Verladen wird das Getreide in den ukrainischen Donauhäfen Reni und Ismail. Die Schiffe müssen dann die Donau aufwärts fahren, zunächst auf dem mäandernden Chilia-Arm des Deltas bis nach Cernavoda im Landesinneren und von dort auf dem Donau-Schwarzmeer-Kanal nach Konstanza. Das sind von Ismail aus insgesamt gut 320 km. Rund 80 % der Getreides der Ukraine kommt derzeit auf solchen kleinen Frachtschiffen.
Der Weg per LKW wäre allerdings noch schwieriger, sie müssten allein schon wegen der Formalitäten teils wochenlang an den Grenzübergängen warten, so die dpa weiter. Und im Hafen Konstanza gebe es jetzt schon die täglich Stau mit 20 bis 25 ankommenden ukrainischen Getreidelastern. Der Zugang auf Schienen wiederum sei so gut wie blockiert, weil die rumänische Staatseisenbahn CFR am Hafenbahnhof 700 ausgediente Waggons abgestellt hatte – von denen inzwischen allerdings mehr als die Hälfte entfernt wurden. 35 Schienenstränge am Hafen sollen nun für umgerechnet 40,8 Mio. € modernisiert werden.
Ebenfalls angedacht sei die Vertiefung des Hafenbeckens und Erhöhung der Zahl der Anlegestellen von derzeit 140 um 17. Die Pläne sind aber noch auf dem Stadium einer Machbarkeitsstudie. Die Kosten könnten sich auf bis zu 1 Mrd. € belaufen.
Der Hafen soll mitgeteilt haben, dass von Kriegsbeginn an bis Anfang Juni 15 Schiffe mit insgesamt 242.000 t ukrainischen Getreides Konstanza verlassen hätten. Das wären gerade einmal 1,21 % der 20 Mio. t Getreide der Ernte aus dem Vorjahr, welche die Ukraine derzeit exportieren will. Im ganzen Jahr 2021 sind über Konstanza 25 Mio. t Getreide aus rumänischer Produktion und aus Nachbarländern exportiert worden. Und die nächste Ernte steht in Kürze vor der Tür.
Borell: Hafenblockade ist Kriegsverbrechen
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnet Moskaus Blockade von Mio. t Getreide unterdessen als "Kriegsverbrechen". Er fordert Russland auf, die Häfen freizugeben. Man könne sich nicht vorstellen, dass Millionen von Tonnen Weizen in der Ukraine blockiert bleiben, während im Rest der Welt Menschen Hunger leiden, sagte er. "Dies ist ein echtes Kriegsverbrechen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass dies noch lange andauern wird."
Ukraine rechnet mit weiter rückläufiger Weizenversorgung
Der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solsky hält es laut dem Pressedienst Agra Europe derweil für möglich, dass große Teile von bis zu drei Weizenernten in dem von Russland angegriffenen Land für den Weltmarkt und damit für die globale Lebensmittelversorgung verlorengehen.
So gehe es laut Solsky inzwischen nicht mehr nur um die nicht exportierten Bestände des Vorjahres und die womöglich verderbende Getreideernte 2022. Der Minister wies darauf hin, dass in wenigen Monaten schon die Aussaat der Winterweizenernte beginne. Wegen der anhaltenden Kriegshandlungen und der Blockade der ukrainischen Seehäfen sowie der sich anbahnenden großen Erntemenge, für die absehbar kein professioneller Lagerraum zur Verfügung stehe, könnte in diesem Jahr aber alles anders sein, warnte Solsky.
Viele Bauern überlegten bereits, ob sich die Weizenaussaat überhaupt noch lohne, schreibt AgE weiter. Immerhin sei schon aus den Ernten 2021 und 2022 ein erheblicher Lagerbestand zu erwarten, von dem man nicht wisse, ob dieser überhaupt vermarktet werden könne.
Solsky hält es deshalb für möglich, dass die Aussaatfläche beim Weizen zur Ernte 2023 deutlich kleiner ausfällt. Ihm zufolge wurden zur diesjährigen Ernte auf rund 6,5 Mio ha Winterweizen angebaut, von denen sich 1,5 Mio. ha in von Russland kontrollierten Gebieten befinden. Damit dürften schon im Wirtschaftsjahr 2022/23 schätzungsweise 5 Mio. t Weizen aus der ukrainischen Bilanz fallen, stellte der Agrarminister fest.