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Mel Poulton: Neuseelands und Deutschlands Bauern sitzen im gleichen Boot

Die neuseeländische Agrarbeauftragte sieht viele Parallelen zwischen der deutschen und der neuseeländischen Landwirtschaft. Das Freihandelsabkommen ihres Landes mit der EU enthalte eine Menge Gutes.

Lesezeit: 10 Minuten

Neuseeland befindet sich aus deutscher Sicht praktisch am anderen Ende der Welt. Da liegt der Gedanke nahe, dass die Landwirte hier wie dort wenige Gemeinsamkeiten jenseits von Boden und Nutztier teilen. Das sieht Mel Poulton anders. Die neuseeländische Agrarbeauftragte weiß als selbstständige Landwirtin aus eigener Erfahrung um die alltäglichen Probleme der Bauern und die Erwartungen, die Politik und Gesellschaft an den Berufsstand stellen.

Darüber und über zahlreiche andere Themen habe ich mit Mel Poulton gesprochen – ganz zünftig im Büro des Milchviehbetriebs von Paul und Stephen Costello im brandenburgischen Netzen. Der erste Teil dieses Interviews dreht sich um das europäisch-neuseeländische Freihandelsabkommen, die Besonderheiten der neuseeländischen Milchviehhaltung und die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Morgen erscheint der zweite Teil, in dem wir über den Nutzen von Subventionen, immer weiter steigende Anforderungen an die Bauern sowie die Vereinbarkeit von Nachhaltigkeit und landwirtschaftlicher Produktivität reden.

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Mel Poulton wurde im Januar 2020 von der neuseeländischen Regierung zum „Special Agricultural Trade Envoy (SATE)“ ernannt. Sie ist in dieser Funktion unabhängig von der Politik oder Organisationen der Agrarbranche. Als Lebensmittel- und Biomasseproduzentin konzentriert sich Mel in ihrer SATE-Rolle auf den Aufbau und die Verbesserung von Beziehungen, teilt die neuseeländische Geschichte der Lebensmittel- und Umweltverantwortung mit der Welt und arbeitet daran, die Handelsinteressen und -möglichkeiten Neuseelands voranzutreiben.

Mel, Sie sind selbst Landwirtin und zugleich Sonderbeauftragte für Agrarhandel der neuseeländischen Regierung. Können Sie uns etwas über Ihren Agrarbetrieb und Ihren zweiten Job erzählen?

Mel Poulton: Ich betreibe auf der Nordinsel Neuseelands eine Schaf- und Rinderfarm in extensiver Haltung. Ein großer Teil von dem, was ich produziere, geht in Märkte in aller Welt. Ich wurde von den neuseeländischen Ministern für Außenhandel und Landwirtschaft als Sonderbeauftragte ernannt, um Neuseelands Interessen in den Bereichen Handel, Umwelt und Klimawandel zu fördern. Ich bin damit weder eine direkte Mitarbeiterin im Außen- und Handelsministerium oder im Ministerium für die Primärindustrien, noch in speziellen Wirtschaftsgremien oder -organisationen, arbeite aber mit diesen als unabhängige Stimme einer Lebensmittelproduzentin, die selbst einen landwirtschaftlichen Betrieb führt.

Gibt es da nicht Konflikte zwischen Ihrem eigentlichen Beruf und Ihrer offiziellen Position?

Mel Poulton: Nein, im Gegenteil. Es ist sogar sehr wichtig, in dieser Aufgabe jemanden zu haben, der aktiver Landwirt ist und versteht, was Lebensmittelproduktion, Klimawandel, Nachhaltigkeit und Agrarhandel tatsächlich für den Agrarsektor bedeutet. Aus eigener Lebenserfahrung zu sprechen vermittelt Authentizität und Überzeugung bei weltweit diskutierten Themen wie Lebensmittelerzeugung, Ernährungssysteme, Klimawandel, Umwelt und Handel. Auch den in der Praxis tätigen Menschen bedeutet es viel, wenn sie mit jemandem sprechen können, der über ähnliches Wissen verfügt und sich gut in sie hineinversetzen kann. Das gilt ebenso für den internationalen Handel oder internationale Beziehungen allgemein.

Es ist eine Tatsache, dass Landwirte rund um den Globus den gleichen Herausforderungen gegenüberstehen, zugegebenermaßen in unterschiedlichen Kontexten. Es ist wichtig für Lebensmittelproduzenten – Landwirte und Bewahrer von Land und Umwelt –, in internationalen Foren sprechen zu können und eine positive, konstruktive Stimme rund um Landwirtschaft, Lebensmittel, Umwelt und Klima zu sein. Landwirte haben viel zu bieten, wenn es um praktische Lösungen und das Management integrierter Systeme geht.

Im Sommer haben die Europäische Union und Neuseeland ein Freihandelsabkommen geschlossen. Die Staatssekretärin im deutschen Bundeslandwirtschaftsministerium, Silvia Bender, hat es ein gutes Beispiel für solche Abkommen genannt. Sehen Sie das aus neuseeländischer Perspektive genauso?

