Russlands Präsident Wladimir Putin hat der EU Anfang September vorgeworfen, anders als vereinbart Getreide aus ukrainischen Häfen nicht in die ärmsten Länder der Welt zu verschiffen, sondern auf seine Märkte zu holen. Das unter türkischer Vermittlung geschlossene Abkommen sehe vor, dass Russland den Export durch die vermienten Häfen ausschließlich zur Linderung der Hungerkrisen in betroffenen Ländern genehmigt habe. Putin droht daher, das Getreideabkommen zu kündigen.
GPS Tracking sorgt für Klarheit
Anhand von Tracking-Daten hat das Magazin Spiegel nachverfolgt, welche Häfen die Getreideschiffe seit Ende der russischen Blockade ansteuerten. So seien seit dem 1. August 200 Schiffe aus den Häfen der Ukraine ins Schwarze Meer ausgelaufen. 82 Schiffsladungen landeten in der EU, vor allem in Italien und Spanien. 72 meist kleinere Schiffe liefen die Türkei an und nur 22 Frachter seien tatsächlich nach Afrika gefahren; weitere 28 gingen in die restliche Welt.
Wie der Spiegel weiter berichtet, sind einige Transporte undurchsichtig. So soll ein Schiff in der Türkei sein Getreide entladen haben. Angeblich, um es dort zu mahlen und anschließend als Mehl in den Jemen zu liefern. Das lasse sich aber nicht prüfen. Auch, welchen Weg Getreide über Binnenschiffe, Züge und Lkw nimmt, sei nicht nachverfolgbar.
Die Auswertung der Schiffsbewegungen spielt Putin jedenfalls in die Hände. Eine Grafik verdeutlicht das glasklar: Ein riesiger Balken auf Platz 1 bei der EU (2,1 Mio. t), gefolgt von einem deutlich kleineren auf Platz 2 für die Türkei (679.000 t).
Platz 3 der Empfänger von Getreide aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen belegt China mit 399.000 t, gefolgt von Ägypten (313.000 t). Danach folgen Länder wie Israel, Indien und Südkorea. Die wirklich bedürftigen Staaten wie Jemen, Sudan, Somalia, Libanon, Dschibuti, Syrien oder Libyen tauchen weit abgeschlagen mit verschwindend geringen Mengen auf.
Es geht um Stabilisierung des Weltmarktes
Für Prof. Dr. Matin Qaim von der Uni Bonn ist das alles jedoch korrekt, denn es gehe gar nicht so sehr darum, wo aktuell das Getreide hingeht, sondern dass sich die Weltmarktpreise entspannen. Es sei wichtig, die Not in Afrika im Blick zu haben, aber nicht unbedingt dadurch, dass man jetzt in die privatwirtschaftlich organisierten Märkte eingreife.
Zudem würde auch nicht jede Lieferung aus der Ukraine in armen Ländern überhaupt benötigt, sagt Qaim: „Mais wird beispielsweise im nordafrikanischen oder arabischen Raum kaum gegessen.“ Fokussiere man sich ausschließlich auf die Zielhäfen der Schiffe, so wie Putin es mache, könne man leicht einen verzerrten Eindruck gewinnen.
Auch im deutschen Agrarhandelsverband findet man es nicht verwerflich, dass ein Großteil der Agrarprodukte aus der Ukraine in westlichen Häfen landet. Dadurch würden dort Kapazitäten frei. Weizen, der beispielsweise schon in Rostock liegt könne dann in andere Länder außerhalb der EU exportiert werden.
Um Putins Vorwürfe zu entkrägften, müssten sich Juristen nun also die Verträge anschauen, was dort niedergeschrieben wurde und wohin Schiffe liefern dürfen oder müssen.
Abkommen endet Ende November
Der Spiegel erinnert in dem Zusammenhang an die Rekordernten in Russland und die Vermutungen, dass das Land große Mengen aus der Ukraine stiehlt und verkauft. Putins Vorgehen sei daher durchschaubar: Schließt der Schwarzmeerkorridor, steigen die Preise und Russlands Kriegskasse füllt sich. Offiziell läuft der Getreidedeal mit der Ukraine Ende November aus. Bis dahin versuchen alle, so viel Ware wie möglich aus der Ukraine zu schaffen. Die Händler würden jetzt schon wieder ganz nervös, heißt es.
An Ware mangele es auf dem Weltmarkt aktuell aber nicht, sie sei aber aufgrund der angespannten Weltlage aber sehr teuer, heißt es.
Russland annektiert vier ukrainische Gebiete
Am Freitag nun kündigte Putin nach den Scheinreferenden in der Ukraine die Annexion von vier Regionen an. Die Verträge wurden im Kreml unterzeichnet. Die internationale Gemeinschaft erkennt die Abstimmungen nicht an.
Die Aufnahme von Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson wurde kurz nach der Rede Putins im Kreml vertraglich besiegelt. Die Zeremonie wurde im Staatsfernsehen übertragen.