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Geflügel – wer bedient die steigende Nachfrage?

Lesezeit: 9 Minuten

Der Geflügelmarkt hat nach wie vor Potenzial, denn die Nachfrage steigt stetig. Allerdings sorgen sich deutsche Mäster derzeit um ihre Zukunft. Was läuft gut, wo hakt es?


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Viele deutsche Geflügelmäster machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Denn kaum flacht die Coronakrise etwas ab und die Schlachterlöse steigen, machen horrende Futterpreise die Hoffnung auf den Sprung in die Gewinnzone wieder zunichte. Aber das ist nicht das einzige Problem: Etliche Betriebe können sich aufgrund von immer schärferen Vorschriften nicht weiterentwickeln. Gibt es dennoch Perspektiven?


Geflügel ist besser gefragt


Die Fleischnachfrage ging in Deutschland im vergangenen Jahr zwar erneut zurück. Insgesamt wurden je Bundesbürger 84,5 kg verbraucht, also 1 kg weniger als im Vorjahr. Auf dem Teller landeten davon 57,3 kg (-0,8 kg zum Vj.). Eindeutiger Verlierer bei der Entwicklung ist aber das Schweinefleisch. Beim Geflügel setzte sich hingegen der langjährige, recht positive Trend fort (vgl. Übersicht 1). Der Pro-Kopf-Verbrauch stieg auf 22,3 kg. Den größten Anteil daran hatte Hähnchenfleisch mit 15,5 kg/Kopf (+0,4 kg). Putenfleisch stagnierte bei 5,8 kg je Einwohner.


Und damit dürfte das Ende der Fahnenstange beim Geflügel längst noch nicht erreicht sein. Es passt in eine moderne und bewusste Ernährung. Denn es enthält viel Eiweiß mit einer hohen biologischen Wertigkeit und wenig Fett. Hinzu kommt ein wichtiger Umweltaspekt: Masthähnchen besitzen eine hervorragende Futterverwertung von rund 1,6 kg Futter je kg Zuwachs. Dadurch kann mit geringem Einsatz ein hochwertiges Lebensmittel erzeugt werden.


Die EU-Kommission geht davon aus, dass der Geflügelfleischverbrauch bis zum Jahr 2030 um weitere 1,3 kg auf 24,6 kg steigen wird. Dieser Markt hat also weiterhin viel Potenzial und bietet auf den ersten Blick auch hiesigen Produzenten attraktive Perspektiven. Leider zeigen sich auf den zweiten Blick jedoch Haken und Ösen, die Landwirten das Leben schwer machen könnten, die in diesen Betriebszweig einsteigen oder ihre vorhandenen Mastkapazitäten ausweiten wollen.


Konkurrenz in der EU nimmt zu


Auch andere Geflügelhalter der EU stehen in den Startlöchern, um sich ein gutes Stück von dem attraktiven Geflügelmarkt zu sichern. Noch ist davon nicht viel zu spüren. Die EU-Geflügelbestände in der EU haben sich vom letzten Seuchenzug der Aviären Influenza noch nicht erholt. Außerdem haben etliche Mäster wegen des coronabedingten Nachfrageeinbruchs bei Geflügelfleisch ihre Produktion gedrosselt.


Im ersten Halbjahr 2021 wurde das Vorjahresniveau um 4,7% unterschritten. Die größten Rückgänge verzeichneten die Niederlande mit -17% und Polen mit -8,6%. Insgesamt erwartet Brüssel im laufenden Jahr in der Gemeinschaft einen Rückgang der Geflügelfleischproduktion im Vergleich zum Vorjahr um 0,9%, für 2022 aber eine Produktionssteigerung um 1%.


Das könnte zum Problem werden, falls die EU die Geflügelfleischexporte nicht wieder deutlich steigern kann. Wegen der Geflügelpest gab bzw. gibt es massive Ausfuhrbeschränkungen. Deshalb sieht die Kommission das Exportvolumen im Jahr 2021 rund 5% unter der Vorjahresmenge. Erst 2022 dürften sich die Zahlen wieder normalisieren, sofern die Geflügelpest weniger stark grassiert als in der Vorsaison. Ein Selbstläufer wird der Export aber nicht.


Weltweite Produktion steigt


Hiesige Anbieter müssen sich auf harten Wettbewerb am Weltmarkt einstellen. Das amerikanische Agrarministerium (USDA) erwartet für das Jahr 2022 eine Steigerung der globalen Geflügelfleischproduktion um 2% auf einen Rekordwert von fast 101 Mio. t. Das größte Wachstum soll es in Brasilien, China und den USA geben (Näheres dazu lesen Sie in der top agrar 11/2021, ab Seite 116). Treiber dieser Entwicklung ist laut USDA die stetig steigende Nachfrage nach preiswertem und hochwertigem tierischen Protein.


