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Wird die neue Ernte überschätzt?

Lesezeit: 10 Minuten

Selten zuvor war es so schwer, die richtige Vermarktungsstrategie für die neue Getreidesaison zu finden. Corona und widersprüchliche Ernteprognosen verunsichern sogar erfahrene Analysten.


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Haben Sie schon kurz vor oder nach dem Start ins laufende Jahr einen Teil Ihrer voraussichtlichen Getreideernte 2020 vorverkauft? Wenn ja, haben Sie alles richtig gemacht. Im Kielwasser der fast sprunghaft gestiegenen Spotpreise wurden damals auch die Offerten ex Ernte spürbar aufgebessert. Im März kippte dann die Stimmung, vor allem weil die Coronakrise auch die Getreidemärkte immer stärker belastete. Mittlerweile hat sich die Lage wieder beruhigt, mehr als im Januar/Februar wird aber nur in Ausnahmefällen bewilligt (vgl. Übersichten rechts und auf Seite 115).


Dass man vielleicht den Termin verpasst hat, sich früh attraktive Erntepreise zu sichern, heißt allerdings nicht, dass man jetzt schon die gesamte Saison 2020/21 abhaken muss. Die Vermarktung wird nur etwas anspruchsvoller, weil Sie z.B. überlegen müssen, wie Sie dem üblichen Angebots- und Preisdruck in der Ernte entgehen können. Falls Sie nicht über eigene Lagerkapazitäten verfügen, kann Ihnen eventuell Ihr Handelspartner helfen. Etliche Erfasser bieten gegen Gebühr die Fremdlagerung an – einige sogar zeitweilig gratis, wenn man danach mit ihnen ins Geschäft kommt. Das gibt Ihnen die Zeit, sich Gedanken über die richtige Vermarktungsstrategie für den weiteren Saisonverlauf zu machen. Und die Perspektiven sind besser als sie auf den ersten Blick erscheinen.


Große weltweite Ernte?


Pessimisten bereiten derzeit vor allem die relativ hohen weltweiten Ernteprognosen Sorgen. Der Internationale Getreiderat (IGC) hat seine Vorhersagen kürzlich sogar nach oben korrigiert. Er rechnet in der Saison 2020/21 mit deutlich mehr als 2,2 Mrd. t Getreide (ohne Reis). Das wäre ein neues Allzeithoch. Das Gleiche gilt zwar auch für den globalen Verbrauch. Dieser soll laut den IGC-Hochrechnungen allerdings erstmals seit Jahren wieder unter der Erntemenge liegen. Die weltweiten Vorräte werden also etwas größer – aber wohl nicht bei allen Getreidearten.


Letzteres meint auch das US-Landwirtschaftsministerium (USDA). Dieses erstellt und veröffentlich ebenfalls Monat für Monat neue Analysen der internationalen Agrarmärkte. Diese Berichte sind nicht unumstritten. Kritiker warnen z.B. vor politischer Einflussnahme Washingtons auf die Analysen. Trotzdem geht an den USDA-Berichten kein Weg vorbei, u.a. weil weltweit sehr viele Börsianer ihre Entscheidungen danach treffen und damit zumindest indirekt auch den Kassapreisen die grobe Richtung vorgeben.


Weizenvorräte steigen


Die globale Weizenerzeugung wird sich laut USDA in der Saison 2020/21 auf rund 768,5 Mio. t summieren – ein neuer Höchstwert. Das wären 4 Mio. t mehr als in der Vorsaison. Kräftige Zuwächse erwarten die US-Analysten in Russland, Kasachstan, Australien, Argentinien und Kanada, also in wichtigen Exportnationen. Die Rückgänge in der EU (Näheres dazu später) sowie in der Ukraine und den USA werden dadurch mehr als ausgeglichen.


Den weltweiten Verbrauch beziffert das USDA auf 753,5 Mio. t. Die Menge der Saison 2019/20 würde damit um 5 Mio. t übertroffen. Trotzdem wachsen die globalen Vorräte weiter an. Besonders die bevölkerungsreichen Staaten China und Indien werden laut dem USDA in der neuen Saison ihre Weizenvorräte kräftig aufstocken. China um 10 Mio. t auf knapp über 160 Mio. t und Indien um etwa 3 Mio. t auf rund 27 Mio. t. Zusammen entspricht das rund 60% der gesamten weltweiten Weizenvorräte am Saisonende 2020/21. Der Großteil davon dient vor allem im Reich der Mitte als Sicherheitsnetz für die Eigenversorgung und ist für den freien Markt nahezu verloren. Ohne diese Mengen kann von einer Überversorgung des Weltmarktes mit Weizen keine Rede sein.


Maisvorräte werden kleiner


Bei Mais ist die internationale Situation vergleichbar. Nach drei Jahren mit relativ deutlichen Vorratsrückgängen sollen diese laut USDA in den kommenden zwölf Monaten zulegen, und zwar um 25 Mio. t.


