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Rindfleischmarkt in der Zwickmühle

Lesezeit: 6 Minuten

Die Coronakrise trifft den Markt für Schlachtrinder hart, und die Erlöse enttäuschten schon vor der Pandemie. Wie geht es weiter, und wie sollten Rinderhalter reagieren?


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Rinderhalter leiden unter der Coronakrise besonders stark. Seit Beginn der Kontaktsperre sind die Preise für Schlachtkühe und Jungbullen um 40 bis 60 Cent je kg eingebrochen. Kalbfleisch hat sogar über 1 € pro kg SG verloren. Hinzu kommt: Viele Betriebe kommen bereits aus einem schwierigen Wirtschaftsjahr 2018/19 und geraten nun noch stärker unter Druck. Wie geht es weiter?


Rindfleisch im Würgegriff


Durch die Schließung von Hotels und Restaurants waren bis in den Mai hochwertigen Teilstücke zu normalen Preisen kaum verkäuflich. Der fehlende Außer-Haus-Konsum schmerzt besonders weil im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) der Absatz an Rindfleisch im Hochpreissegment seit Jahren sinkt.


Die rückläufigen Preise konnten den Verkauf bislang kaum beleben, denn die Konkurrenz ist groß. Im zweiten und dritten Quartal ist Grillzeit, sodass Geflügel- und Schweinefleisch meist „Vorfahrt“ haben. Zudem wirbt der LEH zur Spargelzeit vor allem mit Schinken.


Aber nicht nur bei den Edelteilen gibt es Probleme. Da Homeoffice der neue Standard ist, fehlt der Absatz über Kantinen und Großküchen. Hier kommen meist günstige Rind- und Hackfleischgerichte auf den Teller.


Den Schlachtern fehlen auch Erlöse aus den Nebenprodukten. Normalerweise bringen Rinderhäute zusätzliche Erlöse von 80 bis 100 € je Decke. Wegen der Absatzflaute bei Autos sowie dem Lockdown in der italienischen Lederindustrie sind sie plötzlich schwer abzusetzen. Selbst hochwertige Fleckviehdecken werden zum Ladenhüter.


Neben der schwächelnden Nachfrage ist im ersten Quartal die deutsche Rindfleischerzeugung überraschend um fast 4% gestiegen. Landwirte lieferten rund 10% mehr Schlachtkühe ab. Vor allem in Nord- und Ostdeutschland macht sich das knappe Grundfutter bemerkbar. Steigende Schlachtgewichte ergänzen das Fleischangebot zusätzlich.


Importe drücken


Trotz der üppigen heimischen Versorgung kommt über Importe weitere Ware ins Land. Zwar stagnierten diese Mengen zuletzt, langfristig steigen die Mengen jedoch (s. Übersicht 1). So haben die Einfuhren von Rindfleisch im Zeitraum 2013 bis 2018 um 66297 t oder rund ein Fünftel zugenommen. Die Ware kommt vor allem aus den Niederlanden, Polen, Österreich und zunehmend auch Irland. Preisaggressive Offerten gab es zuletzt insbesondere von der grünen Insel. Wegen der Angst vor einem ungeregelten Brexit kommt von dort seit dem Frühjahr 2019 viel Ochsen- und Färsenfleisch zu uns und verdrängte hochpreisige deutsche Ware. Dies belastet die Vermarktungserlöse hiesiger Schlachtbetriebe.


LeH mit deutschen Qualitäten unzufrieden?


Konkurrenz gibt es auch durch Drittstaaten. Immer wieder fährt der deutsche LEH Aktionen mit Südamerikaware. Aber warum ist Rindfleisch aus Argentinien so beliebt? Gastronomen loben vor allem die Qualität und die Kontinuität der Lieferungen. Südamerika hat sich auf den europäischen Markt eingestellt und hält Tiere von kleinrahmigen Rassen wie z.B. Angus, die mit Schlachtgewichten von etwa 300 kg vermarktet werden. Dadurch trifft die Portionierung der Teilstücke genau die Ansprüche der Gastronomie, die Steaks in der Gewichtsklasse von 180 bis 200 g favorisieren.


Deutsches Rindfleisch kann solche Anforderungen nicht immer erfüllen. Fleischvermarkter verweisen meist auf zwei Schwächen: Zum einen schwanken Qualitäten und Teilstückgrößen recht stark. Und zum anderen erfüllen viele in Deutschland gehaltene Rassen nicht die hohen Qualitätsansprüche. Es fehle oft Fettmarmorierung, die für den Geschmack so wichtig ist, heißt es.


