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„Wir müssen die Initiative Tierwohl weiterentwickeln!“

Lesezeit: 10 Minuten

Streit ums Geld und viele Betriebe auf der Warteliste: Die Initiative Tierwohl ist auf einem richtigen, aber noch holprigen Weg. Neue Regeln sollen diesen für die Zeit ab 2018 glätten, sagt Dr. Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der Trägergesellschaft.


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In den vergangenen Monaten hat es mächtig geknirscht zwischen den Partnern der Initiative Tierwohl (ITW). Arbeiten Sie noch konstruktiv zusammen?


Hinrichs: Das tun wir. Die Partner haben aber unterschiedliche Vorstellungen, die wir durch Diskussionen zusammenbringen können. Uns eint dabei das gemeinsame Ziel der Brancheninitiative.


Jetzt sollen Betriebe von der Warteliste nachrücken. Wie viele genau?


Hinrichs: Es rücken 259 Schweinehalter, 206 Hähnchenhalter und 73 Putenhalter nach. Das ist möglich, weil wir beim Aufbau unserer Verwaltung sparsam waren und einen weiteren Partner aus dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) gewinnen konnten. Außerdem haben nicht alle Betriebe das Audit bestanden. Dafür rücken andere Betriebe nach.


Wie viele Betriebe warten jetzt noch?


Hinrichs: Die Liste für die deutschen Geflügelhalter ist damit geräumt. Es wartet nur noch eine kleinere Zahl ausländischer Hähnchen- und Putenhalter auf eine Teilnahme an der ITW. Leider stehen immer noch gut 2000 Schweinehalter auf der Warteliste.


Die Warteliste ließe sich räumen, wenn der LEH seinen Beitrag auf 8 ct pro kg Fleisch verdoppeln würde? Angesichts der zuletzt verbesserten Handelsmargen müsste das doch möglich sein, oder?


Hinrichs: Es gibt gültige Verträge, die mit den Partnern des LEH vereinbart wurden und denen auch die grüne Seite zugestimmt hat. Diese beinhalten einen Betrag von 4 ct pro im Handel verkauftem kg Fleisch. Dieser Betrag ist gewählt worden, um die preisliche Differenzierung zwischen teilnehmenden Händlern und denen, die sich verweigern, nicht zu groß werden zu lassen. Sonst drohen Marktverzerrungen. Im Zuge der Weiterentwicklung prüfen wir zwar auch eine Entgelterhöhung. Dafür gibt es aber Grenzen.


Es heißt, vor allem die Edeka bremse die Anhebung der Tierwohlbeiträge aus.


Hinrichs: Es ist nicht gerechtfertigt, einen einzelnen Partner herauszuheben. Wichtig ist es, die Initiative in einer Form weiterzuentwickeln, die für alle machbar ist. Stand heute wird es bis Ende 2017 aber wohl keine Aufstockung der Gelder geben.


Was tun Sie alternativ, um die Finanzierungsbasis der ITW zu verbreitern?


Hinrichs: Wir suchen nach neuen Partnern. Derzeit sprechen wir mit Unternehmen der Systemgastronomie und weiteren Unternehmen des LEH. Außerdem prüfen wir, die Bemessungsgrundlage für die Entgeltzahlung zu erweitern. Derzeit wird z.B. Bioschweinefleisch noch gar nicht berücksichtigt.


Wann rücken weitere Betriebe nach?


Hinrichs: Immer, wenn Geld zur Verfügung steht, können Landwirte zum neuen Quartal nachrücken.


Viele Betriebe hatten bereits ein zweites Audit. Gab es Beanstandungen?


Hinrichs: Kaum. Bislang gab es 1404 sogenannte Bestätigungsaudits bei Schweinehaltern. Die Anzahl der Beanstandungen war mit ca. 0,7% gering. Hierbei wurden in den meisten Fällen Grundanforderungen nicht eingehalten. Wer die Kriterien nicht einhält, verliert sofort seinen Auszahlungsanspruch, fliegt aus dem System und muss die bisher erhaltenen Zahlungen zurückerstatten.


Die ITW ist beim Verbraucher relativ unbekannt. Seit April kann der Handel auf Verpackungen und an Bedientheken für die Initiative werben. Wird er die neuen Möglichkeiten nutzen?


Hinrichs: Ja, der erste Händler ist damit bereits auf dem Markt – andere werden folgen. Wir sind gespannt, wie es angenommen wird (s. Logo S. 126).


Kritiker bemängeln, dass das einzelne Stück Fleisch, das der Verbraucher kauft, nicht unbedingt aus einem Betrieb stammen muss, der an der ITW teilnimmt. Ist das der richtige Ansatz?