Mel Poulton: Es gibt eine Menge Gutes in diesem Freihandelsabkommen. Die Kapitel zu Umwelt und Nachhaltigkeit sind eine relativ neue Sache. Es ist überhaupt das erste Mal, dass Nachhaltigkeitskriterien in einem solchen Abkommen mit der EU verbrieft wurden. Hingegen hat Neuseeland solche Umwelt- und Nachhaltigkeitskapitel auch in einem weiteren Handelsabkommen mit Großbritannien vertraglich abgesichert. Unserer Regierung ist es wichtig, internationalen Handel, Klimawandel und Nachhaltigkeit immer mehr miteinander zu verknüpfen, um die globalen Herausforderungen anzugehen und beispielsweise auch den Handel mit Agrargütern selbst zum Teil der Lösung zu machen.

Ist Neuseeland nicht sogar der Gewinner der Verhandlungen? Verschiedene Erzeugerverbände wie der Deutsche Bauernverband denken das. Sie beklagten, dass die Vereinbarungen für Schlüsselsektoren wie die europäische Milch-, Schaf- und Rindfleischproduktion zusätzliche Konkurrenz aus Neuseeland schafft.

Mel Poulton: Ich kann nicht sagen, dass Neuseeland gewonnen hätte.

Unsere Milchvieh-, Schaf- und Rinderhalter sind in Wirklichkeit sehr enttäuscht über die Ergebnisse beim Marktzugang in die EU.

Wir haben beispielsweise beim neuseeländischen Rindfleisch zollfreie Einfuhrkontingente von gerade einmal 1,5 % des EU-Fleischverbrauchs vereinbart. Bei Butter macht das etwa 1,7 % des europäischen Verbrauchs aus. Bei Rindfleisch und Milchprodukten ist der zollfreie Marktzugang für Neuseeland also absolut winzig. Ich denke nicht, dass es da irgendeinen Grund zur Sorge für die deutschen oder europäischen Landwirte gibt.

Braucht Neuseeland die EU überhaupt?

Mel Poulton: Neuseeland und die EU haben bereits eine Jahrzehnte lange Beziehung. Die Europäische Union ist für Neuseeland ein geschätzter Handelspartner. Neuseeland bezieht selbst große Warenmengen unterschiedlichster Art aus der EU. Im Lebensmittelbereich beispielsweise sehr viele Milchprodukte. In meinem Kühlschrank sind das ganze Jahr über garantiert alle möglichen Käsesorten aus der EU zu finden. Enorm wichtig für uns ist die Europäische Union auch als Lieferant von Medikamenten und Fahrzeugen. Mit dem Freihandelsabkommen haben wir jetzt einen formellen Rahmen, der helfen kann, die Kosten und Herausforderungen des Handels zu verringern.

Wo sehen Sie für Ihre Bauern die Wachstumsmärkte für Milch und Milchprodukte?

Mel Poulton: Der gesamte Weltmarkt wächst, insbesondere in Südostasien. Das ist für uns besonders wichtig, da es schließlich in unserer Nachbarschaft liegt. Darüber hinaus wächst der Bedarf für tierische Proteine weltweit. Vielleicht nicht so sehr in Europa, global aber auf jeden Fall. Aus neuseeländischer Perspektive ist das gut, denn wir haben immer großen Wert auf möglichst diverse Absatzmärkte gelegt. Auch, um Risiken zu minimieren.

Die Covid-Pandemie ist hier ein gutes Beispiel für die Folgen plötzlicher Grenzschließungen oder von Unterbrechungen in der Hafenlogistik oder in den Lieferketten. Neuseeland exportiert in über 150 verschiedene Märkte. Als ein Teil dieser Länder im Zuge der Pandemiemaßnahmen Druck in ihren Lieferketten hatten, konnten wir auf viele andere Märkte ausweichen. Wir konnten zeigen, dass die Vielfalt der uns zur Verfügung stehenden Märkte Druck und Überangebot in einzelnen Märkten verhinderte. Es braucht eben auch hier zwei Seiten, die den kommerziellen Wert in einer Transaktion sehen, bevor Ware auf den Weg gebracht wird.

Das war uns auch sehr wichtig, denn:

Neuseelands Handel mit Märkten rund um die Welt baut auf starken Beziehungen, Vertrauen und Respekt auf.

Beziehungen sind wichtig und wir müssen mit unseren Partnern zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden, gerade auch was die gemeinsame Herausforderung durch den Klimawandel angeht.

In der deutschen Milcherzeugung findet seit Jahren ein tiefgreifender Strukturwandel statt. In wenig mehr als einer Dekade hat fast die Hälfte aller Produzenten aufgegeben. Hat der neuseeländische Milchsektor ähnliche Entwicklungen hinter sich?

