres Wachstum. Wofür?


Kint: Das steht noch nicht fest. Klar ist aber, dass wir beim Rindfleisch Wachstumschancen sehen. Deshalb bauen wir in Leeuwarden gerade einen neuen Rinderschlachthof.


Und in Norddeutschland bauen Sie einen weiteren?


Kint: Das ist noch nicht entschieden. Norddeutschland ist und bleibt für uns eine strategisch wichtige Region. Wir könnten den Schlachthof in Bad Bramstedt auch weiter ausbauen, bevor wir einen neuen Standort suchen. Vergessen Sie nicht, dass wir in den vergangenen Jahren bereits erheblich in Bad Bramstedt investiert haben.


Es gibt Gerüchte, dass u.a. der Kalbfleisch-Konzern van Drie an Vion-Anteilen interessiert ist. Bleibt Vion auf Dauer in Bauernhand?


Kint: Soweit ich weiß, hat unser Eigentümer keine konkreten Pläne, die Aktionärsstruktur zu ändern. ZLTO (Anm. d. Red.: Südniederländischer Landwirtschafts- und Gartenbauverband) hat aber auch gesagt, dass man für Interessenten offen sei. Das ist aber nicht unser Thema. Unsere Aufgabe ist es, gute Ergebnisse zu erwirtschaften.


Vion hat mit Unternehmenskäufen eher schlechte Erfahrungen gemacht. Wie sieht Ihre Wachstumsstrategie aus?


Kint: Ich habe bei meinem Amtsantritt gesagt, dass ich einen vorsichtigen Kurs fahren werde. Daran halte ich mich. Wir investieren nur, wenn wir uns das auch leisten können. Deshalb wachsen wir vor allem organisch. Wenn sich uns allerdings eine Chance für einen interessanten Zukauf bietet, greifen wir zu.


Wo kann Vion die Produktionsprozesse noch optimieren?


Kint: Bei den engen Margen in der Schlachtbranche brauchen wir kostengünstige Strukturen und müssen zugleich für hohe Sicherheitsstandards sorgen. Das geht am besten mit integrierten Standorten, an denen geschlachtet, zerlegt und verarbeitet wird. Solche Standorte bevorzugt auch der Lebensmitteleinzelhandel.


Setzen Sie deshalb stärker auf integrierte Lieferketten?


Kint: Ja. Aber wir wollen auch mehr Kooperation statt Konfrontation. Wir wollen mit den Bauern und dem Handel auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Das geht am besten über kurze und effiziente Wertschöpfungsketten. Das Beter Leven-Programm in den Niederlanden ist ein gutes Beispiel, wie es laufen kann. Von der höheren Wertschöpfung profitieren alle in der Kette.


Lässt sich ein solcher Ansatz auch auf das Exportgeschäft übertragen?


Kint: Ich denke schon. Unsere ausländischen Kunden beobachten mit Interesse, was bei Beter Leven läuft. Auf den Exportmärkten werden aber andere Themen als Tierwohl im Fokus stehen. Solche Programme brauchen außerdem viel Zeit, um sich zu entwickeln. Beter Leven gibt es seit 2009.


Denken auch die Bauern in Wertschöpfungsketten?


Kint: Zumindest die 180 Landwirte, die bei Beter Leven mitmachen (s. Übersicht 3). Es spricht für sich, dass bisher kaum jemand ausgestiegen ist. Solche Programme bieten mehr Absatzsicherheit und Preisstabilität. Jeder Landwirt muss aber für sich entscheiden: Mache ich mit oder nicht? Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln geht nicht.


Ihr neuestes Projekt ist die sogenannte Transparenz-Initiative, die Sie im November in Deutschland gestartet haben. Was steckt dahinter?


Kint: Sie soll Vertrauen schaffen und besteht aus drei Bereichen. Erstens: Wir zeigen und beschreiben, was wir tun. Dazu gibt es u.a. ungeschönte Videos aus dem Schlachthof. Zweitens: Wir veröffentlichen unsere Kontroll- und Untersuchungsergebnisse – auch die negativen. Dazu gehören z.B. die Ergebnisse der amtlichen Fleischuntersuchung, die Organbefunde oder die Antibiotikarückstandsuntersuchungen. Und drittens haben wir ein Forum für die Verbraucher eingerichtet. Dort geben wir Antworten auf alle Fragen. Das soll Vertrauen schaffen. In den Niederlanden gibt es diese Initiative übrigens schon seit 2014. Ich glaube, dass Intransparenz der Branche nicht weiterhilft. Wir haben entschieden, das Transparenz unsere Zukunft ist.


Wie ist Ihr Vorstoß in Deutschland angekommen?


