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Agrarhandel im Interview

„Wir sind schnell und zahlen pünktlich!“

Lesezeit: 11 Minuten

Mit fast 7 Mrd. € Umsatz ist die Agravis einer der größten deutschen Agrarhändler. Aber: Die Renditen sind schmal und die Risiken hoch. Wie gut ist das Unternehmen für die Zukunft aufgestellt? Agravis-Chef Dr. Clemens Große Frie bekennt Farbe.


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Heute schon an Klaus Lutz gedacht (Anm. der Red.: BayWa-Chef)?


Große Frie: Heute noch nicht, aber ab und zu denke ich an ihn.


Und dann ärgern Sie sich?


Große Frie: Manchmal. Aber das Verhältnis war schon mal angespannter. Viel lieber denke ich über die Zukunft der Agravis nach.


12 Jahre gibt es die Agravis jetzt. War die Fusion von RCG (Münster) und RHG (Hannover) richtig?


Große Frie: Sie war überfällig, sonst wären in Hannover die Lichter ausgegangen.


Also keine Fusion auf Augenhöhe?


Große Frie: Wie, wenn einer der Partner fast 800 Leute entlassen, Dutzende von Außenstellen schließen und andere Aktivitäten vom Netz nehmen muss. Am Ende war das Kräfteverhältnis trotzdem ausgeglichen.


Wie das?


Große Frie: Weil Münster sich aufgrund nicht vorhersehbarer Turbulenzen beim Soja vergaloppiert hatte. Damit war es in der Wahrnehmung der Beteiligten plötzlich eine Fusion auf Augenhöhe. Wichtig war sicher der neue Name: Agravis. Niemand musste unter ein altes Dach schlüpfen.


Trotzdem leisten Sie sich mit Münster und Hannover nach wie vor zwei Unternehmenssitze. Ist das noch zeitgemäß?


Große Frie: Nicht unbedingt. Wir sind sicher eines der wenigen Unternehmen, die in Deutschland offiziell zwei Firmensitze im Briefkopf haben. Ich will nicht bestreiten, dass dadurch ein zusätzlicher zeitlicher und finanzieller Aufwand entsteht, da Mitarbeiter regelmäßig zwischen beiden Standorten pendeln. Wir hätten aber so oder so eine große Außenstelle in Hannover und wir haben die Aufgaben zwischen Münster und Hannover klar aufgeteilt. Auch deshalb ist das Zwei-Standorte-Modell bei Agravis kein Problem.


Wie läuft das Jahr 2016?


Große Frie: Beim Umsatz hängen wir gute 8% unter dem Vorjahr und beim Ergebnis auch. Ich erwarte für 2016 einen Umsatz von 6,5 bis 7 Mrd. € und ein Ergebnis vor Steuern von 45 Mio. €. Damit sind wir am unteren Ende unseres Zielkorridors. Ursache sind die bescheidenen Preise.


Gilt das für alle Geschäftsbereiche?


Große Frie: Nein. Am schwierigsten ist auch in diesem Jahr der Bereich Agrarerzeugnisse (siehe Übersicht 2). Ich hoffe, dass wir das Jahr mit einem kleinen Plus beenden können.


Bei Futtermitteln haben wir bislang eine erstaunlich hohe Auslastung unserer Werke. Inzwischen wird die Luft aber auch hier dünner. Noch schwieriger ist es bei den Tierarzneimitteln. Wegen des Russlandembargos und der Antibiotika-Diskussion in Deutschland werden wir Ende des Jahres bei der Animedica mindestens 1 Mio. € weniger an Ertrag haben. In Deutschland müssen wir uns hier auf ein dauerhaft schmaleres Geschäft einstellen.


Im Bereich Energie haben wir 10% weniger Umsatz, konnten aber das Ergebnis halten, weil wir auf der Kostenseite viel getan haben.


Und bei der Agrartechnik...


Große Frie: ... liegen wir insgesamt im Plan. Wir verkaufen weniger Neumaschinen. Dafür haben wir gute Zahlen in den Werkstätten und bei Gebraucht-maschinen. Unterm Strich sehe ich uns knapp unter dem Vorjahresergebnis.


Wie ist das aktuelle Erntegeschäft gelaufen?


