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Handel bevorzugt bei Obst und Gemüse Billigimporte

Der Zentralverband Gartenbau kritisiert das Einkaufsverhalten des LEH bei Obst und Gemüse. Trotz Kostenexplosion lagen die Erzeugerpreise bei Spargel und Erdbeeren auf dem Niveau der letzten Jahre.

Lesezeit: 9 Minuten

Scharfe Kritik am Einkaufsverhalten des Lebensmitteleinzelhandels bei Obst und Gemüse übt der Zentralverband Gartenbau (ZVG). „Trotz aller Werbeslogans setzen die Einkäufer des Lebensmitteleinzelhandels offensichtlich selbst zur Hochsaison der deutschen Ware lieber auf billige Importe“, beklagt ZVG-Generalsekretär Bertram Fleischer im Interview mit AGRA-EUROPE.

AgE: Herr Fleischer, der Freilandgemüsebau, der Obst- und der Weinbau zählen zu den begünstigten Sektoren für die Gewährung der Anpassungsbeihilfe zur Abmilderung der Folgen des Ukraine-Krieges. Trägt der vorgelegte Verordnungsentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums der schwierigen Lage der Gartenbaubetriebe Rechnung?

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Fleischer: Um die aktuelle Situation der Betriebe zu verstehen, muss man bedenken, dass bereits im letzten Jahr die Betriebsmittelkosten für die Unternehmen deutlich angestiegen sind. Allein durch die CO2-Bepreisung verteuerte sich die Energie für die betroffenen Betriebe.

Außerdem kam es in der zweiten Jahreshälfte von 2021 zu deutlichen Verteuerungen bei Dünger, Pflanzenschutzmitteln, Verpackungen, Folien und Vliesen sowie der Logistik. Der Ukraine-Krieg hat die damit einhergehenden Marktverwerfungen nochmals deutlich verschärft. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir natürliche jede Bemühung der Bundesregierung, die Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft und regionale Wertschöpfung abzumildern.

Uneingeschränkt?

Fleischer: Nein! Wir bemängeln, dass der Verordnungsentwurf zunächst lediglich die direktzahlungsberechtigten Betriebe einbezieht und damit nur einen Teil des Gartenbaus abdeckt. Insbesondere fehlen noch Angebote für die besonders betroffenen energieintensiven Unterglasbetriebe, wie beispielsweise jene mit Gemüse, Jungpflanzenproduktion oder Kulturpilzanbau.

Wie wirksam sind die in Aussicht gestellten Zahlungen - zum Beispiel 348 Euro/ha für den Freilandgemüsebau- für die Betriebe?

Fleischer: Das ist ohne Frage eine hilfreiche Unterstützung. Die Zahlungen können aber natürlich keine komplette Kompensation für die aktuelle wirtschaftliche Lage sein. Außerdem ist die enorme Diskrepanz zu 126 Euro/ha bei Obstflächen nicht erklärbar.

Die Studie des Thünen-Institutes spricht in ihrer Betroffenheitsanalyse vom Gartenbau im geschützten Anbau insgesamt. Das findet sich in der Unterstützung nicht wider. Das wird Ihnen nicht gefallen…

Fleischer: Nein! Aber das ist ein sehr wichtiger Punkt: Das Thünen-Institut nennt ausdrücklich auch den Zierpflanzenbau unter Glas als betroffenen Sektor. Hier fordern wir eine äquivalente Unterstützung für die Unternehmen. Die Beschränkung auf den Ernährungssektor ist in der einschlägigen EU-Verordnung nicht gefordert.

Vielmehr spricht die EU-Verordnung davon, dass die Maßnahme zur Ernährungssicherung beitragen oder Marktungleichgewichte beseitigen soll. Die Belastungssituation im geschützten Anbau ist in allen Bereichen, im Gemüsebau, genauso wie im Zierpflanzenbau, dem Pilzanbau und der Jungpflanzenerzeugung gleich hoch. Wir fordern deshalb ausdrücklich für alle Bereiche eine Unterstützung ein.

Bundeslandwirtschaftsminister Özdemirhat eine unbürokratische Auszahlung der Mittel zugesagt. Wird das gewählte Verfahren - keine Antragstellung für Betriebe mit Greening-Förderung, Auszahlung durch die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) - diesem Anspruch gerecht?

Fleischer: Davon gehe ich unter den aktuellen Bedingungen und Zusagen aus. Das relativ einfache Verfahren über die SVLFG gibt zudem eine gute Vorlage für das folgende Kleinbeihilfeprogramm für Obst- und Gemüsebaubetriebe mit Unterglasanbau, das über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) abgewickelt werden soll.