Hinrichs: Es gibt derzeit keine Alternative dazu. Die sogenannte Nämlichkeit würde bedeuten, dass die gesamte Kette vom Ferkelerzeuger bis zum Mäster an der ITW teilnehmen muss. Diese Konstellation gibt es aber nur selten, sodass nur wenige Schweine- oder Geflügelhalter teilnehmen könnten. Wir wollen aber, dass jeder Landwirt unabhängig von seinem Lieferanten am Programm teilnehmen kann. Erst wenn die Marktdurchdringung hoch genug ist, kann man über Nämlichkeit bzw. Label nachdenken.


Versteht das der Verbraucher?


Hinrichs: Er sieht es zumindest kritisch. Das zeigen Befragungen unter Verbrauchern. Ein großer Teil der Verbraucher versteht unsere Informationsabsicht. Aber wir müssen sorgsam damit umgehen und mit offenen Karten spielen. Wir machen mit unserer Kennzeichnung sofort deutlich, dass das Produkt nicht zwingend von einem teilnehmenden Betrieb stammen muss. Für die Kommunikation wäre ein echtes Label natürlich einfacher.


Wer finanziert die Informationsmaßnahmen?


Hinrichs: Der Handel. Mit unserem kleinen Budget für Öffentlichkeitsarbeit können wir die Kommunikation nur online unterstützen.


Mitte März haben die Vertreter der Landwirtschaft Vorschläge zur Weiterentwicklung der ITW auf den Tisch gelegt. Warum jetzt?


Hinrichs: Weil wir ein dynamisches System sind und von Anfang an gesagt haben, dass wir uns weiterentwickeln. Jetzt geht es darum, die Anforderungen und auch die Entgeltsätze für den Zeitraum ab 2018 zu prüfen und zu erarbeiten. Das erscheint für Außenstehende vielleicht verfrüht. Die Beratungen brauchen aber Zeit, auch weil so viele unterschiedliche Personen mitreden. Gleichzeitig wollen wir Planungssicherheit. Je früher wir wissen, wie es weitergeht, desto besser.


Was soll sich ändern?


Hinrichs: Wir stehen noch ganz am Anfang der Beratungen. Es geht vor allem um die Frage, ob die bisherige Zusammensetzung der Grundanforderungen und Wahlkriterien auch nach 2017 so noch angemessen ist. Wir prüfen z.B., ob Kriterien, die nicht stark nachgefragt werden, aus dem Wahl-block rausgenommen werden sollten (s. Übersicht). Ein weiteres Thema ist die Einbindung von Befunddaten, über die das Tierwohl objektiv messbar werden soll. Alle Änderungen stehen aber unter der Prämisse, dass sie finanziell machbar sein müssen, weil es nur ein begrenztes Budget gibt.


Andere Kriterien sollen von Wahl- zu Pflichtkriterien werden. Warum?


Hinrichs: Ziel ist ein schlankeres, klareres Konzept mit Anforderungen, die sich unstrittig auf das Wohlbefinden der Tiere auswirken. Dies sind Kriterien, die bereits von einer Mehrheit der Betriebe umgesetzt werden. Darum prüfen wir, ob diese Kriterien zu Grundanforderungen gemacht werden können, was sich übrigens auch viel besser in Richtung Verbraucher kommunizieren lässt.


Zusätzlich soll es einen neuen Block D geben. Was verbirgt sich dahinter?


Hinrichs: Der Block D ist für Tierhalter, die noch mehr machen wollen, als es die ITW bietet. Die Idee ist eine Verknüpfung zu anderen Programmen, wie z.B. das Tierwohllabel des deutschen Tierschutzbundes. Man könnte die Anforderungen beider Programme so z.B. mit einem kombinierten Audit abklopfen. Wichtig ist dabei, dass der Mehraufwand aus dem Block D nicht über das ITW-Budget abgegolten wird. Das muss über den Marktpreis geschehen. Unser Signal ist aber klar: Wir sind keine Konkurrenz zu anderen Programmen.


Haben Sie darüber schon mit dem Deutschen Tierschutzbund gesprochen?


Hinrichs: Ja. Präsident Thomas Schröder, der auch im Beraterausschuss ist, will den von uns derzeit erarbeiteten Vorschlag prüfen.


Was sagt der LEH zum neuen Ansatz?


Hinrichs: Wir sind damit auf dem richtigen Weg. Gleichwohl sind noch einige Aspekte zu prüfen und zu diskutieren.


Wie könnte man sich den Übergang vom jetzigen Kriterienkatalog auf den zukünftigen vorstellen?


Hinrichs: Start des neuen Konzepts wäre der 1.1.2018. Die bereits teilnehmenden Betriebe haben eine An-spruchsberechtigung bis Mitte 2018. Ab dann sollen die neuen Anforderungen umgesetzt werden.


Wann führen Sie vereinbarungsgemäß den Tierwohlindex (TWI) ein?


