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So will Ökohändler SuperBioMarkt aus der Zahlungskrise kommen

Der Lebensmittelhändler SuperBioMarkt befindet sich derzeit in einem Schutzschirmverfahren. Warum der Biomarkt in Zahlungsschwierigkeiten gekommen ist, erklärt der Gründer im Interview.

Lesezeit: 8 Minuten

Der Ukrainekrieg hat den Bio-Boom beendet. Über die Folgen für die Branche, für Nachhaltigkeit und die Krise im eigenen Unternehmen haben wir mit Michael Radau, Gründer und Chef der SuperBioMarkt AG gesprochen.

top agrar: Herr Radau, „SuperBioMarkt“ galt lange als Erfolgsgeschichte. Jetzt kämpfen Sie mit der Zahlungsfähigkeit. Was ist da gerade bei Ihnen los?

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Radau: Es stimmt, unsere Situation ist aktuell nicht Vergnügungsteuerpflichtig. Wir stecken in einem Sanierungsverfahren. Wir befinden uns in dem so genannten Schutzschirmverfahren. Damit haben wir drei Monate Zeit für einen Sanierungsplan, den das Amtsgericht genehmigen muss und der dann den Gläubigern vorgestellt werden kann.

Wie sind Sie in diese Lage gekommen?

Radau: Nach den guten Jahren 2020 und 2021 wollten wir expandieren. Das hat mit neuen eigenen Standorten und einer Übernahme in Bielefeld auch gut geklappt. Die Übernahme von Filialen eines Mitbewerbers gestaltet sich hingegen als echte Herausforderung. Fünf Dinge sind dann zeitgleich bzw. zeitnah passiert, von denen wir jedes für sich oder auch zwei hätten wegsteckstecken können, aber alle fünf waren einfach zu viel:

  • Massiv verteuerte Stromkosten in Höhe von 1,5 Mio. € jährlich
  • Stark angezogene Ladenmieten
  • Die teure Übernahme mehrerer Filialen eines Mitbewerbers
  • In Hamburg scheiterte eine Übergabe auf den letzten Metern, was allein rund 1 Mio. € kostete
  • Das veränderte Kaufverhalten der Menschen seit Ende Februar.

Gab es keine Rücklagen nach den guten Corona-Jahren? Hat man sich bei der Expansion übernommen?

Radau: Wir haben Rücklagen gebildet, aber wir haben einen relevanten Teil davon in die Expansion gesteckt, die sicherlich mutig war. Das hätte funktioniert, aber wir haben die genannten Nackenschläge der heftigen Art bekommen. Im Nachhinein haben wir uns wahrscheinlich ein Stück weit auch übernommen.

Steckbrief: Der SuperBioMarkt mit Hauptsitz in Münster ist ein mehrheitlich inhabergeführtes Familienunternehmen. Mit einer regional ausgerichteten Struktur betreibt das Unternehmen aktuell 30 SuperBioMärkte in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen mehr als 700 Mitarbeiter.

Wie geht es jetzt weiter?

Radau: Das Schutzschirmverfahren gibt uns eine Reihe von Möglichkeiten, z.B. werden Gehälter für drei Monate von der Agentur für Arbeit übernommen. Außerdem können wir viele Verträge, z.B. mit Vermietern, neu verhandeln. Wir haben zwei Filialen geschlossen, für die wir keine Perspektive sahen. Zwei bis vier Standorte prüfen wir noch.

Wie hat sich das Einkaufsverhalten in ihren Märkten in den Wochen nach dem Angriffskrieg verändert?

Radau: Gegenüber 2019 als letztem „normalem“ Jahr hatten wir gute Zuwachsraten. Das hängt aber immer auch vom Standort ab. In Coronazeiten haben sich die Kunden ja deutlich stärker um ihren Wohnort fokussiert. Unser Standort in Münster-Hiltrup hatte seit 2019 ein tolles Wachstum. Am Bahnhof in Bonn haben wir in der Pandemie dagegen deutlich weniger Kundenfrequenz gehabt. Und das hält teils bis heute an. Das Umsatzminus von 39 % für Bioprodukte insgesamt, dass die GfK für die Branche nennt, kann ich allerdings nicht nachvollziehen.

Wir als Handel haben da etwas versaut. Werbesprüche wie „Qualität ganz oben , Preis ganz unten“ sind Blödsinn.

Sparen die Menschen jetzt beim Lebensmitteleinkauf?

Radau: Wir dürfen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. 2020 und 2021 waren Restaurants und Kantinen zu, Urlaubsreisen nicht möglich. Es wurde viel zuhause gekocht und entsprechend eingekauft. Damals hatten wir Umsätze, die wir aktuell nicht erzielen können. Seit Ende Februar 2022 haben wir jetzt eine völlig andere Lage. In den Restaurants haben die Menschen Nachholbedarf und gehen eher einmal mehr essen. Im Sommer haben viele Menschen ihre Prioritäten Richtung Urlaub verschoben, weil es wieder geht und weil sie nicht wissen, ob es in den nächsten drei Jahren finanziell drin ist. Gleichzeitig hatten wir nach dem Kriegsausbruch ziemlich schnell eine deutliche Kaufzurückhaltung bei den Kunden.

Wie äußert sich diese Kaufzurückhaltung, und wie gehen Sie damit um?

