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Kunden kassieren selbst ab: Trend Supermärkte ohne Personal

Immer mehr digitale Verkaufsformate gehen in Deutschland an den Start. Wie funktionieren sie? Welche Auswirkungen haben die unbemannten Stores für die Arbeitsplätze im Handel?

Lesezeit: 8 Minuten

Fakten und Einschätzungen von Dieter Druck, Susanne Klopsch, Elena Kuss, Heidrun Mittler, Wibke Niemeyer. Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Zeitschrift Lebensmittelpraxis 8/2021.

Wie Pilze im Herbst schießen sie aus dem Boden: Digitale Verkaufskonzepte. Mehrere Handelsunternehmen setzen künstliche Intelligenz ein und errichten 24/7-Formate, dabei geht es ums Verkaufen rund um die Uhr.

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Welche Möglichkeiten die neuen Techniken bieten, verdeutlicht ein reales Beispiel: Ein Kunde betritt einen Laden, nimmt Ware aus dem Regal, verlässt mit ihr das Geschäft – ohne aktiven Bezahlvorgang. Also so, als würde man bei Mutter zu Hause einen Joghurt aus dem Kühlschrank holen.

Bezahlen muss der Kunde im Endeffekt schon, jedoch nicht unbedingt aktiv die Geldbörse zücken. In Deutschland und überall auf der Welt testen Handelsunternehmen derzeit Konzepte und erproben dabei moderne Technologien.

So unterschiedlich sie in ihrer Ausprägung auch sind, so haben sie doch einige Aspekte gemeinsam: Sie können rund um die Uhr arbeiten und brauchen dafür (fast) kein Personal.

Ganz schön clever, wie manche Experten meinen. Sie haben die Verkaufskonzepte daher Smart Stores getauft. Diese schlauen Geschäfte stehen entweder allein oder sind an einen Supermarkt angegliedert. Letzteres hat den Vorteil, dass der Betreiber die Öffnungszeiten des klassischen Marktes ausdehnen kann. Zu den Randzeiten, also am frühen Morgen, späten Abend oder in der Nacht, bietet man dem Kunden eine Einkaufsmöglichkeit, ohne dass gravierende Personalkosten anfallen.

Einen solchen Prototyp betreibt die Edeka Südwest in Renningen bei Stuttgart. Der Standort ist einer von zwei „Zukunftsbahnhöfen“ der Bahn in Baden-Württemberg. Jürgen Mäder, Geschäftsführer Edeka Südwest in Offenburg, sagt im Gespräch mit der Lebensmittel Praxis: „Das Serviceangebot vor Ort ist auf den zunehmend digitalen und zugleich mobilen Lebensstil der Menschen zugeschnitten.“ Gemeinsam mit der Deutschen Bahn, der Edeka- Kauffrau Gisela Karow-Schäfer aus Renningen sowie dem Start-up Smark probiere man eine neue Vertriebsform aus.

Haben Formate dieser Art auch das Potenzial, Geschäfte an unrentablen Standorten zu ersetzen? Mäder: „Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Zumal wir uns mit diesem jungen Format nun erst einmal in der Testphase befinden. Richtig ist, das Konzept eignet sich insbesondere für kleine Flächen mit hoher Frequenz.“

Werden Mitarbeiter überflüssig?

Für den Verbraucher ist das Konzept smart. Aber wie wirkt es sich auf die Mitarbeiter aus? Werden dadurch die Mitarbeiter im Handel auf längere Sicht überflüssig?

Diese Gefahr sieht der Edeka-Geschäftsführer nicht: „Kompetente Mitarbeiter stellen aus unserer Sicht einen der wichtigsten Wettbewerbsvorteile überhaupt dar. Der service- und beratungsorientierte Lebensmitteleinkauf ist immer noch der Kern unseres Geschäfts. Dafür brauchen wir starke Teams. Daran wird sich nichts ändern.“

Und auch dieser neue 24/7-Markt will mit Ware bestückt werden. Gegenwärtig sind es 300 Artikel, das Sortiment kann auf 800 Artikel ausgeweitet werden. „Das geht nur mit den erfahrenen Mitarbeitern des Edeka Karow & Sommer- Marktes, der nur wenige Hundert Meter vom Bahnhof entfernt liegt“, betont Mäder. Seine Schlussfolgerung: „Lebensmitteleinzelhandel ist und bleibt ein Geschäft von Menschen für Menschen, das bei Bedarf von intelligent eingesetzter Technologie unterstützt werden kann.“

Tegut testet Teo

Eine ähnliche Sichtweise hat auch Karl-Heinz Brand, Mitglied der Geschäftsleitung bei Tegut. Das Unternehmen macht derzeit mit dem „Teo“ Furore. Brand, der den Bereich Personal betreut, weist darauf hin, dass auch ein digitalisierter Markt nicht mit Heinzelmännchen betrieben wird.