Mel Poulton: In den letzten Jahren nicht so sehr im Milchsektor. Allerdings steht die neuseeländische Landwirtschaft vor der möglicherweise bedeutendsten Agrarreform seit den Achtzigern, als Neuseeland die Agrarsubventionen abschaffte. Aktuell ändert sich also auch bei uns viel, vor allem in der Tierhaltung. In den nächsten Jahren wird eher der Gartenbau wachsen als die Tierhaltung.

Wo sehen Sie die größten Unterschiede zwischen einem deutschen und einem neuseeländischen Milchviehbetrieb?

Mel Poulton: Ich habe bisher (Anmerkung der Redaktion: zum Zeitpunkt des Interviews) noch keinen deutschen Milchviehbetrieb besuchen können. Allerdings ist die deutsche Milcherzeugung überwiegend stallgebunden, während die Kühe bei uns größtenteils das ganze Jahr auf der Weide stehen. Wir haben ein ausgeglichenes Klima im Gegensatz zum kontinentalen, das in Europa überwiegt. Unsere Weiden wachsen daher das ganze Jahr über, mit saisonal unterschiedlichen Raten. Landwirte managen ständig das Gleichgewicht zwischen Futterproduktion und -nachfrage, in einem Ökosystem, das durch klimatische und Wetterunwägbarkeiten und allgemein durch den Boden und die Natur geprägt ist. Es braucht daher Geschicklichkeit, Aufmerksamkeit und eine Reaktion auf Warnsignale, um das gut hinzubekommen. Wir haben gelernt, mit unserer natürlichen Umwelt umzugehen, und dies mit Respekt.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine findet aus Sicht Neuseelands auf der anderen Seite der Welt statt. Inwiefern ist Ihr Agrarsektor jenseits der Terminbörsen davon betroffen?

Mel Poulton: Unsere Agrarbranche ist sicherlich nicht so stark vom Krieg in der Ukraine betroffen wie der europäische Landwirtschaftssektor. Wir haben auch nicht einen so drastischen Anstieg der Energiekosten zu verkraften wie die Bauern in Deutschland. Ein Großteil unserer Energieerzeugung ist bereits erneuerbar. Allerdings sind auch in Neuseeland die Düngerpreise deutlich angestiegen, gleichzeitig gab es Verschiebungen beim Angebot und Preis von Weizen.

Neuseeland importiert nahezu seinen gesamten Bedarf an Brotweizen aus Australien. Angesichts der Veränderungen beim globalen Weizenangebot haben wir Preisänderungen beim neuseeländischen Zugang zu Brotweizen gesehen. Das ist mit indirekten aber durchaus spürbaren Veränderungen für uns verbunden. Das bringt natürlich auch Chancen für unsere Ackerbauern mit sich, die ihren Brotweizenanbau entsprechend ausdehnen könnten. Allerdings müssen dafür die Preise und die Infrastruktur stimmen, daher ist diese Gelegenheit auch mit Herausforderungen für unsere Ackerbauern verbunden.

Unabhängig davon sehen wir auch die anhaltenden Auswirkungen der Covid-Pandemie. Diese hat Neuseeland vor anhaltende Herausforderungen gestellt, insbesondere beim Warentransport. Diese Verwerfungen sind für Neuseeland noch nicht komplett überstanden. Es gab Herausforderungen beim Zugang zu Transportcontainern, aber einige Wirtschaftsakteure haben sich zusammengetan, um Lösungen dafür zu finden. Zuletzt hat sich die Situation ein wenig entspannt, aber der Transport bleibt deutlich teurer als zuvor.

Der Krieg hat die Fragilität der globalen Lebensmittelversorgung aufgezeigt. Ist es da nicht wichtiger, auf die Ausweitung der Agrarproduktion zu setzen, statt immer neue Natur- oder Klimaschutzziele auszurufen?

Mel Poulton: Man muss das alles ins Gleichgewicht bringen. Wir brauchen auf der einen Seite unbedingt Zugang zu gesunden, nahrhaften und bezahlbaren pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln. Wir müssen diese Nahrungsmittel aber gleichzeitig so erzeugen, dass unsere Umwelt und natürlichen Ressourcen dadurch nicht geschädigt werden, sondern idealerweise sogar davon profitieren.

In Neuseeland haben wir ein Maori-Sprichwort, welches uns erinnert, dass wenn du nicht auf die Natur achtest, sie auch nicht für dich sorgen kann. Wir sind die Bewahrer unseres Lands, unserer Natur und des ganzen Planeten – wir alle miteinander. Wir haben also alle die Verantwortung, unsere natürlichen Ressourcen auf unsere Weise zu bewahren. Das gilt auch für die Verbraucher. Die können sich beispielsweise dafür entscheiden, die besonders nachhaltige oder tierwohlgerechtere Arbeit der Landwirte durch eine höhere Zahlungsbereitschaft zu honorieren. Das wiederum gibt diesen die finanziellen Spielräume für nachhaltige Investitionen. Tierwohl, Umwelt- oder Klimaschutz – das alles kostet Geld und die Bauern können das nicht alleine schultern. Das funktioniert einfach nicht.

Der zweite Teil dieses Interviews erscheint morgen auf top agrar online.

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