Agrarökonom Prof. Bernhard Brümmer, Universität Göttingen kommentiert:
In der Coronakrise war oft zu hören, Regionalität sei das Gebot der Stunde, auch und gerade im Agrar- und Ernährungsbereich. Lange Transporte, komplexe Lieferbeziehungen, Abhängigkeit von politischen Entscheidungen im Ausland – diese Unsicherheiten ließen sich vermeiden, wenn wir wieder mehr auf Selbstversorgung setzen würden.
Ist da was dran? Haben die Lieferketten im Agrarbereich versagt? Waren Lebensmittel in den Supermärkten knapp? Wurden Exporte gestoppt und Importe umgelenkt? Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Sowohl innerhalb der EU als auch bei Drittlandgeschäften stiegen die Handelsmengen sogar.
Für die deutsche Landwirtschaft und auch für die deutschen Verbraucher ist besonders der Binnenhandel und dabei der sogenannte intraindustrielle Handel bedeutsam: Unterschiedliche Varianten ein- und desselben Guts werden zwischen Regionen und Ländern ausgetauscht. So findet der Kunde nicht nur Schnitt-, Streich- und Schimmelkäse im Laden, sondern Dutzende Varianten z.B. aus Holland, Frankreich, der Schweiz und Bayern, und die Käsetheke ist plötzlich vier Meter breit. Verbraucher lieben diese Vielfalt und kaufen mehr Käse ein. Damit bringt dieser grenzenlose Austausch Vorteile, selbst wenn die Unterschiede der Produkte und ihrer Herstellung gar nicht so groß sind.
Diese Handelsvorteile gingen verloren, wenn mit Regionalität nur Teile der EU-Länder gemeint wären. Wohin der Ruf nach mehr Regionalität führen kann, wird leider zurzeit in Tschechien und Bulgarien deutlich: Dort gibt es unter dem Deckmantel der Selbstversorgung Forderungen, in den Supermärkten Mindestquoten für inländische Erzeugnisse einzuführen. Klar ist: Solchen Vorgaben wären nicht nur offenkundige Verstöße gegen den Geist des europäischen Binnenmarktes, sie brächten sicherlich auch Nachteile für die gesamte EU-Landwirtschaft.
Wenn die EU als eine Region insgesamt gemeint wäre, würde der Austausch mit Drittländern zu begrenzen sein. Aber gerade Handelsschranken spitzen Krisen noch weiter zu, das zeigt die Geschichte. Ein Beispiel sind die Lieferstopps und Exportverbote, die einzelne Anbieter und Regierungen während der Nahrungsmittelpreiskrise 2007/08 durchsetzten.
Im März 2020 ging es zwar erneut in diese Richtung, als in Asien Exportbeschränkungen für Reis erlassen wurden. Aber anders als 2007 gab es keine größeren weiteren Maßnahmen. Eine Eskalation durch drastische Reaktionen der Importeure blieb ebenfalls aus.
Das zeigt: Das globale Handelssystem für Agrar- und Ernährungsgüter ist robust, ein besseres haben wir nicht. Es ruckelte zwar kurz, federte dann aber den COVID-19-Schock mit ab. Die Politik sollte weiter die Finger von kurzfristigen Eingriffen in den weltweiten Handel lassen.
Hinweis: Gastkommentare geben nicht in allen Bereichen die Meinung der Redaktion wieder. Wir veröffentlichen sie dann, wenn wir sie für einen interessanten Diskussionsbeitrag zur Weiterentwicklung der Landwirtschaft halten. Wie stehen Sie dazu? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar unten.
von Rudolf Rößle
Wie lange
der rege Handel bei zunehmender Wasserknappheit noch funktioniert? Wir werden sehen.
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von Stefan Lehr
Der Verbraucher
Der Verbraucher ist gefragt! Da hat der gute Herr Professor recht. Aber auch einen Verbraucher kann man ERziehen oder VERziehen. Letzteres ist in den vergangenen Jahrzehnten vom Handel mit seinem Streben nach immer hoeheren Profiten geschehen. Was der Verbraucher will, dass soll er auch ... mehr anzeigen bekommen = Grundtenor dieses Artikels. Wenn wir die Regionalitaet (die wirklich aus der Region kommt!!) foerdern und das Angebot bei bestimmten Lebensmitteln dahingehend verkleinern, dann wird sich der Verbraucher auch daran gewoehnen. Ist aber an der naechsten Strassenecke der Konkurenzdiscounter mit gobaler Billigware, dann funktioniert es nicht. Also Herr Prof. Bruemmer, nicht die Regionaprodukte sind das Problem, sondern das Denken des LEH & Co., dass der Verbraucher immer das kaufen koennen muss, was er gerade will (und somit die Kassen des LEH klingeln laesst). Die Geschichte hat gezeigt, dass der Mensch anpassungsfaehig ist, besonders bei seinen Grundbeduerfnissen. Deshalb: Werfen Sie diese Argumentation ueber Bord und diskutieren Sie mit den Marktbeteiligten WIE Regionalitaet funktionieren kann!! weniger anzeigen
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von Christian Kraus
Die Lieferketten haben trotz Corona funktioniert...