Hinrichs: Ab dem 1. Juli müssen alle Schlachter ihre Befunddaten in eine zentrale Datenbank einpflegen. Vielfach passiert das schon jetzt. Eine Arbeitsgruppe mit wissenschaftlicher Beteiligung soll klären, wie man die Daten auswerten und nutzen kann.


Die Edeka fordert eine Honorierung nach dem TWI. Wie passt das mit dem Kriterienansatz zusammen?


Hinrichs: Es ist nicht nur eine Forderung der Edeka. Alle wollen wissen, wie sich unsere Maßnahmen auswirken. Dazu wollen wir gute Ergebnisse bei den Befunddaten mit einem zusätzlichen Bonus belohnen. Das könnte aber frühestens ab 2018 gelten. Im weiteren Verlauf könnte man die Gewichtung des TWI erhöhen und langfristig die Teilnahme an der Initiative pauschal honorieren und alle übrigen Zahlungen an den TWI binden. Das ist aber Zukunftsmusik.


Denken Sie auch an Abzüge für schlechte Befunddaten?


Hinrichs: Über Abzüge wird nicht nachgedacht. Aber im Moment arbeiten wir noch daran, wie ein vernünftiger TWI aussieht und wie er honoriert werden könnte.


Welche Veränderungen gibt es im Geflügelbereich?


Hinrichs: Hier ist die Situation etwas anders, da wir praktisch keine Betriebe mehr auf der Warteliste haben. Außerdem sitzen deutlich weniger Akteure am Tisch. Auch das bisherige Konzept ist anders: Schon jetzt müssen alle Geflügelhalter neben den Grundanforderungen zwei weitere Kriterien erfüllen: „10% mehr Platz“ und „organisches Beschäftigungsmaterial“. Eine Strategie-gruppe soll Vorschläge machen, wie sich das System weiterentwickeln lässt. Das Ziel bei Geflügel geht vermutlich in Richtung Nämlichkeit.


Welchen Anteil hat die ITW an der deutschen Jahresproduktion bei Schwein und Geflügel?


Hinrichs: Bei Schweinen decken wir derzeit etwa 8% des Marktes ab. Wenn wir die Warteliste räumen, sind wir bei ca. 16% Anteil. Bei Geflügel ist der Marktanteil mit 32% bei Hähnchen und 24% bei Pute schon jetzt deutlich höher. Die Erwartungshaltung kann aber nicht sein, dass durch die ITW die Erzeugung voll abgedeckt wird, denn nicht 100% der Erzeugung geht in den deutschen LEH. Der Handel kann nur für die Menge finanzieren, die auch an ihn geht. Das Ziel ist es, ab 2021 diese Menge zu 100% abzudecken.


Wie viel Geld ist dafür nötig?


Hinrichs: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Wir müssen erst die Honorierung der Kriterien prüfen.


Wollen Sie die Honorierung verändern?


Hinrichs: Grundsätzlich bleibt es dabei: Der Aufwand des Landwirts soll voll entschädigt werden. Aber wie hoch ist der Aufwand wirklich? Ein Beispiel: Investitionen in Tränken oder Scheuermöglichkeiten werden in der ITW-Kalkulation über drei Jahre abgeschrieben. Wenn ein Landwirt über 2017 hinaus Kriterien umsetzt, müssen wir prüfen, ob die Abschreibung aus dem Honorierungssatz rauszurechnen ist.


Haben derzeitige Teilnehmer und Betriebe, die am Ende der Vertragslaufzeit noch auf der Warteliste stehen, ein Vorrecht auf die Teilnahme ab 2018?


Hinrichs: Das Verfahren der Betriebszulassung ab 2018 ist noch nicht entschieden.


Muss man Pioniere nicht belohnen?


Hinrichs: Pioniere sind für mich Landwirte, die über Jahre und Jahrzehnte beim Tierwohl vorangehen.


Wer nach 2017 aus der ITW aussteigen will, müsste bis Ende 2016 kündigen. Glauben Sie, dass einzelne Teilnehmer aus dem Handel aussteigen wollen?


Hinrichs: Dafür habe ich keinerlei Hinweise. Ich kann es mir auch nicht vorstellen. Alle Partner halten die Branchenlösung nach wie vor für den besten Weg zu mehr Tierwohl.


Was wünschen Sie sich von den Beteiligten der ITW ganz persönlich?


Hinrichs: Es wäre gut, wenn wir uns alle von Idealvorstellungen trennen. Ich würde mir eine sachliche Debatte, bei der das im Fokus steht, was machbar ist, wünschen. Etwas weniger Emotionen an der einen oder anderen Stelle wären dabei hilfreich.


Das Interview führten die top agrar-Redakteure Dr. Ludger Schulze Pals und Andreas Beckhove.

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