Die globale Ernte beziffern die Analysten auf den neuen Rekord von knapp unter 1,19 Mrd. t. Neben moderaten Zuwächsen in der EU, Mexiko und Brasilien ist dies vor allem den kräftigen Steigerungen in den USA geschuldet. Dort soll die Erzeugung gegenüber 2019/20 um mehr als 59 Mio. t oder 17% steigen. Ursachen sind Anbauzuwächse und relativ gute Vegetationsbedingungen. Kritiker halten die Prognose allerdings für „zu optimistisch“.


Der weltweite Verbrauch liegt nach Vorhersagen des USDA mit 1,16 Mrd. t erstmals seit drei Jahren unter der Erntemenge. Deshalb steigen die Vorräte. Aber wie beim Weizen lohnt sich auch hier ein Blick auf die Lagerländer. Zuwächse gibt es eigentlich nur in den USA, und zwar mit plus 31 Mio. t sogar erhebliche. Ansonsten treten die Vorräte hingegen auf der Stelle oder gehen sogar etwas zurück. In China erwarten die Beobachter des USDA z.B. einen Rückgang um 8 Mio. t bis Mitte 2021. Allerdings soll Peking dann mit 200 Mio. t immer noch fast 60% aller Maisbestände horten.


Peking setzt derzeit alles daran, seine wegen der Afrikanischen Schweinepest extrem gebeutelte Schweinefleischerzeugung wieder in Gang zu bringen. Neben Kapital wird dafür Futter benötigt, die chinesischen Maisvorräte stehen dem Weltmarkt also wohl nicht zur Verfügung. Ohne diese Mengen gilt das Gleiche wie bei Weizen: überversorgte Märkte sehen anders aus.


Auch bei fast allen anderen Getreidearten, also bei Gerste, Roggen, Triticale usw., sprechen die vorliegenden USDA-Zahlen zumeist nur auf den ersten Blick für ein größeres Angebot. Unterm Strich dürfte sich die Versorgung des Marktes hingegen nur auf dem auch nur eher mäßigen Vorjahresniveau bewegen, eventuell sogar darunter.


Deutliches Minus in der EU


Mittlerweile mehren sich übrigens die Stimmen, die dem USDA und anderen Organisationen vorwerfen, sie würden die Vegetationsbedingungen in etlichen wichtigen Getreideanbauregionen zu optimistisch beurteilen und die Erntemengen überschätzen. Ob das zutrifft, werden wir zwar erst wissen, wenn die Ernte abgeschlossen ist. Aber es gibt in der Tat Indizien dafür, dass es so ist.


Im Schwarzmeerraum und in weiten Teilen der EU herrscht trotz der Regenfälle der letzten Zeit immer noch Wassermangel. „Das Defizit der vergangenen Jahre ist noch nicht ausgeglichen“, bestätigt ein Ackerbauexperte aus dem Nordosten Deutschlands. Er rechnet nicht mit Spitzenerträgen.


Coceral, also der Dachverband des europäischen Getreide- und Ölsaatenhandels, muss eventuell seine Vorhersagen für die EU nach unten korrigieren. Dabei geht der Verband auch jetzt schon von einer Ernte unter dem enttäuschenden Vorjahresergebnis aus.


Insgesamt sollen laut Coceral in der EU-27 (also ohne Großbritannien) in diesem Jahr 281,7 Mio. t Getreide geerntet werden (ca. 1 Mio. t weniger als im Vorjahr). Rückgänge, und zwar teils kräftige, sagen die Beobachter vor allem bei Weizen, Gerste und Triticale voraus. Deutliche Steigerungen erwarten sie bei Mais und Roggen.


Beim Export droht der EU heftiger Gegenwind


Fakt ist: Je kleiner die EU-Ernte ausfällt, desto leichter wird es der Markt verkraften, falls unsere Exportmengen hinter denen des Vorjahres zurückbleiben. Analysten gehen davon aus, dass russische und andere Anbieter aus dem Schwarzmeerraum auch 2020/21 alles daran setzen werden, sich weitere Anteile am Weltmarkt zu sichern. „Ich glaube nicht, dass Moskaus Exportstopp über den 1. Juli 2020 hinaus Bestand haben wird“, ist ein Branchenkenner überzeugt. Zumindest in der ersten Saisonhälfte müssen sich hiesige Exporteure auf knallharte Konkurrenz aus Osteuropa einstellen.


Das sieht das USDA ähnlich. Es erwartet Importbedarf in Nordafrika sowie im Nahen und Mittleren Osten. Das sind Exportmärkte, die normalerweise auch die EU beliefert, z.B. mit Weizen. Das USDA glaubt aber nicht, dass die Gemeinschaft die Ausfuhrmengen des Vorjahres erreichen wird. Beim EU-Weizenexport erwarten die US-Beobachter in der Saison 2020/21 einen Rückgang um bis zu 7 Mio. t auf knapp über 28 Mio. t, bei Gerste ein Minus von gut 0,5 Mio. t auf unter 6 Mio. t.