so lange ein Überangebot vorhanden war!! Wenn etwas wirklich mal knapp wird auf der Welt dann schaut die Sache gleich anders aus. Das Problem ist das der Politik die letzen der Kette scheißegal sind. Dort zählten nur die big player die "Rohstoffe" verarbeiten und die, die gar nichts ... mehr anzeigen machen sondern nur handeln. Wer alle Kosten immer weitergeben kann für den ist es natürlich egal wenn etwas mal knapp ist und sogar den 100fachen Preis kostet. Wenn diese Leute irgendwas irgendwo billiger einkaufen können verdienen sie mehr und gut ist es. Wenn etwas mal knapp wird und kostet auf einmal das x-fache dann steigt der Umsatz sogar, perfekt. Schlimm für die wird es erst wenn mal wirklich gar nichts mehr kommt aber dann wird der Staat schon helfen. weniger anzeigen
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von Willy Toft
Wie will man einen gerechten Handel voraussetzen? Unsere Standards werden nie eingehalten!
Die Handelsbeschränkungen in Östlicher Richtung bestehen fort, und wir holen uns zusätzlich immer mehr Nahrungsmittel- Anbieter, ohne unsere Standards hier herein! Auf Ernährungssicherheit ist dieser Weg überhaupt nicht ausgelegt, im Gegenteil, hier fährt man alles gegen die Wand, ... mehr anzeigen und stellt irgendwann fest, das die Regale auch mal leer sind! Solange wir keine auskömmlichen Preise hier erzielen können, wird sich an dem Trend nichts ändern! weniger anzeigen
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von Rudolf Rößle
Dieser Kommentar
So sprechen die Vermögenden, die sich alles leisten können und es auch tun. Welthandel bringt Wohlstand aber auch Ausbeutung und die jetzt entstehenden Klimaschäden. Wenn die Umweltpolitik keine Rolle spielen soll und wir alles machen was möglich ist, sollte es auch möglich sein, ... mehr anzeigen alle Steuern auf Energie und Vorleistungen für Nahrungsmittel auszusetzen um Wettbewerbsgleichheit herzustellen. weniger anzeigen
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von Gerd Schuette
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Wer Freiheit als Abwesenheit von Regeln und Grenzen definiert, der verwechselt Freiheit mit Anarchie.
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von Klaus Fiederling
Der Armut mangelt viel, dem Geize alles (Syrus/römischer Moralist)
Prof. Brümmer redet somit den Überschussproduktionen im Nahrungsmittelsektor das Wort. Eben genau diese Agrarökonomen, die ein solches System mit offensichtlich fehlendem geistigen Tiefgang kritiklos befürworten, schaffen einen „sterbenskranken Patienten“ in Reihen der ... mehr anzeigen Nahrungsmittelproduktion. Unsere bäuerliche LW nämlich ist mittlerweile das vollkommen wehrlose Opfer dieser überbordenden Lebensmittelerzeugung; sinnvolle, am globalen Markt händeringend nachgefragte NON-FOOD-Produkte sind und bleiben mithin fortwährend ein Tabuthema. // Werter Herr Prof. Brümmer, wie viele Planeten stehen uns zur ignoranten Ausbeutung noch zur Verfügung!? In sehr vielen güldenen Elfenbeintürmen ist es augenscheinlich nicht angekommen, dass wir mit eben dieser extrem starren Geisteshaltung unseren Blauen Planeten systematisch ruinieren, und ganz nebenbei den gesamten deutschen/europäischen Bauernstand gleich mit! Wer den freien Handel vehement wissenschaftlicherseits fordert, sollte einen verstohlenen Blick auf unsere heimischen Höfe wagen, welche unternehmerischen Freiheiten dort überhaupt noch beheimatet sind. Um unsere bäuerlichen Hoftörchen machen aber alle Agrarökonomen mit Weltrenomee ausnahmslos einen sehr weiten Bogen; man könnte dann ja plötzlich mit einem massiven leisen Bauernsterben persönlich konfrontiert sein... weniger anzeigen
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von Gerd Schuette
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Soziale und Ökologische Mindesstandards dürfen auch bei global gehandelten Waren nicht außen vor gelassen werden. Standards die für innereuropäische Produkte gelten, müssen auch für Produkte aus Drittstaaten gelten. Wird dies nicht gemacht, machen wir uns mitschuldig bei zB ... mehr anzeigen Kinderarbeit und Zerstörung der Umwelt in den Herkunftsländern. weniger anzeigen
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