Radau: Mittlerweile kommt wieder öfter Putenbrust auf den Tisch statt Rinderfilet. Und dazu gibt es dann einen leichten Rosé und nicht mehr den hochpreisigen Rotwein. Sicher werden in Teilbereichen verstärkt Angebote genutzt. Wir bieten aber bewusst nicht zwei Qualitäten an. Billig-Bioprodukte waren und sind nicht unsere Sache, da stehen unsere Mitarbeiter nicht hinter, und die Hersteller würden das auch infrage stellen. Unsere Kunden verbinden mit den Sachen, die es bei uns gibt, ebenfalls ganz bestimmte Werte und verlassen sich darauf. Anders als viele andere wollen wir als Handelsunternehmen immer hervorheben, dass unsere Produkte ihren Ursprung in der Landwirtschaft haben, und das meinen wir wirklich ernst. Das nehmen auch viele unserer landwirtschaftlichen Lieferanten so war und stehen uns auch jetzt treu zur Seite.

Was erwarten Sie für die kommenden Monate am Markt?

Radau: Ganz ehrlich, wir wissen es nicht. Mittelfristig bin ich davon überzeugt, dass immer mehr Menschen erkennen, z.B. wenn sie die aktuell vertrockneten Felder sehen, dass wir etwas ändern müssen. Und für diese Veränderung bieten wir etwas an, und zwar auf einer geschmacklichen, qualitativen Ebene. Wenn ich sehe, dass sich Edeka und Aldi darüber streiten, wer Deutschlands größter Bioladen ist, dann schmunzle ich. Ob die das ernst meinen und auch die Werte dahinter sehen, muss man sich genau ansehen. Für alle Menschen, die das aber konsequent, ehrlich und transparent erleben wollen, sind wir die richtige Anlaufstelle. Und ich glaube, es wird in Zukunft genügend Menschen geben, die uns da als Orientierungspunkt sehen.

Wer sind Ihre typischen Kunden?

Radau: Früher kamen die Leute ja erst in den Bioladen, wenn Nachwuchs kam. Jugendliche sahen wir so gut wie nie. Heute kommen Studierende und Jugendliche, aber auch ältere Menschen, mit einer ganz anderen Motivation. Diese sagen uns oft: „Den Blumenkohl kaufe ich hier, weil der bei Euch noch so schmeckt wie früher.“ Unser Kundenstamm ist sehr breit geworden, es macht aber trotzdem nur 30 bis 40 % der Bevölkerung aus.

Was bedeutet der Kostendruck für die vielen Nachhaltigkeitsthemen? Werden Tierwohl, Klima- und Artenschutz nun zu Ladenhütern?

Radau: Nein das glaube ich nicht, es gibt ausreichend Menschen, die solche Themen immer noch mit einer ganz hohen Priorität sehen. Es gibt aber auch Menschen die vor einem Dilemma stehen, die sagen: „Ich weiß, eigentlich ist es besser, aber jetzt gerade nicht.“

Die Planetaren Grenzen sind mit dem Ukrainekrieg nicht verschwunden. Wie werden wir den Zielen auch in der jetzigen Situation steigender Preise und großer Knappheiten gerecht?

Radau: Indem wir nicht nur eine Landwirtschaftswende sondern auch eine Ernährungswende mitdenken. Weniger Fleisch und dann hochwertiges, mehr pflanzliches, mehr echte Regionalität, und nicht mehrfache Transporte durchs ganze Land. „Regionalität“ ist uns wichtig, wir erklären aber auch, wenn der Apfel doch mal aus Chile kommt. Der Apfel, der seit letztem Oktober im klimatisierten Lager beim Demeter-Landwirt im Alten Land lag, steht klimatechnisch wahrscheinlich nicht besser da als der Apfel, der per Schiff zu uns gekommen ist. Im Übrigen haben wir in diesem Jahr überhaupt nur für ca. vier Wochen Äpfel importiert.

Viele Landwirte wollen in Tierwohlställe und Nachhaltigkeit investieren. Es scheitert an Genehmigungen, Finanzierungen und rechtlichen Rahmen. Wie durchschlagen wir den Knoten?

Radau: Ich bin kein Freund der aktuellen Tierwohl-Label und -programme. Das ist für mich nicht konsequent genug. Und die vielen Stolperdrähte im Baurecht sind unsäglich. Das müsste konsequent vereinfacht werden und sehr liberal gedacht müsste ein Stallbau nach drei Monaten Genehmigungsverfahren auch starten, wenn noch keine Entscheidung gefallen ist. Und wir müssen genug Menschen mitnehmen, um zu ökologischen Tierhaltungskriterien hinzukommen, notfalls über Regularien und Besteuerungen, ähnlich wie beim Rauchverbot in Kneipen.

Schädigt jemand, der eine Bratwurst aus einem Stufe 1- oder 2-Stall isst, seinen Nachbarn wirklich so, wie es ein Raucher tut?

Radau: Ja klar, er schädigt die gesamte Gesellschaft, indem er nicht mithilft, dass der Klimawandel ein Stück weit abgemildert wird.

Wo könnte Landwirtschaftsminister Özdemir aus Ihrer ansetzen?

Radau: Die Ergebnisse der Borchert-Kommission fand ich einen absolut richtigen Schritt in die richtige Richtung. Das war wirklich das Beste, was in den letzten Jahren als Agrarpolitik auf den Weg gebracht wurde. Als Zwischenlösung fand ich sie einen guten Kompromiss. Jetzt müssten die Schritte umgesetzt werden. Niemand kann ab morgen 100 % Bio anordnen, das würde den Kollaps bedeuten. Ehrlicherweise muss man auch den Handel in die Pflicht nehmen. Wir als Handel haben da etwas versaut. Werbesprüche wie „Qualität ganz oben , Preis ganz unten“ sind Blödsinn. Das lernen wir gerade ganz bitter, ich weiß nur nicht, ob wir schnell genug lernen.

Herr Radau, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Matthias Schulze Steinmann und Christian Brüggemann.

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