Große Frie: Vor allem im Osten tobt ein knallharter Konkurrenzkampf. Bis zu einer bestimmten Grenze gehen wir bei den Preisen mit. Sobald unsere Schmerzgrenze erreicht ist, steigen wir aus. Deshalb liegen wir teilweise im Einkauf bis zu 10€/t unter den Preisen unserer Wettbewerber. Trotzdem bekommen wir viel Getreide und Raps.


Weil die Bauern die Agravis so lieb haben?


Große Frie: Nein, weil wir schnell sind – sowohl bei der Erfassung als auch bei der Bezahlung. Das ist in Jahren mit unbeständigem Erntewetter ein großer Vorteil. Drei bis vier Tage nach dem Drusch haben die Landwirte das Geld auf ihrem Konto. So bleiben unsere Kunden liquide.


Vor zwei Jahren haben Sie für 2018 das Ziel 8 Mrd. € Umsatz und 80 Mio. € Ergebnis ausgegeben. Schaffen Sie das?


Große Frie: Ja. Wir setzen uns ganz bewusst ambitionierte Ziele. 8/80 ist nach wie vor erreichbar. Wir müssen allerdings weiterhin investieren, kalkulierbare Risiken eingehen, permanent unsere Ausrichtung hinterfragen und die Prozesse immer wieder optimieren, um kostengünstiger zu produzieren.


Die Marktrisiken sind enorm. Wie sichern Sie sich ab?


Große Frie: Wir machen jedes Jahr eine Risikoinventur und setzen uns rote Linien. Alle Bereiche müssen dem Vorstand ein wöchentliches Risiko-Reporting vorlegen. Wenn es Schwierigkeiten gibt, wird schnell über notwendige Maßnahmen entschieden.


Insbesondere die Getreidemärkte sind hart umkämpft. Wie stellen Sie sich dort für die Zukunft auf?


Große Frie: Wir wollen nicht austauschbar sein. In Ostdeutschland erfassen wir an guten Tagen über 100000 t Getreide. Das sind Riesenmengen. Dafür brauchen Sie Schlagkraft und Lagerkapazitäten. Beides haben wir im Gegensatz zu internationalen Großhändlern wie ADM und anderen, die meinen, sie könnten auch in die direkte Erfassung einsteigen.


Darüber hinaus pflegen wir sehr enge Bindungen zu unseren Abnehmern. Einige Kunden beliefern wir z.B. just in time. Das macht uns schwer austauschbar.


Seit einigen Jahren drängt die BayWa immer stärker in Ihr Stammgebiet im Norden und Osten Deutschlands. Spüren Sie den heißen Atem aus München?


Große Frie: Sicher spürt man den. Es ist aber nicht nur die BayWa, auch die Haupt-Genossenschaft Nord in Kiel (HaGe), Beiselen und andere sind sehr rege. Ein Kollege von Ihnen hat mal geschrieben, wir würden uns gegenseitig nicht das Schwarze unterm Fingernagel gönnen. Ganz falsch ist das nicht.


Aber ist es sinnvoll, dass sich die Genossenschaften gegenseitig das Wasser abgraben?


Große Frie: Nein. Leider ist das Regionalprinzip tot – zumindest auf Ebene der Hauptgenossenschaften.


Auch die Agravis ist daran nicht unschuldig. Ist Ihr neues Futtermittelwerk in Straubing ein strategisches Investment oder vor allem eine Provokation in Richtung BayWa?


Große Frie: Wenn die Münchener sich ein bisschen ärgern, finde ich das in Ordnung. Straubing ist aber keine Speerspitze gegen die BayWa. Dafür ist ein neues Werk zu teuer. Wir produzieren dort Spezialitäten und Mineralfutter. Die BayWa hat sich weitgehend aus dem Futtermittelsektor zurückgezogen und ihre Produktion an die Deuka-Gruppe abgegeben.


Planen Sie dort weitere Brückenköpfe?


Große Frie: Ja, aber mit Augenmaß und derzeit ohne größere Investitionen. So haben wir z.B. ein kleines Agrarzentrum in Bamberg gegründet.


Wie wird sich der Genossenschaftssektor entwickeln.