Mehr Konkurrenz aus Drittländern gibt es mittlerweile aber auch bei verarbeitetem Rindfleisch. Vor allem die Brasilianer versuchen, mit Hack- und Verarbeitungsfleisch auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen.


Schlachthöfe schließen


Aus Erzeugersicht problematisch ist zudem der rasante Strukturwandel auf der Schlachtstufe. Immer mehr Standorte schließen bzw. fusionieren:


  • Mittelständische Unternehmen wie Gausepohl oder Standardfleisch Oldenburg sind vom Markt verschwunden.
  • Kleinere Betriebe in Dresden, Naunburg, Essen oder Bad Iburg, die häufig Fleischereifachgeschäfte belieferten, haben aufgegeben bzw. wurden stillgelegt.
  • Die Vion hat die Standorte in Kasel-Golzig und Pfarrkirchen aus Kostengründen geschlossen.
  • Tönnies hat die Rinderschlachtbetriebe in Wilhelmshaven, Badbergen, Legden und Kempten übernommen und sich von Beckum verabschiedet.


Und die „Bereinigung“ geht weiter: In Rheinland-Pfalz wurde am 1. April der Schlachthof Faber in Bollendorf geschlossen. Die Westfleisch wird ab Juli in Hamm keine Rinder mehr annehmen. Im Schwarzwald läuft möglicherweise Ende 2021 der Städtische Schlachthof in Balingen aus, und im Süden steht die Zukunft des Rottenburger Schlachthofes auf dem Spiel. Die Coronakrise könnte sogar weitere Betriebe in Schwierigkeiten bringen. Wegen der Reisebeschränkungen für Fachkräfte aus Osteuropa oder vermehrten Coronafällen in der Belegschaft haben einige Betriebe schon Schlachtungen reduziert oder Kurzarbeit eingeführt.


Fakt ist, hiesige Rinderhalter haben immer weniger Alternativen. Gleichzeitig werden die Wege zum Schlachthof länger, und die Vorkosten steigen. Das schwächt den Wettbewerb in der Lebendvieh-Erfassung, und positive Ansätze in der Regionalvermarktung werden erschwert.


Besserung erst 2021?


Bei den Schlachtrinderpreisen spricht aus heutiger Sicht leider wenig für eine schnelle Erholung. Der Lockdown dürfte zu einer schweren Rezession führen, die den Preisdruck wirtschaftlich hochhält. Zwar boomt der Absatz von Dauerwaren. Dabei handelt es sich allerdings oft um vorgezogene Käufe, die im Sommer oder Herbst die Nachfrage schwächen. Mittelfristig bremst zudem eine steigende Arbeitslosigkeit das Kaufinteresse vor allem für hochpreisige Fleischartikel. Der Pro-Kopf-Verbrauch, der in den letzten Jahren sogar leicht stieg, könnte unter 14 kg rutschen. Der aktuelle Selbstversorgungsgrad von unter 100% wäre dann schnell Geschichte.


Zumindest vorübergehend wird uns auch die schwächere Nachfrage aus Frankreich, Spanien oder Italien belasten. Diese Länder bekommen durch die Coronakrise voraussichtlich noch größere wirtschaftliche Schwierigkeiten. Sie entlasten unseren Rindfleischmarkt normalerweise durch Importe von schweren Kühen.


Hoffnung Lockdown-Ende


Was der Markt braucht, ist eine Nachfragebelebung. Die erwarteten Lockerungen für den Gastronomie- und Hotelbetrieb werden Impulse liefern. Die nachgefragten Mengen dürften aber vorerst nicht an das Vor-Corona-Niveau heranreichen.


Etwas Entlastung bringt die beschlossene EU-Beihilfe zur privaten Lagerhaltung. Sie greift ab dem 7. Mai 2020 und bezuschusst die Einlagerung von Rinder-Hintervierteln für 3 bis 5 Monate. Wermutstropfen: Diese Ware wird bei der Auslagerung meist zum Bumerang und belastet die Erzeugerpreise, wenn die Nachfrage wieder anzieht.


Etwas Luft verschafft zumindest mittelfristig das schrumpfende deutsche Rindfleischangebot. Denn Deutschland stockt ab. Durch fehlende Rentabilität haben wir in zehn Jahren bereits fast 10% des Bestands verloren. Vor allem Mutterkuhbetriebe stocken ab, aber auch die Zahl der Milchkühe sinkt und dürfte in diesem Jahr erstmals unter die 4 Millionen-Marke rutschen.


andreas.beckhove@topagrar.com


Unser Autor


Dr. Albert Hortmann-Scholten, LWK Niedersachsen

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