Was erwarten Sie hinsichtlich dessen Ausstattung und Ausgestaltung?

Fleischer: Neben den unbedingt notwendigen unbürokratischen Ansatz vor allem eine ausreichende Mittelausstattung. Damit meine ich, dass es vergleichbare Unterstützungsleistungen zum ersten Hilfsprogramm gibt. Ich erwarte eine Gleichbehandlung der Betriebe.

In etwa zeitgleich mit den Beihilfen werden die Betriebe ihre Bescheide für die zu zahlenden höheren Berufsgenossenschaftsbeiträge bekommen. Mit welchen Beitragssteigerungen müssen die Gartenbaubetriebe rechnen?

Fleischer: Das wird von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich ausfallen. Die SVLFG geht von durchschnittlich mindestens um 18 % höheren Beiträgen aus.

180 Mio. € extra für energieintensive Betriebe, gleichzeitig 77 Mio. € weniger Bundesmittel für die Landwirtschaftliche Unfallversicherung (LUV) - agiert der Staat nach dem Motto „linke Tasche, rechte Tasche“?

Fleischer: Der Gedanke drängt sich auf. Zumal wir hier von 120 Mio. € Bundeshaushaltsmitteln reden. Darüber hinaus werden bislang weitere Unterstützungsmöglichkeiten nicht genutzt.

An was denken Sie da?

Fleischer: Um die Betriebe bei ihren Kosten zusätzlich zu entlasten, fordern wir zum Beispiel einen Beitragszuschuss zur Mehrgefahrenversicherung. Dieser ist bei vielen EU-Nachbarländern üblich und wird von uns seit Jahren angemahnt. In anderen Mitgliedstaaten werden bis zu 75 % der Prämie für Hagel- oder Mehrgefahrenversicherungen den Betrieben erstattet. In Baden-Württemberg und Bayern laufen bereits erfolgreiche Pilotprojekte für Obst und Weinbau. Wir brauchen aber dringend einen bundeseinheitlichen Ansatz, der zudem den gesamten Gartenbau miteinschließt.

Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer auf Seiten des Gartenbaus?

Fleischer: Bei der aktuellen Entwicklung wird der Verlierer der regionale Anbau sein. Unsere Betriebe berichten von einer deutlichen Konsumzurückhaltung bei frischem Obst und Gemüse, aber auch Blumen und Zierpflanzen. Die Verbraucher sparen bei der Ernährung zuerst bei frischem Obst und Gemüse, und der Lebensmitteleinzelhandel nutzt die Warengruppe bereits für billige Einstiegspreise. Gemeinsam mit den Produzenten aus den EU-Nachbarstaaten könnte der Handel zu den Gewinnern zählen.

Vor allem der Spargel- und der Erdbeeranbau sind zuletzt massiv unter Druck geraten. Wie stellt sich die Situation im Moment dar?

Fleischer: Trotz aller Werbeslogans setzen die Einkäufer des Lebensmitteleinzelhandels offensichtlich selbst zur Hochsaison der deutschen Ware lieber auf billige Importe. Wenn zum Beispiel grüner Spargel aus Peru günstiger angeboten wird als grüner Spargel aus Deutschland, verwundert es angesichts der Verunsicherung der Verbraucher über ihre künftige Einkommenssituation nicht, dass die Nachfrage nach Spargel aus Deutschland nachlässt.

Wenn während der Haupterdbeersaison in Deutschland kostengünstige Tiefkühlware angeboten wird, bei der die Herkunft der Erdbeeren nicht mehr erkennbar ist, hat dies den gleichen Effekt. Die Erzeugerpreise liegen teils deutlich unter denen der letzten Jahre, und das bei explodierenden Kosten. Ähnliche Entwicklungen wird es, wenn sich an den Rahmenbedingungen nichts ändert, auch für andere Produktbereiche geben.

Welche Folgen wird die gegenwärtige Misere für den heimischen Anbau insgesamt in den nächsten Jahren haben?

Fleischer: Was wir leider feststellen müssen ist, dass sich viele Betriebe bereits jetzt mit einem Ausstieg beschäftigen. Die nächste Saison wird äußerst unsicher. Die übrigen Betriebe werden sich sehr genau ihre Produktpalette ansehen und ausdünnen, wo das größte Risiko besteht. Dies hätte massive Auswirkungen auf die von der Bundesregierung gewünschte regionale Produktion, Biodiversität und Wertschöpfung.