Große Frie: Der Strukturwandel wird zunehmen. Im „Agravisland“ haben wir derzeit noch 110 Genossenschaften. In zehn Jahren dürften es höchstens noch die Hälfte sein. Das sind dann starke Unternehmen mit 200 bis 300 Mio. € Umsatz, die uns in Teilbereichen Konkurrenz machen. Darauf müssen wir uns strategisch und organisatorisch einstellen. Es ist ja bekannt, dass wir zum Beispiel gerne mit der Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main in Köln (RWZ) gemeinsame Sache machen würden.


Und warum tun Sie das nicht?


Große Frie: Wir waren im letzten November kurz davor, aber dann haben die Kölner doch ihr eigenes Ding gemacht.


Welche Konsequenzen hat der Strukturwandel für Ihre Aktionärsstruktur?


Große Frie: Nach unserer Satzung müssen 60% in genossenschaftlicher Hand bleiben. Ich wäre für 50%. Das können wir nur über einen Beschluss der Hauptversammlung ändern. Vor zwei Jahren ist das gescheitert.


Hemmt das Agravis in der Entwicklung?


Große Frie: Zumindest bei der Kapitalbeschaffung. Wir sind deshalb auf Genussrechte ausgewichen. Die verkaufen sich wie geschnitten Brot. Das hilft uns beim Eigenkapital. Zum Jahresende streben wir eine Quote von 30% an. Wir müssen zuschlagen können, wenn Mitbewerber ins Schlingern kommen. Dafür brauchen wir Geld.


Gut aufgestellte Primärgenossenschaften bauen eigene Futtermittelwerke. Wie stark bedroht das Ihr Geschäft?


Große Frie: Natürlich spüren wir das. Wir haben trotzdem hohe Auslastungsquoten. Kritisch wird es erst, wenn die Intensität der Tierhaltung reduziert wird bzw. reduziert werden muss. Die Spannungen werden dann aber vor allem auf Ebene der Primärgenossenschaften zunehmen.


Warum investiert Agravis im Vergleich zur BayWa relativ wenig in erneuerbaren Energien?


Große Frie: Wir investieren unser Geld in unseren Kernbereichen. Diese Investitionen wirken langfristig. Ein Teil der Investitionen der BayWa sind dagegen direktes operatives Geschäft und führen laut Geschäftsbericht zu erstaunlichen Schüben beim Ergebnis. Unsere Investitionen spiegeln sich hingegen nur indirekt im Ergebnis wider. Unterm Strich spielt die BayWa noch in einer anderen Liga.


In diese Liga wollen Sie aber auch, oder?


Große Frie: Nicht um jeden Preis. Das Geschäftsmodell der BayWa ist risikoreicher als unseres. Ich beobachte die Entwicklung mit Respekt, aber abgerechnet wird am Schluss.


Neu für die Agravis ist das Geschäftsfeld Biogas. Seit Anfang 2015 betreiben Sie mit einem Partner im Münsterland eine große Biogas-Anlage. Dort vergären Sie insbesondere Gülle aus der Region. Die Gärreste werden aufbereitet und vermarktet. Welche Strategie steckt dahinter?


Große Frie: Es geht uns gar nicht in erster Linie um das Biogasgeschäft. Wir möchten den Landwirten langfristig Futtermittel verkaufen. Wenn wir ihnen gleichzeitig dabei helfen, die Gülle kostengünstig loszuwerden, haben wir einen strategischen Vorteil. Das wird bei einem zunehmend strengeren Düngerecht immer wichtiger. Insofern kam uns gelegen, dass wir die Anlage in Dorsten über ein Insolvenzverfahren günstig kaufen konnten. Das skizzierte Modell wollen wir auch in anderen Regionen umsetzen.


Wie ist die Auslastung der Anlage?


Große Frie: Gegenwärtig wird die Anlage mit 70 bis 80% Gülle und Mist gefahren. 2016 werden wir ca. 90000 t Wirtschaftsdünger verarbeiten.


Wohin gehen die Gärreste?


Große Frie: Der größte Anteil wird rund 150 km rund um Dorsten vermarktet. Die Nachfrage ist so gut, dass wir weniger nach Niedersachsen und Sachsen-Anhalt liefern als gedacht.