Kint: Wir haben viele positive Rückmeldungen bekommen, vor allem von den Bauern. Außerdem stelle ich fest, dass unsere Wettbewerber jetzt das Wort Transparenz sehr häufig in den Mund nehmen. Das ist gut so. Denn Vion kann die gesellschaftliche Debatte nicht alleine führen. Das muss die Branche gemeinsam machen. Wenn wir wollen, dass Fleisch gesellschaftsfähig bleibt, dürfen wir uns nicht verstecken.


Ticken deutsche und niederländische Verbraucher unterschiedlich?


Kint: Ja. Niederländische Verbraucher sind bei Themen wie Tierwohl und Nachhaltigkeit noch etwas kritischer als die Deutschen. Umgekehrt ist dem deutschen Verbraucher Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz wichtiger.


Sie sind in den Niederlanden der Spezialist für Biofleisch und schlachten wöchentlich etwa 1500 Bioschweine und 400 Biorinder. Wie hoch ist Ihr Marktanteil?


Kint: Unser Marktanteil in den Niederlanden liegt bei etwa 80%. Das ist ein interessanter, aber kleiner Markt. Aktuell wächst Biofleisch in den Niederlanden um 2 bis 5% pro Jahr.


Ist der deutsche Biofleischmarkt für Sie auch interessant?


Kint: Ja, die Wachstumsraten sind in Deutschland ähnlich. Derzeit bringen wir allerdings deutsches Biofleisch in die Niederlande, weil dort Ware fehlt. Grundsätzlich sollten wir den Biomarkt aber mit Augenmaß entwickeln. Es bleibt ein kleiner Markt. Wenn zu viele Betriebe gleichzeitig umstellen, bricht der Markt zusammen.


Welchen Marktanteil hat Beter Leven-Schweinefleisch in den Niederlanden?


Kint: Beim Frischfleisch sind wir schon recht weit. Der Marktanteil ist seit 2009 auf rund 75% gestiegen. Der Tierwohlanteil über alle Sortimente, also auch Fleischwaren, liegt noch bei rund 34%.


Wie wird der Beter Leven-Aufpreis für den Erzeuger ermittelt?


Kint: Er deckt die Zusatzkosten ab und beinhaltet auch noch eine Treueprämie. Im Durchschnitt liegt er bei 9 bis 10 ct/kg Schlachtgewicht.


In den vergangenen Wochen wurde von Absatzproblemen bei Beter Leven-Fleisch berichtet. Stimmt das?


Kint: Das ist mir nicht bekannt. Es gibt aber immer wieder einige Veränderungen von Woche zu Woche.


Warum gibt es in Deutschland keinen mit Beter Leven vergleichbaren Ansatz?


Kint: Deutschland ist größer, und die Struktur des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) ist eine ganz andere. In den Niederlanden hat der Marktführer Albert Heijn, der jeden dritten Supermarkt betreibt, die Verbesserung des Tierwohls zu seiner Unternehmensstrategie gemacht. Das sehe ich in Deutschland noch nicht.


Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt will nun ein staatliches Tierwohllabel einführen. Was halten Sie davon?


Kint: Wir sind da offen. Wenn der Handel auch in diese Richtung denkt, wird sich das Label auch durchsetzen. Bisher hält sich der deutsche LEH aber noch mit Zusagen sehr zurück.


Wie passen die Initiative Tierwohl und das Tierschutzlabel zusammen?


Kint: Wenn beide Ansätze aufeinander aufbauen, kann das funktionieren. Für uns als Schlachtunternehmen ist wichtig, dass nicht ständig neue Konzepte aufkommen, bei denen wir die Warenströme trennen müssen. Wir können nicht 20 verschiedene Initiativen nebeneinander fahren. Eine Trennung in konventionell, biologisch und Tierwohlware ist aber gut möglich. Das beweisen wir bei Beter Leven in den Niederlanden jeden Tag.


Wann ist ein Tierwohllabel erfolgreich?


Kint: Entscheidend ist, dass der Handel das ganze Schwein hochpreisig an den Verbraucher vermarktet. Am Ende kann ein Tierwohllabel auf Dauer nur überleben, wenn in der Wertschöpfungskette höhere Preise durchgesetzt werden. Das zeigt sich allerdings erst nach Jahren.


Wird sich die Diskussion beruhigen, wenn die Agrarbranche ihre Hausaufgaben macht?


Kint: Nein, das glaube ich nicht. Wir müssen aber versuchen, die Diskussion etwas zu steuern.


Was heißt das für den Fleischkonsum?


Kint: Der Absatz dürfte weiter sinken. Wir werden aber kein Volk von Veganern. Die Menschen wollen allerdings genau wissen, was sie essen. Und Sie werden auch zunehmend höher veredeltes Fleisch essen. Das ist unsere Chance!


Das Interview führte Dr. Ludger Schulze Pals

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