Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Milchpreis Maisaussaat Ackerboden Rapspreis

Aus dem Heft

Kann ein halber Cent den Milchmarkt retten?

Lesezeit: 6 Minuten

Vollmilchpulver subventionieren und verbilligt an die Futtermittelindustrie abgeben, um den Milchmarkt zu entlasten. Kann das funktionieren? Mehrere niedersächsische Milcherzeuger sind davon überzeugt. Sie planen einen Pulver-Fonds, der kurzfristig starten könnte.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Hier ist die Lage dramatisch! Wenn der Milchpreis nicht bald steigt, erleben wir Strukturbrüche“, beschreibt Dr. Karsten Padeken, Vorsitzender des Kreislandvolks Wesermarsch, die Situation der Milcherzeuger.


An der Küste schlägt die Milchkrise voll durch: Die Landwirte haben häufig nur einen Betriebszweig – die Milch. Die Mast lohnt sich in der Grünlandregion nicht. Einkommensalternativen sind selten bzw. nicht vorhanden.


Einige der betroffenen Landwirte haben jetzt ein Konzept entwickelt, das kurzfristig für Marktentlastung sorgen könnte und mit relativ geringem Aufwand von den Milcherzeugern selbst finanziert würde.


Landwirt Dirk Jürgens (56) aus Varel stellt die Idee vor: Alle Erzeuger sollen 0,5 Cent/kg produzierter Milch in einen Fonds einzahlen. Mit dem Geld kann Vollmilchpulver (VMP) aufgekauft und verbilligt an die Mischfutter- industrie verkauft werden, die das proteinhaltige Pulver vor allem in den Schweinerationen einsetzen könnten. Das würde den Milchmarkt direkt entlasten.


Halber Cent für Pulver-Fonds.

Für Ideengeber Jürgens ist der Pulver-Fonds mehr als eine Schnappsidee. „Die Logik dahinter ist bestechend einfach, je länger wir darüber nachdenken, desto realisierbarer wird unser Konzept“, ist er sich sicher.


Die Rechnung geht folgendermaßen auf: In Deutschland (32 Mio. t Milcherzeugung) würden mit dem halben Cent je kg Milch jährlich rund 160 Mio. € zusammenkommen, in der EU bei einer Milchmenge von 150 Mio. t wären es sogar 750 Mio. €.


Damit die Futtermischer VMP in ihre Rezepturen aufnehmen, müsste das vergleichsweise teure Pulver auf das Preisniveau von Sojaschrot gebracht werden. Anfang März waren dafür bei Sojaschrotpreisen von 320 €/t und einem VMP-Kurs von 2850 €/t rund 2500 €/t nötig gewesen (unterschiedliche Futterwerte, der höhere Fettgehalt und niedrigere Proteinwert des Pulvers bleiben unberücksichtigt, vgl. Übersicht). Mit Vollmilchpulver kalkulieren die Landwirte, um Fett und Eiweiß der Milch gleichermaßen vom Markt zu nehmen.


Ein vollständig gefüllter Pulver-Fonds könnte demnach gut 62000 t VMP verbilligen und für die Mischer verfügbar machen. Zum Vergleich: Die deutsche VMP-Jahreserzeugung beträgt derzeit etwa 68000 t. In der gesamten EU sind es 690000 t. Mithilfe des Fonds könnten also immerhin für rund 90% der derzeitigen deutschen Pulver-Erzeugung bzw. knapp 10% der EU-Erzeugung ein zusätzliches Absatzventil geschaffen werden. Sowohl EU-weit als auch in Deutschland wären das rund zwei Prozent der Milchmenge.


Die Milcherzeuger aus der Wesermarsch und dem Landkreis Friesland haben auch aus Sicht der Futtermischer gerechnet: Wenn in die Mastmischungen nur 10% VMP als Ersatz für Sojaschrot eingemischt würden, könnten bundesweit rund 2500 t Pulver verwertet werden – jeden Tag! „Der Pulverberg, den die Molkereien vor sich herschieben, wäre innerhalb von 100 Tagen verschwunden“, hat Hartmut Seetzen, Vorsitzender des Kreislandvolkverbandes Friesland, ausgerechnet.


Umsetzbares Konzept?