Dies sind die großen Marktakteure:


  • Brasilien bleibt der Hähnchenfleischexporteur Nr. 1, gefolgt von der EU-27 und Thailand.
  • Japan führt die Rangliste der größten Importeure vor Mexiko und China an.


Vor allem im Reich der Mitte schlummert eventuell sogar zusätzliches Absatzpotenzial. Das USDA erwartet dort eine rege Nachfrage, aber ein spürbar geringeres Wachstum der Geflügelproduktion als im Vorjahr. Steigende Futterkosten und die Erholung des Schweinesektors machen die Produktion von Geflügel uninteressanter.


Immer Höhere Anforderungen


Auch bei uns hadern viele Geflügelhalter mit ihrem Schicksal. Sie würden ja gerne mehr produzieren und vermarkten, sehen sich aber mit immer härteren Auflagen und Vorschriften konfrontiert. Viele Planungen scheitern bereits an der Baugenehmigungspraxis. Hinzu kommen die TA Luft und die DüngeV, die die Entwicklungsmöglichkeiten der Betriebe einengen. Gleichzeitig schraubt der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) die Anforderungen an seine Fleischlieferanten immer höher.


Erst kürzlich haben große Unternehmen sehr werbewirksam verkündet, das Frischfleischsortiment bis 2030 stufenweise auf die Haltungsformen 3 (Zugang zu Außenklimabereichen) und 4 (zusätzlicher Auslauf) umzustellen. Insgesamt wolle man dadurch den gesellschaftlich geforderten Wandel zu mehr Tierwohl vorantreiben, heißt es. Dabei – und das hat einen recht faden Beigeschmack – sind Spezialitäten aus dem Ausland, Tiefkühlartikel und Verarbeitungsware natürlich ausgenommen.


Bio ist immer noch eine Nische


Die Pläne vieler großer Akteure des LEH sind ambitioniert. Das wird beim Blick auf den Biogeflügelmarkt deutlich. Die Zahl der ökologischen Hähnchenmastbetriebe stieg in Deutschland von 2016 bis 2020 um 96 auf 441. Der Tierbestand wuchs auf 1,31 Mio. Masthühner. Dieser Markt bietet Landwirten nach Ansicht von Experten auch künftig Potenzial, und aktuell werden sogar weitere Betriebe gesucht. Gemessen am Gesamtbestand in Deutschland beträgt der Anteil nur magere 1,4%. Somit ist Bio, trotz starker medialer und politischer Präsenz, nach wie vor ein Nischenmarkt.


Die Hälfte der Betriebe hielt übrigens weniger als 100 Masthühner, und lediglich 34 Betriebe hielten zum Erhebungszeitpunkt mehr als 10000 Tiere. In der Ökoputenmast wurden im vergangenen Jahr gut 230000 Tiere in 133 Betrieben gehalten. Der Anteil am gesamten deutschen Putenbestand betrug 2%.


Der seit Jahren niedrige Bioanteil am Gesamtmarkt zeigt zum einen, wie begrenzt die Marktchancen im Premiumsegment bzw. in der Haltungsform 4 derzeit sind. Zum anderen lässt sich der Bedarf an entsprechenden Tierwohlställen bis 2030 ableiten. Natürlich sind zur Erfüllung der Pläne des LEH nicht nur Biohaltungen notwendig, aber bereits in der Haltungsform 3 wird ein Außenklimabereich gefordert. Und das ist in der Genehmigungspraxis derzeit nur schwer umzusetzen.


Dies hat – einige Monate nach der Ankündigung, das Frischfleischsortiment umstellen zu wollen – jetzt offensichtlich auch ein großer Discounter erkannt. Dieser fordert von der Agrarpolitik z.B. ein einfacheres Baurecht für Tierwohlställe. Ob und in welchem Umfang es so kommt, bleibt jedoch abzuwarten.


Schwachpunkt Biosicherheit


Auch das seit Jahren steigende Risiko durch die Aviäre Influenza wirft Fragen auf. Beispielsweise diese: Wie kann die Umstellung auf neue Haltungsformen in Veredelungsregionen gelingen, wo das Know-how der Tierhaltung verankert aber gleichzeitig die Viehdichte hoch ist?