Orhan Akman, Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel bei der Gewerkschaft Verdi, bleibt bei der Debatte um einen drohenden Verlust von Arbeitsplätzen relativ gelassen. „Ich sehe die große Gefahr, die von einigen an die Wand gemalt wird, derzeit noch nicht“, schätzt er die Lage ein. Aus seiner über 20-jährigen Erfahrung weiß er, dass „der Handel vieles ausprobiert, aber nur ein Bruchteil davon später flächendeckend zum Einsatz kommt“.

Akman weiter: Auch wenn die Handelsunternehmen Technologien als erfolgreich bewerten, dauere es aufgrund der hohen Filialdichte immer noch eine ganze Weile, bevor die entsprechenden Konzepte flächendeckend ausgerollt würden.

Wobei, so schränkt der Gewerkschafter ein, generell sei es „gut, dass Handelsunternehmen Innovationen am Markt ausprobieren“, denn damit stärkten sie die Position des Unternehmens und sicherten damit Arbeitsplätze der Mitarbeiter.

Start-up Smark liefert die Technik

Die digitalen Stores erfordern eine komplexe Technik. Smark ist ein Start-up, das die Intelligenz für gleich mehrere solcher Formate liefert. Im Gespräch mit Geschäftsführer Philipp Hoening wird deutlich, dass er bei der Entwicklung der Idee alles andere im Kopf hatte, als Arbeitskräfte überflüssig zu machen: „Als wir den Roboter entwickelt haben, wollten wir vor allem für kleine Betriebe wie Bäckereien und Metzgereien eine Option aufzeigen, rentabler zu arbeiten.“ Zudem glaubt er an die „Koexistenz mit etablierten Händlern“.

Und noch eine Frage muss in personallosen Märkten geklärt sein: Nachts um 3 Uhr kippt ein Kunde allein im Laden um – wo kommt Hilfe her? Helfen können hier Netzwerk- Videokameras, so Ralph Siegfried, Key Account Manager End Customers bei Axis Communications. Das dahinterstehende Servicecenter könne über Audio-Systeme den Kunden versuchen anzusprechen, gleichzeitig werde der Rettungsdienst alarmiert.

Über die Türsprechstation könne das Servicecenter remote Sanitätern und Ärzten die Tür öffnen. Netzwerkkameras wirkten zudem abschreckend gegen Diebe – „und eine direkte Ansprache über Lautsprecher führt zu einer Abbruchquote von durchschnittlich 90 %“, sagt Siegfried.

Das digitale Dorf der Zukunft

Vom Personal zu einem anderen Faktor: Bei den neuen Verkaufskonzepten ist die Größe der Verkaufsfläche entscheidend. Nicht umsonst bezeichnen einige Anbieter ihre Shops als „Tiny-Store“, also winzige Geschäfte.

Neben der Frage der Kosten steht im Hintergrund eine andere Frage: Wie ist der Store rechtlich zu bewerten? Als Geschäft, das den gängigen Auflagen bei Genehmigung und Öffnungszeiten unterliegt? Oder als Kiosk oder gar als Automat?

Gerade mit dem Thema Öffnungszeiten sind manche Unternehmen noch unzufrieden: In Lagen mit hoher Frequenz wünschen sie sich die Sonntagsöffnung. Die „schlauen Kleinen“ sind jedoch nicht nur für belebte Standorte wie Bahnhöfe oder Flughäfen geeignet. Gerade in ländlichen Regionen können sie als „Rettungsanker“ dienen. So weist die GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) darauf hin, dass die Versorgung zahlreicher ländlicher Gemeinden mangelhaft ist.