Diese Angaben beinhalten zwar noch die britischen Exportmengen. Das ändert aber nichts am Ergebnis: Hiesige Exporteure müssen sich in der neuen Saison am Weltmarkt auf heftigen Gegenwind einstellen. In der zweiten Saisonhälfte werden sich sogar die Australier nach jahrelangen dürrebedingten Missernten wieder als Exporteur zurückmelden, und andere Konkurrenten scharren ebenfalls schon wieder mit den Hufen, um Marktanteile zurückzugewinnen.


Was heißt das für uns?


Je schwerer es z.B. die Franzosen beim Drittlandexport haben, desto stärker werden sie versuchen, ihren Weizen in anderen EU-Ländern abzusetzen. Allerdings wird Frankreich wohl deutlich weniger Weizen ernten als im Vorjahr. Die Schätzungen reichen bis minus 15%. Der Angebotsdruck von dort wird also nicht sehr groß sein. Falls der Export 2020/21 wirklich schwächelt, kommt das zudem vermutlich erst in der zweiten Saisonhälfte voll zum Tragen. Und Deutschlands Getreidemarkt ist auch längst nicht so von den Ausfuhren abhängig wie die Märkte anderer EU-Länder. Den Großteil unserer Ernte verbrauchen wir selbst.


Unsere Ernte wird wohl nicht sehr groß ausfallen. Das bestätigt die Ernteprognose des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV). Dieser sieht die Versorgung nicht gefährdet und schätzt die Gesamternte auf ca. 44,6 Mio. t – etwa Vorjahresniveau. Er erwartet aber vor allem bei Weizen in Deutschland ein Ernteminus gegenüber 2019. Der DRV rechnet im Einzelnen mit rund:


  • 22,4 Mio. t Weizen (-3%),
  • 11,3 Mio. t Gerste (-2%),
  • 4,4 Mio. t Mais (+19%),
  • 3,6 Mio. t Roggen (+12%),
  • 2,2 Mio. t Triticale (-2) und
  • 0,7 Mio. t Hafer (+41%).


Viele Beobachter erwarten, dass die Ernteschätzung noch weiter nach unten korrigiert wird. Aber auch falls es nicht so kommt, sollten sich Landwirte nicht verunsichern und sogar zu Panikverkäufen verleiten lassen. Die Saison ist lang, und niemand kann heute mit Bestimmtheit sagen, wie sich der Markt in den kommenden Monaten wirklich entwickeln wird. Vieles hängt z. B. auch davon ab, welche Qualitäten gedroschen werden.


Legen Sie guten Weizen vorerst weg


Mit schwachen Partien, also Getreide mit niedrigem Hektolitergewicht, Fallzahlproblemen, Auswuchs usw. sollten Sie sich nicht lange aufhalten. Das gilt besonders, falls wegen widriger Erntebedingungen auch viel Brotgetreide gedroschen wird, das nur für den Futtertrog taugt. Denn das würde die Preise für Futtergetreide unter Druck setzen.


Dieser dürfte nicht von Dauer sein, schließlich ergänzen Futtermischer ihre Rohstoffvorräte meistens stetig und entlasten so den Markt. Später gibt der Verkauf in Richtung Mischfutterindustrie oft sogar die grundsätzliche Preisrichtung am Getreidemarkt vor. Aber nicht schon direkt in der Ernte. Sobald die ärgsten Versorgungslücken der Verarbeiter geschlossen sind, werden die Abnehmer auf die Preisbremse treten.


Je besser die Qualität, desto eher raten Marktkenner dazu, einzulagern und erst später zu verkaufen. Das gilt nicht nur für Spitzenweizen, also A- und E-Ware. Einwandfreien Brotweizen, der eventuell auch den Anforderungen der Exporteure genügt, sollten Sie ebenfalls „weglegen“, falls Ihr Handelspartner in der Ernte zu sehr mauert.


Für Futtergerste wird es vermutlich nach der Ernte, wenn der erste Angebotsschub abgearbeitet ist, auch wieder etwas attraktivere Absatzchancen geben – nicht nur auf dem Binnenmarkt. Dass die EU-Drittlandexporte eventuell nicht das Vorjahresniveau erreichen werden, heißt schließlich nicht, dass 2020/21 gar nichts gehen wird.


Bei Roggen und Braugerste sieht die Ausgangslage hingegen auf den ersten Blick eher düster aus. Analysten erwarten ein größeres Angebot. Die Preise neigen bereits zur Schwäche, und eine Wende zum Besseren ist derzeit nicht absehbar. Das kann allerdings schon bald wieder ganz anders aussehen. Bleiben Sie also am Ball.


Über das Geschehen an den internationalen Terminbörsen sowie die aktuellen Preise und Trends frei Erfasser halten wir Sie regelmäßig im Internet unter www.topagrar.com/markt auf dem neuesten Stand. Für top agrar-Abonnenten ist dieser Service gratis. Wenn Sie sich für die Situation auf der Großhandelsstufe und Preise beim Streckengeschäft interessieren, sollten Sie zudem auch einmal einen Blick auf das agrarfax werfen: www.agrarfax.de.


joerg.mennerich@topagrar.com

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