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Mobil schlachten: Eine Nische oder mehr?

Lesezeit: 5 Minuten

Über die Landesgrenzen hinweg machen deutsche Landwirte mit mobilen Schlachtanhängern von sich reden. top agrar hat sich nach den ersten Praxiserfahrungen erkundigt.


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Dass es letztlich fünf Jahre dauern würde, bis jedes Detail an ihrer „Mobilen Schlachteinheit” (MSE) sitzt und alle Bedenken der Behörden ausgeräumt sind, hätten Thomas Mayer und Sandra Kopf von der „Interessengemeinschaft Schlachtung mit Achtung” (IG) nicht gedacht. „Die Trennung der Tiere von der Herde und der Transport zum Schlachthof hat uns immer schon gestört”, erklärt Mayer, der in Kandern im Markgräflerland Mutterkühe hält.


Der Goldstandard


Der Einsatz der beiden hat sich gelohnt. Denn heute ist ihre MSE, die maßgeblich von Schlosser Peter Brandmeier entwickelt wurde, praxisreif und zugelassen. Sie ist zwar nicht die einzige mobile Schlachtlösung – in Hessen und Bayern aber auch in Österreich und Südtirol sind derzeit ähnliche Projekte am Start (S. 134/35). Die MSE wird allerdings schon jetzt – nach nur zehn Schlachtungen – als Goldstandard gehandelt. „Die Lösung hat mich in puncto Tierschutz, Arbeitssicherheit und Transparenz beim Schlachtvorgang absolut überzeugt“, meint Dr. Edgar Wullinger, Fachtierarzt für Fleischhygiene aus Pfarrkirchen. Auch Dr. Alexandra Kostorz, Amtsveterinärin am Landratsamt Lörrach hält viel davon und hofft, damit auch die EU-Kommission von dieser Schlachtmethode überzeugen zu können. Denn andere Mitgliedstaaten hätten ebenfalls großes Interesse daran.


So Funktioniert die MSE


Bei der MSE bilden der Fangstand zur Betäubung der Tiere und der Hänger zur Entblutung eine Einheit. Ist das Rind gut angelernt, geht es freiwillig in den Stand mit Selbstfanggitter, der außerhalb des Anhängers auf schienengeführten Rollen montiert ist. Nach dem Bolzenschuss sackt das Tier darin zusammen.


Per Knopfdruck fährt nun der Fangstand, angetrieben von einer elektrischen Seilwinde, über eine 3 m lange Rampe in den Hänger, am Ende hat er Arbeitshöhe erreicht. Gleichzeitig schließt sich automatisch das Rolltor.Auf Brusthöhe des Tieres klappt jetzt für den Stich ein Metallgitter nach unten. Eine im Boden integrierte Wanne fängt das Blut auf. Für die Reinigung stehen ein Wasch- und ein Sterilisationsbecken für die Messer bereit.


Der gesamte Schlachtprozess wird automatisch von einer selbst konstruierten Videokamera gefilmt: „Die Aufnahmen dienen der Dokumentation gegenüber dem Tierarzt, dem Verbraucher und dem Landwirt“, sagt Mayer. Letztlich müsste der Tierarzt dann nur zur Lebendtierbeschau auf den Hof kommen.


Geschlachtet werden können in dem über 2 t-schweren Anhänger, dessen Entwicklung vom Land Baden-Württemberg mit 60000 € gefördert wurde, Rinder bis zu 1300 kg. Er ist als Teil des Schlachthofes in Wies (Lkr. Lörrach) zugelassen.


Zeit und Geduld Nötig


Das Fazit nach den ersten Schlachtungen ist positiv. Die gesetzlichen Zeitvorgaben einzuhalten, sei mit etwas Routine im Radius von 45 km zum Schlachthof kein Problem (siehe Auflagen). Für einen reibungslosen Ablauf reichen der Metzger und der Landwirt. „In einer halben Stunde kann ich wieder vom Hof sein“, sagt Mayer.


Die größte Herausforderung sei bisher, die Tiere gut an den Fixierstand zu gewöhnen. Das bestätigen auch die Praktiker aus Hessen und Bayern. „Klappt es beim ersten Mal, heißt das noch gar nichts“, so die Erfahrung von Landwirt Franz Gramespacher aus Tunau im Schwarzwald, der bereits einen Bullen in der MSE schlachten ließ. In der Stallsaison könne er diese Zeit aufbringen. „Im Sommer ist uns das möglicherweise zu viel Aufwand. Auch, wenn es für das Tier keine bessere Art der Schlachtung gibt“, ist er überzeugt.


Thomas Mayer, der selbst über die Sachkundebescheinigung „Ruhigstellen, Betäuben und Schlachten von Tieren“ verfügt und mit der MSE in der Region schlachtet, stellt eine Attrappe des Fangstandes schon drei Tage vor dem Schlachttermin auf den Hof. Geht das Tier am betreffenden Tag trotzdem nicht freiwillig rein, bricht er ab.


Dieser höhere Zeit- und Personalaufwand führt natürlich zu höheren Kosten. „In einem niederbayerischen Schlachthof entstehen an normalen Schlachttagen mit der mobilen Schlachtung Mehrkosten von mindestens 70€. Einzelschlachtungen dürften noch teurer sein“, berichtet Dr. Edgar Wullinger. Gar mit doppelt so hohen Kosten als im Schlachthof rechnet Dr. Andrea Fink-Keßler, Projektkoordinatorin bei „Extrawurst“ in Hessen: „Die Methode ist daher vor allem für Direktvermarkter und handwerkliche Schlachtbetriebe interessant, die darin ein Alleinstellungsmerkmal sehen und einen Mehrerlös erzielen können.“ Mayer und Kopf probieren das aktuell selbst mit einem Hinterwälder-Fleischprogramm, das mit der „Schlachtung mit Achtung“ wirbt, im regionalen Handel aus. Die Erzeuger erhalten 7 € pro kg Schlachtgewicht und 50 €-Hörnerprämie.


Regionalstrukturen stärken


Viele in der Branche sehen gute Chancen, dass die mobilen Schlachtanhänger zum Erhalt regionaler Schlachthöfe beitragen könnten.


Dass sich einzelne Betriebe oder Metzger eine MSE anschaffen, ist bei Kosten von 68000 € netto wenig wahrscheinlich. Sandra Kopf: „Vorstellbar ist, dass sich mehrere Landwirte und Metzger mit EU-zugelassener Schlachtstätte dafür zusammentun.“


silvia.lehnert@topagrar.com

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