In nur 30 % der Landgemeinden (bis 1.999 Einwohner) versorgt ein Supermarkt die Bevölkerung, rund 14 % haben einen Discounter in Laufweite. Beispiel Emmas Tag- & Nachtmarkt in Altengottern, eine Gemeinde in Thüringen mit 1.000 Einwohnern. „Der erste Markt in Deutschland für kleinere Gemeinden in Regionen mit schwacher Infrastruktur, der 24 Stunden von Montag bis Sonntag geöffnet hat“, stellt Geschäftsführer Peter John heraus. Er macht ein Potenzial von rund 4.500 Gemeinden mit 500 bis 2.000 überwiegend älteren Einwohnern, teils mit eingeschränkter Mobilität, deutschlandweit aus.

Emmas Tag- & Nachtmarkt positioniert sich als „digitale Infrastruktur-Plattform für den ländlichen Raum“. Rund 1.200 Artikel werden zu Normalpreisen auf Supermarktniveau auf 120 Quadratmetern Verkaufsfläche angeboten.

Augenfällig sind hier die regionale Ausrichtung sowie auch die Einbindung lokaler Bäcker, Metzger. Darüber hinaus stehen die Verbesserung der Lebensqualität „auf dem Lande“ und die Schaffung eines sozialen Treffpunkts für das Dorf im Mittelpunkt. Freies WLAN, Info-Punkt für die Gemeinde mit LED-Screen vor dem Markt, Mitfahrbank sowie freie Paketstation sind die dazugehörigen Serviceangebote. Auch ein Lieferservice ist eingerichtet. Was man hier nicht unbedingt erwartet: eine E-Ladesäule und ein Elektromobilitätsangebot für Mitglieder mit einem E-Auto sowie jeweils vier E-Roller und E-Bikes.

Welches Format hat in Zukunft die Nase vorn? Das wird sich erst zeigen, wenn die Pilotprojekte eine Weile in Betrieb waren und verlässliche Zahlen vorliegen. Bei den Gesprächen der LP-Redaktion mit verschiedenen Betreibern wird aber eines deutlich: Smart Stores sind nur eine Ergänzung zum Lebensmittelhandel.

Kein Ersatz für den klassischen LEH

Digitale Verkaufskonzepte besetzen eine Nische, ersetzen also keinesfalls den klassischen Lebensmittelhandel. Eine Einschätzung, die Handels-Experte Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg teilt. Er ist überzeugt, dass sich nicht das eine, sondern mehrere Konzepte durchsetzen werden, je nach Standort. Seiner Meinung nach ist mit weiteren Anbietern und einer Marktbereinigung bis 2022 zu rechnen. Dabei gilt – wie immer im Handel: „Die Profitabilität wird der relevante Faktor sein.“

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Ohne Kasse ja – aber ohne Personal?

Ein Kommentar von Reiner Mihr, Chefredakteur Lebensmittelpraxis

Smart Stores erlauben das Verkaufen rund um die Uhr und kommen (fast) ohne Personal aus. Mittlerweile gehen auch immer mehr solcher Geschäfte in Deutschland an den Start.

Aber nicht nur in Deutschland, Smart Stores scheinen ein weltweiter Trend zu werden. Ob Belgien oder Japan, die Schweiz oder Mexiko – überall sind diese Läden im Test. Beginnt hier eine neue Ära des Verkaufes? Hoch technisiert, überschaubares Sortiment, kaum Personal?

Dass dies Jeff Bezos im Sinn hatte, als er 2017/2018 im US-amerikanischen Seattle ein erstes Amazongo-Geschäft eröffnen ließ, mag schon sein, sind doch die Personalkosten ein großer Block in jedem Supermarkt.

Reine Kostenminimierung reicht als Antrieb für solche Konzepte aber nicht aus. Es geht eher um Problemlösungen. Deshalb sind sie auch sehr unterschiedlich. Natürlich will vor allem eine jüngere Zielgruppe so unkompliziert und „cool“ einkaufen, wie es geht. Aber in ländlichen Gebieten, wo der übliche Nahversorger längst verschwunden ist, in Hochfrequenz-Lagen, wo der Platz für den Supermarkt fehlt oder unbezahlbar ist, sind schlaue Läden sinnvoll. Und Menschen werden nach wie vor gebraucht – nur in anderen Funktionen.

Und auch für den Supermarkt bieten Smart Stores Chancen. Als Ergänzung zum normalen Laden, wenn der geschlossen ist. Und wahrscheinlich profitiert der klassische Laden irgendwann von technischen und anderen Innovationen aus dem Smart Store.

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