Agravis ist zuletzt vor allem über Fusionen, Unternehmenskäufe und Kooperationen gewachsen. 470 Mio. € bzw. 7% des Umsatzes kamen 2015 daher. Wo werden Sie in diesem Jahr landen?


Große Frie: Bei ca. 400 Mio. €. Unsere Zukäufe und Beteiligungen haben – außer bei Ceravis – Renditen von 2,5 bis 2,6%. Im Gesamtkonzern liegen wir dagegen nur bei 0,6 bis 0,9%.


Ceravis haben Sie ausgeklammert. Wie läuft die Integration der Getreide AG?


Große Frie: Wir hinken unseren Plänen leider hinterher. Die Integration eines privatwirtschaftlich geführten Unternehmens in einen genossenschaftlich organisierten Konzern braucht Zeit. Zudem gibt es einen Investitionsstau. Und wir haben zurzeit einen sehr bescheidenen Markt.


Wie hoch wird der Verlust 2016 sein?


Große Frie: Es werden einige Mio. € sein. Im nächsten Jahr wollen wir ein ausgeglichenes Ergebnis schaffen.


Also vorerst keine weiteren Übernahmen oder Beteiligungen im Getreidebereich?


Große Frie: Es gibt sicher noch intere-ssante Kandidaten. Aber wir bücken uns nicht nach jedem Stolperstein.


Sie haben sich bisher international stark auf Nordeuropa fokussiert. Wo sehen Sie weitere interessante Felder?


Große Frie: Wenn Sie auf die Agravis- Landkarte schauen, sind wir zunehmend auch in Osteuropa aktiv, z.B. in Tschechien, Polen und Russland. Mit dem Geschäft dort sind wir derzeit allerdings gar nicht zufrieden. Aber unser Futtermittelwerk bauen wir dort trotzdem aus, weil wir mittel- und langfristig auf diesen Markt setzen.


Neu für Agravis ist der Großhandel mit Braugerste. Wie riskant ist das?


Große Frie: Wir sehen mehr Chancen als Risiken. Denn wir konnten ausgewiesene Braugerstenexperten für uns gewinnen. Zudem ist Braugerste hier knapp. Etliche Mengen kommen aus Skandinavien. Dort haben wir starke Partner. Wir sehen uns gut aufgestellt.


An Ihren Landtechnik-Standorten trennen Sie Claas und Fendt. Warum?


Große Frie: Weil wir es müssen. Die Hersteller bestehen auf Exklusivität.


Führt das auch zu mehr Personal an den jeweiligen Standorten?


Große Frie: Nein, nicht zwangsläufig. Für uns bringt die Vorgabe der Hersteller sogar eine Markterweiterung. Die RWZ Köln arbeitet z.B. nicht weiter mit Claas zusammen. Wir nehmen die Einladung an und gehen ins Rheinland. Gleiches diskutieren wir für andere Regionen.


Das Kartellamt verdächtigt Agravis und andere Firmen ein „Traktorkartell“ gebildet zu haben. Wie ist der Stand?


Große Frie: Die Beamten waren Anfang des Jahres hier, haben unsere Computer, Akten und Archive durchsucht. Wir wollen kooperieren und haben einen entsprechenden Antrag gestellt. (Anm. d. Red.: Unternehmen, die helfen, ein Kartell aufzudecken, kann die Geldbuße erlassen oder reduziert werden). Seitdem „still ruht der See“. Genau wie beim Pflanzenschutz.


Haben Sie Rückstellungen für eventuelle Geldbußen gebildet?


Große Frie: Nein!


Landwirtschaft wird immer stärker zu einem gesellschaftlichen und politischen Top-Thema. Ist der Agrarstandort Deutschland in Gefahr?


Große Frie: Überhaupt nicht! Ich glaube aber, dass wir stellenweise schon an Grenzen der Intensität stoßen. Das müssen wir auch aus der Agrarszene heraus offen und ehrlich diskutieren. Sonst sind wir nicht glaubwürdig. Auf der anderen Seite brauchen wir als Agravis genauso wie die Landwirte verlässliche Rahmenbedingungen der Politik, auf die wir unsere langfristig wirkenden Investitionsentscheidungen aufbauen können.


Das Interview führten die top agrar-Redakteure Dr. Ludger Schulze Pals und Jörg Mennerich.

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