Welche Rolle spielt die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 € zum 1. Oktober dieses Jahres?

Fleischer: Die Anhebung kommt on top auf alle bisher genannten Kostensteigerungen und wirkt sich bereits auf die Gespräche mit den Abnehmern aus. Der Mindestlohn wird sicherlich für keinen Betrieb als Alleingrund den Untergang bedeuten. Aber es ist ein nicht unwichtiger Teil der Gesamtbelastung der Betriebe, zu der auch andere Aspekte wie bürokratische Hürden im Betriebsablauf, fehlende Pflanzenschutzmittel oder aber auch die neuen Düngevorschriften zählen.

Wie ist die gegenwärtige Stimmung in den Betrieben?

Fleischer: Über alle Sparten hinweg schlecht. Nach unseren regelmäßigen Befragungen der Betriebe, schauen derzeit die wenigsten positiv in die Zukunft; besonders der kommende Winter wird kritisch gesehen. Auch bei den Obstbetrieben ist die Stimmung katastrophal.

Die guten Ernteaussichten verstärken den pessimistischen Blick noch, denn die Aufnahmebereitschaft des Marktes ist begrenzt.

Im Bereich des Zierpflanzenbaus ist der vom ZVG seit Jahren ermittelte Geschäftsklimaindex auf ein noch nie dagewesenes Niveau abgestürzt. Vor allem das übliche und wichtige Mai-Hoch ist ausgeblieben. Unter diesen Bedingungen ist aktuell die Investitionsbereitschaft verständlicherweise sehr gering. Trotzdem setzen die Betriebe alles daran, die Umstellung auf alternative Energieträger in ihren Unternehmen, da wo es möglich ist, zu realisieren, beziehungsweise die Energieeffizienz zu steigern.

Der energieintensive Gartenbau kann vermutlich eine Entlastung von der CO2-Bepreisung erhalten. Hilft das nicht auch den Betrieben?

Fleischer: Ja, das hatten wir auch sehr gehofft und uns mit Erfolg dafür eingesetzt, dass der Gartenbau grundsätzlich mit den relevanten Teilsektoren als beihilfeberechtigt anerkannt werden kann. Der ZVG hat die Anträge gestellt, wir müssen derzeit die Bewertung durch die Deutsche Emissionshandelsstelle abwarten.

Aber wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass auch die Antragsverfahren für die Unternehmen sehr kompliziert sind, bürokratisch völlig aufgebläht und unverständlich.

Hinzu kommt die relativ geringe zu erwartende Beihilfe unterhalb von 50 % der CO2-Kosten. Weiterhin müssen die enormen Kosten für einen zu beauftragenden Wirtschaftsprüfer, die Investitionsvorgabe eines Teils der Beihilfe ab 2023 sowie die Kosten für ein verpflichtendes Energiemanagementsystem mit einkalkuliert werden. Unseren kleinen und mittelständischen Betrieben ist damit in keiner Weise geholfen. Der Carbon-Leakage-Effekt wird forciert, das heißt Betriebsaufgaben und eine Abwanderung der Produktion.

Die Land- und Ernährungswirtschaft zählt zu den bevorzugt zu berücksichtigenden Branchen bei einer Einschränkung der Gasversorgung. Sind Sie mit den Vorschlägen des Bundeswirtschaftsministeriums für die Ausgestaltung des Notfallplans Gaszufrieden?

Fleischer: Bei aller verständlichen Unsicherheit begrüßen wir, dass die Ladwirtschaft und damit auch der Gartenbau zu den geschützten Kunden mit Standardlastprofil (SLP) zählen. Der Teufel liegt hier allerdings im Detail.

Die Vorgaben für SLP-kunden enthalten einige technische Aspekte, die dazu führen könnten, dass ein sehr großer Teil der Unterglas-Betriebe doch aus der Gasversorgung fallen. Hier ist dringend Klarstellung nötig, und wir brauchen einen Fahrplan weit vor dem Herbst. Denn eines muss immer mitbedacht werden, die Pflanzenproduktion unter Glas kann nicht mal schnell hoch und runtergefahren werden.

Wir gehen davon aus, dass viele der Betriebe, die möglicherweise von der Gasversorgung abgeschnitten würden, vom Markt verschwinden. Wir erwarten daher, dass das Agrarministerium die Energieversorgung des Gartenbaus - von der Jungpflanzenproduktion bis hin zur Gemüse-, Pilz- oder Zierpflanzenproduktion - unbedingt bei den Abstimmungen mit dem Wirtschaftsministerium im Blick hat.

Vielen Dank!

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