„Von den Zahlen her funktioniert das Konzept“, ist sich Landwirt Jürgens sicher. Aber auch über weitere mögliche Hürden und Hindernisse haben die Erfinder des Pulver-Fonds nachgedacht – und Lösungen gefunden: „Entlang der Pulver-Kette gibt es ja einige Knackpunkte, die wir aber als lösbar ansehen“, erklärt Jürgens. Um folgende Punkte geht es:


  • Das Einsammeln des Geldes müssten die Molkereien als Flaschenhals übernehmen. Der zusätzliche Aufwand hielte sich in Grenzen, da die Erfasser monatlich mit den einzelnen Landwirten abrechnen. Zu klären ist noch, wie die Abgabe kartellrechtlich zu sehen ist. Einwände der Wettbewerbshüter sind nicht auszuschließen.
  • Die reguläre VMP-Erzeugung soll nicht verbilligt ins Futter abfließen: „Die Idee ist, zusätzliches Pulver zu produzieren, das dann an die Futtermischer geht“, erklärt Landwirt Hendrik Lübben. Viele Trockentürme sind bislang nicht ausgelastet. Eine Steigerung der Pulverproduktion wäre ohne größere Umstellungen möglich.
  • Auf den internationalen Pulvermärkten würde sich nichts ändern, weil das Fonds-Pulver direkt vom Erzeuger zum Mischer gelangen würde.
  • Fütterungstechnisch ist der Einsatz von Milchpulver im Schweinefutter problemlos möglich. In Mastrationen lassen sich bis zu 10% gut einsetzen. Befragte Futtermischer bestätigen dies und können sich den Einsatz vorstellen – wenn der Preis passt. „Das wollen wir ja mit den Geldern aus dem Fonds ermöglichen“, verdeutlicht Jürgens die Idee.
  • „Ein Futtermischer hatte ethische Bedenken, Milchpulver an Schweine zu verfüttern“, berichtet Jürgens. Gegenüber importiertem Sojaschrot aus Südamerika ist Milchpulver aus seiner Sicht aber vorzuziehen: Es stammt aus heimischer Produktion, und für die Milcherzeugung wird Soja- zunehmend durch Rapsschrot ersetzt. Das Pulver spart sogar Sojaschrot-Importe.
  • Für eine breite Akzeptanz wollen die Milcherzeuger aus der Wesermarsch den Fonds EU-weit organisieren. Das würde für Chancengleichheit in allen EU-Ländern sorgen. Bis zu 10% der derzeitigen Pulvermenge aus dem Markt nehmen zu können, wäre ein deutliches Signal und würde den Milchpreis vermutlich spürbar stützen.
  • Der Pulver-Fonds muss schnell starten: „Wir haben kein ganzes Jahr mehr Zeit“, meint Jürgens. Ihm ist aber auch klar, dass das Konzept nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Zumindest beim wichtigsten Punkt, dem Geld, könnte es aber schnell gehen: „Wenn wir eine vorrübergehende Anschubfinanzierung aus Brüssel bekämen, wäre uns geholfen“, erklärt er.


Geschenkt bekommen wollen die Milchbauern aber nichts, betont Jürgens. Vorstellbar sei z.B. eine Milchpreisschwelle, oberhalb derer der halbe Pulver-Cent nicht mehr in den Fonds fließen würde, sondern für die Rückzahlung einer Vorfinanzierung verwendet würde. Damit könnte Brüssel bei den Milcherzeugern Punkte zurückgewinnen. Schließlich habe die Politik die Grenzen nach Russland geschlossen und nicht die Bauern.


Schnelle Lösung nötig!

Eine Frage kommt bei der Vorstellung des Konzepts dann doch auf: Warum melken die Milcherzeuger nicht einfach weniger? „Das wäre sogar die beste Lösung für die Branche insgesamt. Aber eine freiwillige Mengenreduzierung wird nicht funktionieren. Darüber hinaus haben die einzelnen Betriebe häufig gar keine Wahl: Wer investiert hat und Kredite tilgen muss, wird von den Banken sogar aufgefordert, die Produktion hoch zu halten“, erklärt Hartmut Seetzen. Stattdessen sei eine schnell wirkende Lösung gefragt, die vergleichsweise einfach umzusetzen ist.


Die engagierten Milcherzeuger rühren derzeit denn auch die Werbetrommel: „Wenn unsere Idee in irgendeiner Form bei den nächsten Preisverhandlungen zwischen Molkereien und Lebensmittelhandel berücksichtigt wird, wäre das schon ein Gewinn“, ist sich Dr. Padeken sicher. Christian Brüggemann

Die Redaktion empfiehlt

top + Zum Start in die Maisaussaat keine wichtigen Infos verpassen

Alle wichtigen Infos & Ratgeber zur Maisaussaat 2024, exklusive Beiträge, Videos & Hintergrundinformationen

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.