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Zurück zu regionalen Schlachtbetrieben?

Lesezeit: 5 Minuten

Der Tönnies-Lockdown in Rheda-Wiedenbrück zeigt, wie anfällig unser Vermarktungssystem ist. Kritiker fordern nun mehr kleine und regionale Schlachtbetriebe. Ist das nur Träumerei oder eine echte Chance?


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Dr. Albert Hortmann-Scholten, Landwirtschaftskammer Niedersachsen


Dr. Albert Hortmann-Scholten, Landwirtschaftskammer Niedersachsen


Dr. Albert Hortmann-Scholten, Landwirtschaftskammer Niedersachsen


Der Preissturz im Frühsommer war dramatisch. Die Ferkel- und Schlachtsauenpreise halbierten sich, und Schweinemäster verloren in wenigen Wochen mehr als 60 € je Tier. Auslöser waren die Corona bedingten Schließungen von großen Schlachtbetrieben bei Westfleisch und Tönnies. Immerhin konnten Nottötungen wie in den USA verhindert werden. Dennoch stellen vor allem Politiker nun die deutschen Schlachtstrukturen infrage und fordern, künftig wieder dezentral zu schlachten und zu verarbeiten.


Die Idee klingt verlockend: Neben einer krisenfesteren Vermarktung für Tierhalter stiege die Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit Fleisch, so das Argument. Die Branche sei dann auch für einen möglichen Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest besser gerüstet. Ohnehin sei die regionale Vermarktung im Aufwind. Kleinere Landwirtschaftsbetriebe könnten in Kombination mit mehr Tierwohl neue Nischen besetzen, und die Transportwege zum Konsumenten würden kürzer. Am Ende könne man sogar den Strukturwandel in der Landwirtschaft aufhalten, heißt es. Umsetzen wollen Befürworter die Idee mit einem umfangreichen Schlachthof-Strukturkonzept, das kleine, regionale Schlachthöfe gezielt fördert.


Strukturwandel per Gesetz


Aber so einfach lässt sich die Strukturentwicklung der letzten Jahre nicht zurückdrehen. Die großen Betriebe sind nicht ohne Grund entstanden.


Die EU hat durch schärfere Auflagen zu Beginn der 90er-Jahre und vor allem nach der BSE-Krise Hausschlachtungen praktisch unmöglich gemacht. Selbst mittelständische Unternehmen hatten Mühe, die Hygienevorschriften zu erfüllen. In der Schlachthoflandschaft blieb danach kein Stein auf dem anderen. Früher gab es in vielen Städten in zentraler Lage kommunale Schlachthöfe. Heute liegen die größten Betriebe in Industriegebieten mit guter Verkehrsanbindung.


Auch in den Schlachtbetrieben hat sich die Arbeitsweise stark verändert. Wurden früher an einem Standort Rind, Schwein und Schaf gleichermaßen geschlachtet, haben sich die Betriebe heute meist auf eine Tierart spezialisiert. Die Einzelschlachtplätze wurden durch Schlachtstraßen ersetzt. In ihnen werden die Prozessschritte zeitlich und räumlich getrennt ausgeführt, um noch effizienter zu sein.


LEH bevorzugt groß


Zu diesem Trend beigetragen hat nicht zuletzt auch die wachsende Bedeutung der Discounter in der Fleischvermarktung. Ungefähr 40% des privaten Fleischkonsums werden mittlerweile über diesen Weg preisorientiert abgesetzt. Nur die vier bis fünf größten Unternehmen können das liefern. Verlierer waren und sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen.


Die Konzentration war vor allem ökonomisch getrieben. Denn eine Vielzahl von Gesetzen benachteiligt kleine Fleischbetriebe. Das betrifft z.B. die Kontroll- oder Entsorgungsgebühren, die in Industriebetrieben pro Tier viel niedriger sind als beim regionalen Handwerksbetrieb. Das gilt aber auch für die Kosten, die durch neue Umweltauflagen entstehen können. Ein Großbetrieb kann durch Skaleneffekte die dadurch entstehenden Kosten auf viele Kilogramm Fleisch umlegen.


Spezialisierung und Effizienz


Schaut man auf die nackten Zahlen, gibt es in der Bundesrepublik einschließlich des Metzgerhandwerkes immerhin noch rund 4200 Schlachtbetriebe, die nach EU-Lebensmittelhygienerecht zugelassen sind. In der gewerblichen Größenordnung von 20 Mitarbeiter und mehr sind es allerdings nur gut 300 Rinder- und Schweineschlachtbetriebe. Erstaunlich ist, dass laut Statistischem Bundesamt die Zahl dieser Fleischbetriebe in den letzten Jahren sogar leicht gestiegen ist und 2018 einen Höchststand erreichte (siehe Übersicht).


Fakt ist aber: Rund 80% der deutschen Schweine und Rinder werden bei den jeweils zehn größten Unternehmen geschlachtet. Diese Konzentration spiegelt die offizielle Statistik nicht wider, weil bei Betriebsübernahmen nur der Eigentümer wechselt. Der Schlachtstandort selbst wird unter neuer Flagge weiter betrieben und modernisiert.


Wenn investiert wird, dann meist in eine Spezialisierung des Betriebes. Das zeigt sich an den hohen Marktanteilen, die einzelne Standorte mittlerweile erreichen. So können die fünf größten deutschen Schweineschlachtbetriebe in Rheda-Wiederbrück, Sögel, Weißenfels, Emstek und Coesfeld allein fast die Hälfte aller deutschen Schlachtungen abdecken.


Bei städtischen Schlachthöfen ist eine Spezialisierung oft schwierig. Sie sind unrentabel und verschwinden zusehends von der Landkarte. Und unter den schlachtenden Metzgern haben sich die Reihen ebenfalls gelichtet. Allein in den vergangenen zehn Jahren schlossen ein Viertel dieser Betriebe ihre Tore.


Trend setzt sich fort


Dieser Trend dürfte anhalten. Schon jetzt zeichnet sich eine Technisierungswelle in der Schlachtbranche ab. Denn bei weiter steigenden Anforderungen für Hygiene und Qualität bei der Verarbeitung von Fleisch sind automatische Systeme im Vorteil. Das Portionieren und Einlegen in die Verpackungen wird durch Maschinen besser und schneller erledigt als durch Menschenhand. Solche technischen Innovationen sind teuer und lohnen sich nur bei hohen Stückzahlen. Das ist im Übrigen ein Trend, der in allen Ländern der EU stattfindet. Sollte Deutschland sich dem verweigern, stiegen bei uns die Erzeugungskosten erheblich. Dänen und Niederländer könnten günstiger anbieten und würden ihre Fleischlieferungen an Deutschland sicherlich ausbauen.


Abgesehen davon fehlt kleinen regional ausgerichteten Schlachtbetrieben auch die Schlagkraft im Export. Nur rund 60% des Schlachtkörpers sind in Deutschland vermarktbar. Der Rest wird nicht von deutschen Konsumenten nachgefragt. Nur die Großen haben die Zeit und das Geld, sich beispielsweise um Exportlizenzen für den asiatischen Markt zu kümmern.


andreas.beckhove@topagrar.com

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