Fakt ist: Die Betriebe müssen ihre Biosicherheitsmaßnahmen unbedingt verstärken. Insbesondere Geflügelhaltungen mit Auslauf oder Außenklimaställen sind von einer Infektion massiv gefährdet. Somit ist nicht nur im Seuchenfall die Stallhaltung die wichtigste Präventionsmaßnahme. Mit dem angestrebten Ausbau der Haltungsformen 3 und 4 kommt es hier jedoch zu einem regelrechten Interessenskonflikt. Dafür gibt es bislang keine Lösungen.


Tierzahlen werden sinken


Um allen Ansprüchen gerecht zu werden, die unter anderem aus dem Borchert Plan, der TA Luft und den Plänen des LEH resultieren, werden die Geflügelhalter vermutlich nicht um eine Reduzierung der Besatzdichte herumkommen. Eine stickstoff- und phosphorreduzierte Fütterung reicht oft nicht aus, um die Emissionen auf das geplante Maß zu senken. Auch die steigende Bedeutung von Biosicherheitsmaßnahmen bei gleichzeitig höchsten Tierwohlstandards spricht für geringere Besatzdichten als bisher. Denn dabei kann Stallhaltung mit strukturierten Mastställen und einem Wintergarten zur Erfüllung des Außenklimareizes ein guter Kompromiss sein.


Das hat allerdings Folgen für unseren Selbstversorgungsgrad (SVG) bei Geflügelfleisch. Dieser sinkt in Deutschland bereits seit einigen Jahren z.B. wegen der Besatzdichtereduzierungen im Rahmen der ITW. Im Jahr 2020 lag der SVG insgesamt bei rund 97%. Im Jahr davor waren es noch 100%. Im Detail betrug der Wert für:


  • Hühner 107%,
  • Puten 81%,
  • Enten 46% und
  • Gänse 20%.


Unterm Strich ist Deutschland also schon jetzt Nettoimporteur von Geflügelfleisch, und der Umbau der Tierhaltung würde die Abhängigkeit von den Importen weiter steigern. Im Umkehrschluss ergibt sich aus der Verknappung des Angebots jedoch wiederum eine Chance für Geflügelhalter, die wachsen wollen und können.


Wer wird das bezahlen?


Allerdings stellen sich Landwirte die berechtigte Frage, wie der Umbau der Tierhaltung überhaupt finanziert werden soll. Dass der Markt entsprechende Mehrerlöse hergeben wird, ist mehr als fraglich. In der Vergangenheit ist der Mehraufwand für die Umsetzung von QS und ITW bestenfalls mit einem moderaten Preisaufschlag belohnt worden.


Die Borchert-Kommission hat für den Umbau der Tierhaltung bis 2040 den Förderbedarf auf 3,6 Mrd. € beziffert. Ob oder wie die Vorschläge zur Finanzierung über eine mengenbezogene Abgabe oder Verbrauchssteuer auf tierische Produkte umgesetzt werden, hängt von der neuen Bundesregierung ab. Landwirte, die keine Chance auf vertragliche Bindungen zu auskömmlichen Konditionen mit dem LEH haben, müssen also weiter abwarten.


Explodierende Kosten


Die hiesigen Geflügelhalter plagen aber noch weitere Sorgen: An den Märkten für Futtergetreide sowie Proteinträger hält die Preisrallye unverändert an. Das treibt die Mischfutterpreise immer weiter nach oben. Im Oktober 2021 wurden in Weser-Ems über 380 €/t für ein Standard-Endmastfutter verlangt (siehe Übersicht 2). Das sind rund 18% mehr als vor einem Jahr.


Da die weltweite Nachfrage nach Getreide und Proteinfuttermitteln ungebrochen ist, können Landwirte vermutlich auch in den kommenden Monaten kaum mit einer deutlichen Entspannung in puncto Mischfuttermittelpreise rechnen. Das setzt etliche Betriebe unterm Strich finanziell unter Druck.


Die Erlöse für Masthähnchen und -puten sind auch gestiegen, aber nicht so wie die Produktionskosten. Neben dem Futter, das den größten Block bei den Ausgaben ausmacht, belasten auch Preissteigerungen bei den Energieträgern die Rentabilität. Flüssiggas verteuerte sich beispielsweise um über 50%, und Analysten erwarten frühestens im Frühjahr 2022 nachgebende Gaspreise.


Kein Selbstläufer


Dass sich die deutsche Geflügelbranche angesichts dieser Rahmenbedingungen nicht unbedingt über die Verbrauchszuwächse bei Geflügelfleisch freuen kann, liegt auf der Hand. Ein Mäster bringt das Problem auf den Punkt und fragt: „Was habe ich denn davon“ Hoffentlich geben der Markt und die Politik darauf bald positive Antworten.


joerg.mennerich@topagrar.com

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